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Updated: 18.12.2012 15:51
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Monet im Duisburger Hafen - Zur Situation in der Hewlett Packard Zentralverpackung

Einleitung

HP war in den letzten Monaten wegen den Entlassungsankündigungen und Streiks in Frankreich im Gespräch. Im folgenden ein kurzer Bericht über die Situation in der Zentralverpackung von HP-Druckerpatronen in Duisburg, die mehr oder weniger komplett von Fremdfirmen geschmissen wird. Der Bericht blickt zurück auf eine lange Betriebszugehörigkeit von zwei Wochen und ist vor allem als Aufruf zu verstehen, die bisher recht abstrakte Diskussion über Prekarisierung um die Debatte über (eigene) konkrete Erfahrungen zu bereichern. Sehen wir zu, dass die 'neuen Wut' nicht parlamentarisch und tarifpolitisch versandet, machen wir uns auf die Suche nach dem Terrain möglicher neuer Kämpfe...

Arbeitssuche

Es fällt auf, dass es neben dem Hartz IV-Satz eine zweite Schiene der Verallgemeinerung des proletarischen Einkommens gibt, den Tarifvertrag in der Zeitarbeit. Ob Handy-Produktion in Kamp-Lintfort oder Autositze montieren in Bochum, für Produktionsarbeit hat sich der Bruttolohn 7,02 Euro wohl durchgesetzt, bei Schaltschrankverdrahtung, oder Betriebselektrik stösst man immer wieder auf 8,92 Euro Stundenlöhne. Von vielen FacharbeiterInnen, die in der Zeitarbeit malochen, wird dieser Tarifvertrag als allgemeine Lohnsenkung empfunden. Abgesehen von der Frage nach Bedingungen, gibt es jede Menge Arbeit (zumindest in der Region, für Bewerber mittleren Alters und Qualifikation): Siemens bzw. BenQ stellt massenhaft für das Werk in Kamp-Lintfort und Bocholt ein, über vier verschiedene Leihfirmen. Ein Zeitarbeits-Fuzzi aus Duisburg meinte, dass er 200 Leute sucht, bei der Dekra in Krefeld stellen sie 25 Leute ein, in Düsseldorf ebenfalls. Zentrale Schleuse für den Job ist ein von Siemens organisierter Geschicklichkeitstest. Der Zeitarbeits- Typ hat mir am Telefon vorgerechnet, dass ich den Job in Kamp-Lintfort aufgrund der niedrigen Löhne nicht annehmen kann (bei einer 40- Stunden Woche Dreischicht käme ich auf 840 netto, davon würden allein 350 Euro Spritgeld von D-Dorf nach Kamp-Lintfort draufgehen, eine Entfernung die noch im Rahmen der Zumutbarkeitsregelung für Arbeitsaufnahme liegt). Nokia Handyproduktion in Bochum stellt ebenfalls über Zeitarbeit ein. In Heiligenhausen/Velbert suchen einige Autozulieferer ProduktionsarbeiterInnen, u.a. Autositze und Türschlösser montieren. Auch hier steht bei vielen Stellenanzeigen, dass nur BewerberInnen aus der unmittelbaren Umgebung gesucht werden, die Weltwetterlage bzw. die Benzinpreise versauen die Mobilität...

Zentralverpackung und Depot von Hewlett Packard in Duisburg

Erste Hürde zu Arbeitsbeginn war zu kapieren, wer nun wer ist und was wem gehört. Der Hallenkomplex gehört dem Logistik-Riesen Kühne&Nagel, weltweites Transportunternehmen und Supply-Chain Dienstleister. Die Bedienerinnen und Staplerfahrer sind ebenfalls bei Kühne und Nagel bzw. bei der Dekra-Zeitarbeit unter Vertrag. Die Maschinen selbst gehören HP. Die Maschinen werden eingerichtet, repariert, entstört durch Arbeiter von der HSG, dem offiziellen Kunden meiner Zeitarbeitsfirma. HSG macht in Facility Management, hat Deutschland-weit rund 4.500 Mitarbeiter, macht das Gebäudemanagement z.B. für die Citibank in Duisburg und andere Grossunternehmen. HSG gehörte vor der Pleite zum Bauriesen Phillip Holzmann, wurde dann von Bilfinger und Berger gekauft. Neben dem Betriebselektrikern und Schlossern von HSG laufen für Tagesaufträge zugereiste amerikanische und süddeutsche Experten aus dem Maschinenbau (u.a. Jones, Schubert, Koch) durch die Halle und kümmern sich um ihre jeweiligen Maschinen. Software-Spezialisten und Ingenieure von HP versuchen, den Überblick wiederzugewinnen und ihre eigens entwickelte Verwaltungssoftware (Pama) mit der Produktionssoftware der verschiedenen Maschinenbaufirmen zu versöhnen.

Zusammengebracht und verzweifelt werden all diese Leute durch fünf mehr oder weniger hochautomatisierte Verpackungslinien, mit relativ moderner Robotertechnik, bekloppten Namensgebungen (Monet, Lava, Moneypenny) und teilweise On-Line Produktion, sprich die Maschinen sind an Computer angeschlossen, so dass HP-Leute in den USA über Produktionsauslastung und -fehler ständig informiert sind. Die Produktion soll 'on-demand' produzieren, also nach Bedarf. Im allgemeinen sind aber schon alle zufrieden, wenn die Maschinen von der technischen Seite her die 50 Prozent Effizienzmarke überschreiten (es gibt für alle ArbeiterInnen gut sichtbar einen roten, gelben, grünen und goldenen Status, je nach Auslastung). Die fünf Linien können zusammen pro Schicht zwischen 100.000 und 200.000 Druckerpatronen verpacken. An jeder Linie arbeiten vier bis fünf Frauen, für alle Frauen sind zwei Vorarbeiter zuständig. Pro Schicht kümmern sich zwei bis drei 'Facharbeiter' um die Fehlerbeseitigung und Einrichtung. Die Patronen werden in Singapore, Puerto Rico und Irland hergestellt und werden von Duisburg aus nach Europa, Russland und Afrika verschickt. Kühne&Nagel soll pro verpackter Patrone um die 7 Cents erhalten. In Amersfort/Holland gibt es eine zweite, kleinere Verpackungseinheit. Die modernsten Verpackungslinien und dass grösste Depot für den europäischen Markt sind in Duisburg. Das Werk besteht seit 2000 und hat wohl langsam aber ständig expandiert.

Die direkt bei Kühne&Nagel angestellten Bestückerinnen verdienen um die 10 bis 11 Euro brutto, sie machen rund 20-30 Prozent der gesamten Maschinenarbeiterinnen aus. Momentan werden nur Leute über Zeitarbeitsfirmen (Dekra) eingestellt, die zahlen dann auch nur 6 bis 7 Euro. Die Fluktuation ist relativ hoch, da kaum Anlernzeit gewährt wird und einige Neuen recht schnell durch den Arbeitsdruck entnervt werden. Ähnlich sieht es wohl auch bei den Staplerfahrern aus, ein Kollege meinte, in den letzten zwei Jahren seien mehr als 100 Staplerfahrer durch den Betrieb geschleust worden (insgesamt arbeiten rund 20 Staplerfahrer im Betrieb). Die Arbeiterinnen sind so zwischen 20 und 50, deutsch- türkisch-polnischer Herkunft. Einige haben nebenbei noch einen zweiten Job, dass heisst z.B. nach der Nachtschicht wird noch bis 13 Uhr in der Bäckerei oder im Solarium gearbeitet, danach noch die Hausarbeit. Viele der Frauen sind geschieden, alleinerziehend. Nacht- und Wochenendschichten gibt es nur bei zu grossem Rückstand bzw. im Vorweihnachtsgeschäft. Die Facharbeiter (Maschineneinrichtung, Wartung) von der HSG verdienen um die 2600 Euro brutto bei einer 40 Stunden-Woche, die Betriebselektriker/-schlosser von der Zeitarbeitsfirma rund 1000 Euro brutto weniger. Die HSG ist nicht Tarifgebunden, die meisten Facharbeiter haben offiziell Angestelltenverträge, meist individuell ausgehandelt. Die Angestelltenverträge gehen von einem festen Monatslohn aus, dies führt oft dazu, dass Überstunden nicht vergütet, bzw. Pi mal Daumen abgefeiert werden.

Die Hauptarbeit sowohl der BestückerInnen als auch der Facharbeiter dreht sich um die Fehler der Maschinen. Es ist selten das eine Linie länger als 5 - 10 Minuten fehlerfrei durchläuft. Die hohe Geschwindigkeit, der mehr oder weniger komplexe Falt- bzw. Stanzvorgang, das Material (Plastikfolie, Pappe) und der Verwaltungs- und Kontrollwahn von HP (Scannen von allen Patronen, Paletten, On-Line-Fahren der Maschinen etc.) gehen meist nur fehlerhaft zusammen. Neben der Bestückung der Maschinen mit Pappkartons und Patronen, dem Folienwechsel und dem Palettenabtransport ist die Nacharbeit eine Hauptaufgabe der Maschinenarbeiterinnen. Falls es nicht zum totalen Maschinenausfall kommt, gibt es während der Arbeit keine Pausen. Einige Maschinen sind laut, Unterhaltungen sind da nur schwer möglich. Die Maschineneinrichter werden gerufen, sobald die Bestückerinnen ein Problem nicht selbst lösen können. Das Verhältnis zwischen Bestückerinnen und 'Facharbeitern' ist ein widersprüchliches: die Facharbeiter sorgen dafür, dass die Maschinen wieder laufen; sie schieben die Schuld für die Fehler oft auf die 'Inkompetenz' der Bestückerinnen; den Maschinenarbeiterinnen wird weder Werkzeug noch weitergehende Information zur Verfügung gestellt; der Maschinenausfall ist für sie eine der wenigen Verschnaufpausen; andererseits stehen sie unter grossem Druck, die Stückzahlen zu schaffen und schieben ihren Stress ab auf die 'lahmen Facharbeiter' oder die 'schusseligen Neuen'. Die Facharbeiter sind in erster Linie vom Kompetenzgerangel zwischen HSG, Kühne&Nagel-Ingenieuren und HP-Verantwortlichen genervt. Für neue Facharbeiter gibt es keine Anlernzeit mehr, sie sollen nach den ersten Tagen bereits selbst Fehler beheben, obwohl selbst der Abteilungsleiter sagt, dass man erst nach einem halben bis einem Jahr die Maschinen ausreichend kennt. Trotzdem stellen sie neue nur über Zeitarbeitsfirmen ein, die Lohnunterschiede und der Stress treiben auch hier die Fluktuation hoch, so dass sich viele bereits im ersten halben Jahr wieder absetzen.

Die Gewerkschaft ist nur 'offiziell' bei Kühne&Nagel vertreten, es gibt einen Aushang mit mehr oder weniger belanglosen Formalitäten. Der Betriebsrat bei HSG ist von drei Igenieuren bzw. Techniker-Vorarbeitern eingeführt worden, die sich kurz vor der Kündigung bzw. Versetzung gesehen haben und sich als Betriebsräte ihre Position sichern wollten. Ansonsten gab es wohl keine grösseren, kollektiveren Konflikte in diesem Betrieb. Vom Streik bei HP im September in Frankreich war nichts bekannt und er schien auch nicht nur geographisch weit weg. Die Ankündigung, dass HP mehrere tausend Leute in Europa entlassen wird, war kein grosses Thema. Diskussionen zu den Bundestagswahlen gab es auch nur sporadisch, meistens gab es sarkastisch-belustigte Kommentare zum Post-Wahl-Chaos. HartzIV taucht immer mal wieder auf, als reales Problem, den Job nicht schmeissen zu können bzw. diesen Job gezwungenermassen angenommen zu haben.

Insgesamt ist es offensichtlich, das HP darauf vertraut, mit relativ moderner Maschinerie eine (bewusst) gespaltene Arbeitskraft ans Kooperieren zu kriegen, Leute unterschiedlicher Firmen (Logistics, Facility Management, Zeitarbeit - alles offizielle 'Dienstleistungsunternehmen'), mit unterschiedlichen Löhnen bei gleicher Arbeit, unterschiedlicher Herkunft, den ehemaligen Zechenschlosser, die türkische Studentin, den IT-Spezialisten aus den USA. Das klappt mehr schlecht als recht, ist aber immerhin noch so produktiv, dass HP über die ganze Bandbreite der Auslagerung es trotzdem hinkriegt, einen Grossteil seiner weltweiten Druckerpatronenproduktion von drei Dutzend Leuten im Duisburger Hafen verpacken zu lassen. Welche Bedeutung diese 'fordistischen' Zentraldepots auch für den Klassenkampf bekommen können, sahen wir zuletzt z.B. beim Streik im Zentrallager von H&M in Frankreich oder bei Tesco in Irland, wo junge ArbeiterInnen ihre Schlüsselposition zu nutzen wussten...

Duisburg 09.10.2005


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