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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Streik bei Neupack: Der Patriarch setzt auf Zermürbungstaktik Eine ereignisreiche vierte Woche haben die Streikenden hinter sich. Am Dienstag, den 27. November fuhren die Hamburger nach Rotenburg, dort wollten sie beim Fackel- und Laternenumzug vom Rotenburger Marktplatz zum Streikzelt dabei sein. Der Vorsitzende der IG BCE von Hamburg, Jan Eulen berichtete, daß das Arbeitsgericht in Verden die Klage der Geschäftsleitung abgewiesen habe. Die Blockade der Einfahrt zum Neupack-Werk in Rotenburg durch streikende Mitarbeiter gegen Lieferanten und Streikbrecher zu Beginn des Streiks war zulässig. (Siehe dazu auch den link zu Radio Bremen ). Für diese Nachricht erhielt er viel Beifall. Am Vormittag hatte wieder ein Gespräch mit der Geschäftsleitung stattgefunden, wieder ohne Ergebnis. Über dieses Nichtergebnis durfte nichts berichtet werden, war vereinbart worden. Auch bei den ZuhörerInnen herrschte Stillschweigen. Die Gespräche sollen nächste Woche fortgesetzt werden. Wie lange werden sich die Streikenden dieses Theater noch gefallen lassen? Zumal die Streikbrecher die Produktion in der Firma deutlich erhöhen konnten. Andererseits sind die Lager voll, weil weniger Aufträge eingegangen sind. Was rausgeht, ist marginal. Nach drei km Marsch durch die schon fast leere Kleinstadt dann ein dichtes Gedränge vor den Zelten. Die Rotenburger hatten für Essen gesorgt: Gegrillte Würste, Schwein und Rind, Glühwein, Kaffee und Kuchen. IGM-Kollegen waren gekommen, darunter drei Betriebsräte der Firma Atlas aus Ganderkesee, die vor zwei Jahren harte Auseinandersetzungen hatten, Kontakte wurden geknüpft. Die Gruppe Gutzeit war mit nach Rotenburg gereist, spielte Lieder aus ihrem Repertoire, danach fünf junge MusikerInnen der türkischen Gruppe Atif, etliche Landsleute tanzten dazu untergehakt, das alles unter dem Mond von Rotenburg-Wümme. Am Schluß spielten sie das Lied Bella Ciao, ein italienisches Partisanenlied. Die Älteren sangen mit und erinnerten sich an die 70er und 80er Jahre, als sie selber das Lied mit Inbrunst gesungen hatten... (*) Als wir spätabends wieder an der Jurte in Stellingen ankamen, empfing uns eine Gruppe der Alevitischen Gemeinde aus Hamburg-Rothenburgsort, sie war mit einem Kessel Aschüre-Suppe gekommen, das ist eine süß-saure Suppe, die man nach dem Fastenbrechen einnimmt. Ein sympathischer Ausklang eines Streiktages. Am Mittwoch war wieder Treffen des Soli-Kreises Neupack im Streikzelt. Streikende und UnterstützerInnen berichteten über ihre Aktivitäten. Einige Streikende hatten an der Mieten-Demo teilgenommen. Das Spiel St. Pauli gegen Duisburg war besucht worden, ein Transparent im Stadion gezeigt worden, vor dem Eingang waren Flugblätter verteilt worden. St. Pauli hatte 4:1 gewonnen. Wie hoch gewinnen wir gegen die Krügers? Aktivitäten werden gemeinsam ausgedacht und auch durchgeführt. Vor dem Hintergrund des Urteils des Hamburger und des Verdener Arbeitsgerichtes wurde vereinbart, die Streikwachen vor den Toren zu verstärken, Menschentrauben zu bilden. Am Donnerstag fuhr auf Einladung und Kosten des SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs ein Bus mit Streikenden aus Rotenburg und Stellingen nach Berlin, um an einer Sitzung des Bundestages teilzunehmen. Anschließend war ein Gespräch mit Kahrs und dem niedersächsischen Abgeordneten Lars Klingbeil (SPD). Er fragte, was die Streikenden über seine Arbeit wissen wollten. Die KollegInnen hielten ihm jedoch ihre Lage vor, das wiederholten sie, als der Fraktionsvorsitzende Steinmeier dazu kam. Der versicherte ihnen, daß die Ordnung des Arbeitsmarktes eingehalten werden müsse, auch von der Familie Krüger. Zum Schluß wurde ein Gruppenphoto mit Steinmeier, Kahrs und Klingbeil gemacht, das an die Hamburger Presse geschickt werde. In den Gesprächen zwischen den Neupack-KollegInnen und den UnterstützerInnen kam man immer wieder auf das irrationale Verhalten der Krüger-family zu sprechen. Gemeint ist damit hauptsächlich der Patriarch Jens Krüger (72), der das Sagen in dem Clan hat. Das Geld, das der Clan bisher in der Zeit des Streiks aufgewendet hat, dürfte mehr sein, als ihn ein Tarifvertrag kosten würde. Die erhöhten Kosten sind: Produktionsausfall, Aufwendungen für die Streikbrecher, die zusätzlichen Sicherheitskräfte, engagieren einer Werbefirma. Eine Kosten-Nutzen-Analyse interessiert ihn nicht. Auch, daß er von Seiten seiner Klassengenossen keine Zustimmung erhält, perlt an ihm ab: Die Welt und das Hamburger Abendblatt bringen nur distanzierte Artikel. Jens Krüger verhält sich wie ein Gutsherr, der sich nie mit einem Bediensteten an einen Tisch setzen würde. Seine Beauftragten dürfen nur Gespräche führen, aber keine Verhandlungen aufnehmen. Seine Taktik ist klar, er setzt auf Zeit, die Streikenden sollen zu Kreuze kriechen, eine andere Vorstellung kommt ihm nicht in den Sinn. Das wiederum kommt den Streikenden nicht in den Sinn. Sie sind auf den Geschmack gekommen: Streiken ist schöner! Und es geht auch um ihren Stolz. Aber hinter der irrationalen Form steckt durchaus ein rationaler Kern: Die Krügers wollen weiterhin Untertanen, die auf gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit verzichten, die hinnehmen, daß ein Maschinenführer 1400 Euro kriegt, der andere 5000 Euro, daß eine Packerin 8,20 Euro verdient, die andere 15 Euro, daß ihnen Krankheitszeiten vom Lohn abgezogen werden, daß etliche von ihnen zehn Jahre lang keine Lohnerhöhung erhalten, daß etliche von ihnen als AufstockerInnen Hartz IV beantragen (wofür ja die Steuerzahler aufkommen müssen). Und die Krügers machen Kasse - insofern sind sie ein moderner Betrieb, eben auf der Höhe der Zeit. (Siehe auch unten: Der Tarifvertrag - ein Auslaufmodell?). (*) Bevor Bella Ciao zum Lied von Partisanen und Kommunisten wurde, hatte es schon eine Geschichte. (Aus Wikipedia): Die Melodie des Liedes Bella Ciao wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von den Reispflückerinnen der ehemaligen italienischen Provinz Terre d'Acqua in der Nähe der Stadt Bologna gesungen. Es beklagt die harten Arbeitsbedingungen unter der stechenden Sonne. Bereits die erstmals 1906 dokumentierte Fassung trägt die Züge eines Protestliedes gegen den Chef, der " mit einem Stock in der Hand " die Arbeit ü berwacht, das Leben der Frauen " aufzehrt " und obendrein wenig zahlt. Doch eines Tages, so hofft die Erzählerin, werden die Frauen " in Freiheit " arbeiten. Die Frauen von Neupack von 2012 werden den italienischen Reisarbeiterinnen von 1906 ihr Schicksal nachempfinden können! Wichtig:
Dieter Wegner, Soli-Kreis Neupack, 01.12.2012. Kontakt: soli-kreis@gmx.de |