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Updated: 18.12.2012 15:51
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Martin Ling: Messi, Romário, Asprilla, Tevez - Kreativer Spielerhandel in Lateinamerika

Futbolistas - Fußball und Lateinamerika: Hoffnungen, Helden, Politik und Kommerz Artikel von Martin Ling aus dem Buch von Dario Azzellini und Stefan Thimmel (Hg.):
Futbolistas - Fußball und Lateinamerika: Hoffnungen, Helden, Politik und Kommerz
ISBN 3-935936-46-X; 256 Seiten; Zahlreiche Fotos; 18.00 €
exklusiv im LabourNet.
Weitere Informationen zum Buch, das Inhaltsverzeichnis und Bestellmöglichkeiten sowie Rezensionen zum Buch auf der Seite des Verlages Assoziation A externer Link

Moderner Sklavenhandel ist im Fußball keine Seltenheit. Es sind meistens europäische Vereine, die junge südamerikanische und afrikanische Spieler verpflichten. Jugendliche werden teilweise bereits im Alter von 14 und 15 Jahren ihrem sozialen Umfeld entrissen und nach Europa verpflanzt. Das Risiko für die Vereine ist gering: Die Jugendlichen sind weit billiger als fertige Stars und wenn sich nur einer von Dutzenden durchsetzt, hat sich die Investition schon gelohnt. Diejenigen, die es nicht schaffen, haben einfach Pech gehabt und werden abgeschrieben und nicht selten auch abgeschoben: denn entfällt die Vertragsgrundlage, erlischt in der Regel die Aufenthaltsberechtigung. Das Geschäft ist gnadenlos, auch wenn die FIFA seit September 2001 formal strengere Maßstäbe für den Transfer von unter 18-Jährigen anlegt.

Den prominentesten Kindertransfer hätten diese Regularien jedoch nicht verhindert. Der Argentinier Lionel Messi landete bereits als 13-Jähriger beim FC Barcelona. Doch dabei ging alles mit rechten Dingen zu. Denn "wenn die Familie des Spielers aus Gründen, die nichts mit Fußball zu tun haben, in das Land übersiedelt, in dem der neue Verein ansässig ist", dürfen auch Minderjährige grenz- und kontinentübergreifend den Klub wechseln, besagen die FIFA-Statuten. Zwar war Messis außergewöhnliches Talent schon vor seiner Übersiedlung nach Spanien aufgefallen, der Grund für den Orts- und Vereinswechsel lag jedoch nicht in seiner Begabung, sondern in seiner Krankheit. Ein Hormonproblem verhinderte das Wachstum des minderjährigen Ausnahmetalents, dessen Jugendtrainer Enrique Domínguez bei Newell's Old Boys im argentinischen Rosario ihn auf eine Stufe mit Maradona stellte: "Er konnte Dinge mit dem Ball anstellen, die jeder physikalischen Logik widersprachen. Der einzige Spieler, von dem ich das je gesehen habe, war Diego Maradona."

Die Behandlungskosten für die Krankheit wurden auf 750 Euro im Monat veranschlagt. Das gab das Gehalt von Lionels Vater, des Metallarbeiters Jorge Messi, nicht her und auch die Vereine Newell's Old Boys und River Plate Buenos Aires wollten oder konnten in den Knirps dann doch nicht soviel investieren. Jorge entschloss sich der besseren Einkommensperspektiven wegen zur Auswanderung und der FC Barcelona empfing die Familie Messi mit offenen Armen. 750 Euro sind für den Renommierklub ein Klacks, die Arztkosten wurden übernommen und der 1,40 Meter kleine Messi schnell in das Barca-Jugendteam eingegliedert. Inzwischen ist Messi 1,69 Meter groß, 18 Jahre alt und seit dieser Saison Stammspieler in der ersten Mannschaft des spanischen Meisters, wo er mit Ronaldinho und Samuel Eto'o zusammen ein trio infernale im Sturm bildet. Auch für die WM 2006 hat der Juniorenweltmeister 2005 das Ticket sicher. "Mit einem solchen Spieler kann man nichts falsch machen", damit hat ihm der argentinische Nationaltrainer José Pekerman bereits einen Freifahrtschein ausgestellt.

Auf Romário, einst Torjäger beim FC Barcelona, wird Messi in Deutschland nicht treffen, auch wenn der brasilianische Altstar und WM-Held von 1994 immer noch aktiv ist. Gerade erst hat er bei seinem Verein Vasco da Gama in Río für die WM-Saison verlängert, nachdem er es in der Saison 2005 im für einen Fußballer geradezu biblischen Alter von 39 Jahren wieder einmal geschafft hat, Torschützenkönig zu werden. "Ich wollte schon seit frühester Jugend immer ganz vorne spielen und Tore schießen." Romário hat sein Vorhaben eindrucksvoll umgesetzt. Er nähert sich unaufhaltsam der 1000-Tore-Marke und auch im Nationaltrikot übertraf bisher nur Pelé seine 71 Tore in 88 Spielen. Erste Aufmerksamkeit in Europa zog Baixinho (der Kleine) als Torschützenkönig bei den Olympischen Spielen in Seoul 1988 auf sich. Besonders interessiert war der holländische Werksklub Philips-Sport-Verein (PSV) Eindhoven. Der Transfer schrieb Geschichte als der erste Fußballerexport zum Zwecke staatlicher Schuldentilgung. Der Deal wurde nicht wie üblich ausschließlich zwischen den Vereinen abgewickelt, sondern mit dem Staat als Zwischenhändler. Der Philips-Konzern kaufte von der brasilianischen Zentralbank mit einem Abschlag Schuldentitel in Höhe von 2,8 Millionen US-Dollar. Romários damaliger und jetziger Verein Vasco da Gama erhielt im Gegenzug von der Zentralbank Cruzados zum Tageswert von 3,91 Millionen US-Dollar ausgezahlt. Auch das ein vollkommen legaler Vorgang. Schließlich war in den achtziger Jahren der Höhepunkt der konditionierten Schuldenumwandlung. In der Regel wurden Schulden gegen die Auflage gestrichen, einen Teilbetrag der erlassenen Summe in Umweltschutzmaßnahmen wie beispielsweise Aufforstungsprogramme im Amazonas zu stecken. Nun hatten die so genannten debt for nature swaps eine sportliche Ergänzung erhalten: debt for footballer swap . Schule machte das Beispiel Romário allerdings nicht.

Nicht alle Transfers von lateinamerikanischen Stars nach Europa verliefen so regelkonform wie bei Messi oder Romário. Dass die kolumbianischen Drogenkartelle in den achtziger und neunziger Jahren die Geschicke des kolumbianischen Fußballs bestimmten, ist aktenkundig. Ein im Juli 1997 veröffentlichter Untersuchungsbericht kam zu dem Schluss, dass sich damals 80 Prozent der Aktienanteile an den fünf Topvereinen in den Händen von Drogenbaronen befanden: América Cali, Atlético Nacional Medellín, Millionarios de Bogotá, Envigado und Deportivo Cali. Allerdings wurde das meiste Geld mit Wetten und gekauften Spielen gemacht und weniger mit über- und unterfakturierten Transferrechnungen. "Sie wetten nicht nur auf das Ergebnis, sondern wer den ersten Eckball kriegt, wer das erste Tor schießt, sie wetten, wer zur Halbzeit führt, (auf) alles", schilderte der Journalist César Mauricio Velásquez die Gepflogenheiten. Bis heute wird vermutet, dass die Ermordung des Verteidigers Andrés Escobar wenige Tage nach seinem Eigentor im WM-Spiel gegen die USA 1994 auf Veranlassung von Wettverlierern geschah. Obwohl es keine Wettscheine gibt, die es beweisen, wird angenommen, dass das Medellín-Kartell auf einen kolumbianischen Sieg setzte, das verfeindete Cali-Kartell dagegen auf eine Niederlage. Der zu 45 Jahren verurteilte mutmaßliche Mörder Humberto Muñoz Castro arbeitete jedenfalls als Fahrer und Leibwächter der Medellíner Brüder Gallón Henao, die nach den Recherchen von Velásquez eine Menge Geld im Zusammenhang mit der kolumbianischen Niederlage verloren hatten.

Als Gewinn konnte das Medellín-Kartell dagegen den Verkauf von Faustino Asprilla nach Parma verbuchen. Während sein Transfer in Italien mit sieben Millionen US-Dollar verbucht wurde, belief sich die Gegenbuchung in Medellín auf nur vier Millionen. Die drei Millionen Differenz vermuten Experten, sind über Geldwäsche in den Taschen von Drogenbaronen gelandet. Gerichtsfeste Beweise fehlen derweil auch im Fall Asprilla.

Dasselbe trifft bisher auf die ominöse Media Sports Investment (MSI) zu, die derzeit in Lateinamerika für Schlagzeilen sorgt und Finanz- und Steuerfahnder aus einem guten halben Dutzend Staaten auf Trab hält. Die MSI mit Hauptsitz in London wurde erst 2004 gegründet. Im November 2004 stieg die MSI dann groß als Investor beim brasilianischen Traditionsklub Corinthians São Paulo ein. Der Deal: Übernahme der Schulden und Investitionen in neue Spieler gegen Vermarktungsrechte und ein Gewinnanteil von 51 Prozent. Sportlich läuft das Geschäft bisher blendend. Verstärkt unter anderem mit den jungen argentinischen Nationalspielern und Olympiasiegern Carlos Tevez und Javier Mascherano wurde Corinthians nach langer Durststrecke Ende 2005 zum brasilianischen Meister gekrönt und ihr Star Tevez zum besten Spieler der Saison gewählt. Doch der fast 20 Millionen US-Dollar schwere Wechsel von Tevez, dreimaliger Fußballer des Jahres in Lateinamerika seit 2003, beschäftigt die Behörden. In Argentinien hat sowohl die Bundesverwaltung für Öffentliche Einkünfte (AFIP) als auch die Einheit für Finanzinformationen (UIF) ein Auge auf den undurchsichtigen Transfer geworfen. Der Verdacht: Geldwäsche. Im Vertrag wurde vereinbart, dass Boca Juniors das Geld von Corinthians erhält, "oder wen auch immer Corinthians dazu beauftragen möge. Geld erhielt Boca dann unter anderem von einer Firma mit ausländischem Namen, teilte der Finanzchef von Boca, Miguel Macci, der Zeitung Clarín auf Nachfrage reichlich kryptisch mit. Und Präsident Mauricio Macri, ein millionenschwerer Unternehmer und konservativer Politiker in Buenos Aires, teilte mit, dass es Aufgabe von Boca sei, den Transfer abzuwickeln, nicht aber die Herkunft des Geldes zu überprüfen. Dies sei der Job der Zentralbank und der internationalen Organisationen. Die bemühen sich darum, geklärt ist noch nichts.

Die ganze MSI, die auch im Handelsregister des Steuerparadieses Virgin Islands auftaucht, erscheint rätselhaft. Das offizielle Firmenkapital beträgt 300 US-Dollar, abgewickelt wurden über dubiose Kanäle damit Transfers in Höhe von über 50 Millionen US-Dollar. Firmenchef ist der 33-jährige Kia Joorabchian, ein gebürtiger Perser mit britischem Pass. Der hält sich freilich bedeckt: "Wir sind einfach nur eine Investorengruppe, wie es sie in der Welt zuhauf gibt, die Investoren möchten diskret behandelt werden, das ist alles."

Nicht wenige haben daran Zweifel. Der brasilianische Staatsanwalt José Reinaldo Carneiro äußerte sich in der portugiesischen Zeitung Diario de Noticias deutlich: "Unsere Untersuchung kreist um zwei Strolche aus den ehemaligen Sowjetrepubliken und ihre Investitionen in Brasilien", und es gebe "schwerwiegende Anschuldigungen, dass das Geld aus dem Drogen- und illegalen Waffenhandel stammt." Kontakte zu russischen Oligarchen bestreitet Joorabchian nicht. Zum Beispiel zu Boris Beresowskij, bei Putin in Ungnade gefallener Wirtschaftsberater von dessen politischem Ziehvater Jelzin. "Er ist ein sehr, sehr enger Freund, aber er ist zur Zeit nicht im Fußballgeschäft involviert, Ich weiß nicht mal, ob er Fußball mag", weist er Gerüchte, dass Beresowskij einer der MSI-Investoren sei, zurück. Dieses Dementi muss freilich genauso wenig heißen wie das in Bezug auf Roman Abramowitsch, denn die Investoren wollen ja bekanntlich diskret behandelt werden. MSI habe "keine Links zu Roman", "wir haben nicht mal mit ihm geredet." Seit Abramowitsch' Luxusjacht Tage vor dem Tevez-Transfer im Hafen von Buenos Aires gesichtet worden war, reißen die Gerüchte nicht ab, dass der direkte Eigentümer von Chelsea London und indirekte von ZSKA Moskau auch hinter MSI stecke. Doch ein Beweis wäre es nicht mal, wenn Tevez demnächst bei Chelsea seinen Landsmann Hernán Crespo beerben sollte. Und davor ist ohnehin noch die WM, wo Tevez, Crespo und Messi gemeinsam Argentiniens 20-jährige Titeldurststrecke vergessen lassen wollen. MSI, Geldwäsche und Kinderhandel sind dann nur Nebensache.


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