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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Zu den Privatisierungsplänen der Deutschen Bahn Angesichts der zunehmenden Geldnot und hohen Verschuldung der öffentlichen Haushalte wird eine klassische staatliche Aufgabe, die Planung und Bereitstellung von Verkehrswegen, schrittweise aus der Hand gegeben und für privatwirtschaftliche Beteiligung geöffnet. Die ,Zauberformel' heißt Public Private Partnership [1] (PPP). Mit der Eisenbahnreform 1994 wurde die Deutsche Bahn AG von den Altschulden befreit und das Unternehmen zunächst in eine Holding aus selbständigen AG für das Eisenbahnnetz, den Personenfernverkehr, Regionalverkehr und Güterverkehr überführt, wobei die Nutzer der Schienenwege eine Gebühr für die Fahrplantrassen (Zugfahrten) an die Netz AG entrichten müssen. Zugleich wurden die formalen Voraussetzungen für eine getrennte Buchführung für das Netz und die EVU sowie den Zugang von Drittunternehmen im Netz geschaffen. Ausdrückliches Ziel der Bahnreform war die Schaffung leistungsfähiger EVU, Kapazitätssteigerung, Erhöhung des Marktanteils und schließlich die Privatisierung der EVU durch Veräußerung von Aktien an der Börse. Der Wissenschaftliche Beirat für Verkehr beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Wohnungswesen plädiert in seinem jüngsten Gutachten für den "Übergang von der Steuer- zur Nutzerfinanzierung von Verkehrsinfrastrukturen" [2]. Der Beirat "begrüßt uneingeschränkt das Ziel, die Bahnunternehmen an die Börse zu führen, um ihre Eigenkapitalbasis zu stärken", äußert allerdings "Bedenken gegen eine volle Integration der DB Netz AG in den Unternehmensverbund". Die bestehende Kapitalnot des Staates nehmen die Verkehrswissenschaftler zum Anlass, mittels PPP-Modellen die Verfügungsgewalt des Staates über die Verkehrsinfrastruktur einzuschränken, wobei die Betreiber auch noch von der Anlastung externer Kosten befreit werden sollen! Offenbar schließen die Beiratsmitglieder ihre Augen vor der Tatsache, dass die wirtschaftlichen Interessen privater Investoren zu Lasten gemeinwirtschaftlicher und sozialer Aufgaben des (öffentlichen) Verkehrs gehen. Die Kosten der Privatisierung von Verkehrswegen einschließlich der Transaktionskosten sind wegen der höheren Refinanzierungskosten von Privatkapital zweifellos deutlich höher als der Verbleib der Verkehrswege in staatlicher Eigenregie und könnten theoretisch nur durch erhebliche Effizienzsteigerungen der Privatunternehmen [3] kompensiert werden. PPP-Projekte sind für private Unternehmen nur dann interessant, wenn diese eine Rendite von mindestens 15 % versprechen [4]. Die sozialen Kosten des (Strassen-)Verkehrs (Lärmemissionen, Luftverschmutzung und Unfallkosten) werden dabei auf die Steuerzahler abgewälzt. Die Folgen der Privatisierung von Eisenbahnen können am besten anhand der Entwicklung seit der Zerschlagung der staatlichen Eisenbahn in Großbritannien vor gut 10 Jahren beobachtet werden. Die Umwandlung des britischen Eisenbahnnetzes in eine Aktiengesellschaft und der Verkauf der Aktien an der Börse hat nach einem kurzen Höhenflug des Aktienkurses aufgrund vorübergehender reichlicher Gewinnausschüttungen infolge hoher Einnahmen aus Trassengebühren und Kürzung der Instandhaltungsaufwendungen zu einer Steigerung der Fahrgastzahlen, katastrophalen Unfällen, Zunahme der Zugverspätungen und schließlich zum Bankrott von Railtrack geführt [5]. Die Zersplitterung der Konzessionen in 25 durch private Eisenbahngesellschaften betriebene Liniennetze, 3 Leasing-Unternehmen für die Züge, mehrere private Instandhaltungsunternehmen und die Finanzierung der Ausgaben des neuen, nun in staatlichem Eigentum befindlichen Infrastrukturunternehmens Network Rail hat den Zuschussbedarf nicht vermindert, sondern beträgt z.Zt. mehr als £ 1,5 Mrd pro Jahr [6]. Zwei Drittel der privaten Eisenbahnbetriebe scheinen unter Einbeziehung der gewährten Investitionszuschüsse profitabel zu arbeiten, während vor allem die regionalen Netze trotz der Regierungszuschüsse steigende Verluste erwirtschaften [7]. Die Netto-Regierungszuschüsse blieben nach der Privatisierung etwa auf dem Niveau vor der Privatisierung, während Gewinne seitdem in den privaten Sektor fließen. Die Anzahl der Eisenbahnbetriebe ist zurückgegangen auf 11, wobei die größten 3 Unternehmen (National Express, First, Virgin) mehr als die Hälfte der Konzessionen besitzen und den Markt dominieren [8]. In den Niederlanden wurden die Unternehmensteile Netzinfrastruktur, Kapazitätsmanagement und Verkehrsleitung organisatorisch von dem Eisenbahnunternehmen NS getrennt, welche die Zuständigkeit für den Personenverkehr, Güterverkehr, die Bahnhöfe und Grundbesitz erhielt. In einem Übergangsvertrag mit dem niederländischen Staat wurde bestimmte Leistungsverbesserungen hinsichtlich Fahrgastvolumen, Pünktlichkeit und Wirtschaftlichkeit vereinbart, während der Zugang zum Netz für Dritte geöffnet wurde. Abgesehen von 3 Linienkonzessionen in ländlichen Gebieten an private Eisenbahnbetriebe, an denen NS ebenfalls beteiligt ist, wird der Persoenverkehr durch NS beinahe vollständig beherscht. Das Güterverkehrsunternehmen NS Cargo wurde bald an die DB verkauft (Railion) und benutzt das niederländische Eisenbahnnetz zusammen mit einigen wenigen privaten Eisenbahngüterverkehrsunternehmen. Die vollständige unternehmensrechtliche Trennung der NS von der Netzbewirtschaftung wurde 2002 vom Parlament beschlossen und ausgeführt. Das ursprüngliche politische Ziel der Privatisierung der NS ist wegen der abschreckenden Entwicklung in Großbritannien und ungenügender Fortschritte der NS hinsichtlich Leistungssteigerung, Pünktlichkeit und Gewinnerzielung jedoch (zunächst?) fallengelassen worden. Die seit 2000 eingeführten Trassengebühren betragen im Vergleich zur DB weniger als 25 % und decken bei weitem nicht die Bewirtschaftungskosten der Netzinfrastruktur [9]. Durch die Bahnreform 1994 in Deutschland wurden die Forderungen der EU-Richtlinie 91/440 umgesetzt und darüber hinaus die Umwandlung des Fahrweges, Personen- und Güterverkehrs in eigenständige privatwirtschaftliche Unternehmen (AG) sowie die Regionalisierung von Verkehrsleistungen durch die Übertragung der Verantwortlichkeit en und finanziellen Mittel an die Bundesländer und regionale Gebietskörperschaften gesetzlich festgelegt. Die Kernziele der Regierungskommission hinsichtlich einer Erhöhung des Marktanteils der Schiene am Verkehrsaufkommen und einer nachhaltigen Entlastung des Bundeshaushaltes sind nicht bzw. nur bedingt erreicht worden [10]. Einschließlich der Regionalisierungmittel in Höhe von € 5 Mrd. betragen die Bundesmittel für die DB AG und Investitionszuschüsse für Eisenbahnprojekte nach wie vor € 18 Mrd. pro Jahr! Die einzelnen AG wurden von Beginn an über eine Holding durch den Vorstand gesteuert, sind kürzlich wieder aufgelöst und in der DB AG verschmolzen worden. Der Bahnvorstand Mehdorn hält an dem vertikalen Verbund von Netzinfrastruktur und Betrieb und an der durch die Bahnreform selbst nicht geforderte Privatisierung durch den geplanten Verkauf von Aktien des Unternehmens an der Börse fest, um durch privates Kapital das Wachstum in den internationalen Verkehrsmärkten finanzieren zu können [11]. Für den Erwerb des Logistikkonzerns Stinnes, der Spedition Schenker und des US-Unternehmens Bax wurden bereits einige Milliarden aufgewendet, um einen ansehnlichen Unternehmensgewinn zu erwirtschaften, der die Voraussetzung für den erfolgreichen Verkauf von Aktien an der Börse ist. Durch die Einbindung eines renditeorientierten Investors würde der Druck auf die Rentabilität des Netzes weiter steigen, während es dem Bund "noch schwerer als heute (fiele), seinem Verfassungsauftrag der Daseinsvorsorge nachzukommen" [12]. Die Privatisierungspläne der Bahn AG werden trotz der negativen Erfahrungen in England nicht nur vom Bahnvorstand und dem BDI, sondern auch von der alten und neuen Bundesregierung unterstützt. Da die Verkehrsinfrastruktur i. Allg., abgesehen von privaten Wegen und Industriebahnen, für allgemeine Nutzungszwecke bestimmt ist, sollte die Verfügungsgewalt grundsätzlich unter staatlicher Kontrolle und in öffentlichem Eigentum verbleiben. Die Privatisierung der Verkehrsinfrastruktur erschwert die Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen und ist nur in Ausnahmefällen sinnvoll, wenn der Verkehrsbedarf dauerhaft hoch ist, die Verkehrsverbindung einen nachhaltigen gesellschaftlichen Nutzen erbringt, eine (vollständige) staatliche Finanzierung nicht möglich ist und das investierte Kapital einschließlich der sozialen Kosten durch Nutzungsgebühren zurückverdient werden kann. Der Betrieb von Linien des öffentlichen Personenverkehrs muss nicht durch Verkehrsunternehmen in kommunalem oder staatlichem Eigentum gewährleistet werden. Linienkonzessionen auf der Grundlage belastbarer Leistungs- und Qualitätskriterien an private Busunternehmen haben sich in der Vergangenheit bewährt und sind auch im schienengebundenen öffentlichen Verkehr möglich, sofern die Bedingungen zur sozialverträglichen Übernahme des Personals und zur Restwertabschreibung vorhandener Fahrzeuge und Werkstätten für den Fall des Wechsels des Konzessionsinhabers geregelt werden. Die bislang in öffentlichem Eigentum befindlichen Verkehrsbetriebe können mittels öffentlicher Ausschreibungs- und Vergabeverfahren und Wettbewerb zur Steigerung der Effektivität und Wirtschaftlichkeit veranlasst werden. Eine vertikale Trennung der DB AG in selbständige Unternehmen für die Netzinfrastruktur und den Eisenbahnbetrieb wäre kontraproduktiv, da diese die technisch bedingte enge Verzahnung zwischen der Gleistopologie, den Stromversorgungs- und Signalanlagen einerseits und dem Fahrplan der Linien und Züge andererseits missachtet und zu einer suboptimalen Nutzung der Bahninfrastruktur sowie zusätzlichen Transaktionskosten führen würde [13]. Eine schrittweise Herauslösung der Aufgaben des Kapazitätsmanagements und der Koordination der Trassenanfragen aus der DB AG bis schließlich hin zur Vergabe der Fahrplantrassen durch das Bundeseisenbahnamt würde allerdings der Forderung der EU nach diskriminierungsfreiem Netzzugang für andere EVU entgegenkommen. Durch den geplanten Verkauf von bis zu 49 % des Aktienkapitals der DB AG an der Börse würden der Einfluss der Bundesregierung auf die Unternehmensführung geschwächt und Anteile des Eisenbahnanlagevermögens an Privatinvestoren veräußert. Diese erhalten dadurch Zugriff auf die Struktur des Eisenbahnnetzes und -betriebes, wodurch der Erhalt bestehender Strecken und Bahnhöfe von Renditeerwartungen der Aktionäre abhängig gemacht würde und das Vermögen zur Deckung von Verbindlichkeiten für die angestrebte internationale Expansion des Unternehmens verwendet werden könnte. Durch Investitionszuschüsse der öffentlichen Hand für den Netzausbau geförderte Effizienzgewinne können dadurch privatisiert und eventuelle Verluste aus anderen Projekten, z. B. Unternehmensaufkäufen und Betriebskonzessionen im Ausland, auf die Steuerzahler abgewälzt werden. Die teilweise Privatisierung der DB AG ermöglicht zwar eine vorübergehende Senkung von Bundeszuschüssen, steigert jedoch mittelfristig das Risiko des Staates, z. B. infolge verminderter Instandhaltungsaufwendungen zum Zweck kurzfristiger Gewinnerhöhung. Fazit Die Privatisierung von (Teilen der) Verkehrsinfrastruktur bzw. der DB AG ist kein geeignetes Mittel für eine nachhaltige Verkehrspolitik. Investitionsvorhaben zum Ausbau des Verkehrsnetzes, die überwiegend zu Lasten öffentlicher Haushalte getätigt werden, jedoch keine ausreichende Verkehrsnachfrage erzeugen und nur mäßig genutzt werden, können auch durch PPP nicht wirtschaftlich werden. Die Regierung sollte sich daher nicht durch große Versprechungen der Privatisierungsbefürworter dazu verleiten lassen, das öffentliche Eigentum und die Verfügungsgewalt über die Verkehrsinfrastruktur aus der Hand zu geben. Die gemeinsame Forderung der Verbraucherzentrale, des Verkehrsclub Deutschland und des Fahrgastverband Pro Bahn "Das Schienennetz muss in öffentlicher Hand bleiben" ist daher berechtigt. Delft, 1. September 2006 Prof. Dr.-Ing. Ingo Hansen (1) Suchanek, D.K. , "PPP Infrastructure", Hamburg: Deutscher Verkehrs-Verlag, H. 1, 2005; www.ppp-bund.de ; www.ppp-plattform.de (2) Aberle, G. et al. , "Privatfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur", Internationales Verkehrswesen (57) 7+8, 2005, S. 303-310 (3) PPP-Berater propagieren i.Allg. 20 - 30 % Effizienzgewinne (4) vgl. Miller, J.B., Principles of Public and Private Infrastructure Delivery, 2000, Boston , S. 313, 405ff. (5) Freeman, R. & Shaw, J. (eds.), "All Change. British Railway Privatisation", 2000, London : McGraw-Hill; Wolmar, C., "Broken Rails. How Privatisation Wrecked Britain's Railways", 2001, London : Aurum Press; Krönig, J., "Insel der Katastrophen", Zeit 8.3.2001, S. 14; Schöller, O., Zu den Folgen einer neoliberalen Deregulierungsstrategie", Internationales Verkehrswesen , 55 (1+2), 2003, S. 26-30 (6) Böttger, C., "Das Insolvenzverfahren der Railtrack", Internationales Verkehrswesen , 54 (6), 2002, S. 273-277; Office of the Rail Regulator, "Interim Review of Track Charges", October 2003; Railway Gazette International, Sept. 2003, p. 553-554 (7) Shaw, J., "Competition in the UK passenger railway industry: prospects and problems", Transport Reviews , 21 (2), 2001, pp. 195-216 (8) www.nationalrail.co.uk/tocs (9) Nash, C., "Rail Infrastructure Charges in Europe ", Journal of Transport Economics and Policy, (10) Pällmann, W., "Zehn Jahre Bahnreform: Bilanz und Ausblick", Internationales Verkehrswesen , 56 (4), 2004, S. 127-133 (11) Hedderich, H., "Weichen für privates Kapital stellen", Internationales Verkehrswesen , 56 (10), 2004, S. 470 "Die Deutsche Bahn ist 2005 fit für die Börse", FAZ 21.06.2004 (12) Schwenn, K., "Die Kardinalfrage", FAZ 13.05.2006 (13) Pachl, J., Integration und Wettbewerb möglich, Internationales Verkehrswesen , 57 (11), 2005, S. 510f. |