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Updated: 18.12.2012 15:51
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Harald Rein

Außer Spesen nichts gewesen?

Anmerkungen zur bundesweiten Aktions- und Strategiekonferenz gegen Sozial- und Lohnabbau am 2. und 3. Dezember 2006 in Frankfurt/M.

Nach einigen halbwegs erfolgreichen Jahren der Mobilisierung gegen Sozial- und Lohnabbau, beginnend mit der Demonstration der 100.000 am 01.November 2003 in Berlin und den massenhaften Montagsdemonstrationen in 2004, ist die offensichtliche Flaute der bundesweiten Bewegung unübersehbar geworden. Trotz weiterer sozialer Um- und Abbaumaßnahmen im Sozialen, gibt es nur einen begrenzten Willen der Betroffenen ihren Widerstand in Straßenprotest umzusetzen. Dies braucht uns nicht zu überraschen, denn ein Blick in die Geschichte der sozialen Bewegungen zeigt deutlich, dass es nur unter ungewöhnlich günstigen Momenten möglich ist einen dauerhaften und massiven Widerstand über längere Zeit aufrechtzuerhalten. Dieser Zeitpunkt dürfte aktuell nicht vorhanden sein. Hier genau zu analysieren, zu interpretieren und daraus für weitere Kämpfe Schlussfolgerungen zu ziehen, hätte Aufgabe einer Aktionskonferenz, wie die in Frankfurt sein können. War sie aber nicht!

Bereits im Vorfeld hatte es bizarre Einschätzungen betreffs eines Bündnisses zwischen sozialen Bewegungen und Gewerkschaften gegeben und das Resümee zu den Demonstrationen der Gewerkschaften vom 21.Oktober 2006 so gezogen: "Die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen gingen auf die Straße und 220.000 Menschen kamen. Es ist offensichtlich: die Leute haben die Schnauze voll. Sie wissen: ohne Druck kein Ruck in der Politik. Eindrucksvolle und mächtige Demonstrationen haben gezeigt: die Kraft ist da, jetzt muss sie genutzt werden." ( www.die-soziale-bewegung.de externer Link: Erstes Resümee und strategischer Ausblick nach dem 21. Oktober)

Das einzige, was wirklich, im Rahmen der Demonstrationen vom 21.Oktober, deutlich wurde war die wiederholte Erfahrung gegenüber den organisierenden Gewerkschaften, dass sie sich nicht in ihr inhaltliches und organisatorisches Konzept von "Sozialbewegten" hineinreden und schon gar nicht diese auf den zentralen Kundgebungen gleichberechtigt auftreten lassen. Etwas lächerlich wirkt es allerdings auch, wenn, ausgehend von über 200.000 TeilnehmerInnen (im Vergleich zu den über 500.000 2004), davon gesprochen wird, die Leute hätten die Schnauze voll. Diese Behauptung strotzt vor Zweckoptimismus!

Aber immerhin diese Widersprüche in der Einschätzung hätten Thema auf der Aktionskonferenz sein können, ja sogar sein müssen.

Stattdessen konnte man den Eindruck gewinnen einer genauen Analyse aus dem Weg gehen zu wollen um potentielle Bündnispartner nicht zu verprellen und als einzig gemeinsames Produkt am Ende einen überarbeiteten "Frankfurter Appell" zu präsentieren.

Nur so ist es zu interpretieren, dass wieder einmal VertreterInnen von attac, WASG, Gewerkschaftslinke, Studenten und soziale Bündnisse Eingangsstatements hielten, die so schnell sie gesprochen wurden auch schon wieder vergessen waren, da sich keiner auf den anderen bezog und zu der wichtigen Frage: wie weiter nur mangelhaft Auskunft erteilten.

Als wenig sinnvoll erwies sich der im Vorfeld erfolgte Beschluss die Debatte über Grundeinkommen versus Grundsicherung aus der Tagung herauszuhalten, indem man sie einfach verschwieg und auf eine gesonderte Konferenz verschob. Da diese Problematik bei vielen sozialen Initiativen eine wichtige Rolle spielt, fand sie natürlicherweise ihren Widerhall auch auf den Plenas bzw. den Arbeitsgruppen (1. Erwerbstätigkeit, Lohnabbau etc., 2. Erwerbslosigkeit, prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen etc., 3. Gesundheit und Krankheit, 4. Öffentliche Güter und soziale Infrastruktur).

Im zweiten Teil der Konferenz sollte es hauptsächlich um Vorschläge für Aktionen im nächsten Jahr, um die Strukturen des Bündnisses und die Weiterentwicklung des Frankfurter Appells gehen. Da sich die inhaltliche Diskussion, zeitlich gesehen, in der Hauptsache um Veränderungsvorschläge zum Frankfurter Appell drehte, fand außer einem kurzen, strittigen Bericht aus der Arbeitsgruppe "Strukturen des Bündnisses", ein Sammelsurium an begründeten Vorschlägen über mögliche Aktionen im nächsten Jahr statt. Somit konnte sich jeder/jede dann die Aktion aussuchen, die er oder sie im nächsten Jahr präferieren will. Von gemeinsamer Handlungsoption keine Spur! Zudem gab es noch Grußworte an die streikenden Kollegen bei VW in Brüssel und eine Resolution gegen der Verlängerung der Arbeitsgelegenheiten auf 4 Jahre.

Emotional am heftigsten wurde über die Vorschläge zur Ergänzung des Frankfurter Appells gestritten. Eine Redaktionsgruppe hatte einen Vorschlag ins Plenum eingebracht, der dann Satz für Satz und Forderung für Forderung, nach einem vorher festgelegten Modus, abgestimmt wurde. Heraus kam ein "neuer Frankfurter Appell", der nicht überall auf Begeisterung stieß.

Aus diesem Grund seien noch einige Bemerkungen erlaubt, da ich selbst mit Veränderungsvorschlägen in die Debatte eingegriffen habe.

Überblicke ich die Kommentare einiger MitstreiterInnen auf www.protest2006.de externer Link, erwächst in mir der Eindruck, dass die Bedeutung des Frankfurter Appells für die sozialen Bewegungen überschätzt wird. Es wird so getan als sei nun mit der "neuen Fassung" eine breitestmögliche Einheit der sozialen Initiativen und ein Bündnis zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen in weite Ferne gerückt. Real gesehen hat es dieses Bündnis, gemessen am eigenen Anspruch per Appell, nie gegeben und wird es, so konstruiert, auch nie geben, denn soziale Kämpfe richten sich nicht nach noch so gut gemeinten und gut formulierten Resolutionen. Soziale Kämpfe hat es vor dem Frankfurter Appell gegeben und wird es auch, trotz seiner zum Teil ergänzten Forderungen, weiter geben. Damit soll nicht gesagt werden, dass es unwichtig ist sich auf gemeinsame Perspektiven zu vereinigen, sondern nur, das die politische Wichtigkeit des Ganzen etwas relativiert wird.

Ein Resultat der übergewichtigen Diskussion, welches nun die richtigen Forderungen sind, ist in der Tatsache zu sehen, dass wir es nicht verstanden haben unserem eigenen Anspruch, als Aktions- und Strategiekonferenz, gerecht zu werden, wie ich es bereits weiter oben beschrieben habe. Ergebnisse, wie konkret wir bundesweit ins Jahr 2007 gehen wollen, wo und wie wir uns dem weiteren "sozialen Kahlschlag" widersetzen können, gibt es nur in Form von Absichtserklärungen.

Was den "neuen" Frankfurter Appell angeht, seien noch folgen Anmerkungen erlaubt:

  1. es wird behauptet, mit der Formulierung "Wir fordern ein Mindesteinkommen für Erwerbslose, mindestens 500 € Eckregelsatz . ohne Bedürftigkeitsprüfung und repressionsfrei" hätte das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) Einzug in den Frankfurter Appell genommen.
    Das ist natürlich Unsinn, da die Befürworter des BGE der Meinung sind, dass ein BGE allen Menschen in einem Land zur Verfügung gestellt werden sollte und nicht nur einer einzelnen sozialen Gruppe. Aber auch selbst wenn es Vertreter eines BGE nur für Erwerbslose geben würde, so erfüllt die Forderung des Frankfurter Appells nicht die Kriterien eines BGE. Denn die lauten u.a. ein BGE muss existenzsichernd, im Sinne einer soziokulturellen Teilhabe sein. Dies trifft bei einer Höhe von monatlich 500 € Regelsatz nicht zu!

  2. Die Forderungen nach Sozialhilfe/Arbeitslosengeld II ohne Bedürftigkeitsprüfung und repressionsfrei stammt nicht aus den Reihen der BGE-KämpferInnen, sondern ist Produkt der Erfahrungswelten von Erwerbslosen und armen Leuten, die sich in Initiativen seit Ende der siebziger Jahre organisiert haben. Kampagnen in diesem Umfeld hat es immer wieder gegeben, ich erinnere nur an die Organisierung von Aktionen durch Frauen aus der Erwerbslosenbewegung in den Achtziger Jahren unter dem Titel: "Wir brauchen mehr als Luft und Liebe. Keine Anrechnung der Einkommen von Eltern/Ehemännern/Freunden bei Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Weg mit der Bedürftigkeitsprüfung!" Oder an die Kampagnen "Sabotiert die Zwangsarbeit" und gegen Ernteeinsätze von Erwerbslosen. Das heißt, die Forderung nach einer Erhöhung des Regelsatzes muss immer in Verbindung stehen mit dem Kampf gegen alle Formen von materieller Enteignung durch Bedürftigkeitsprüfungen und gegen erzwungene Arbeitseinsätze. Ein Konsens, dem sich die meisten Erwerbslosengruppen angeschlossen haben. Auch in der aktuellen Beratungspraxis finden sich tagtäglich Beispiele wie durch Anrechnung von Partnereinkommen (egal ob verheiratet oder nicht), durch behauptete Unterhaltspflichten von Eltern gegenüber ihren Kindern und umgekehrt, durch Anrechnung von angeblichem Vermögen der Antragsteller und deren Kindern, durch Anrechnung und Auflösung von Renten- und Lebensversicherungen Menschen reihenweise aus dem Leistungsbezug gedrängt werden und Altersarmut vorprogrammiert ist. Gleichzeitig werden Erwerbslose, unter Androhung von Leistungsentzug, gezwungen jegliche Form von unterbezahlter Arbeit, Zeitarbeit, Ein-Euro-Jobs, unsinnige Trainings-Bewerbungsmaßnahmen, Profilings usw. anzunehmen. Diesen Angriffen auf Erwerbslose und deren Gesundheit, deren Selbstwertgefühl und deren materiellen Sicherheiten soll mit den Forderungen "ohne Bedürftigkeitsprüfungen" und "repressionsfrei" ein Riegel vorgeschoben werden.

  3. Alternativ würde sich daraus dann auch eine andere Funktionsbestimmung der Arbeitsagenturen ergeben:
    - nämlich ohne Sanktionsdrohungen in existenzsichernde, sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten zu vermitteln,
    - auf den einzelnen Erwerbslosen so einzugehen, dass dessen berufliche Entwicklungen, dessen Möglichkeiten und Fähigkeiten als Grundlage genommen werden um Alternativen aufzuzeigen,
    - das Weiterbildungen, Umschulungen überhaupt wieder vorgeschlagen werden und gemeinsam mit den Betroffenen entschieden werden (das bedeutet z.B. auch die Zerschlagung der Bewerbungstrainingsmonopole und die Öffnung für unterschiedliche Weiterbildungsinstitutionen)
    - das zielgerichtet auf die einzelne Person orientiert gemeinsame Wege gesucht werden und das sich dafür auch die notwendige Zeit genommen wird
    usw.usf.

In diesem Sinne halte ich die Fortschreibung des Frankfurter Appells für richtig und notwendig!

Um wenigstens für Erwerbslosengruppen die Möglichkeit zu bieten ihre bisherigen Aktionsinhalte und -formen, ihre möglichen Perspektiven, ihre Erfolge und Schwächen bundesweit zu thematisieren und daraus mögliche Schlussfolgerungen zu ziehen, plant der "Runde Tisch gegen Erwerbslosigkeit und soziale Ausgrenzung", im Rahmen des Sozialforums in Cottbus im Oktober 2007, eine organisationsübergreifende Veranstaltung unter dem Titel "Erwerbslose in Bewegung?". Beteiligungsmöglichkeiten und Informationen gibt es bei Ingrid Wagner ingrid2005@tiscali.de

11.12.2006


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