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Updated: 18.12.2012 15:51
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Auweia Avaya

Die Geschichte eines FIFA-WM-Sponsors, geschildert von einer Beschäftigten

Als ich vor über 20 Jahren bei der Fa. Telefonbau und Normalzeit Lehner & Co. meine Ausbildung begann, hatte der TN-Konzern weltweit ca. 20.000 Beschäftigte. Das Unternehmen war damals zu großen Teilen im Besitz privater Eigentümer, die dann nach und nach an die Robert Bosch GmbH verkauft wurden.

Als in den 80er Jahren der Niedergang der Automobil- bzw. Atomobilabhängigen Industrie prophezeit wurde, kaufte Bosch außer Blaupunkt auch die restlichen Anteile der TN (inzwischen unter dem etwas gängigeren Namen Telenorma agierend) sowie die ehemalige ANT (Hauptsitz Backnang) und schaffte sich damit ein weiteres Standbein, seine Sparte "UC" (Unternehmensbereich Kommunikation).

Als sich in den 90er Jahren die Prognose als nicht so zutreffend herausstellte, war es allgemein Mode geworden, "sich auf die Kernkompetenzen zu konzentrieren", also verkaufte man die ehemalige ANT an Marconi, die ehemalige Telenorma wurde gespalten der Bereich Sicherheitstechnik verblieb bis heute bei Bosch, der Bereich der privaten Telefonanlagen wurde an den amerikanischen Finanzinvestor KKR (Kohlberg, Kravis, Roberts) verkauft, der als eine der "Heuschrecken" Schlagzeilen machte.

Dieser Investor und seine Methode des schuldenfinanzierten Firmanauf- und Verkaufs (leveraged buyout - nicht zu verwechseln mit management buoout) war Gegenstand eines Buches, das in den USA in den 80er Jahren 38 Wochen in den Bestseller-Listen war, obwohl es nichts weiter ist als ein zunächst trocken erscheinendes Thema: Eine Reportage über ein an der Wallstreet agierendes Finanzunternehmen und dessen Methode. Kurz zusammengefasst besteht diese Methode darin, ein Unternehmen, das gerade etwas in Finanzschwierigkeiten steckt oder aus anderem Grund "billig" zu kaufen ist, aufzukaufen.

Die hierfür erforderlichen Mittel werden rund um den Erdball über alle möglichen Fonds als Kredit zusammengetragen. Das aufgekaufte Unternehmen wird völlig umgekrempelt, alles was zu Geld gemacht werden kann, wird verkauft (z.B. Immobilien, auch wenn sie noch benötigt und genutzt werden, werden verkauft und evtl. danach wieder angemietet), die alte Firmenkultur wird bewußt zerstört, altes Management ausgetauscht, Mitarbeiter auf ein Minimum reduziert, das Unternehmen in Sparten aufgeteilt, die man einzeln auf ihre Profitabilität untersucht = filettiert. Was nicht ausreichend profitabel erscheint, wird verkauft, geschlossen oder sonst irgendwie umgekrempelt. Dem Unternehmen wird auferlegt, einen Profit von ca. 20 % zu erwirtschaften UND die Schulden für den Firmenaufkauf zu tilgen!!!

Ist die Zitrone ausgequetscht, bringt man sie entweder profitabel an die Börse oder verkauft sie weiter.

Letzteres ist uns im Oktober 2004 passiert: Der amerikanische Konkurrent Avaya (zur gleichen Zeit wie wir aus dem Bosch-Konzern herausgelöst wurden, ging Avaya aus der Fa. Lucent als Abspaltung hervor. Lucent war zu diesem Zeitpunkt bereits einmal mit Bosch Telecom, wie wir damals hießen, in Kooperationsgesprächen, aber irgendwie waren die Finanzen bei Lucent zu diesem Zeitpunkt nicht günstig für den Deal...).

Ob die damals schon geplante Kooperation weiter im Visier blieb und aus Geld-Gründen nur der Umweg über KKR gemacht wurde, ist eine persönliche Überlegung von mir... Jedenfalls hat Avaya damit eine Super-Basis, endlich auch in Europa auf dem Markt loszulegen, denn mit ihren eigenen Systemen kamen sie da bisher nicht so recht an. Die ISDN-Technik, die in Europa bis heute hauptsächlich den TK-Markt beherrscht, haben die Amerikaner nie hingekriegt, sie leben bis heute in der analogen Telefonie, ohne Durchwahltechnik, was uns sehr antiquiert erscheinen muß. Statt dessen propagieren sie seit Jahren das Ende der klassischen Telefonie und wollen die Welt mit der Internet-Telefonie (Voice over IP) glücklich machen.

Zum Einstieg bei Tenovis (so unser Name unter KKR, der bewußt an die alte TN-Tradition und das alte TN-Verständnis anknüpfen sollte um gleichzeitig nur ja die inzwischen etablierte Bosch-Firmenkultur zu zerstören!) wurde den Beschäftigten viel von gemeinsamen Zielen, behutsamem Anpassen der beiden Firmenkulturen, Zusammenführen des Besten aus beiden Unternehmen und all so ein Zeug erzählt. Die Realität sieht natürlich anders aus: Unsere Technik rückt in den Hintergrund, unsere Kultur interessiert Avaya nicht. Die Rechte der Mitarbeiter und Betriebsräte werden mit Füßen getreten. Mitbestimmung kennen die nicht. Es wird viel über "Ethik" geredet, der Umgang mit den Menschen und den von ihnen über Jahrzehnte geschaffenen Werte ist dagegen unmoralisch und unfair, wo sie nur können. (Siehe Walmart, Ethikregeln im Widerspruch zu hiesiger Rechtssprechung).

Missmanagement und Fehlentscheidungen (Einführung völlig neuer Prozesse im Unternehmen auf Basis von SAP Enterprise, bereits unter Tenovis beschlossen - vielleicht schon im Hinblick auf den Verkauf an Avaya? Reduzierung des Mietgeschäfts zugunsten von Kaufgeschäft, das zwar schnelle Erlöse, jedoch keine langfristige sichere Geldquelle darstellt...) führen zu Gewinneinbußen.

Hohe Kosten entstehen durch aufwändiges Einhalten der "SOX" -Richtlinien (für börsennotierte US-Unternehmen), durch die in amerikanischen Unternehmen übliche Matrix-Struktur (=zahlreiche parallele Unternehmensbereiche, die jeweils eigene administrative Strukturen erfordern, jedoch untereinander nicht wirklich verknüpft sind, insbesondere fehlen Hierarchien, die eine gesamtunternehmerische Verantwortung tragen) und dann gönnt man sich ja auch noch teures WM-Sponsoring und goldene Hängematten für die wegen der schlechten Geschäfte gefeuerten Oberindianer (siehe beigefügtes Dokument über den Abgang von Don Peterson).

Vor dem Hintergrund der Kostensenkung wollte man uns in den letzten Wochen einen Ergänzungstarifvertrag auf Auge drücken, der bis zu 30 % monatliche Einbußen für die Beschäftigten bedeutet hätte. Die Beschäftigungssicherung, die es hierfür geben sollte, war keine, denn für ca. 15 % der Belegschaft wollte sich Avaya das Recht behalten, sie dennoch betriebsbedingt zu kündigen!

Gestern abend [03.08.2006; Red.] nun sind diese Verhandlungen vom AG beendet worden. Was nun folgt, wissen wir noch nicht.

Jedoch wurde uns bereits letzten Donnerstag die Schließung der kfm. Funktionen an den Standorten Berlin, Leipzig und Stuttgart mitgeteilt. Das betrifft zwar in Stuttgart "nur" 40 Menschen, das sind jedoch 2/3 der Mitarbeiter, die derzeit noch einen Schreibtisch hier am Standort haben. Insgesamt sind dem Standort Stuttgart zwar 340 Mitarbeiter zugeordnet, der größte Teil davon arbeitet jedoch als Techniker oder Vertriebsleute draußen beim Kunden, in Einsatzwechseltätigkeit, Tätigkeit nach Bundesmontagetarifvertrag der IG Metall oder in sogenannter mobiler Telearbeit.


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