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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Ein Hauch von Selbstverwaltung FabrikbesetzerInnen in Nordhausen produzieren jetzt Strike Bikes Artikel von Alix Arnold, zuerst erschienen in ak - zeitung für linke debatte und praxis Seit dem 10. Juli halten die KollegInnen der Fahrradfabrik Bike Systems in Nordhausen ihren Betrieb besetzt (vgl. ak 519). Ende Oktober werden sie ein "Arbeiter-Solidaritäts-Fahrrad" in limitierter Auflage produzieren: das Strike Bike. Dabei ist es ungewöhnlich genug, dass ArbeiterInnen in Deutschland ihren Betrieb besetzen, um die Schließung zu verhindern. Das weckt vielleicht noch Assoziationen an Bischofferode 1992/93 [1], aber ansonsten eher an andere Zeiten und ferne Orte: an die Besetzung der Uhrenfabrik LIP in Besançon 1973 oder die aktuelleren Betriebsübernahmen in Argentinien und anderen Ländern Südamerikas. Und so verwundert es nicht, dass anfangs die ArbeiterInnen in Nordhausen einer Weiterführung von Bike Systems in Selbstverwaltung durchaus skeptisch gegenüber standen - aus guten Gründen, denn schließlich geht es hier nicht um eine kleine Fahrradwerkstatt, sondern um 124 ArbeiterInnen und eine Fabrik, die auf dem Weltmarkt agiert. Die Einzelteile kommen aus China und anderen asiatischen Ländern. Die Endmontage in Europa kann sich wegen der höheren Transportkosten für fertig montierte Räder zwar lohnen, aber die Gewinnspanne ist gering. Unklar wären auch die Einkaufsbedingungen, die die FahrradwerkerInnen als selbstverwalteter Betrieb bekommen würden. Im Gegensatz zu den Multis sind sie zu klein, und für eine selbstverwaltete Nischenproduktion zu viele. Die Startbedingungen wären schwierig, denn die besetzte Fabrikhalle ist fast leer. Die KollegInnen haben ausgerechnet, dass sie ein Startkapital von sieben Millionen Euro bräuchten, um die Produktion wieder aufzunehmen. Insgesamt also keine guten Ausgangsbedingungen für ein Experiment von Selbstverwaltung - aber einige BesetzerInnen fanden Gefallen an der Vorstellung. Als die FAU mit dem Angebot kam, den Vertrieb zu unterstützen, entstand die Idee, ein Arbeiter-Solidaritäts-Fahrrad in begrenzter Auflage zu produzieren. Beim Entwurf half die Radspannerei Kreuzberg, ein selbstverwalteter Fahrradladen aus Berlin. Das Strike Bike ist ein solides Dreigangrad, rot lackiert, zum Preis von 275 Euro, mindestens 1.800 Räder müssen gefertigt werden. Am 21. September gaben die KollegInnen den Plan bekannt. Es blieben noch nicht einmal zwei Wochen, um die nötigen Vorbestellungen und Vorauszahlungen zusammen zu bekommen. Denn am 1. November wird das Konkursverfahren eröffnet. Was danach mit der besetzten Halle passiert, ist unklar. Eile war geboten. Die Strike-Bike-Idee löste in verschiedensten Kreisen große Begeisterung aus. Von Tag zu Tag gingen mehr Bestellungen ein, aus allen Ecken Deutschlands und aus zahlreichen anderen Ländern. Die notwendige Anzahl wurde noch übertroffen. Das Strike Bike ist also bereits ausverkauft, das Material für 2.000 Räder ist bestellt. Die Produktion beginnt am 23. Oktober. Nach einer Sommerpause im August, in der viele KollegInnen in Urlaub waren, während die übrigen in nur dünn besetzten Streikschichten die Besetzung aufrecht erhielten, sind die KollegInnen wieder zu Aktionen übergegangen. Am 6. September fuhren sie mit zwei Bussen nach Frankfurt/M., Sitz der Investmentfirma Lone Star, die Bike Systems aufgekauft hat und nun plattmachen will. Mit einer lautstarken Demo zogen BesetzerInnen vom Hauptbahnhof zum Lone-Star-Büro, um die Rücknahme des Insolvenzbeschlusses und die Weiterführung der Produktion zu fordern. Die Verhandlungen endeten ohne Ergebnis. Vor der Rückfahrt kündigten die KollegInnen weitere Aktionen an. Mit der Planung der selbstorganisierten Produktion hat der Konflikt jetzt eine neue Dynamik bekommen. Vorher hatten fast nur lokale und linke Medien über die Besetzung berichtet. Das Strike Bike schaffte es am 28. September bis in die Tagesthemen, andere Sender zogen nach. Die Betriebsbesetzung hat auch ungebetene "UnterstützerInnen" angezogen. Die NPD Thüringen rief dazu auf, "nationale Solidarität zu zeigen" und Strike Bikes zu bestellen. Schon vorher hatten die KollegInnen auf der Unterschriftenliste einer Erwerbslosengruppe die Unterschriften von zwei führenden NPDlern entdeckt. Diesen Versuch der Nazis, sich an den Kampf der ArbeiterInnen anzuhängen, hat der Betriebsrat sofort mit einer Erklärung in der Lokalpresse beantwortet. Die BesetzerInnen grenzen sich darin klar von Parteien ab, "die durch Fremdenfeindlichkeit und Geschichtsverunglimpfung auffallen". Auf solche UnterstützerInnen wird gerne verzichtet. Die Besetzung läuft mittlerweile seit drei Monaten. Mit der Aktion Strike Bike wollen die KollegInnen die Aussage von Lone Star widerlegen, dass das Werk "nicht sanierungsfähig" sei. Nebenbei zeigen sie damit auch, dass selbstverwaltete Industrieproduktion möglich ist, nicht nur in Argentinien. Für die Zukunft hoffen sie jedoch eher auf einen neuen Investor. Falls die Weiterführung des Betriebes nicht oder nicht schnell genug möglich ist, fordern sie eine Lösung von Seiten der Politik. Mit der LEG Thüringen [2] laufen Verhandlungen über eine Auffanggesellschaft. Die Bekanntheit, die die ArbeiterInnen durch das Strike Bike erlangt haben, kann dabei nur nützlich sein. Was auch immer am Ende bei dieser Aktion herauskommt - die KollegInnen haben damit schon jetzt ein Zeichen gesetzt, dass Widerstand möglich ist. Sie haben sich nicht mit dem üblichen Hinweis, dass der Betrieb verschuldet und kein Geld mehr da sei, ohne Sozialplan in die Arbeitslosigkeit abschieben lassen. Sie haben nicht gejammert und appelliert, sondern gehandelt. Wenn ihr Beispiel Schule macht, könnte manchem Finanzinvestor die Lust vergehen, Betriebe zwecks Plattsanierung aufzukaufen. Anmerkungen: 1) Als 1992 das Kalibergwerk in Bischofferode "abgewickelt" wurde, reagierten die Bergleute und ihre Familien mit Betriebsbesetzungen und wochenlangen Hungerstreiks. 2) staatliche Wirtschaftsförderungsgesellschaft in Thüringen Aktuelle Informationen, Spendenkonto usw. im LabourNet Germany Kontakt zu den ProduzentInnen des Strike Bike: fahrradwerk@gmx.de ak - analyse & kritik |