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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Härter werden! Anton Kobel fragt Gerd Bürklin* zum Arbeitskampf bei/gegen Telekom »Der Streik hat sich gelohnt« und »Das war erst der Anfang« titelte ver.di-publik in der Extra-Ausgabe und der Juli-Ausgabe zum Abschluss der Auseinandersetzung bei der Telekom. Annähernd der gesamte Blätterwald hatte - erstaunlich genug angesichts sonstiger Häme über »Besitzstandswahrer» im Zeitalter der Wettbewerbsfähigkeit - nicht ohne empathische Untertöne von einer Niederlage der Telekom-Beschäftigten berichtet. 6,5 Prozent Lohnverzicht und eine unbezahlte Arbeitszeitverlängerung um vier Stunden hätten die Beschäftigten hinnehmen müssen, so der Tenor. Haben sich alle geirrt, weil sie 71 Seiten Kleingedrucktes nicht genau genug gelesen haben, wie ver.di interpretiert? Warum haben 72,6 Prozent der Beschäftigten in der Urabstimmung einem solchen Abschluss zugestimmt? Wenn die Auseinandersetzung als Beispiel für erfolgreiche Gegenwehr in die Tarifgeschichte eingehen wird, wie Frank Bsirske in seinem Kommentar schreibt, worin genau bestand dann das Exemplarische? (ver.di publik extra, Juni 2007) Zur Erinnerung: Das Telekom-Management wollte mittels Auslagerung, genauer: Tarifflucht, für 50000 Beschäftigte Verschlechterungen in einem Gesamtvolumen von über 40 Prozent Lohnverlust durchsetzen. Wie weit ist der jetzige Abschluss von dieser Vorgabe entfernt? Und warum wurde zwar im Anschluss an den Tarifabschluss von einem Erfolg in der Defensive geredet, zugleich aber die Notwendigkeit betont, sich auf gesetzlicher Ebene um eine Begrenzung von Leiharbeit und Niedriglöhnen zu kümmern? Warum hat ver.di die hier beschworene Rolle des Gesetzgebers, immerhin größter Eigner der DTAG, während des Streiks so wenig zum Thema gemacht? Wir haben Gerd Bürklin und Lothar Blome, beide bei der Telekom beschäftigt und ver.di-Mitglieder, um Kommentare zum Abschluss und zu unseren Fragen gebeten. Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Beiträge scheint ein Ergebnis deutlich: Trotz aller Scheu von ver.di, die Auseinandersetzung als politische zu führen: Die größten Verlierer sind wohl die Regierenden... Worum ging es Euch, den Beschäftigten in diesem fast elfwöchigen Arbeitskampf? Welche Ziele waren vor allem Thema Eurer Gespräche vor bzw. während des fast sechswöchigen Streiks? Es ging uns um den Erhalt des Einkommens, die Sicherung der Tarifvertragswerke, wie z.B. Altersteilzeit, Rationalisierungsschutz usw., und darum, sich zu wehren gegen die Willkür des Arbeitgebers. In der ersten Urabstimmung am 11. Mai 2007 stimmten 96,5 Prozent für Streik. Gab es diese riesengroße Zustimmung, weil es bei Euch um viel Geld ging, oder gab es weitere Beweggründe? Die Existenzsicherung - also der Erhalt des Einkommens - stand bei den Streikenden im Focus, da die angekündigte Senkung des Einkommens bei den KollegInnen teilweise massive Existenzängste auslöste. Doch der Druck durch den Arbeitgeber hat u.a. das Fass zum Überlaufen gebracht. Die ständigen Um- und Neuorganisationen - bisher 19! - seit 1996 hatten die Unternehmensleitung in den Augen der Beschäftigten unglaubwürdig gemacht. Hinzu kamen negative Äußerungen seitens der Unternehmensleitung über die Belegschaft in die Presse, was ebenfalls zu starkem Unmut führte. Dem Verhandlungsergebnis vom 20. Juni stimmten in der zweiten Urabstimmung am 28./29. Juni 72,6 Prozent der Abstimmenden zu. Wenn man berücksichtigt, dass sich 87,5 Prozent der Berechtigten an der Abstimmung beteiligt haben, entspricht das einer Zustimmung durch 63,5 Prozent der Mitglieder. Ein nachvollziehbares, ein »gerechtes« Ergebnis? Warum? Viele waren froh, dass alles zu Ende war, das Hauptziel Existenzsicherung war erreicht. Die bei der Telekom-Mutter geltenden Tarifverträge wurden übernommen. Das sehr umfangreiche Vertragswerk wurde den Streikenden in Infoveranstaltungen erläutert. Nach einem über elfwöchigen Arbeitskampf waren die Erwartungen bei einigen sicher höher, gerade hinsichtlich der Arbeitszeit und des Einkommens. Am Ende stand ein Kompromiss, der, wie es eben Kompromisse so an sich haben, nicht jede und jeden in allen Punkten zufrieden stellt. Die Horrorpläne der Arbeitgeber wurden abgewehrt, die Tarifflucht verhindert, das Entgeltniveau erhalten, Entlassungen sind bis zum 31.Dezember 2012 ausgeschlossen, der Schutz vor dem Verkauf der neuen Gesellschaften ist vertraglich festgehalten, eine Verlängerung der Stand-ortsicherung vereinbart, zahlreiche weitere Tarifverträge und Schutzbestimmungen zu Urlaub, Krankengeld, Altersteilzeit, Unkündbarkeit, Wohnungsfürsorge - um nur einige zu nennen - bleiben erhalten. Dies alles spiegelt das Urabstimmungsergebnis wider. Es gab viel Kritik am Tarifabschluss. Anfangs vor allem in der Presse, auch von Streikenden, bis heute in Teilen der linken Öffentlichkeit. In der Frankfurter Rundschau vom 21. Juni war zu lesen »Nur Verlierer«, in der Stuttgarter Zeitung vom 22. Juni »das Ergebnis für ver.di ist dramatisch«, in der TAZ vom 25. Juni »...eine schwere Niederlage...« und im Freitag vom 29. Juni »Eine historische Niederlage«! Sehen das die Streikenden bzw. die 36,5 Prozent, die nicht ab- bzw. nicht zugestimmt haben, auch so? Wie ist die Stimmung jetzt im Betrieb, drei Wochen danach? Viele waren im Urlaub, anderen - speziell im Außendienst - war der Aufwand, ins Urabstimmungslokal zu fahren, einfach zu hoch. Für einige wiederum war das Ergebnis einfach unbefriedigend, sie wollten aber nicht mit »Nein« stimmen und waren doch auch froh, dass alles vorbei war. Die Stimmung gegenüber der Arbeitgeberseite ist mehr als kritisch. Die Unternehmensleitung ist in den Augen der Arbeitnehmer völlig unglaubwürdig geworden. Die Verlängerung der Wochenarbeitszeit von 34 auf 38 Stunden und die weitgehende Einbeziehung des Samstags als Regelarbeitstag, also die Ausdehnung der Betriebsnutzungszeiten auf sechs Tage in der Woche, wobei für die einzelnen Beschäftigten die 5-Tagewoche einschließlich von zwei zusammenhängenden freien Tagen in der Woche erhalten bleibt, widerspricht zwei zentralen, noch immer nicht widerrufenen gewerkschaftlichen Positionen: erstens durch die Verkürzung der Wochenarbeitszeit Arbeitslosigkeit abzubauen und weitere zu verhindern, und zweitens dem Grundsatz »Samstags gehört Papa/Mama mir!« Das war die größte Kröte, die geschluckt werden musste, und tat mir als glühendem Verfechter der Arbeitszeitverkürzung besonders weh. Am Anfang stand das Diktat des Arbeitgebers, das schlicht eine Erpressung darstellte. Am Ende die Kraftprobe zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber. Dabei ging es zeitweise gar nicht mehr darum, Argumente auszutauschen. Wesentlich war wohl, dass die Einkommen einigermaßen gesichert waren. U.a. konnten auch Regelungen für die Beamten getroffen werden, bei denen z.B. die angekündigte Wochenarbeitszeit von 41 Stunden nicht durchgesetzt werden konnte; sie arbeiten stattdessen jetzt 38 Stunden - statt bisher 34. Der Samstag und teilweise auch der Sonntag war bei den betroffenen Betriebsteilen sowieso leider bereits offizieller bzw. üblicher Arbeitstag gewesen. Das wurde nun nur noch deutlicher formuliert. Zusammengefasst: Für die meisten hatte die Existenzsicherung oberste Priorität. Daher wurde das Heraufsetzen der Wochenarbeitszeit auf 38 Stunden zähneknirschend akzeptiert. Motivation und Arbeitsmoral sind allerdings ziemlich im Keller! Im Arbeitskampf und in der Öffentlichkeit haben zwei Hauptaktionäre der Telekom immer wieder eine Rolle gespielt: die »Heuschrecke Blackstone« und die deutsche Bundesregierung. Haben die Heuschrecke und die schwarzrote Regierung die gleichen Positionen vertreten, d.h. für den Telekom-Vorstand und gegen die 50000 unmittelbar bedrohten Telekom-Beschäftigten? Blackstone stand bei uns weniger im Focus, von denen wurde auch nichts anderes erwartet als Kapitalismus in Reinkultur: so viel rausholen wie möglich eben. Die Rolle der Bundesregierung allerdings rückte immer tiefer ins Bewusstein der Streikenden. Wut und Enttäuschung über deren Tatenlosigkeit waren die Reaktionen. »Unsere Volksverräter« hieß es und heißt es heute, wenn es in den Diskussionen um die Rolle der Regierung ging bzw. geht. Darüber hinaus gab es Parteiaustritte, Ankündigungen zur Änderung des Wahlverhaltens und Parteiwechsel zur LINKEN. Im paritätisch besetzten Aufsichtsrat hätte eine Mehrheit, bestehend aus den Arbeitnehmervertretern und denen der Bundesregierung, die radikalen Pläne des Telekom-Vorstandes mildern bzw. stoppen, mindestens jedoch öffentlich kritisieren können. Nichts war zu sehen und zu hören. Oder täusche ich mich? Oder gab es »Kulissengespräche«? Die Regierung hat den Weg Obermanns (Chef der Telekom) - aus unserer Sicht - eingangs voll mitgetragen. Erst spät kam aus den Reihen der SPD Druck auf die Parteispitze auf. Die SPD-Landesfürsten hatten wohl inzwischen Angst um ihre »Pfründe« bekommen. Immerhin haben wir Streikenden immer mehr und breitere Unterstützung erhalten. Und Kulissengespräche fanden sicher statt, doch offensichtlich ohne Ergebnisse; zumindest drangen diese nicht nach außen. Nochmals zu den Erfahrungen im Arbeitskampf: Was war für Euch besonders hart? Es gab ja Streikbrecher von außen und Prämien für streikbrechende Telekom-Beschäftigte, es gab Beamte ohne verbrieftes Streikrecht. Andererseits hatte dieser Arbeitskampf eine große Zustimmung in der Gesellschaft. Es war vielen klar, hier wird ein Exempel statuiert, ein Durchbruch versucht, und das in einem früher staatseigenen Konzern, der Riesengewinne macht, die Aktionäre und Vorstände fürstlich bedient und sich dopende, gut bezahlte Radler hält. Konntet Ihr neben der Härte auch das Wohlwollen vieler spüren? Streikbrecher gab es nur vereinzelt, das war für uns so gut wie kein Problem. Selbst Nicht-Mitglieder gingen in den Streik bzw. traten während des Streiks in die Gewerkschaft ein. Die Streikbrecherprämie hat die Streikenden noch mehr aufgestachelt. Das Gros der Beamten war auf unserer Seite und beteiligte sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten an unseren Aktionen. Diskutiert wurde die Einbeziehung der Beamten in den Arbeitskampf natürlich auch. Leider gab es hierfür von der zentralen Arbeitskampfleitung aus Berlin kein grünes Licht. Die Beteiligung von Beamtinnen und Beamten an Arbeitskämpfen ist in Deutschland leider immer noch ein heißes Eisen. Obwohl gerade auch sie von den negativen Veränderungen der letzten Jahre massiv betroffen waren und es übrigens in Europa keinerlei Einschränkungen beim Streikrecht für Beamte gibt. Die Unterstützung durch Kirchen, Verbände, Parteien, und d.h. vor allem die LINKE, wurde im Laufe des Arbeitskampfes immer breiter und stärker. Großen Anteil nahmen auch die Medien, die aufgrund eigener Recherchen die Ungerechtigkeit erkannt und die »Schönrechnungen« der Telekomverantwortlichen offengelegt und kritisiert haben. Wie verhielten sich die nicht-streikenden Beamten? Gab es Solidarität, z.B. durch Dienst nach Vorschrift und »Dippelschisserei«, langsameres Arbeiten, eine »Urlaubsschwemme«, Kranksein? Immerhin konntet Ihr mit ver.di für die Beamten die 38-Stundenwoche statt der vom Vorstand geforderten 41-Stundenwoche vereinbaren. Wie schon gesagt: Es gab große moralische Unterstützung durch die BeamtInnen, die auch kaum Motivation hatten, den Betrieb unbedingt am Laufen zu halten. Viele unterstützten uns - im Rahmen ihrer Möglichkeiten... Viel schwieriger für uns war der Einsatz von »Luzis« - also Leih- und ZeitarbeiterInnen, die im Vorfeld »eingekauft« und geschult wurden. Diese konnten wir leider nicht mit in den Streik einbeziehen, was teilweise für »sehr böses Blut« gesorgt hat. In der Öffentlichkeit war nicht erkennbar, ob es in den anderen Telekom-Gesellschaften während des Streiks Unterstützung für die betroffene Gruppe der T-Com-Beschäftigten gab. Wie habt Ihr die Teilnahme bzw. das Interesse in den anderen Telekom-Gesellschaften wahrgenommen? Gab es Spaltungen, z.B. zwischen denen, die ausgegründet werden sollten, und denen, die »drin« blieben? Und falls ja: Gab es Versuche, diese zu überwinden? Vor allem die gewerkschaftlichen FunktionsträgerInnen, aber auch zahlreiche ver.di-Mitglieder wie auch Beamtinnen und Beamte aus den nicht betroffenen Betriebsteilen haben ihre streikenden Kolleginnen und Kollegen massiv unterstützt. Bedingt durch die Länge des Streikes haben sie hierzu zahlreiche Urlaubstage und Gleitzeitguthaben aufgewendet. Eine Spaltung gab es nach meinem Kenntnisstand nicht. Vor allem der Bereich T-Mobile hätte uns gerne streikend unterstützt, war aber im Juni rechtlich noch nicht streikberechtigt. Einige haben mich durch ihr Engagement total überrascht. Leider gab es, vereinzelt zwar, auch andere - speziell FunktionsträgerInnen -, die über den kompletten Streik hinweg fast vollkommen »abgetaucht« waren. Letzteres gilt es, nun im Nachgang aufzuarbeiten. Die Form dieses Arbeitskampfes schien »nur« der Streik zu sein. Oder gab es andere, zusätzliche Formen und Aktivitäten, mit denen Druck auf den Vorstand und die Eigentümer ausgeübt wurde? Wir haben z.B. die Aktionärskonferenz »aktiv« begleitet, außerdem gab es zahlreiche Kundgebungen und Demonstrationen bundesweit, Infostände, öffentlichkeitswirksame Aktionen, Mahnwachen, Gespräche mit Politikern, Podiumsdiskussionen, Gespräche mit den Oberbürgermeistern usw. So blieben wir in den Medien und in der Öffentlichkeit präsent, was meines Erachtens den Druck auf Regierung und Unternehmensleitung hochhielt bzw. verstärkte. Fühlt Ihr Euch durch den Arbeitskampf gestärkt oder geschwächt? Wie ist die Stimmung - bei den Aktiven, bei den Streikenden? Immerhin müsst Ihr ja ab 2009 wieder ran, um Eure Einkommen zu verteidigen. Wir fühlen uns gestärkt und selbstbewusst! Wir haben gesehen, dass wir gemeinsam etwas bewegen können und wünschen uns von der Gewerkschaftsspitze: Härter werden! Das Vorgehen des Telekom-Vorstandes und der Eigentümer könnte für Post und Bahn als Vorbild, als Blaupause dienen - dies befürchten nicht wenige. Würdest Du diesen Kolleginnen und Kollegen nach Eurem Arbeitskampf einen Rat geben? Sollen sie sich wehren? Natürlich sollen, nein müssen sie sich wehren. Es gilt nach wie vor: Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren! Diktate, kollektive Erpressung von ganzen Belegschaften erfordern den geschlossenen Widerstand aller! * Gerd Bürklin ist Mitglied des Bezirks-, Landes- und Bundesfachbereichsvorstands 9 von ver.di (Telekommunikation, Informationstechnologie), arbeitet im Bereich »Personal, Organisation und Umweltschutz« der DTAG im Bereich T-Com, lebt in Grünstadt und ist kürzlich der Partei der Linken beigetreten. Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 7/07 |