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Updated: 18.12.2012 15:51
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Vollzugsdefizit

Staatlich erzwungene Schwarzarbeit in Knästen

Zu Beginn des Jahres 2009 erhielt das Komitee für Grundrechte und Demokratie Post von einem Häftling, der über 30 Jahre im Gefängnis gearbeitet hatte. Anlässlich seiner bevorstehenden Entlassung fragte er an, was denn nun mit seiner Rente sei. Diese Anfrage offenbart einen Skandal: Der Staat bzw. die Länder als Arbeitgeber von Häftlingen verweigern ihnen elementare soziale Grundrechte. Gefangene sind aus der Kranken- und Rentenversicherung ausgeschlossen und arbeiten zudem zu einem extremen Niedriglohn. Das Gegenteil von Resozialisierung! Es klingt dann schon bitter ironisch, wenn die NRW-Justizministerin die Entlastung des Landeshaushalts durch die Gefangenarbeit hochlobt: »Gefangene erarbeiten einen Rekordgewinn«, hieß es im Iserlohner Kreisanzeiger am 4. Mai 2009. In »den Werkstätten hinter Gittern« erwirtschafteten die Häftlinge 2008 48,2 Millionen Euro, so die Justizministerin. Das Bundesverfassungsgericht hat das Resozialisierungsprinzip als staatliche Verpflichtung für den Strafvollzug festgeschrieben. Gemäß Resozialisierungskonzept – so das Gericht – soll Gefangenen mithilfe der Arbeit verdeutlicht werden, dass Arbeit ein konstruktiver Bestandteil eines Lebens in Freiheit sein könne. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ist dies aber kaum möglich. Gefangene werden in der Regel als »Sozialfälle« aus dem Gefängnis entlassen, oft hoch verschuldet und ohne soziale Perspektive. So wird Resozialisierung systematisch verfehlt und Rückfälligkeit staatlich befördert.

Das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG und der Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG in Zusammenhang mit dem Würdegebot aus Art. 1 GG verpflichten den Staat bzw. die Länder als Arbeitgeber für Gefangene, diese auch gerecht zu entlohnen und sie in die staatlichen Sozialsysteme einzubeziehen. Dies war bereits bei der Mitte der 70er Jahre diskutierten Strafvollzugsreform geplant. Im Strafvollzugsgesetz von 1977 ist die Einbeziehung in die Rentenversicherung ausdrücklich vorgesehen. Die §§ 190-193 Strafvollzugsgesetz sollten gemäß § 198 StVollzG durch ein Bundesgesetz in Kraft gesetzt werden. Ein solches wurde jedoch nie erlassen.

Mit den erwähnten Paragraphen im StVollzG hat sich der Gesetzgeber hinsichtlich der Sozialversicherungen einer Selbstbindung unterworfen. Eine dauerhafte Verweigerung der Umsetzung verstößt gegen das grundgesetzliche Bestimmtheitsgebot. Es ist geradezu zynisch, wenn die Bundesregierung nach Jahrzehnten fortgesetzter Untätigkeit auf eine diesbezügliche Anfrage im Dezember 2008 antwortete: »Die Bundesregierung hält die Einbeziehung von Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung weiterhin für sinnvoll. Die aufgeschobene Inkraftsetzung der Regelungen im Strafvollzugsgesetz beruht im Wesentlichen auf finanziellen Vorbehalten der Bundesländer« (BT-Drs. 16/11362).

1998 musste bereits das Bundesverfassungsgericht bemüht werden, um die bisherige Gefangenenentlohnung als verfassungswidrig zu qualifizieren und den Gesetzgeber zur Reform zu treiben. Die nach dem Urteil vorgenommene Lohnerhöhung fiel allerdings extrem beschränkt aus: Von fünf Prozent der »Bezugsgröße« (durchschnittliches Entgelt aller Rentenversicherten) wurde die Entlohnung zum 1. Januar 2001 auf neun Prozent angehoben. 40 Prozent wurden seinerzeit als angemessene Forderung in Fachkreisen diskutiert.

Unabhängig von der prinzipielleren Diskussion, Zwangsarbeit zur Disziplinierung von Gefangenen einzusetzen (vgl. Michel Foucault: Überwachen und Strafen), gehören die Themen »Gefangenenentlohnung« und »vollständige Einbeziehung von Gefangenen in die Sozialversicherungssysteme« erneut auf die politische Tagesordnung. Trotz Föderalismusreform ist zunächst der Bundesgesetzgeber gefordert, da er mit dem Bundessozialgesetzbuch festlegt, wer in den jeweiligen Sozialversicherungszweigen pflichtversichert ist. Das Komitee wird sich in seiner weiteren Gefangenenarbeit verstärkt für diese konkreten politischen Forderungen einsetzen.

Martin Singe

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 4/10


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