letzte Änderung am 7. Januar 2004

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McDo wird nicht froh

Das »Solidaritätskollektiv« und die Organisierung von Prekären in Paris

»Organisierung in gewerkschaftsfreien Betrieben und Sektoren« – damit ist ein Defizit gewerkschaftlicher Arbeit und zugleich eine zentrale Herausforderung nicht nur für die Gewerkschaften verbunden. Bedingt durch Rationalisierungsprozesse, Outsourcing, die Reorganisation der Produktionsketten, das Neuentstehen von Branchen, neue Management- und »Führungskonzepte« in Bezug auf die Mitarbeitereinbindung oder ganz schlicht oft: verstärkte Repression der Arbeitgeber nehmen die »weißen Flecken« zu. Hinzu kommt die enorm gestiegene Mobilität der »Ware Arbeitskraft«, die sich – ob mit oder ohne Papiere – grenzüberschreitend anbietet und nachgefragt wird. Ihre prekäre Lage stellt ebenfalls einen besonderen Ausbeutungsvorteil dar: Viele dieser Beschäftigten verfügen nicht mehr oder haben noch nie über eine eigenständige Interessenvertretung verfügt. Die mangelnde Verankerung von kollektiven Interessenvertretungsstrukturen ist ein Ausdruck der Informalisierung, Prekarisierung und Individualisierung der Arbeitsverhältnisse selbst. Besonders deutlich ist dies in Bereichen wie dem Reinigungs- oder dem Baugewerbe, aber auch in den filialisierten Betriebsstrukturen des Einzelhandels oder der Gastronomie. Lag das Augenmerk der Gewerkschaften lange Zeit gar nicht auf den Entwicklungen in diesen Branchen und den entsprechenden Unternehmen, ist es heute oft so, dass den Gewerkschaften die Kapazitäten für eine flächendeckende Organisierungsarbeit und/oder die Zugangsmöglichkeiten zu den Beschäftigten fehlen. Vor diesem Hintergrund interessieren Erfahrungen zur Herausbildung eigenständiger Organisierungsbemühungen, wie sie – trotz der schwierigen Situation – exemplarisch in einer Reihe von Arbeitskämpfen seit 2001 in Frankreich gemacht wurden. Während die Auseinandersetzung bei McDonalds, die zur Zeit gerade wieder neu entbrannt ist, auch internationale Bedeutung erreichte (z.B. in Form eines internationalen McDonalds-Aktionstages im vergangenen Jahr), wurden die Kämpfe bei der Reinigungsfirma Arcade, bei Euro Disney oder der FNAC hierzulande weniger beachtet.

Zu diesen Auseinandersetzungen hatte die Zeitschrift »Les Temps Maudits« einen langen Beitrag veröffentlicht, den wir übersetzt und als Ränkeschmiede 14: »Das Solidaritätskollektiv: eine Erfahrung der etwas anderen Art«, veröffentlicht haben. Wir wollen damit einen Beitrag zur Klärung von Fragen leisten, die uns auch im Rahmen der 5. internationalen TIE/express-Konferenz interessiert haben, zu der wir Aktive aus den im Folgenden geschilderten Arbeitskämpfen eingeladen hatten: Welche Erfahrungen von Organisierung und Kämpfen gibt es in Sektoren, in denen prekäre Arbeitsverhältnisse vorherrschen und gewerkschaftliche Organisierung fast völlig fehlt? Woran haben sie sich entzündet? Welche Rolle spielt Migration in diesem Kontext? Wer waren die AkteurInnen und UnterstützerInnen in diesen Auseinandersetzungen? Welche Organisationsformen haben sich gebildet? Was ist geblieben?

 

Am 24. Oktober 2001 geschah es in der McDonalds-Filiale, die an der Kreuzung zwischen Boulevard de Strasbourg und Boulevard Saint-Denis in der Pariser Stadtmitte liegt. Der Pächter des Restaurants kündigt die Entlassung von fünf Beschäftigten an – alle »Manager« (also Teamleiter, die etwa wie »große Brüder« angesehen werden) – und gleichzeitig auch, dass er Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Diebstahls erstatten werde. Angeblich fehlen 150000 Euro (in der damaligen Währung: rund eine Million französischer Francs; Anm. d.Ü.) in der Kasse. Rein zufällig handelt es sich bei den Entlassenen um Mitarbeiter, die dabei waren, eine Gewerkschaftssektion zu gründen und vorhatten, bei den künftigen Betriebsratswahlen zu kandidieren.

Am selben Tag antworten die Beschäftigten des Schnellrestaurants, indem sie in den Streik treten. Jede Aktivität in dem Restaurant ruht deswegen.

Frankreichweit befindet sich das Unternehmen McDonalds in starkem Wachstum begriffen: Ende des Jahres 2001 sind über 900 Restaurants der Fastfood-Kette im Betrieb; im Jahr 2000 beschäftigt das Unternehmen bereits 35000 MitarbeiterInnen bei einem Umsatz von 17,5 Millionen Euro. Vorherrschendes Geschäftsprinzip ist die Verpachtung, die es McDonalds erlaubt, mittels eines Quasi-Exklusivvertrags die Verwendung des Namens, die Preise, die Zulieferer, die Qualität zu bestimmen und einen Anteil an den Gewinnen einzustreichen, der zwischen 12 und 25 Prozent liegt, während die Investitionen dem Pächter überlassen bleiben. Auf diesem Wege wird McDonalds alle Betriebskosten los und hält sich vor allem das Risiko von Arbeitskonflikten mit den Beschäftigten vom (eigenen) Hals.

Das System ist so entworfen, dass Arbeitskämpfe es schwer haben sich zu entfalten. Es werden praktisch nur junge Leute für Teilzeitjobs (87 Stunden pro Monat für 485 Euro netto), seltener auch für Vollzeitjobs (790 Euro) eingestellt. Der Restaurantbetrieb läuft sieben Tage in der Woche. Ein so genannter »swing manager« (faktisch ein Teamleiter) erhält zwischen 850 und 990 Euro auf einer Vollzeitstelle, bis er »Manager« werden und dann 1200 bis 1300 Euro im Monat verdienen kann. Natürlich gibt es kein 13. Monatsgehalt. Die turn-over-Rate [1] ist hoch, denn die Arbeitsrhythmen und die de facto variablen Arbeitszeiten erlauben es jenen, die nebenher studieren, nicht länger als ein paar Monate, Arbeit und Studium miteinander zu vereinbaren. Die Mehrheit unter ihnen gibt schließlich ihren Job auf, um im Studium weiterzukommen; aber angesichts der hohen Arbeitslosigkeit werden auch jene immer zahlreicher, die es umgekehrt machen und sich dafür entscheiden, in der Unternehmenshierarchie von McDonalds aufzusteigen, um ein Gehalt zu erreichen, von dem sie leben können.

Die Einstellungspraxis stimmt im Allgemeinen mit der »ethnischen« Zusammensetzung des Wohnviertels überein, und die Teams verfügen über einen starken inneren Zusammenhalt: Man geht zusammen aus, die Beziehungen untereinander sind durch Freundschaft und Paternalismus zugleich gekennzeichnet. Unruhestifter werden im Allgemeinen hinausgeekelt, noch bevor sie Probleme hervorrufen können. Der Zusammenhalt ist ein wichtiges Element, das zu der erwarteten hohen Produktivität der Beschäftigten beiträgt. Kurzum, es handelt sich um eine Arbeitsorganisation, in welcher gewerkschaftliche Betätigung als störend empfunden wird und wo die Zahl der Arbeitskämpfe sich an den Fingern einer Hand abzählen lässt. [2]

 Aber im vorliegenden Fall sollte die Empfindung erlittenen Unrechts dazu führen, dass genau das, was sonst gerade die Stärkeposition des Arbeitgebers ausmachte, sich gegen ihn kehrte und zum auslösenden Faktor für den Arbeitskampf wurde. Die Beschäftigten sind untereinander befreundet, sie kennen sich gut und wissen, dass die Vorwürfe an ihre Kollegen nur einen Vorwand darstellen. Alle oder jedenfalls fast alle Beschäftigten nehmen vom ersten Moment an an einem Kampf teil, der insgesamt 115 Tage dauern wird.

Man wird nicht verstehen können, wie der Arbeitskampf die Isolierung – in welcher die Kämpfe in diesem nur schwach gewerkschaftlich organisierten Sektor normalerweise stecken bleiben – überwinden konnte, wenn man nicht die Präsenz von relativ jungen, aber bereits kampferfahrenen Aktiven genau in diesem Moment bedenkt. Das Solidaritätskollektiv bildet sich zu einem Zeitpunkt, an dem bereits ein kleines »Netzwerk« von Aktiven besteht: Da wären das CGT-Gewerkschaftskollektiv der Fastfoodbranche (collectif CGT de la restauration rapide), das aus den Arbeitskämpfen des voran gehenden Jahres [3] heraus entstanden ist, das Netzwerk Stop Précarité und vor allem eine gewisse Zahl informeller Kontakte, die eher durch Freundschaften und Bekanntschaften vermittelt sind als durch gemeinsame Betätigung in politischen bzw. gewerkschaftlichen Gruppen oder Initiativen.

Wenn es darum geht, Energie in einen »undankbaren« Sektor wie den der Fastfoodbranche zu stecken, neigen die etablierten Gewerkschaften bekanntlich kaum zu großem Eifer. Denn dieser Sektor zeichnet sich dadurch aus, dass die Unternehmen häufig kurzen Prozess machen, dass sie jegliche Form kollektiver Organisierung ihrer Beschäftigten verachten, dass Prekarität, ein durch die Unternehmen erwünschter und begünstigter häufiger Wechsel der Beschäftigten sowie Niedriglöhne die Regel darstellen, wodurch die Aussicht auf dauerhafter gewerkschaftliche Organisierung mit mehr oder minder nennenswertem Beitragsaufkommen ziemlich in Frage gestellt wird. Und selbst wenn die Beschäftigten von selbst in den Ausstand treten und bei den Gewerkschaften anklopfen, um Unterstützung und Rechtsschutz zu erhalten, müssen sie oftmals mit jener höflichen, aber distanzierten Haltung der Funktionäre vorlieb nehmen, die implizit besagt: Aber was haben wir denn dort verloren? Diese Haltung erklärt, dass in diesem Sektor vorwiegend gewerkschaftliche Obleute [4] anzutreffen sind, die dem Arbeitgeber wohlgesonnen sind und unter zweifelhaften Bedingungen – wenn überhaupt – gewählt wurden. [5]

Im McDonalds-Restaurant an der Metro-Station von Strasbourg-Saint-Denis waren die Arbeitsbedingungen bis dahin mehr oder weniger dieselben wie im übrigen Fastfood-Sektor. Es herrschten die üblichen Formen von Überausbeutung: Teilzeitarbeit, die nach dem gesetzlichen Mindestlohn SMIC bezahlt wird; variable Arbeitszeiten, die eine möglichst intensive Tätigkeit der Anwesenden die ganze Zeit über gewährleisten; oft bestehen Unfallrisiken am Arbeitsplatz. Doch die Fähigkeit zum Aufbegehren wurde durch den Teamgeist und beinahe familienähnliche Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten gedämpft. Auf diesem Wege wird das individuelle »Arrangement« begünstigt und zugleich die psychische Distanz, die der Beschäftigte benötigt, um seine Interessen zu verteidigen, erschwert.

Dennoch trat das Wunder ein – »dank« der Arroganz eines neuen Pächters. Indem er ein angebliches Loch in der Kasse zum Vorwand nahm, um fünf störend gewordene »Manager« zu entlassen, reizte er die Beschäftigten zum Aufbegehren und löste einen Streik des gesamten Personals für ihre bedingungslose Wiedereinstellung aus. So kann die Empfindung von Ungerechtigkeit selbst den erprobtesten Unternehmensstrategien einen Strich durch die Rechnung machen.

Daraufhin beginnt ein Prozess gewerkschaftlicher Organisierung. Die Streikteilnehmer wenden sich, auf der Suche nach Schutz und Unterstützung, an verschiedene Gewerkschaften und finden schließlich bei der Handels-Branchengewerkschaft der CGT (fédération CGT du commerce) ein offenes Ohr. Eine Betriebssektion der CGT wird gegründet, und einigen entschiedenen und von der symbolischen Bedeutung dieses Streiks überzeugten CGT-Mitgliedern – die ihrerseits recht wenig Unterstützung aus dem Gewerkschaftsapparat erhalten – ist es zu verdanken, dass der Arbeitskampf einen Unterstützerkreis findet. Drei oder vier Wochen nach Beginn des Streiks schält sich ein Solidaritätskollektiv heraus. In seinem harten Kern treffen Aktive unterschiedlicher politisch-gewerkschaftlicher Tendenzen zusammen, darunter eine starke libertäre Strömung, aber auch Mitglieder der CGT-Handelsgewerkschaft aus anderen Unternehmen, die an den laufenden Arbeitskämpfen teilnehmen.

Die Diskussionen im Solidaritätskollektiv und die von ihm ausgehenden Initiativen tragen dazu bei, dem Kampf Dauerhaftigkeit zu verleihen, ihn zu verbreitern und bekannt zu machen. Unter diesen Initiativen kommt der Serie von Besetzungs- und Blockadeaktionen bei verschiedenen Pariser McDonalds-Nieder-lassungen, die Samstag für Samstag organisiert werden, eine besonders hohe Bedeutung zu. Diese wöchentlichen Aktionen haben es erlaubt, Aufmerksamkeit für die besonderen Konflikte zu erwecken, die in anderen Restaurants der Fastfood-Kette – jeweils für sich genommen – bestehen, und zugleich die Unterstützung der dort Beschäftigten für ein gemeinsames Ziel zu gewinnen: die Rücknahme der Kündigungen in der Filiale von Strasbourg-Saint-Denis. Für die McDonalds-Beschäftigten anderer Pariser Filialen, die ihrerseits in den Streik traten, wenn auch für kürzere Zeit, waren diese Aktionen eine Gelegenheit, damit zu beginnen, miteinander zu sprechen, sich kennen zu lernen und zusammen zu kämpfen. Selbst eine Ausweitung über die Unternehmensgrenzen von McDonalds hinaus zeichnete sich ab, als ein einwöchiger Streik im Quick-Restaurant [6] am Boulevard Barbès ausbrach, den das Solidaritätskollektiv selbstverständlich unterstützt hat.

Diese Besetzungen haben es auch erlaubt, den Arbeitskampf gegenüber den McDonalds-Kunden, der Be-völkerung und den Medien bekannt zu machen, wobei diese viel Sympathie und Verständnis gezeigt haben. Flugblätter in verschiedenen Sprachen haben dazu beigetragen, den Einwanderern sowie den Touristen die Hintergründe des Streiks zu erklären. Natürlich kam es auch zu Reibereien und Auseinandersetzungen mit aggressiven Kunden, doch neigten die Leute eher dazu, die Streikenden moralisch zu unterstützen.

Die Idee, dass man angemessene Aktionen durchführen müsse, war dabei einer der zentralen Punkte, und mehr als nur ein Mal erlaubten uns Fantasie und spielerische Handlungsformen, geschickt aus Situationen herauszukommen, die belastend für uns hätten werden können.

Die aktive Unterstützung durch bestimmte Strukturen der CGT, aber auch das, was bei den Spendensammlungen erzielt wurde, ermöglichten es, den Streikenden eine finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Sie betrug im Dezember 2001 pro Beschäftigten 150 bis 200 Euro (wobei der Betrag für jene, die eine Familie zu ernähren hatten, erhöht wurde) und im Januar 2002 beinahe das Doppelte.

Das Herannahen der Wahlen bot natürlich gute Gelegenheiten, den Kampf bekannt zu machen: Während die trotzkistischen Parteien damit zufrieden waren, Unterstützung zu leisten, verlor die Französische Kommunistische Partei [7] keine Gelegenheit, sich demonstrativ zu zeigen. Robert Hue, Präsidentschaftskandidat der KP, José Bové, Sprecher der linken Bauerngewerkschaft Condédération paysanne, Noël Mamère, Präsidentschaftskandidat der französischen Grünen vom »Realo«-Flügel, ließen sich – jeder mit seinem Gefolge von Fotographen und Fernsehkameras – vor dem bestreikten Restaurant blicken, und später auch vor anderen bestreikten Fastfood-Läden.

In dem Solidaritätskollektiv fanden sich Leute gemeinsam an einem Tisch wieder, die normalerweise wenig miteinander zu tun haben wollen und sogar eine gründliche gegenseitige Abneigung pflegen: an erster Stelle die CGT, aber auch SUD und bestimmte Mitglieder der CNT, Mitglieder trotzkistischer Parteien, Libertäre aller Couleur, Mitglieder unabhängiger Kollektive und freie Individuen. Das Spektrum reichte von Chevènementisten [8] bis zur Koordination der Sans-papiers [9].

In der Provinz gab es vielfache Solidaritätsaktionen, aber wir haben auch von Aktionen in anderen Ländern (Deutschland, England, Griechenland) erfahren. Mehrere linke oder alternative Zeitungen in verschiedenen europäischen Ländern veröffentlichten Informationen und Analysen über den Kampf, und selbst die etablierten Medien (bis hin zu CNN, zu dem Zeitpunkt, als der Streik sich bis zur Champs-Elysées, also auf den größten McDonalds-Laden in Europa, ausgeweitet hatte) zeigten sich neugierig.

Die Frage des Umgangs mit Information ist natürlich von entscheidender Bedeutung gewesen. Zunächst jene der Informationsverbreitung unter uns, die es dem Kollektiv erlaubte, sich in dauerhafter Form zu organisieren: Dafür stellte es sich als unerlässlich heraus, sicherzustellen, dass Versammlungsprotokolle, Termine und aufgeworfene Fragen weitergeleitet wurden. Anders hätten wir wahrscheinlich kein derartiges Kollektiv bilden können. Es wurde nicht formell jemand zum Mitschreiben bestimmt, sondern diese Rolle wurde am Anfang im Wesentlichen von einem Kollegen übernommen, der sie an andere weitergab, bevor es dann zum ständigen Abwechseln kam. Dieses Weitergeben der Protokolle hat es allen Beteiligten ermöglicht, im Kontakt zu bleiben, nicht von den laufenden Diskussionen und den gemeinsamen Aktivitäten abgeschnitten zu werden: Es gab also keine formalisierten demokratischen Strukturen, aber es wurde sehr wohl auf die praktisch aufgeworfenen Funktionsprobleme geachtet. Dass es keinen Streit über die Inhalte der auf diesem Wege verbreiteten Information gab, lag nicht daran, dass er unter dem Deckel gehalten worden wäre: Die Informationen spiegelten die Tätigkeit des Kollektivs wieder, innerhalb dessen Meinungsunterschiede zwar keineswegs ausgeschlossen waren, aber in dem die Diskussionen sich um die Fortführung und Weiterentwicklung des konkreten Kampfes drehten und nicht so sehr um die globale politische Weltsicht seiner Mitglieder.

Dann stellte sich die Frage der Informationsverbreitung aus dem Inneren des Kollektivs an sympathisierende Menschen um uns herum: Versammlungsprotokolle und Flugblätter wurden weit über den Kreis der KollegInnen, die aktiv am Solidaritätskollektiv teilnahmen, hinaus verbreitet und schufen so in einem größeren Umfeld aus politisch engagierten Menschen günstige Voraussetzungen, um breiter angelegte Initiativen zu ergreifen. Diese Art von Initiativen erklärt zu einem großen Teil den Erfolg der Demonstrationen und Unterstützungs-Partys.

Schließlich stellte sich auch die Frage der Informationsvermittlung nach außen, an ein breiteres Publikum. Sie bildete eine der Hauptaufgaben, die sich das Kollektiv gestellt hatte, und derentwegen riesige Mengen an Flugblättern verteilt wurden.[10] Da waren die Flugblätter der Streikenden selbst oder der Gewerkschaftssektionen, die sie unmittelbar unterstützten. Dann auch jene des Kollektivs, die nicht allein auf Agitation abzielten, sondern vor allem die Leute, mit denen sich ein Kontakt herstellen ließ, informieren sollten, aber am Ende auch einen Aufruf zur Solidarität, einen Appell an die Eigeninitiative der LeserInnen enthielten. Im Allgemeinen wurden sie gut aufgenommen und zeitigten oftmals konkrete Auswirkungen bei den Spendensammlungen.

Ferner stellte sich auch die Frage der Beziehungen mit den Medien. Zwar neigten manche jüngeren Kollegen anfänglich dazu, »schnell nach Hause zu kommen, um sich selbst im Fernsehen zu entdecken«, aber die Mischung aus jüngeren und erfahreneren Leuten führte dazu, eine Art kollektiver politischer Intelligenz herauszubilden, die man – ein wenig schematisch – wie folgt zusammenfassen könnte: Wir wissen, dass die Medien sich wie die Banken verhalten, d.h. nur diejenigen als kredit- oder glaubwürdig betrachten, die ohnehin keine Not leiden; wir müssen uns also als fähig erweisen, selbst einen Grundsockel an Informationsverbreitung abzudecken, auf dessen Basis dann Beziehungen mit der Presse oder dem Fernsehen hinzu kommen können. Besonders spektakuläre Aktionen können in manchen Fällen nützlich sein, aber zu sehr darauf zu setzen, heißt, sich selbst von der Medienberichterstattung abhängig zu machen. Jedes Mal, wenn das möglich war, haben wir den Kontakt mit einem Journalisten oder einer Journalistin »ausgesucht«, die sich für das, was wir taten, als sensibel bzw. empfänglich erwiesen hatte. Wir legten eine recht unideologische und eher pragmatische Haltung an den Tag und achteten darauf, uns nicht instrumentalisieren zu lassen. Eine Gesamtschau auf die Ergebnisse dürfte zu dem Schluss führen, dass wir mit dieser Abwägung nicht erfolglos gewesen sind.

Welche Haltung nahm der Pächter ein bzw. die Unternehmensleitung von McDonalds Frankreich, die ihren offiziellen Angaben zufolge den Konflikt von außen beobachtete, in Wirklichkeit jedoch die Positionen vorgab?

Zu Anfang wurden Drohungen gegenüber bestimmten Mitarbeitern ausgesprochen. Später kam es, parallel zu den laufenden Verhandlungen mit gewerkschaftlichen Vertretern, zu einigen Versuchen individueller Bestechung. Auch die Art und Weise, in der die Verhandlungen selbst geführt wurden, zeigte deutlich, dass es bei McDonalds keine Erfahrung oder Praxis im Umgang mit Arbeitskonflikten gibt. So schlug die Gegenseite beispielsweise vor, die Entlassenen wieder neu einzustellen, aber ohne die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Damit erkannte sie implizit an, dass ihre Vorwürfe keinen Bestand hatten, nahm aber zugleich lange Zeit über eine Verweigerungshaltung gegenüber der Hauptforderung der Streikenden ein, nämlich der nach Wiedereinstellung der Entlassenen unter voller Wahrung ihrer bisher im Betrieb erworbenen Rechte.

In der Zwischenzeit hatte die inspection du travail (wörtlich »Arbeitsinspektion«) [11] die erste Kündigung für nichtig erklärt. [12] Eine Woche später erklärte das zuständige Arbeitsgericht seinerseits die Kündigung von zwei weiteren Mitarbeitern des McDonalds-Restaurants für rechtswidrig, und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung von 153 Euro Strafe für jeden Tag, um den sich der Vollzug des Urteils verzögern würde. Das Vorgehen auf gerichtlicher Ebene speiste während der gesamten Konfliktdauer die Diskussionen im Solidaritätskollektiv und unter den Streikenden, es lieferte uns Teilerfolge und verschaffte uns Instrumente, die es erlaubten, konkret auf jede Initiative der Gegenseite eine Antwort zu finden.

Im Übrigen hat es nicht an Initiativen gemangelt, die unabhängig von uns ergriffen wurden, an Aktionen von der Basis aus, aber auch an politischem Druck seitens unterschiedlicher linker Gruppen auf die Regierung, auf das Arbeitsministerium, auf die inspection du travail, der darauf zielte, dass diese Instanzen sich als »Vermittler« einschalteten. Dies erhöhte den Druck auf den »Mutterkonzern« McDonalds. Dort hatte man darauf gesetzt, den Konflikt auszusitzen, indem man – fälschlicherweise – annahm, die Streikenden würden sich schon erschöpfen und die Unterstützung werde abbröckeln. (...)

Am 15. Februar 2002, nach 115 Tagen Streik, akzeptierte der Pächter des McDonalds-Restaurants, den größten Teil der Forderungen der Ausständigen zu erfüllen:

Zu den Forderungen, die nicht erfüllt wurden, gehörte die Entfernung des damaligen Pächters. Diese sollte allerdings einige Wochen, nachdem die Streikenden ihre Arbeit wieder aufgenommen hatten, erfolgen. Die spätere Nichteinhaltung der abgegebenen Versprechen durch die neue Restaurant-Leitung sollte im März 2003 dazu führen, dass die Beschäftigten des McDonalds-Ladens von Strasbourg-Saint Denis erneut in den Ausstand treten würden. Derzeit, also Anfang Oktober 2003, hält dieser unvermindert an. Das Restaurant ist Tag und Nacht besetzt, und die Besetzung ist aufgrund von Plakaten, Aufklebern und Infoständen weithin sichtbar (Anm. d.Ü.).

Übersetzung: Bernhard Schmid

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11-12/03

Anmerkungen

1) Auswechseln von Arbeitskräften durch Abgänge und Neueinstellungen; Anm. d.Ü.

2) Damien Cartron hat eine Reihe interessanter Texte über die Arbeitsorganisation bei dieser Kette veröffentlicht. Man findet seine Texte auf der Webpage: http://dcartron.free.fr/. Vgl. außerdem seinen Artikel Travailler au fast-food: les conditions de travail au McDonalds (Arbeit im Fastfood: Die Arbeitsbedingungen bei McDonalds) in derselben Nummer der Temps mauvais, in der auch der vorliegende Text erschienen ist.

3) Im Dezember 2000 wurde drei Wochen bei Pizza Hut gestreikt; Anm. d.Ü.

4) Délégués syndicaux – jede als »repräsentativ« anerkannte Gewerkschaft kann, ab einer bestimmten Betriebsgröße, eine/n oder mehrere solcher Obleute ernennen, die u.a. besonderen Kündigungsschutz genießen; Anm. d.Ü.

5) Grundsätzlich werden die délégués syndicaux, im Gegensatz zu den Betriebsratsmitgliedern sowie den betrieblichen Vertrauensleuten – délégués du personnel – nicht durch die Belegschaft gewählt, sondern durch ihre Gewerkschaft ernannt. Dabei kann es aber mehr oder weniger innergewerkschaftliche Demokratie, mehr oder weniger Einfluss des Arbeitgebers auf ihre Entscheidungen geben; Anm. d.Ü.

6) eine französisch-belgische Fastfoodkette; Anm. d.Ü.

7) Diese war zu jenem Zeitpunkt noch an der Regierung beteiligt und sollte im April 2002 (dem Zeitpunkt des ersten Wahlgangs) eine schwere Wahlniederlage erleben; Anm. d.Ü.

8) Anhänger des linksnationalistischen Präsidentschaftskandidaten und Innenministers der Jahre 1997 bis 2000, Jean-Pierre Chevènement, den man als autoritätsorientierten Sozialdemokraten, republikanischen Nationalisten, Antiamerikaner und EU-Skeptiker charakterisieren kann; Anm. d.Ü.

9) illegalisierte Immigranten, die um eine »Legalisierung« ihres Aufenthaltsstatus’ kämpfen; Anm. d.Ü.

10) Das Verteilen von Flugblättern spielte während der ersten Phase der Tätigkeiten des Solidaritätskollektivs eine geringere Rolle und gewann erst später, auf den Champs-Elysées und mit dem Streik bei Arcade, eine größere Bedeutung.

11) Diese Behörde überprüft die Einhaltung der geltenden Arbeitsgesetze und entspricht in der BRD grob den Dezernaten für Arbeitsschutz; Anm. d.Ü.

12) Das kann sie nur bei Kündigungen, die besonders gesetzlich geschützte Beschäftigtengruppen treffen, wie in diesem Fall erklärte Kandidaten zu einer Betriebsratswahl; Anm. d.Ü.

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