letzte Änderung am 7. Januar 2004 | |
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»Organisierung
in gewerkschaftsfreien Betrieben und Sektoren« – damit ist ein Defizit
gewerkschaftlicher Arbeit und zugleich eine zentrale Herausforderung nicht
nur für die Gewerkschaften verbunden. Bedingt durch Rationalisierungsprozesse,
Outsourcing, die Reorganisation der Produktionsketten, das
Neuentstehen von Branchen, neue Management- und »Führungskonzepte« in Bezug
auf die Mitarbeitereinbindung oder ganz schlicht oft: verstärkte Repression
der Arbeitgeber nehmen die »weißen Flecken« zu. Hinzu kommt die enorm gestiegene
Mobilität der »Ware Arbeitskraft«, die sich – ob mit oder ohne Papiere
– grenzüberschreitend anbietet und nachgefragt wird. Ihre prekäre Lage
stellt ebenfalls einen besonderen Ausbeutungsvorteil dar: Viele dieser Beschäftigten
verfügen nicht mehr oder haben noch nie über eine eigenständige Interessenvertretung
verfügt. Die mangelnde Verankerung von kollektiven Interessenvertretungsstrukturen
ist ein Ausdruck der Informalisierung, Prekarisierung und Individualisierung der Arbeitsverhältnisse
selbst. Besonders deutlich ist dies in Bereichen wie dem Reinigungs- oder
dem Baugewerbe, aber auch in den filialisierten
Betriebsstrukturen des Einzelhandels oder der Gastronomie. Lag das Augenmerk
der Gewerkschaften lange Zeit gar nicht auf den Entwicklungen in diesen Branchen
und den entsprechenden Unternehmen, ist es heute oft so, dass den Gewerkschaften
die Kapazitäten für eine flächendeckende Organisierungsarbeit und/oder die
Zugangsmöglichkeiten zu den Beschäftigten fehlen. Vor diesem Hintergrund interessieren
Erfahrungen zur Herausbildung eigenständiger Organisierungsbemühungen, wie
sie – trotz der schwierigen Situation – exemplarisch in einer
Reihe von Arbeitskämpfen seit 2001 in Frankreich gemacht wurden. Während die
Auseinandersetzung bei McDonalds, die zur Zeit gerade wieder neu entbrannt
ist, auch internationale Bedeutung erreichte (z.B. in Form eines internationalen
McDonalds-Aktionstages im vergangenen Jahr), wurden die Kämpfe
bei der Reinigungsfirma Arcade, bei Euro Disney
oder der FNAC hierzulande weniger beachtet.
Zu diesen
Auseinandersetzungen hatte die Zeitschrift »Les Temps
Maudits« einen langen Beitrag veröffentlicht, den wir
übersetzt und als Ränkeschmiede 14: »Das Solidaritätskollektiv: eine Erfahrung
der etwas anderen Art«, veröffentlicht haben. Wir wollen damit einen Beitrag
zur Klärung von Fragen leisten, die uns auch im Rahmen der 5. internationalen
TIE/express-Konferenz interessiert haben, zu der wir
Aktive aus den im Folgenden geschilderten Arbeitskämpfen eingeladen hatten:
Welche Erfahrungen von Organisierung und Kämpfen gibt es in Sektoren, in denen
prekäre Arbeitsverhältnisse vorherrschen und gewerkschaftliche Organisierung
fast völlig fehlt? Woran haben sie sich entzündet? Welche Rolle spielt
Migration in diesem Kontext? Wer waren die AkteurInnen
und UnterstützerInnen in diesen Auseinandersetzungen?
Welche Organisationsformen haben sich gebildet? Was ist geblieben?
Am 24. Oktober
2001 geschah es in der McDonalds-Filiale, die an der
Kreuzung zwischen Boulevard de Strasbourg und
Boulevard Saint-Denis in der Pariser Stadtmitte liegt. Der Pächter des
Restaurants kündigt die Entlassung von fünf Beschäftigten an – alle »Manager«
(also Teamleiter, die etwa wie »große Brüder« angesehen werden) – und
gleichzeitig auch, dass er Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Diebstahls
erstatten werde. Angeblich fehlen 150000 Euro (in der damaligen Währung: rund
eine Million französischer Francs; Anm. d.Ü.) in der
Kasse. Rein zufällig handelt es sich bei den Entlassenen um Mitarbeiter, die
dabei waren, eine Gewerkschaftssektion zu gründen und vorhatten, bei den
künftigen Betriebsratswahlen zu kandidieren.
Am selben Tag
antworten die Beschäftigten des Schnellrestaurants, indem sie in den Streik
treten. Jede Aktivität in dem Restaurant ruht deswegen.
Frankreichweit
befindet sich das Unternehmen McDonalds in starkem Wachstum begriffen: Ende des
Jahres 2001 sind über 900 Restaurants der Fastfood-Kette
im Betrieb; im Jahr 2000 beschäftigt das Unternehmen bereits 35000 MitarbeiterInnen bei einem Umsatz von 17,5 Millionen Euro.
Vorherrschendes Geschäftsprinzip ist die Verpachtung, die es McDonalds erlaubt,
mittels eines Quasi-Exklusivvertrags die Verwendung des Namens, die Preise, die
Zulieferer, die Qualität zu bestimmen und einen Anteil an den Gewinnen
einzustreichen, der zwischen 12 und 25 Prozent liegt, während die Investitionen
dem Pächter überlassen bleiben. Auf diesem Wege wird McDonalds alle
Betriebskosten los und hält sich vor allem das Risiko von Arbeitskonflikten mit
den Beschäftigten vom (eigenen) Hals.
Das System ist
so entworfen, dass Arbeitskämpfe es schwer haben sich zu entfalten. Es werden
praktisch nur junge Leute für Teilzeitjobs (87 Stunden pro Monat für 485 Euro
netto), seltener auch für Vollzeitjobs (790 Euro) eingestellt. Der Restaurantbetrieb
läuft sieben Tage in der Woche. Ein so genannter »swing manager« (faktisch ein Teamleiter) erhält zwischen 850 und
990 Euro auf einer Vollzeitstelle, bis er »Manager« werden und dann 1200 bis
1300 Euro im Monat verdienen kann. Natürlich gibt es kein 13. Monatsgehalt.
Die turn-over-Rate [1]
ist hoch, denn die Arbeitsrhythmen und die de facto variablen
Arbeitszeiten erlauben es jenen, die nebenher studieren, nicht länger als
ein paar Monate, Arbeit und Studium miteinander zu vereinbaren. Die Mehrheit
unter ihnen gibt schließlich ihren Job auf, um im Studium weiterzukommen;
aber angesichts der hohen Arbeitslosigkeit werden auch jene immer zahlreicher,
die es umgekehrt machen und sich dafür entscheiden, in der Unternehmenshierarchie
von McDonalds aufzusteigen, um ein Gehalt zu erreichen, von dem sie leben
können.
Die Einstellungspraxis
stimmt im Allgemeinen mit der »ethnischen« Zusammensetzung des Wohnviertels
überein, und die Teams verfügen über einen starken inneren Zusammenhalt: Man
geht zusammen aus, die Beziehungen untereinander sind durch Freundschaft und
Paternalismus zugleich gekennzeichnet. Unruhestifter werden im Allgemeinen
hinausgeekelt, noch bevor sie Probleme hervorrufen können. Der Zusammenhalt
ist ein wichtiges Element, das zu der erwarteten hohen Produktivität der Beschäftigten
beiträgt. Kurzum, es handelt sich um eine Arbeitsorganisation, in welcher
gewerkschaftliche Betätigung als störend empfunden wird und wo die Zahl der
Arbeitskämpfe sich an den Fingern einer Hand abzählen lässt. [2]
Man wird nicht
verstehen können, wie der Arbeitskampf die Isolierung – in welcher die
Kämpfe in diesem nur schwach gewerkschaftlich organisierten Sektor normalerweise
stecken bleiben – überwinden konnte, wenn man nicht die Präsenz von
relativ jungen, aber bereits kampferfahrenen Aktiven
genau in diesem Moment bedenkt. Das Solidaritätskollektiv bildet sich zu einem
Zeitpunkt, an dem bereits ein kleines »Netzwerk« von Aktiven besteht: Da wären
das CGT-Gewerkschaftskollektiv der Fastfoodbranche
(collectif CGT de la restauration
rapide), das aus den Arbeitskämpfen des voran gehenden Jahres [3]
heraus entstanden ist, das Netzwerk Stop
Précarité und vor allem eine gewisse Zahl informeller Kontakte,
die eher durch Freundschaften und Bekanntschaften vermittelt sind als durch
gemeinsame Betätigung in politischen bzw. gewerkschaftlichen Gruppen oder
Initiativen.
Wenn es darum
geht, Energie in einen »undankbaren« Sektor wie den der Fastfoodbranche
zu stecken, neigen die etablierten Gewerkschaften bekanntlich kaum zu großem
Eifer. Denn dieser Sektor zeichnet sich dadurch aus, dass die Unternehmen
häufig kurzen Prozess machen, dass sie jegliche Form kollektiver Organisierung
ihrer Beschäftigten verachten, dass Prekarität,
ein durch die Unternehmen erwünschter und begünstigter häufiger Wechsel der
Beschäftigten sowie Niedriglöhne die Regel darstellen, wodurch die Aussicht
auf dauerhafter gewerkschaftliche Organisierung mit mehr oder minder nennenswertem
Beitragsaufkommen ziemlich in Frage gestellt wird. Und selbst wenn die Beschäftigten
von selbst in den Ausstand treten und bei den Gewerkschaften anklopfen, um
Unterstützung und Rechtsschutz zu erhalten, müssen sie oftmals mit jener höflichen,
aber distanzierten Haltung der Funktionäre vorlieb nehmen, die implizit besagt:
Aber was haben wir denn dort verloren? Diese Haltung erklärt, dass in diesem
Sektor vorwiegend gewerkschaftliche Obleute [4]
anzutreffen sind, die dem Arbeitgeber wohlgesonnen
sind und unter zweifelhaften Bedingungen – wenn überhaupt – gewählt
wurden. [5]
Dennoch trat
das Wunder ein – »dank« der Arroganz eines neuen Pächters. Indem er ein
angebliches Loch in der Kasse zum Vorwand nahm, um fünf störend gewordene
»Manager« zu entlassen, reizte er die Beschäftigten zum Aufbegehren und löste
einen Streik des gesamten Personals für ihre bedingungslose Wiedereinstellung
aus. So kann die Empfindung von Ungerechtigkeit selbst den erprobtesten
Unternehmensstrategien einen Strich durch die Rechnung machen.
Daraufhin
beginnt ein Prozess gewerkschaftlicher Organisierung. Die Streikteilnehmer
wenden sich, auf der Suche nach Schutz und Unterstützung, an verschiedene
Gewerkschaften und finden schließlich bei der Handels-Branchengewerkschaft der
CGT (fédération CGT du commerce)
ein offenes Ohr. Eine Betriebssektion der CGT wird gegründet, und einigen
entschiedenen und von der symbolischen Bedeutung dieses Streiks überzeugten
CGT-Mitgliedern – die ihrerseits recht wenig Unterstützung aus dem
Gewerkschaftsapparat erhalten – ist es zu verdanken, dass der Arbeitskampf
einen Unterstützerkreis findet. Drei oder vier Wochen nach Beginn des Streiks
schält sich ein Solidaritätskollektiv heraus. In seinem harten Kern treffen
Aktive unterschiedlicher politisch-gewerkschaftlicher Tendenzen zusammen,
darunter eine starke libertäre Strömung, aber auch
Mitglieder der CGT-Handelsgewerkschaft aus anderen Unternehmen, die an den
laufenden Arbeitskämpfen teilnehmen.
Die Diskussionen
im Solidaritätskollektiv und die von ihm ausgehenden Initiativen tragen dazu
bei, dem Kampf Dauerhaftigkeit zu verleihen, ihn zu verbreitern und bekannt
zu machen. Unter diesen Initiativen kommt der Serie von Besetzungs- und Blockadeaktionen
bei verschiedenen Pariser McDonalds-Nieder-lassungen,
die Samstag für Samstag organisiert werden, eine besonders hohe Bedeutung
zu. Diese wöchentlichen Aktionen haben es erlaubt, Aufmerksamkeit für die
besonderen Konflikte zu erwecken, die in anderen Restaurants der Fastfood-Kette – jeweils für sich genommen – bestehen, und
zugleich die Unterstützung der dort Beschäftigten für ein gemeinsames Ziel
zu gewinnen: die Rücknahme der Kündigungen in der Filiale von Strasbourg-Saint-Denis.
Für die McDonalds-Beschäftigten anderer Pariser
Filialen, die ihrerseits in den Streik traten, wenn auch für kürzere Zeit,
waren diese Aktionen eine Gelegenheit, damit zu beginnen, miteinander zu sprechen,
sich kennen zu lernen und zusammen zu kämpfen. Selbst eine Ausweitung über
die Unternehmensgrenzen von McDonalds hinaus zeichnete sich ab, als ein einwöchiger
Streik im Quick-Restaurant [6]
am Boulevard Barbès ausbrach, den
das Solidaritätskollektiv selbstverständlich unterstützt hat.
Die Idee, dass
man angemessene Aktionen durchführen müsse, war dabei einer der zentralen
Punkte, und mehr als nur ein Mal erlaubten uns Fantasie und spielerische
Handlungsformen, geschickt aus Situationen herauszukommen, die belastend für
uns hätten werden können.
Die aktive
Unterstützung durch bestimmte Strukturen der CGT, aber auch das, was bei den
Spendensammlungen erzielt wurde, ermöglichten es, den Streikenden eine
finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Sie betrug im Dezember 2001 pro
Beschäftigten 150 bis 200 Euro (wobei der Betrag für jene, die eine Familie zu
ernähren hatten, erhöht wurde) und im Januar 2002 beinahe das Doppelte.
Das Herannahen
der Wahlen bot natürlich gute Gelegenheiten, den Kampf bekannt zu machen:
Während die trotzkistischen Parteien damit zufrieden waren, Unterstützung
zu leisten, verlor die Französische Kommunistische Partei [7]
keine Gelegenheit, sich demonstrativ zu zeigen. Robert Hue,
Präsidentschaftskandidat der KP, José Bové, Sprecher
der linken Bauerngewerkschaft Condédération paysanne, Noël Mamère, Präsidentschaftskandidat
der französischen Grünen vom »Realo«-Flügel, ließen sich – jeder mit
seinem Gefolge von Fotographen und Fernsehkameras – vor dem bestreikten
Restaurant blicken, und später auch vor anderen bestreikten Fastfood-Läden.
In dem Solidaritätskollektiv
fanden sich Leute gemeinsam an einem Tisch wieder, die normalerweise wenig
miteinander zu tun haben wollen und sogar eine gründliche gegenseitige Abneigung
pflegen: an erster Stelle die CGT, aber auch SUD und bestimmte Mitglieder
der CNT, Mitglieder trotzkistischer Parteien, Libertäre aller Couleur, Mitglieder unabhängiger Kollektive
und freie Individuen. Das Spektrum reichte von Chevènementisten [8]
bis zur Koordination der Sans-papiers [9].
In der Provinz
gab es vielfache Solidaritätsaktionen, aber wir haben auch von Aktionen in
anderen Ländern (Deutschland, England, Griechenland) erfahren. Mehrere linke
oder alternative Zeitungen in verschiedenen europäischen Ländern veröffentlichten
Informationen und Analysen über den Kampf, und selbst die etablierten Medien
(bis hin zu CNN, zu dem Zeitpunkt, als der Streik sich bis zur Champs-Elysées,
also auf den größten McDonalds-Laden in Europa,
ausgeweitet hatte) zeigten sich neugierig.
Dann stellte
sich die Frage der Informationsverbreitung aus dem Inneren des Kollektivs an
sympathisierende Menschen um uns herum: Versammlungsprotokolle und Flugblätter
wurden weit über den Kreis der KollegInnen, die aktiv
am Solidaritätskollektiv teilnahmen, hinaus verbreitet und schufen so in einem
größeren Umfeld aus politisch engagierten Menschen günstige Voraussetzungen, um
breiter angelegte Initiativen zu ergreifen. Diese Art von Initiativen erklärt
zu einem großen Teil den Erfolg der Demonstrationen und Unterstützungs-Partys.
Schließlich stellte
sich auch die Frage der Informationsvermittlung nach außen, an ein breiteres
Publikum. Sie bildete eine der Hauptaufgaben, die sich das Kollektiv gestellt
hatte, und derentwegen riesige Mengen an Flugblättern verteilt wurden.[10]
Da waren die Flugblätter der Streikenden selbst oder der Gewerkschaftssektionen,
die sie unmittelbar unterstützten. Dann auch jene des Kollektivs, die nicht
allein auf Agitation abzielten, sondern vor allem die Leute, mit denen sich
ein Kontakt herstellen ließ, informieren sollten, aber am Ende auch einen
Aufruf zur Solidarität, einen Appell an die Eigeninitiative der LeserInnen
enthielten. Im Allgemeinen wurden sie gut aufgenommen und zeitigten oftmals
konkrete Auswirkungen bei den Spendensammlungen.
Ferner stellte
sich auch die Frage der Beziehungen mit den Medien. Zwar neigten manche jüngeren
Kollegen anfänglich dazu, »schnell nach Hause zu kommen, um sich selbst im
Fernsehen zu entdecken«, aber die Mischung aus jüngeren und erfahreneren
Leuten führte dazu, eine Art kollektiver politischer Intelligenz
herauszubilden, die man – ein wenig schematisch – wie folgt zusammenfassen
könnte: Wir wissen, dass die Medien sich wie die Banken verhalten, d.h. nur
diejenigen als kredit- oder glaubwürdig betrachten, die ohnehin keine Not
leiden; wir müssen uns also als fähig erweisen, selbst einen Grundsockel an
Informationsverbreitung abzudecken, auf dessen Basis dann Beziehungen mit der
Presse oder dem Fernsehen hinzu kommen können. Besonders spektakuläre Aktionen
können in manchen Fällen nützlich sein, aber zu sehr darauf zu setzen, heißt,
sich selbst von der Medienberichterstattung abhängig zu machen. Jedes Mal, wenn
das möglich war, haben wir den Kontakt mit einem Journalisten oder einer
Journalistin »ausgesucht«, die sich für das, was wir taten, als sensibel bzw.
empfänglich erwiesen hatte. Wir legten eine recht unideologische und eher
pragmatische Haltung an den Tag und achteten darauf, uns nicht
instrumentalisieren zu lassen. Eine Gesamtschau auf die Ergebnisse dürfte zu
dem Schluss führen, dass wir mit dieser Abwägung nicht erfolglos gewesen sind.
Zu Anfang
wurden Drohungen gegenüber bestimmten Mitarbeitern ausgesprochen. Später kam
es, parallel zu den laufenden Verhandlungen mit gewerkschaftlichen Vertretern,
zu einigen Versuchen individueller Bestechung. Auch die Art und Weise, in der
die Verhandlungen selbst geführt wurden, zeigte deutlich, dass es bei McDonalds
keine Erfahrung oder Praxis im Umgang mit Arbeitskonflikten gibt. So schlug die
Gegenseite beispielsweise vor, die Entlassenen wieder neu einzustellen, aber
ohne die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Damit erkannte sie
implizit an, dass ihre Vorwürfe keinen Bestand hatten, nahm aber zugleich lange
Zeit über eine Verweigerungshaltung gegenüber der Hauptforderung der
Streikenden ein, nämlich der nach Wiedereinstellung der Entlassenen unter
voller Wahrung ihrer bisher im Betrieb erworbenen Rechte.
In der Zwischenzeit
hatte die inspection du travail (wörtlich »Arbeitsinspektion«)
[11]
die erste Kündigung für nichtig erklärt.
[12]
Eine Woche später erklärte das zuständige Arbeitsgericht seinerseits
die Kündigung von zwei weiteren Mitarbeitern des McDonalds-Restaurants
für rechtswidrig, und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung von 153 Euro
Strafe für jeden Tag, um den sich der Vollzug des Urteils verzögern würde.
Das Vorgehen auf gerichtlicher Ebene speiste während der gesamten Konfliktdauer
die Diskussionen im Solidaritätskollektiv und unter den Streikenden, es lieferte
uns Teilerfolge und verschaffte uns Instrumente, die es erlaubten, konkret
auf jede Initiative der Gegenseite eine Antwort zu finden.
Im Übrigen hat
es nicht an Initiativen gemangelt, die unabhängig von uns ergriffen wurden, an
Aktionen von der Basis aus, aber auch an politischem Druck seitens
unterschiedlicher linker Gruppen auf die Regierung, auf das Arbeitsministerium,
auf die inspection du travail,
der darauf zielte, dass diese Instanzen sich als »Vermittler« einschalteten.
Dies erhöhte den Druck auf den »Mutterkonzern« McDonalds. Dort hatte man darauf
gesetzt, den Konflikt auszusitzen, indem man – fälschlicherweise – annahm, die
Streikenden würden sich schon erschöpfen und die Unterstützung werde
abbröckeln. (...)
Zu den
Forderungen, die nicht erfüllt wurden, gehörte die Entfernung des damaligen Pächters.
Diese sollte allerdings einige Wochen, nachdem die Streikenden ihre Arbeit
wieder aufgenommen hatten, erfolgen. Die spätere Nichteinhaltung der
abgegebenen Versprechen durch die neue Restaurant-Leitung sollte im März 2003
dazu führen, dass die Beschäftigten des McDonalds-Ladens
von Strasbourg-Saint Denis erneut in den Ausstand
treten würden. Derzeit, also Anfang Oktober 2003, hält dieser unvermindert an.
Das Restaurant ist Tag und Nacht besetzt, und die Besetzung ist aufgrund von
Plakaten, Aufklebern und Infoständen weithin sichtbar (Anm. d.Ü.).
2) Damien
Cartron hat eine Reihe interessanter Texte über die Arbeitsorganisation
bei dieser Kette veröffentlicht. Man findet seine Texte auf der Webpage: http://dcartron.free.fr/.
Vgl. außerdem seinen Artikel Travailler au fast-food: les conditions de travail au McDonalds
(Arbeit im Fastfood: Die Arbeitsbedingungen bei McDonalds) in derselben Nummer
der Temps mauvais, in
der auch der vorliegende Text erschienen ist.
3) Im Dezember 2000 wurde
drei Wochen bei Pizza Hut gestreikt; Anm. d.Ü.
4) Délégués
syndicaux – jede als »repräsentativ« anerkannte Gewerkschaft
kann, ab einer bestimmten Betriebsgröße, eine/n oder mehrere solcher Obleute
ernennen, die u.a. besonderen Kündigungsschutz genießen;
Anm. d.Ü.
5) Grundsätzlich werden
die délégués syndicaux, im Gegensatz
zu den Betriebsratsmitgliedern sowie den betrieblichen Vertrauensleuten –
délégués du personnel – nicht durch
die Belegschaft gewählt, sondern durch ihre Gewerkschaft ernannt. Dabei kann
es aber mehr oder weniger innergewerkschaftliche Demokratie, mehr oder weniger
Einfluss des Arbeitgebers auf ihre Entscheidungen geben; Anm. d.Ü.
6)
eine französisch-belgische Fastfoodkette;
Anm. d.Ü.
7) Diese war zu jenem
Zeitpunkt noch an der Regierung beteiligt und sollte im April 2002 (dem Zeitpunkt
des ersten Wahlgangs) eine schwere Wahlniederlage erleben; Anm. d.Ü.
8) Anhänger des linksnationalistischen
Präsidentschaftskandidaten und Innenministers der Jahre 1997 bis 2000, Jean-Pierre
Chevènement, den man als autoritätsorientierten Sozialdemokraten, republikanischen
Nationalisten, Antiamerikaner und EU-Skeptiker charakterisieren kann; Anm.
d.Ü.
9) illegalisierte Immigranten,
die um eine »Legalisierung« ihres Aufenthaltsstatus’ kämpfen; Anm. d.Ü.
10) Das Verteilen von
Flugblättern spielte während der ersten Phase der Tätigkeiten des Solidaritätskollektivs
eine geringere Rolle und gewann erst später, auf den Champs-Elysées und mit
dem Streik bei Arcade, eine größere Bedeutung.
11) Diese Behörde überprüft
die Einhaltung der geltenden Arbeitsgesetze und entspricht in der BRD grob
den Dezernaten für Arbeitsschutz; Anm. d.Ü.
12) Das kann sie nur
bei Kündigungen, die besonders gesetzlich geschützte Beschäftigtengruppen
treffen, wie in diesem Fall erklärte Kandidaten zu einer Betriebsratswahl;
Anm. d.Ü.
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