Home > Branchen > Medien u. IT > IBM > barillari | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Die Gewerkschaft muss auf den neuesten Stand gebracht werden. Wann kommt die Freigabe für die 2.0-Version? Wenn der “virtuelle” Protest zu einem “realen” Erfolg führt. Geschichte eines in “Second Life” praktizierten Streiks im Internet Am 27. September 2007 fand der erste virtuelle Streik in einem globalen Online-Spiel statt. Von linken Gewerkschaftern bei IBM Italia organisiert, beteiligten sich 1.850 reale Personen aus mehr als 30 Ländern der Erde an Streikpostenketten, Demonstrationen und der Sprengung einer Vorstandssitzung in „Second Life“, wo der IBM-Konzern eigene – reale und kommerzielle – Kundencenter betreibt und über diese internationale Unterstützung der italienischen IBM-Arbeiter in ihrem laufenden Tarifkampf alles andere als amüsiert war. In einem Interview für die von Rifondazione Comunista (PRC) herausgegebene Tageszeitung „Liberazione“ vom 6.10.2007 erläutert der linke IBM-Betriebsrat und Aktivist von Rifondazione, Davide Barillari, Motive, Verlauf und Perspektiven der Aktion. Ein empfehlenswerter Hintergrundartikel zum Thema von Waldemar Bolze erschien in der Vorbereitungsphase der Aktion unter dem Titel „Neue Kampfform?“ in der „jungen Welt“ vom 4.9.2007. Zwecks besserer Lesbarkeit haben wir uns – ausnahmsweise – erlaubt die letzten beiden Fragen, dem Inhalt entsprechend, selbst zu formulieren. Sozusagen als nachträglich eingefügte „Zwischenüberschriften“, um einen Monolog zu vermeiden. Interview: Damiano Giovanni Dalerba In den vergangenen Tagen hat der erste bei einem amerikanischen Multi wie IBM durchgeführte “virtuelle” Streik für sehr viel Aufsehen gesorgt. Ein Streik, der es via Internet erlaubte, Tausende von Arbeitern auf der ganzen Welt in einem einzigen großen Protest zu vereinen. Nach den ersten Berechnungen scheint es, dass die Anzahl der durch diesen Streik in “Second Life” verlorenen Arbeitsstunden sehr hoch ist. (“Second Life” ist eine Software, die es per Internet ermöglicht, regelrechte virtuelle Plätze zu schaffen, in denen jede Person ein Individuum repräsentiert.) Darüber sprechen wir mit Davide Barillari, einem IBM-Beschäftigten des Unternehmenszweigs Vimercate, Mitglied der Metallarbeitergewerkschaft FIOM-CGIL, Mitglied des Europäischen Betriebsrates von IBM und Aktivisten des Partito della Rifondazione Comunista (Partei der Kommunistischen Neubegründung – PRC). Was hat Euch veranlasst, zu dieser Protestform zu greifen? “Seit Jahren fordert man uns auf, das Vertrauen in eine Gewerkschaft zurück zu gewinnen, die viel zu viele Arbeiter leider als ‚unnütz‘ oder ‚obsolet‘ betrachten. Das Ziel ist, nach neuen Instrumenten zu suchen, um mit den Arbeitern zu kommunizieren und für eine Sensibilisierung und aktive Teilnahme zu sorgen, um die neuen Probleme zu überwinden, die die Globalisierung durch Standortverlagerungen, Outsourcing etc. schafft und gleichzeitig die Jugendlichen, die Bildschirmarbeiter und diejenigen Beschäftigten einzubeziehen, die außerhalb des Betriebes und der beteiligten Fremdfirmen arbeiten. Das, was wir innerhalb von IBM, d.h. in einem der größten Konzerne der Welt, versuchen, kann zu einem Modell für den Aufbau der ‚Gewerkschaft 2.0‘ werden. (In der Informatiksprache steht das 2.0 für die aktualisierte Version eines Programms. In diesem Fall bezeichnet sie metaphorisch eine Aktualisierung der Gewerkschaftsidee für die Zukunft; Anm.d.Red.) .” Was sind die wichtigsten Punkte Eures Modells? “Im Kontext eines ‚global integrierten Unternehmens‘ kann nur eine internationale Gewerkschaftsallianz Probleme und Bedürfnisse der Arbeiter auf globaler Ebene bewältigen. Das Internet mit allen seinen Weiterentwicklungen (Web 2.0 und 3D) eröffnet neue Möglichkeiten für eine starke gewerkschaftliche Nutzung aller elektronischen Instrumente zur Erhöhung der Kommunikation, der Partizipation und der Effizienz der traditionellen gewerkschaftlichen Aktionen. Deshalb haben wir uns entschieden den ersten Protest in ‚Second Life‘ zu starten. Das heißt in einem Programm, in dem Unternehmen wie IBM Millionen reale Dollars investieren, um es in ein Marketing-Terrain zu verwandeln. Damit wollten wir die gewerkschaftliche Auseinandersetzung auf dieses innovative Terrain heben. Hier herrscht zum ersten Mal wirklich Waffengleichheit und hier können wir die Technologie, derer sich IBM bei seinen Kunden rühmt, zu unserem Vorteil verwenden. Nach einem Monat Arbeit haben wir, dank der äußerst wertvollen Hilfe der Uni Global Union und der politischen Unterstützung von EMF und FISM (europäischen und internationalen Föderationen der Metallarbeitergewerkschaften), eine internationale gewerkschaftliche Allianz geschaffen. Einer Arbeitsgruppe von 20 Leuten ist es gelungen aus dem Nichts heraus den ersten virtuellen Protest der Welt zu organisieren.“ Wie lief das konkret ab? „Am 27.September 2007 haben 1.853 – reale – Personen aus mehr als 30 verschiedenen Ländern 12 Stunden lang mit Hilfe ihrer Computer protestiert und Solidarität mit den italienischen IBM-Beschäftigten gezeigt. Der Protest hat auf den sieben IBM-Inseln in ‚Second Life‘ stattgefunden und insbesondere bei IBM Italia und dem IBM Business Center. Die Atmosphäre und die Spannung, die dabei herrschten, waren dieselben wie bei einem realen Ereignis... inklusive Störaktionen, die der Werkschutz sofort eingeleitet hat. Große Protestschilder in Hülle und Fülle, in grellen Farben und manchmal wirklich in Originalformen füllten die Bildschirme mit Demonstranten. Der Protest war echt, auch wenn der Ort virtuell war! Bei IBM gab es viel Ärger, weil wir ein strategisches Terrain berührt haben, wo so etwas sehr weh tut. IBM hat einen Teil seines wichtigsten Business Centers für alle Besucher und Kunden geschlossen. Und die Demonstranten haben am Nachmittag eine echte Sitzung von IBM-Managern unterbrochen, die einem Versammlungsraum in ‚Second Life‘ stattfand.“ Was ist das Ergebnis? „Dank der enormen Berichterstattung über diese Aktion in den Massenmedien haben wir jetzt mehr Kraft für die Tarifverhandlungen in der ‚realen‘ Welt. Radiostationen, Zeitungen, Fernsehen und die gesamte Sphäre der Webblogs haben dieser neuen Form gewerkschaftlichen Protests einen sehr großen Widerhall verschafft. Wir wissen, dass der schwächste Punkt eines Konzerns sein Image ist. Genau hier haben wir zugeschlagen und es ist uns gelungen die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung weltweit auf die Zustände bei IBM Italia zu lenken. Darüber hinaus hat diese hohe Beteiligung auf internationaler Ebene die Gründung einer weltweiten Gewerkschaft bestätigt, die sich auf alle Länder erstreckt, die für dieselben Ziele kämpfen, wie wir: höhere Löhne, mehr Rechte, Schutz der beruflichen Qualifikation, Sicherheit des Tarifvertrages und des Arbeitsplatzes, Investitionen in periphere Zentren und die Garantie von Aus- und Weiterbildung.” Vorbemerkung und Übersetzung: Gewerkschaftsforum Hannover Kontakt: gewerkschaftsforum-H@web.de |