letzte Änderung am 10.05.2002 | |
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Am Anfang war der Zwieback. Und der Unternehmer Carl Brandt, der 1912 beschloss, dass er mehr Menschen an der Produktion seines Zwiebacks im Hagener Stadtteil Haspe teilhaben lassen möchte. Seitdem ging es fast ununterbrochen aufwärts in der Haushaltskasse der Brandts. Es folgten Produktionsausweitungen, Einführung von Fließbändern, Zukauf anderer Firmen (z.B. 1940 die Landshuter Keksfabrik »Zugspitze«), 1956 das Bundesverdienstkreuz »erster Klasse« und die Übergabe der Geschäftsführung an die jüngere Ehefrau. 1970 arbeiteten 2500 Menschen für den Zwieback und die Familie Brandt. 1984 übernahm Adoptivsohn Carl-Jürgen Brandt das Zwieback-Zepter. Die Gewinne stiegen trotz oder wegen einiger Entlassungswellen weiter. In Hagen-Haspe wurden Entlassungen in den letzten Jahren übrigens immer mit der Sicherung des »Standorts« begründet, zuletzt 1995.
Brandt-Junior investierte allerdings kaum in die alte Fabrik und proklamierte 1999 Neubaupläne für eine viel »schönere« Fabrik, in der auch ein Drittel der Belegschaft weiterhin Zwieback für ihn produzieren darf. Bei Verhandlungen mit der Stadt über ein geeignetes Grundstück pokerte er um Größe, Preis, Gleisanschluss und Staatsknete als Zuschuss. Die Stadt kam ihm um viele Millionen und Quadratmeter entgegen, aber das thüringische Ohrdruf hat mehr geboten. Die Rede ist von 15 Millionen Euro. Herr Brandt bezeichnet das lediglich als »Sahnehäubchen«, die Hagener Beschäftigten sehen darin einen staatlich geförderten Arbeitzplatzabbau.
Seit dem 1. Januar 2002 wird nun in Ohrdruf produziert, vermutlich von etwa 180 neuen, noch schlechter bezahlten Brandt-»Mitarbeitern«. Und in Hagen gibt es etwa 350 Arbeitslose mehr, weitere 100 200 werden folgen.
Wie viel kostet der Wegzug der Firma Brandt die Stadt Hagen?
Ob oder wie viele Gewerbesteuerausfälle die Stadt Hagen hat, können wir noch nicht beziffern, weil ja Verwaltung und Firmensitz hier bleiben. Wenn man die reinen Sozialhilfekosten nehmen würde und annimmt, dass von den Frauen, die dort arbeitslos werden, nach Sozialplan, Arbeitslosengeld und -hilfe etwa 200 in der Sozialhilfe landen könnten, rechnen wir mit Kosten von knapp über einer Million Euro im Jahr. Wenn das Einkommen von 300 bis 400 Familien geschmälert wird, macht sich das natürlich auch in der Kaufkraft deutlich. Das trifft auch den Kaufpark, die Tankstelle, Urlaubsreisen usw., mittelbar also auch einige hundert Arbeitsplätze im Bereich von Einzelhandel und Dienstleistung, die dadurch deutlich angeschlagen sind.
Welche Folgen hat das für die Stadt? Zum Beispiel für die Finanzierung freier Träger, Kindergärten, Schulen etc.?
Das kann man kaum beziffern, aber man kann sagen, dass das angesichts der allgemeinen Haushaltslage noch eine Extra-Belastung ist. Ich möchte lieber umgekehrt sagen: Das bedeutet für uns besondere Anstrengungen, dass wir auf dem Gelände wieder 300 bis 400 Arbeitsplätze neu ansiedeln, mehr denke ich, wäre dort nicht möglich.
Haben sie bezüglich Ihrer Kosten jetzt eigentlich auch noch Forderungen an Herrn Brandt?
Herr Brandt ist Unternehmer und Privatbesitzer dieses Grundstücks. Sicherlich kann er damit nicht machen, was er will, sondern nur im Verein mit städtebaulichen Komponenten und den Zielen der Stadt. Theoretisch könnte man einen Bebauungsplan darüber legen mit einer Veränderungssperre. Ich glaube jedoch, dass die Verwertungschancen des Grundstücks im Verein mit Herrn Brandt deutlich besser sind und hoffe auf eine gedeihliche Zusammenarbeit, die sich in den letzten Wochen auch andeutet.
In den letzten zwei Jahren gab es aber nicht viele Anzeichen für eine gute Zusammenarbeit zwischen Herrn Brandt und der Stadt Hagen.
Dieser Eindruck ist sicher nicht falsch. Ich glaube, dass die Firma Brandt knochenhart die finanziellen Vorteile abgewogen hat und schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Entscheidung gefallen war. Und Herr Brandt hat der Stadt öffentlich Vorwürfe gemacht, die nun absolut nicht stimmten. Das von der Firma gewünschte Grundstück wurde zum Beispiel jeden Tag größer.
Die Stadt Hagen hat Herrn Brandt ja auch viel Geld geboten, Ohrdruf halt nur noch mehr. Wie viel wollten Sie denn springen lassen?
Die Stadt hat mittelbar Geld geboten (Anm.: Gelder aus Düsseldorf, Berlin, Brüssel) in einem Gesamtvolumen von sieben Millionen Euro. Die Ohrdrufer liegen nach der letzten Rechnung etwa bei 13 Millionen Euro. Das Fatale ist: Was in Ohrdruf an Subventionen herunterregnet, haben die Brandt-Mitarbeiter über ihren Soli-Beitrag zum Teil sogar selbst mitfinanziert. Die Stadt Hagen hat im übrigen für den Aufbau Ost bislang 113 Millionen gezahlt, in diesem Jahr fehlen hier wieder deshalb drei Millionen Euro im Haushalt.
Welche Konsequenzen ziehen sie aus diesen Erfahrungen für Ihre Wirtschaftsförderung? Müssen Sie jetzt zusehen, dass Sie in Zukunft einfach mehr bieten können?
Es hat überhaupt keinen Zweck, diesen Wettlauf auf eine solche Art anzuheizen. Bundesweit gibt es jährlich weniger als 50 Neuansiedlungen von größeren Betrieben in andere Regionen. Da sollen sich nun 3 500 Kommunen drum streiten. Mit Geld und Gelände und bis hin zu, wie man ja heute weiß, Korruption und Bestechung. Das ist ein Wettlauf, den können Sie eigentlich nur verlieren. Interkommunale Zusammenarbeit und Konzentration auf die Bestandspflege der mittelständischen Unternehmen vor Ort, das ist meine Alternative.
* Dezernent für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz in Hagen und Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Hagen GmbH
Seit 1. Januar gibt es im thüringischen Ohrdruf eine neue Fabrik mit vielen Arbeitsplätzen. Wo ist das Problem?
Es ist eine bedauerliche Tatsache: Die Verlegung von Betrieben aus dem Westen in den Osten wird einerseits gefördert mit staatlichen Mitteln, also aus Steuergeldern, führt aber andererseits zwangsläufig bei Rationalisierungsinvestitionen, mit denen das ja verbunden ist, zum Verlust von Arbeitsplätzen, also zu weniger Einkommensteuerzahlern und weniger Menschen, die in Lohn und Brot sind. Die Menschen, die dann in diesen supermodernen neuen Fabriken im Osten arbeiten, sind natürlich froh und glücklich, weil sie damit den Heerscharen von 20 Prozent Arbeitslosigkeit entkommen. Aber halt zu Ostlöhnen. Das ist also der Abbau von sozialen Strukturen mit Hilfe von Steuergeldern.
Meinen Sie mit Ostlöhnen nur die Höhe der Löhne?
Nein, es geht auch um die ganzen Rahmenbedingungen: Manteltarif, Lohn- und Gehaltstarifvertrag usw. Es ist insgesamt festzustellen, dass sehr viele Unternehmen, die den Weg von West nach Ost gemacht haben oder im Moment machen, ihn unter anderem auch deswegen machen, um zu niedrigeren Lohnkonditionen arbeiten zu lassen. Selbst wenn wir in einigen Teilbereichen mittlerweile bei annähernd Westtarif angekommen sind, so gilt das nicht für Weihnachts- und Urlaubsgeld, bei Urlaubstagen, bei der Arbeitszeit. Da sind die Faktoren alle deutlich schlechter. Deswegen kann man bei einem Betrieb wie Brandt sagen, dass der Abstand mindestens ein Drittel beträgt.
Als thüringischer Landespolitiker müssten Sie eine solche Betriebsverlagerung doch eigentlich trotzdem begrüßen?
Wenn man es rein lokalpatriotisch betrachtet, könnte man sich über jeden Arbeitsplatz freuen. Aber wenn der Preis des Arbeitsplatzes die Vernichtung von Arbeitsplätzen ist und das Ganze mit Steuergeldern bezahlt wird, dann ist das ein Beitrag, der eher die Ressentiments der Arbeitnehmer untereinander schürt. Deswegen habe ich ganz entschieden was dagegen, dass die Auseinandersetzung zwischen Ost und West dazu genutzt wird, dass Unternehmen immer nur dort hinterherziehen, wo sie genügend Staatsknete dazu kriegen und irgendwann dann wieder abhauen. Es geht übrigens noch drastischer als bei Brandt: Die Mobilcom erpresst beispielsweise gerade die Stadt Erfurt. Da wird gesagt, wir bauen die UMTS-Zentrale, aber nur, wenn Ihr uns alle Rahmenbedingungen so schafft, einschließlich des Baus, einschließlich der Vermietungskonditionen und und und ...
Also profitieren diese Firmen vom West-Ost-Gefälle?
Sterbende Strukturen und Massenerwerbslosigkeit dienen immer zur besonderen Ausbeutung von Menschen. Und die Gewinner können noch einen Extra-Profit einfahren, indem sie eine Belegschaft gegen die andere ausspielen. Leider kommt es auch vor, dass mit den Ressentiments vor Ort Politik gemacht wird.
Wie hat sich die PDS in Ohrdruf positioniert?
Die PDS hat sich im Stadtparlament von Ohrdruf nicht gegen die Ansiedelung ausgesprochen, dafür wurde das Gewerbegebiet schließlich gebaut. Wir wehren uns aber ganz klar gegen die Sonderkonditionen. Wir möchten die gleichen Konditionen, wie sie unseren einheimischen Handwerksbetrieben geboten werden. Wir wehren uns dagegen, dass die Westabwanderer besonders hohe Zusagen kriegen, weil sie die Kommunen gegeneinander ausspielen. Wir wehren uns also gegen die Sonderkonditionen und die besonderen Ausbeutungsformen.
... die zudem in Hagen zahlreiche Arbeitslose »geschaffen« haben.
Und nicht nur dort. Ähnlich ist es gelaufen bei Fiege WDZ in Apfelstädt. Da sind sämtliche Kaufhof-Zentrallager aus ganz Deutschland zusammengelegt worden. Oder bei Adler-Moden im Hörselgau, das ist komplett aus Aschaffenburg geklaut worden.
* Fraktionschef der PDS im thüringischen Landtag
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