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Updated: 18.12.2012 15:51
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Teuer streiken statt billig fliegen

Willi Kaufmann zum Streik auf dem Flughafen Heathrow

Zehntausende von Fluggästen wurden am 11.August unfreiwillig Zeugen einer der eindruckvollsten Solidaritätsaktionen der letzten Zeit. Am Flughafen London Heathrow legten ungefähr 1 000 Beschäftigte des Bodenpersonals von British Airways (BA) aus Solidarität mit gerade entlassenen Beschäftigten der Cateringfirma Gate Gourmet die Arbeit nieder. Ohne Gepäckabfertigung und Bustransport ging ganz schnell gar nichts mehr, BA musste alle Flüge von und nach London absagen. Die in der »Transport and General Workers Union« (T&G) organisierten Beschäftigten nahmen auf Aufforderung ihrer Gewerkschaft gegen Abend des folgenden Tages die Arbeit wieder auf, nachdem weitere Gespräche zwischen Gewerkschaft und Caterer angekündigt wurden. Dort geht die Auseinandersetzung weiter. Zwei Wochen nach Entlassung und Solidaritätsstreik waren die Entlassenen nicht wieder eingestellt.

Billigfliegen, Outsourcing, Restrukturierung

Der Konkurrenzkampf unter den Fluglinien hat sich in den letzten Jahren durch den Markteintritt der so genannten Billigflieger gewaltig verschärft. Im Fokus stehen dabei nicht zuletzt die Personalkosten. Die englische Bezeichnung lowcost carrier deutet bereits an, wodurch die vergleichsweise niedrigen Preise erreicht werden. Es geht um rigide Kostensenkung. Neben dem Ausweichen auf Flughäfen mit niedrigen Gebühren, der Einführung des Selbstbedienungsprinzips bei der Buchung und dem Streichen möglichst aller nicht zwingend notwendigen Serviceleistungen heißt dies vor allem, das eigene Personal möglichst effektiver auszubeuten als die Konkurrenz. Tarifverträge stören dabei und werden, so gut es geht, vermieden oder abgesenkt. Dies macht Schule: Immer mehr klassische Fluglinien richten selbst Billigfluglinien ein. Die Lufthansa ist da keine Ausnahme. Ryanair, der Star am Billigflughimmel, ist für seine gewerkschaftsfeindliche Haltung berüchtigt - wenn auch bei zu wenigen. Die entsprechende Webseite der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF) (www.ryan-be-fair.org externer Link) erreicht nicht annähernd die Publizität der Schnäppchenpreise, mit denen das Unternehmen wirbt. An dessen Spitze steht seit 1996 mit David Bonderman ein Multimilliardär aus den USA, dem wir gleich noch einmal begegnen werden.

Der Kostensenkungswettbewerb der Fluglinien zielt seit längerem nicht nur auf Flug- und Kabinenpersonal, sondern gerade auch auf das Bodenpersonal, einschließlich des Caterings für die Fluggäste. Dieses wurde durch den Ausstieg vieler Billigfluglinien aus der Bordverpflegung inzwischen im Umfang deutlich eingeschränkt, was zum Abbau tausender von Arbeitsplätzen in dieser Branche führte. Das Airline-Catering hat weltweit ein Umsatzvolumen von ca. 23,5 Mrd. Euro. Marktführer ist die zum Lufthansa-Konzern gehörende LSG Sky Chefs. Den zweiten Platz belegt das Unternehmen Gate Gourmet, das weltweit etwa 22 000 Beschäftigte hat.

Die Firma gehörte ursprünglich zur Schweizer Swissair und übernahm 1997 das Catering von British Airways. Das Flugunternehmen hatte im Zuge eines Kostensenkungsprogramms die Bordverpflegung ausgegliedert, um ca. 50 Millionen Pfund in den folgenden Jahren einzusparen. Die bisherigen BA-Beschäftigten wurden Angestellte von Gate Gourmet. Nach der Pleite von Swissair Ende 2001 wurde Gate Gourmet 2002 von der Investmentfirma Texas Pacific Group (TPG) übernommen. Diese ist eine der erfolgreichsten so genannten Private Equity-Firmen, die ihr Anlagekapital nicht über die Börse (Public Equity), sondern direkt bei privaten und institutionellen Anlegern einsammeln. Verdient wird mit der Übernahme und wenn möglich dem lukrativen Weiterverkauf von Firmen oder Firmenteilen. TPG wurde 1993 unter maßgeblicher Beteiligung des späteren Ryanair-Chairmans David Bonderman gegründet, gilt in der Branche als besonders risikofreudig und unter GewerkschafterInnen als union buster. Die Gruppe besitzt unter anderem Burger King, ist aber auch am deutschen Badarmaturen-Hersteller Grohe beteiligt, wo die Beschäftigten seitdem mit massenhaften Stellenstreichungen konfrontiert sind, und Großaktionär bei Mobilcom.

»Geplante Provokation« - der aktuelle Konflikt

Der britische Ableger Gate Gourmet (UK), der etwa 2 200 Beschäftigte in Großbritannien hat, befindet sich eigenen Angaben zufolge seit 2002 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und macht Verluste. Die Firma beklagt sehr ungünstige Bedingungen aus dem Vertrag mit BA und verlor im März diesen Jahres mit Virgin Airlines einen wichtigen Kunden. Dem aktuellen Konflikt vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen Gate Gourmet und der die Beschäftigten vertretenden Gewerkschaft T&G über ein Sanierungsprogramm, das geringere Bezahlung, den Wegfall einiger Sozialleistungen und schlechtere Arbeitsbedingungen beinhaltet. Dabei wurden die Gate Gourmet-Beschäftigten auch zuvor schon relativ gering entlohnt, viele verdienten nicht mehr als 12 000 Pfund im Jahr - in der teuren Region London ein Niedriglohn. Außerdem sollten 675 Stellen gestrichen werden. Zugleich hatte die Firma 147 Beschäftigte zunächst formal als »manager« (Vorgesetzte, Führungskraft) eingestuft, nur um daraufhin anzukündigen, diese Stellen zu streichen. In einer Urabstimmung mit über 50 Prozent Wahlbeteiligung lehnten mehr als 90 Prozent der Beschäftigten den vorgelegten Sanierungsplan ab. Am 10. August eskalierte der Konflikt, nachdem bekannt wurde, dass die Firma unter Beibehaltung der Stellenstreichungen Leiharbeitskräfte einstellen wollte. Als die Beschäftigten sich in Reaktion auf diese Provokation versammelten und Erklärungen verlangten, wurden sie zunächst eingesperrt und danach ultimativ aufgefordert, sofort die von der Firma gestellten Bedingungen zu akzeptieren. Nachdem sie dies verweigerten, wurde die gesamte Schicht mit sofortiger Wirkung entlassen. Die Versammlung sei einer wilder Streik und damit illegal, hieß es. »Irrtümlich «, wie die Firma hinterher behauptete, wurden am nächsten Tag aber auch Beschäftigte, die krankgeschrieben oder in Mutterschutz waren, von der Firma schriftlich gekündigt - offenbar gab es bereits Listen, wer gehen sollte. Ingesamt sind jetzt etwa 670 Beschäftigte gekündigt, in etwa die Zahl, die Gate Gourmet ohnehin loswerden wollte.

Der Eindruck einer geplanten Provokation der Firma wird erhärtet durch einen entsprechenden Plan, den das britische Boulevard-Blatt Daily Mirror enthüllte, und der bei Texas Pacific ausgearbeitet worden war. Ziel sei es, so das TPG-Papier, einen Streik zu provozieren, um einen Vorwand zu Massenentlassungen zu haben. Das Dementi von Gate Gourmet, ein solcher Plan existiere zwar, sei aber abgelehnt worden, wirkt angesichts der Ereignisse wenig überzeugend. Schließlich wurde auch bekannt, dass die Firma bereits Anfang des Jahres eine Tochterfirma namens Versa Logistics gegründet hatte, mit der, wie Gate Gourmet bestätigte, bei einem er warteten Streik rasch niedrig bezahlte Beschäftigte aus Polen nach Großbritannien gebracht werden sollten. Genau dies geschieht jetzt auch. Die polnischen ArbeiterInnen werden so gegen die Gate Gourmet-Beschäftigten, überwiegend MigrantInnen aus Indien, Pakistan oder Bangladesh - ausgespielt. So weit, so schlecht.

Solidarität und Streikrecht

Der Arbeitskonflikt bei Gate Gourmet wäre unbeachtet geblieben, hätten sich nicht in einer bewunderungswürdigen Solidaritätsaktion fast 1 000 Beschäftigte des Bodenpersonals von British Airways, die ebenfalls in der T&G organisiert sind, mit den Entlassenen solidarisiert und am Tag nach der Massenentlassung die Arbeit niedergelegt. Dies brachte rasch den internationalen Flugbetrieb von BA zum erliegen. GMB, die zweite große am Flughafen vertretene Gewerkschaft, machte am selben Tag klar, dass ihre Mitglieder keinesfalls Streikbrecherarbeit leisten würden.

Der Solidaritätsstreik kam nicht von ungefähr. Viele der Gate Gourmet-Beschäftigten waren vorher selbst bei BA beschäftigt. Die KollegInnen kennen sich, sind in der gleichen Gewerkschaft, manche sind sogar miteinander verwandt oder verheiratet. Die Gate Gourmet-Beschäftigten werden trotz ihres rechtlichen Status' von vielen BA-Beschäftigten immer noch als Teil der BA-Belegschaft wahrgenommen. Viele wohnen in den gleichen Stadtvierteln nahe dem Flughafen. Unabhängig davon ist vielen BA-Beschäftigten bewusst, dass langfristig auch ihre Arbeitsbedingungen bedroht sind, wenn sich das Beispiel von Gate Gourmet durchsetzt. Und es geht auch um die Zukunft der Gewerkschaft am Flughafen.

Während die T&G die Beschäftigten bei Gate Gourmet ohne jede Einschränkung auch offiziell unterstützt, brachte sie der Solidaritätsstreik des BA-Bodenpersonals in ein Dilemma. Einerseits war dieser Streik insofern sicherlich willkommen, als er den Druck erhöhte, um Gate Gourmet zumindest zur Rücknahme der 670 Kündigungen zu bewegen. Offenbar waren auch T&Gshop stewards an seiner Organisierung beteiligt. Andererseits konnte sich die Gewerkschaft auf Grund der auf die Thatcher-Jahre zurückgehenden und von New Labour beibehaltenen, sehr restriktiven britischen Streikgesetze nicht offiziell zu diesem Streik bekennen, ohne das Risiko enormer Schadensersatzforderungen einzugehen. Deshalb rief die Gewerkschaft zur Wiederaufnahme der Arbeit auf und distanzierte sich förmlich von der Aktion. Zugleich warnte sie jedoch British Airways vor Repressionen gegen das BA-Bodenpersonal. Nach Auffassung der Streikenden und der Gewerkschaft steht BA mit in der Verantwortung, da erst die Ausgliederung des Catering zur gegenwärtigen Situation geführt habe. Rechtlich gesehen handelt es sich jedoch um einen Sympathiestreik, in Großbritannien secondary action genannt, und der ist verboten. Nach Ansicht der T&G zeigt der Gate Gourmet-Konflikt, dass dieses Verbot revidiert werden müsse. Dabei wäre die Gewerkschaft bereit, einen rechtlichen Rahmen (z.B. eine Pflicht zur Urabstimmung) analog den geltenden Regelungen für andere Streiks zu akzeptieren. Dies ändert zunächst jedoch nichts an der misslichen Rechtslage.

Umso höher ist der Solidaritätsstreik zu bewerten. Auch wenn er am zweiten Tag beendet wurde, so hat er doch den Gate Gourmet-Beschäftigten eine Aufmerksamkeit und Solidaritätswelle beschert, die diese alleine nicht erreicht hätten.

Auf der internationalen Ebene hat sich die ITF in die Solidaritätsarbeit eingeschaltet (www.itfglobal.org/solidarity/gategourmet.cfm externer Link) Hier finden sich auch Adressen für Solidaritätserklärungen. ver.di hat Kontakt mit den dortigen KollegInnen aufgenommen und eine Solidaritätsadresse verabschiedet (S. 4 unten). Gate Gourmet hat auch in Deutschland eine Niederlassung und fordert nach ver.di-Angaben hier ebenso wie in seiner Dubliner Dependance Einschnitte bei Entgelt und Arbeitsbedingungen (vgl. www.cabin-power.de externer Link). Im März letzten Jahres war es in fünf deutschen Niederlassungen zu Warnstreiks gekommen, nachdem Gate Gourmet in Reaktion auf die Kündigung des Lohntarifvertrags durch ver.di von sich aus auch den Manteltarifvertrag gekündigt hatte. Ein neuer Tarifabschluss wurde bisher nicht erreicht. In Dublin berichtet die Gewerkschaft SIPTU, dass sich Gate Gourmet nach den Londoner Streiks endlich bereit erklärt hat, schon länger ausstehende Zahlungen an die Beschäftigten aus einer bereits geschlossenen Vereinbarung nun zu leisten. Auch darüber hinaus gebe es Fortschritte in den Verhandlungen. In den USA gelang es den bei Gate Gourmet vertretenen Gewerkschaften IBT (Teamster) und UNITE HERE, Pläne des Unternehmens zu Kürzungen in der Krankenversicherung abzuwehren, nachdem sich die Beschäftigten in einer Urabstimmung für Streik ausgesprochen hatten.

Ausblick

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (25.August) ist ein Ende des Konflikts bei Gate Gourmet noch nicht abzusehen. Der Versuch der Firma, die Streikposten vor dem Flughafen verbieten zu lassen, scheiterte, doch dürfen jetzt per Gerichtsbeschluss nur noch maximal sechs Streikende zur gleichen Zeit Posten stehen. Gate Gourmet verhandelt zugleich mit BA über einen günstigeren Vertrag und droht mit Konkurs. Die BA ihrerseits hätte ein Interesse, den Konfliktherd vom Tisch zu bekommen. Allerdings besteht Gate Gourmet bisher darauf, nicht alle, sondern allenfalls einen Teil der Streikenden wieder einzustellen, was von T&G abgelehnt wird. Trotz des ungewissen Ausgangs zeigt der Streik am Londoner Flughafen eindrucksvoll, dass auch Niedriglohn-Beschäftigte, die vermeintlich leicht zu ersetzen sind, über eine enorme strukturelle Macht verfügen können. Dies gilt insbesondere für ArbeiterInnen im Transportbereich - gerade auch im High-Tech-Betrieb Flughafen. Nicht nur PilotInnen besetzen Schlüsselpositionen.

Solidaritäts-/Protesterklärungen:

Labourstart, ein unabhängiges Internet-Kommunikationsforum, das hauptsächlich durch seine »Act Now«-Solidaritätskampagnen bekannt geworden ist, hat eine eigene Kampagnenseite für die gefeuerten KollegInnen von Gate-Gourmet eröffnet. Auf der Seite befindet sich ein automatischer und einfach zu bedienender Protestmailer mit einem vorgefertigten Schreiben. Labourstart ruft dazu auf, Gate-Gourmet mit tausenden von Emails aus der ganzen Welt zu überfluten und sich mit den gering bezahlten ArbeiterInnen in Heathrow, die ihren Job auf so brutale Art und Weise verloren haben, zu solidarisieren. Auf der Seite finden sich weitere Links zur Presse und zu den beteiligten Gewerkschaften: www.labourstart.org externer Link

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/05


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