Home > Branchen > Medien u. IT > Telek(c)om > jaeckel | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Widerspruch gegen Betriebsübergang und Beamtenstreik - Verpasste Chancen bei der Telekom Interview [1] mit Otto Jäckel [2], Wiesbaden, über den zurückliegenden Arbeitskampf bei der Telekom, Beamtenstreiks und Abwehrkämpfe gegen Ausgründung und Tarifdumping Herr Jäckel, Sie haben als Fachanwalt für Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht bei "Streikuniversitäten"[3] in Darmstadt und Frankfurt Vorträge gehalten. Welche Eindrücke haben Sie dabei gewonnen? Ich habe eine große Entschlossenheit der Streikenden und lebhafte Diskussionen erlebt. Sie haben schon zahlreiche Belegschaften in Abwehrkämpfen gegen Ausgründungen und Tarifdumping beraten. War der Ausgang des Telekom-Streiks mit diesem Ergebnis nicht unvermeidlich? Das Ergebnis passt nicht in die Landschaft. Wir erleben eine Aufschwungphase. Die Telekom hat 99 % ihres Jahresgewinns von 2006 in Höhe von über 3 Milliarden EUR als Dividende ausgeschüttet. Der Durchschnitt der Dividendenauschüttungen bei den übrigen DAX-Unternehmen liegt bei 40 %. Der Kurs der Aktie ist dadurch nach oben gesprungen. Die Frage ist berechtigt, ob die Vorstandsmitglieder bei dieser Politik vielleicht in erster Linie den Wert ihrer eigenen Stock-Options im Auge haben. Dies um so mehr, als auf einer Streikversammlung in Darmstadt berichtet wurde, dass Fernmeldehandwerker dringend benötigtes Werkzeug aus eigener Tasche bezahlen, weil das Unternehmen es ihnen aus Kostengründen nicht zur Verfügung stellt. Für 2007 strebt Obermann einen Gewinn von 19 Milliarden EUR an. Die Beschäftigten hingegen sollen die Reise in den Billiglohnsektor antreten. Das passt alles nicht zusammen. Ein Grund für den raschen Abbruch des Streiks lag nach Angaben der Streikleitung in der Tatsache begründet, dass Telekom-Chef René Obermann unbeirrt die Überleitung der betroffenen Service-Kräfte in die neu gegründeten Gesellschaften verfolgt und eine Fortführung des Streiks rechtliche Probleme aufgeworfen hätte. Obermann habe hier, so die Argumentation, mit einer Art Taschenspielertrick eine Gesetzeslücke ausgenutzt und ver.di sei daher ab dem 25. Juni nicht mehr "streikfähig" gewesen, weil der Verhandlungspartner abhanden gekommen wäre. War diese Eile geboten und alternativlos? Ob ver.di richtig beraten war, den Streik in der entscheidenden Verhandlungsphase herunterzufahren und ob wirklich alle Register gezogen wurden, gehört im Hinblick auf zukünftige Auseinandersetzungen zu den notwendigen Fragen gewerkschaftlicher Manöverkritik. Zutreffend ist, dass der Vorstand der Telekom AG nach einem Übergang der 50.000 Beschäftigten auf eine oder mehrere Service GmbHs für die Führung von Tarifverhandlungen nicht mehr zuständig gewesen wäre. Ver.di hätte sich dann an die Geschäftsführer der Tochtergesellschaften wenden müssen. Hiergegen hätte es jedoch ein probates Mittel gegeben, den kollektiven Widerspruch der Betroffenen nach § 613 a BGB. Schon bei 20.000 bis 30.000 Widersprüchen wäre der Betriebsübergang geplatzt. Die Service GmbHs hätten ohne Personal dagestanden. Der Vorstand der Telekom AG wäre gezwungen gewesen, die Verhandlungen weiterzuführen. Durch das gemeinsame Vorgehen wären die Arbeitnehmer vor betriebsbedingten Kündigungen durch die Telekom AG geschützt gewesen. Schon das Sammeln von Widersprüchen bei einem Treuhänder hätte möglicherweise als Drohkulisse ausgereicht. Dieses Vorgehen ist in anderen Branchen erprobt und bewährt. Obwohl der Bund und die bundeseigene KfW-Bankengruppe insgesamt noch fast ein Drittel der T-Aktien besitzen, wollten sich in diesem Arbeitskampf führende Politiker insbesondere aus den Reihen der SPD nicht in den Konflikt einmischen und verwiesen dabei auf das "hohe Gut der Tarifautonomie". Ist eine solche Begründung stichhaltig? Der Vorstand handelt formal allein vertretungsberechtigt, stimmt aber wesentliche Fragen der Unternehmenspolitik mit den großen Eigentümern ab, sonst kann er nicht überleben. Wir müssen davon ausgehen, dass die Ziele mit der Bundesregierung abgestimmt waren, die mit Staatssekretären im Telekom-Aufsichtsrat vertreten ist. Bundesfinanzminister Steinbrück hat 2006 den Verkauf von 4,5 Prozent der T-Aktien an die Blackstone Group veranlasst. Die Bundesregierung möchte ihre Anteile an der Telekom vollständig verkaufen. Besteht dazu ein rechtlicher oder ökonomischer Sachzwang? Das staatliche Monopol bei der Telekommunikation ist weg, der Markt dereguliert. Mehr musste der Staat nach den diskussionswürdigen EU-Vorgaben nicht tun. Was spricht dagegen, wenn der Staat Beteiligungen an Unternehmen hält, die ihm Gewinn in die Kasse bringen. Dies ist weltweit üblich. Die Ausschüttung der Telekom-Dividende für das Jahr 2006 hat 1 Milliarde EUR in die Staatskasse gespült. Eine Kuh, die man schlachtet, gibt bekanntlich keine Milch mehr. Unternehmer und Gewerkschafter haben den Telekom-Streik mit großem Interesse verfolgt. Welche weitergehenden Auswirkungen wird dieser Arbeitskampf auf andere Branchen haben? Das Vorgehen der Telekom wird sehr schnell Nachahmer finden. Wenn der Staat als größter Anteilseigner an der Telekom hier vorangeht, in einer Aufschwung- und Gewinnsituation die Löhne zu drücken, werden Private sich erst recht an den Grundsatz halten: "Das Geld verdient man im Einkauf"; in diesem Fall beim Einkauf der Ware Arbeitskraft. Während des Streiks ist eine Diskussion über die Einbeziehung von Beamten in den Streik als Eskalationsstufe entbrannt. Sind "Beamtenstreiks" überhaupt zulässig? Die Beamten sind durch die Erhöhung ihrer Wochenarbeitszeit um 4 Stunden ohne Lohnausgleich betroffen. Sie hätten von Anfang an in den Arbeitskampf einbezogen werden können. Dies hätte die Wirkung des Streiks wesentlich erhöht. Für diejenigen Beamten der ehemaligen Deutschen Bundespost, die in ihrem Beamtenverhältnis beurlaubt sind, um mit privaten Arbeitsverträgen bei den Gesellschaften des Telekom-Konzerns zu arbeiten, hat das Bundesverwaltungsgericht schon in einem Urteil aus dem Jahr 2000 entschieden, dass ihnen das Streikrecht zusteht. Für die nicht beurlaubten Beamten ist der Blick offenbar immer noch auf die Rechtsprechung der deutschen Gerichte fixiert, wonach Beamten das Streikrecht verwehrt wird. Dies ist jedoch europarechtlich überholt. Woran macht sich das fest? Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind einschränkende Regelungen im Öffentlichen Dienst nur für solche Bediensteten zulässig, die wie etwa die Polizei und das Militär hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Auf den formalen Status als Beamter oder Angestellter kommt es nach diesen Entscheidungen ausdrücklich nicht an. Im Telekom-Konzern werden jedoch keine hoheitlichen Aufgaben wahrgenommen und keine Verwaltungsakte erlassen. Es handelt sich um private Unternehmen. Eine Disziplinarmaßnahme gegen Bedienstete, die sich noch aus der Zeit der früheren Bundespost im Beamtenverhältnis befinden, wäre daher unzulässig und würde vor dem EuGH keinen Bestand haben. Interview: Hans-Gerd Öfinger Otto Jäckel, Jahrgang 1951, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht in Wiesbaden. Otto Jäckel führte 1997 erfolgreich den Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen den "Radikalenerlaß" zur politischen Treuepflicht der Beamten. Was ist eine Streikuniversität? Der Streik der um die 35-Stunden-Woche im Frühjahr 1984 wurde in Frankfurt besonders erbittert geführt. Dies regte heftige Diskussionen an, in deren Verlauf der Gedanke der Streikuni geboren wurde. Als Intellektueller, der zeitlebens auf der Seite der Arbeiterbewegung stand, sprach damals Prof. Dr. Wolfgang Abendroth vor streikenden Arbeitern zur Geschichte des Streiks in Deutschland. Im Mai/Juni 2007 wurde diese Tradition in Frankfurt und Darmstadt wiederbelebt. |