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Updated: 18.12.2012 15:51
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Nachgeben oder Arbeitsplätze weg:

Nestlé-Konzern versucht die CGT zu erpressen


Perrier ist vor allem als relativ prestigereiche Mineralwassermarke bekannt: "Der Champagner unter den Tafelwassern" lautete einst ein Reklamespruch. Ein anderer Werbeslogan hieß "Das Wasser, das pschitt macht" - er würde heutzutage allerdings nicht sehr gut ankommen, nachdem der notorisch korrupte Präsident Jacques Chirac in seiner Nationalfeiertagsrede vom 14. Juli 2001 Unterschlagungsvorwürfe mit demselben Zischlaut konterte ("Die Summen machen pschitt, sie schrumpfen bei bloßem Auge zusammen"). Perrier zeichnet sich unter anderem durch die dunkelgrünen, merkwürdig geformten Plastikflaschen aus: Ihre Form soll den kleinen Gymnastikkeulen nachempfunden sein, derer sich der britische Lord Harmsworth ­ der erste, der in die Mineralwasserquelle Geld investierte ­ nach einem Autounfall bedienen musste.

Das Wässerchen wurde nach dem Arzt Louis Perrier benannt, der ihm im 19. Jahrhundert heilende Wirkung zuschrieb. Doch derzeit kann der Markenname auch als Chiffre für Arbeitskämpfe und, vor allem, für Konzernerpressung gelten.


"Die CGT in der Falle"

"Die CGT in der Falle ihrer Unnachgiebigkeit² jubilierte Ende voriger Woche die französische Wirtschaftszeitung Les Echos auf ihrer Titelseite. Soeben hatte der Vorstandsvorsitzende des französischen Ablegers des Nestlé-Konzerns, Richard Girardot, den wahrscheinlichen Verkauf der Mineralwassermarke Perrier angekündigt. Neben dem Abstoßen an potenzielle Kaufinteressenten, Girardot nannte anglo-amerikansische Investmentfonds, kämen ferner auch eine Produktionsverlagerung in¹s Ausland ­ der Markenname Perrier könnte rein rechtlich auch auf eine andere Quelle übertragen werden ­ oder eine größere Entlassungswelle in Betracht.

"Wir verdienen seit 10 Jahren mit Perrier kein Geld² behauptete Girardot in einem Gespräch mit dem Radiosender France Info. Das stimmt so nicht. Dennoch ist die vor allem im Mineralwassergeschäft tätige Nestlé-Tochterfirma, Nestlé Waters France, mit der Marke unzufrieden, seitdem sie 1992 -nach einem erbitterten Übernahmekampf gegen die Agnelli-Familie aus Italien ­ Perrier aufgekauft hat. Kaum hatte Nestlé den Perrier-Firmensitz im südfranzösischen Vergèze (bei Nîmes, im Département Gard) erworben, machte sich der Einbruch der internationalen Verkaufszahlen bemerkbar: 1990 waren bei einer Kontrolle in den USA winzige Spuren von Benzol in den Flaschen nachgewiesen worden. Perrier musste 280 Millionen Flaschen vom US-Markt herunternehmen, das Verkaufsvolumen ging um 40 Prozent zurück ­ von jährlich 1,25 Milliarden Flaschen (1989) auf 600 Millionen. Der neue "Mutterkonzern" baute in den Jahren 1993 bis 1998 rund 1.000 Arbeitsplätze ab, ein Drittel der Beschäftigten musste im Zuge von drei "Sozialplänen" gehen.

Richtig willkommen war der Käufer im südfranzösischen Gard, einem alten "roten Gebiet" ­ die Weinbauern wählten früher kommunistisch -, von Anfang an nicht: Die CGT klagte Ende 1992 vor Gericht, um die Übernahme durch Nestlé annullieren zu lassen. Denn Perrier war der größte Arbeitgeber in dem Département, das als industrieller Krisenbezirk gilt, und die Gewerkschaft fürchtete von Anfang an um die Arbeitsplätze. Der internationale Nestlé-Chef, Peter Brabeck, bot der CGT im Jahr 2000 ein Stillhalteabkommen an: Es werde keine weiteren Entlassungen geben, wenn die Gewerkschaft zur "Zusammenarbeit" bereit sei. Damals waren die Verkaufszahlen wieder im Anstieg begriffen: Von 680 Millionen Flaschen (1999) stiegen sie auf 830 Millionen im vorigen Jahr. Seit 2002 trägt Perrier dem Konzern erneut Gewinne ein. Doch dann forderte die CGT, jetzt müssten auch wieder Beschäftigte eingestellt werden, vor allem als der Hitzesommer 2003 allen Mineralwassermarken neue Verkaufserfolge bescherte. Nestlé weigerte sich, es kam zu Arbeitskämpfen, und trotz des Ausnahmesommers stiegen die Profite nicht.


Opposition gegen den Vorruhestandsplan und Arbeitsplatzabbau

Anfang dieses Jahres präsentierte der Konzern einen neuen Plan für seine sämtlichen Mineralwasserfabriken in Frankreich ­ Perrier, Vittel, Contrex und Queyzac - , der einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen vorsah. Demnach wären von derzeit frankreichweit 4.100 Beschäftigten insgesamt 1.047, die in den nächsten drei Jahren das 55. Lebensjahr erreichen werden, ab diesem Alter in den Vorruhestand geschickt worden. Dabei hätte es 276 Neueinstellungen gegeben, so dass nur jeder vierte Arbeitsplatz erhalten worden wäre. Die CGT dagegen forderte die Beibehaltung von 60 Prozent der Arbeitsplätze. In ihrer Hochburg, bei Perrier in Vergèze, wo 2.200 Leute arbeiten, wären 365 in den Vorruhestand gegangen.

Deswegen blockierte die CGT im Juli 2004 die Firmenvereinbarung, die Nestlé mit zwei Gewerkschaften ­ der sozialliberalen CFDT und der Vertretung der höheren Angestellten, CGC ­ dazu abschloss. Da die CGT bei Nestlé Frankreich 55 Prozent, bei Perrier gar 85 Prozent der Beschäftigten vertritt, kann sie ein Vetorecht gegen das Abkommen geltend machen, welches das Gesetz den Mehrheitsgewerkschaften einräumt. (Dieses "Oppositionsrecht" ist in der "Loi Fillon" vom Mai 2004 verankert. Dieses, nach dem ehemaligen Arbeits- und Sozialminister benannte "Gesetz zum sozialen Dialog" soll den Abschluss von Betriebsvereinbarungen erleichtern und erlaubt es den einzelbetrieblichen Abkommen, relativ einfach vom Branchen-Kollektivvertrag abzuweichen, auch "nach unten". Im Gegenzug wurde den Mehrheitsgewerkschaften dieses Vetorecht eingeräumt, da sonst das Risiko bestanden hätte, das ultra-minoritäre Gewerkschaften, die kaum jemanden repräsentieren, das gesamte Kollektivvertragsrecht in Windeseile nach unten gezogen hätten.)

Der Konzern antwortete auf dieses Veto nunmehr seinerseits mit der Verkaufsdrohung. Gleichzeitig kündigte Nestlé Waters France am vorigen Mittwoch auch im Konzernbetriebsrat an, für die einzelnen Mineralwassermarken nunmehr rechtlich selbständige Filialen einzurichten, dabei aber Vittel und Contrex miteinander zu verschmelzen. Durch diese Zerlegung der bisher einheitlichen Mineralwasserfirma soll die CGT - die in Südfrankreich stark ist, aber in den Vogesen (bei Vittel und Contrex) nicht so viel zu melden hat ­ isoliert und auf einzelne Standorte zurückgedrängt werden. Der zentrale CGt-Delegierte auf Konzernebene, Jean-Paul Franc, bezeichnet die Filialenbildung dagegen als Versuch, "die Firma zu zerschlagen und der CGT die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben".


Reaktionen

Die Reaktionen fielen unterschiedlich aus. Im südfranzösischen Gard ertönte ein Aufschrei; der parteilose Bürgermeister von Vergèze, René Balana, forderte gar "die Nationalisierung" der Marke Perrier, falls Nestlé sich tatsächlich zurückziehen wolle. Dagegen wird aus den weit konservativeren Vogesen gemeldet, hier seien vor allem die älteren Beschäftigten unzufrieden, weil ihnen nunmehr durch die Blockade der CGT der Vorruhestand zu entgehen drohe.

Der politisch ehrgeizige, konservative Wirtschaftsminister Nicolas Sarkozy zeigte sich einmal mehr umtriebig. Er empfing am Dienstag (21. September) die Vorstandsmitglieder von Nestlé Waters France, nachdem er am vorigen Donnerstag auf dem Sender Europe 1 bereits "dem Extremismus einer Gewerkschaftsorganisation" die Schuld an den Verkaufsdrohungen gegeben hatte. Am Ende der Gesprächsrunde bei Sarkozy erklärten die Nestlé-Vorständler, sie seien bereit, über einen Verbleib in Frankreich mit sich reden zu lassen, falls die CGT ihr Veto vom Juli aufhebe. Neuverhandlungen über die Vorruhestandsregelung, und damit den Arbeitsplatzabbau, schloss man jedoch explizit aus.   


Entlassungswelle: Die CGT kündigt Initiativen an

Perrier ist derzeit nicht das einzige Konfrontationsfeld zwischen der CGT und dem Nestlé-Konzern. In Marseille will Nestlé seit Monaten die Fabrik für löslichen Kaffee von Saint-Menet dichtmachen, die 427 Lohabhängige beschäftigt. Der Konzern könnte die Produktion übernehmen, will aber die gesamte Herstellung löslichen Kaffees in seiner Firma in Dieppe (in der Normandie) konzentrieren. Ein Gericht in Marseille hat am 27. Juli die Schließung der Fabrik vorläufig untersagt: Erst muss der Konzernbetriebsrat eingeschaltet werden. Nestlé will aber an seinen Plänen auf jeden Fall festhalten.

Die CGT ihrerseits versuchte bereits kurz vor der jüngsten Perrier/Nestlé-Affaire, zum Thema der immer zahlreicher werdenden Entlassungen in der Industrie zu mobilisieren. Ihr Generalsekretär Bernard Thibault absolvierte seinen ersten öffentlichen Auftritt seit der Sommerpause am Montag, 13. September in der besetzten Lebensmittelfarbik von Lustrucru in Arles (bei Marseille). Die Fabrik ist seit dem 26. März 2004 von den Arbeitern besetzt. Nach den Überschwemmungen in Südfrankreich vom März dieses Jahres wurde die Fabrik, die rund 25 Prozent der französischen Reisverarbeitung konzentrierte, durch den Lebensmittelkonzern Panzani geschlossen. Der Konzern kassierte freilich insgesamt 28 Millionen Euro Entschädigung für die Wasserschäden: allein 22 Millionen von den Versicherungen und zusätzliche Hilfen von den lokalen Behörden, dem französischen Staat und der EU. Damit könnte er die Fabrik wieder anfahren und sogar modernisieren, doch das ist nicht erwünscht. Der Mischkonzern Vivendi seinerseits hat sich erboten, den Standort aufzukaufen und 1.500 Arbeitsplätze zu retten, doch Panzani will die Konkurrenz draußen halten. Nachdem eine erste Klage gegen den "Sozialplan" des Konzerns am 9. September vom Gericht im nahen Tarascon abgewiesen wurde, erhob der Betriebsrat am folgenden Tag eine neue Klage.

Anlässlich des Besuchs von CGT-Chef Bernard Thibault drei Tage später nahmen rund 200 Personen an einer Debatte teil, unter ihnen (neben Lustucru-Besetzern) auch Beschäftigte von Perrier in Vergèze, von Nestlé in Marseille und anderen Firmen. Bernard Thibault kündigte bei dieser Gelegenheit an, die CGT wolle bis Ende des Monats (September) auf zentraler Ebene über künftige Initiativen gegen die Entlassungswellen beraten. Hoffentlich bekommt sie dieses Mal mehr zustande, als im Frühsommer 2004 gegen die "Gesundheitsreform", die fast ohne nennenswerte Widerstände verabschiedet wurde.

Bernhard Schmid, Paris


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