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Updated: 18.12.2012 15:51
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Ein transparenter Akt des zivilen Ungehorsams

Interview mit Ricardo Dominguez zum Prozess gegen die Online-Demo gegen Lufthansa in ak - Zeitung für linke Debatte und Praxis vom 19.8.2005. Bestellinformationen am Ende des Artikels

Vor dem Frankfurter Amtsgericht endete am 1. Juli der Prozess wegen der ersten Online-Demonstration in Deutschland im Juni 2001 mit einer Verurteilung und Geldstrafe. Verurteilt wurde das angeklagte Libertad!- Mitglied zu 900 Euro Strafe wegen "Nötigung" und Anstiftung dazu. Die dafür notwendige "Gewaltanwendung" und auch die "Androhung eines empfindlichen Übels" sah das Gericht als gegeben. Das Gericht bewertete bereits "die Kraftentfaltung des Mausklicks" als erhebliche "Zwangswirkung" auf potenzielle UserInnen der Lufthansa-Webseite, die zum Zeitpunkt der Protestaktion das Online-Portal der Abschiebe-Airline hätten besuchen wollen. Dabei verglich sie die Gewaltanwendung des Mausklicks mit Elektroschockern. Die Verteidigung und der Angeklagte hatten vergeblich darauf hingewiesen, dass auch im Internet das Recht der freien Demonstration gelten müsse. Über virtuelle Sit-ins und den Prozess wegen der Online-Demonstration gegen Lufthansa sprach Hans-Peter Kartenberg mit Ricardo Dominguez, Mitbegründer des Electronic Disturbance Theater (EDT). Mehr Informationen unter: www.libertad.de externer Link

Auf Deiner Website bei thing.net hast Du kürzlich zu einer Aktion gegen die Website minutemanproject.com aufgerufen. Wer sind die Minutemen und was war das Ziel des virtuellen Sit-ins?

Ricardo Dominguez: "Swarm The Minutemen" war eine Online-Aktion, die von Aktivisten aus San Diego, Kalifornien und Tijuana, Mexiko zusammen mit dem Electronic Disturbance Theater (EDT) organisiert wurde, um auf die Aktivitäten der Gruppe Minutemen aufmerksam zu machen. Die Minutemen sind eine private Miliz, die an der US-amerikanischen und mexikanischen Grenze bewaffnete Patrouillengänge unternimmt, um Migranten davon abzuhalten, über die Grenze zu kommen. Die Gruppe ist Ausdruck der allgemeinen Zunahme von Gewalt gegen Migranten und Minderheiten seit dem 11. September in den USA. Die Minutemen werden von der Regierung von Arnold Schwarzenegger und von rechten Medien unterstützt. Das EDT rief zu einem dreitägigen virtuellen Sit-in in Solidarität mit anderen Aktionen gegen die Minutemen auf. Gleichzeitig wurde dazu aufgerufen, rund um die Uhr bei den Minutemen anzurufen und ihnen Faxe und Emails zu schicken, außerdem gab es eine Lärmaktion an der Grenze. Der Hintergrund ist, dass die Minutemen immer betonen, dass sie die Ruhe der Wüste schätzen, weil sie so die Ratten - sie meinen damit die Migranten - besser hören können. Die Idee war deshalb, möglichst viel Lärm zu machen, damit sie die Migranten nicht finden können. Diese on- und off-line-Aktionen fanden parallel zu einer großen Konferenz der Minutemen in Las Vegas statt.

Waren die Aktionen erfolgreich?

Über 78.500 Menschen aus der ganzen Welt beteiligten sich an der gewaltlosen Massenaktion auf den Seiten der Minutemen. Es scheint, als ob das Internet immer noch eine Plattform für Menschen sein kann, die gemeinsam diese Welt zu einem besseren Ort machen wollen. Berichten zufolge antworte der minutemenproject.com-Server zeitweise nicht mehr; auch die Seite wakeupamericafoundation.com war unten. Die Swarm-Aktion hatte offensichtlich Erfolg. Auch bei den Minutemen wurde die Aktion thematisiert.

2001 hast du die Aktivisten besucht, die in Deutschland die Online-Demonstration gegen die Lufthansa, das erste große virtuelle Sit-in in Deutschland, organisiert haben. Die Aktion war vom Electronic Disturbance Theater inspiriert. 13.000 Leute beteiligten sich an der Aktion, die sich gegen Abschiebungen mit der Lufthansa richtete.

Kein mensch ist illegal und Libertad! hatten mich eingeladen, über die Erfahrungen elektronischen zivilen Ungehorsams und gewaltloser Massenaktionen des EDT seit 1998 zu berichten. Ich habe an Vorträgen und Diskussionen mit AktivistInnen und KünstlerInnen teilgenommen und auch in Medien zu der Aktion aufgerufen.

Unterschied sich die Aktion von denen des Electronic Disturbance Theater?

Die Lufthansa-Aktion war ähnlich wie die Swarm-Aktion. Die Deportation-class-AktivistInnen folgten den Prinzipien der Transparenz, die schon bei den ersten Netstrikes italienischer Aktivistengruppen Mitte der 1990er Jahre formuliert wurden: Alle Aktionen, das Datum, die Gründe und Ziele wurden öffentlich angekündigt, im Netz, auf den Straßen, in den Zeitungen, auch die Lufthansa wurde informiert. Und es gab physische Protestaktionen bei der Aktionärsversammlung. Es war nichts im Verborgenen. Diese Transparenz ist sehr wichtig für elektronischen zivilen Ungehorsam, weil es um einen gemeinsamen Protest durch physische und digitale Körper geht, in der Tradition des Zivilen Ungehorsams: Menschen sind dazu bereit, die Regeln zu verletzen, um einem höheren Zweck Geltung zu verschaffen.

Das sieht die Staatsanwaltschaft in Deutschland anders. Andreas-Thomas Vogel, der Domaininhaber von libertad.de, wo ein Aufruf zur Lufthansa-Aktion veröffentlicht worden war, wurde vor Gericht gestellt - in einem Hochsicherheitssaal, in dem sonst Terrorismus-Verfahren stattfinden.

Solche Aktionen sind nicht kriminell. Sie sollten von lokalen, nationalen und internationalen Gerichten als das betrachtet werden, was sie sind: Akte des zivilen Ungehorsams. Dr. Dorothy E. Denning von der Georgetown University hat das in ihrer Aussage am 23. Mai 2000 vor dem Sonderausschuss des US-Repräsentantenhauses über "Cyberterrorismus" sehr deutlich gesagt: "EDT und die Electrohippies begreifen ihre Operationen, analog zu Straßenprotesten und Sitzblockaden, als Akte des Zivilen Ungehorsams, nicht als Gewalttaten oder terroristische Anschläge. Diese Unterscheidung ist sehr wichtig. Die meisten AktivistInnen sind keine Terroristen, ob sie nun am Million Mom's March teilnehmen oder an einem virtuellen Sit-in." Die Lufthansa und der deutsche Staat wussten wer, weshalb, wann und wozu die Aktion durchführen würde. Elektronischer ziviler Ungehorsam hat nichts mit heimlichen und anonymen Angriffen zu tun. Es ist etwas völlig anderes, wenn ein-zwei unsichtbare Personen in fremde Rechner eindringen und eine Denial-of-Service-Attacke (1) starten. Dagegen repräsentiert eine Aktion des elektronischen zivilen Ungehorsams das Gewicht zahlloser Menschen, die auf offene Weise und mit klaren Zielen protestieren: Sie wollen gesellschaftliche Verhältnisse in Frage stellen und Veränderungen erreichen, die eine bessere Gesellschaft für alle schaffen. Das muss die Zivilgesellschaft und das müssen auch die Gerichte verstehen. Elektronischer ziviler Ungehorsam ist eine legitime digitale Form, die tief verwurzelt in der langen Tradition des Zivilen Ungehorsams ist - nicht mehr, nicht weniger.

Anmerkung:

1) Als DoS-Attacke bezeichnet man Angriffe auf Internetserver, die durch Überlastung (meist durch eine Vielzahl gleichzeitiger Anfragen, E-Mails usw.) arbeitsunfähig gemacht werden sollen. Diese können dann die normalen Anfragen nicht bearbeiten und verweigern die Entgegennahme weiterer Anfragen ("Denial of Service", etwa: Dienstverweigerungs-Angriff).


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