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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Abgeschmackt Nadja Rakowitz über die Kunst, rauszufinden, was das Fortschrittlichste ist So viel Vergnügen es bereitete, das Buch der Flying Pickets über den Streik bei Gate Gourmet zu lesen und auch zu rezensieren, so übel war es, sich mit dem »Sozialismus«-Supplement vom April diesen Jahres auseinander zusetzen, in dem sich der NGG-Sekretär Horst Gobrecht ausschließlich mit dem gleichen Buch beschäftigt. [1] Um das Resümee gleich vorwegzunehmen: Es handelt sich bei diesem Supplement um den verächtlichsten Kommentar zu einem Arbeitskampf und dessen Aufar-beitung, den man seit langem in der gewerkschaftsnahen Presse lesen konnte, und das beeinflusste nun leider auch die Rezension dahingehend, dass sie mehr an Verteidigungsargumenten anführt, als überhaupt nötig gewesen wäre. express-LeserInnen wissen, um was es bei der Auseinandersetzung bei Gate Gourmet in Düsseldorf letztes Jahr ging. Knapp 80 Beschäftigte hatten von Anfang Oktober 2005 bis Anfang April 2006 gestreikt. Ihr Gegenüber war kein Geringerer als die Texas Pacific Group (TPG), die mancher Populist gerne ins Reich der Insekten einsortieren würde. Die TPG bzw. Gate Gourmet wollte die Arbeitszeit auf 40 Stunden pro Woche verlängern, den Jahresurlaub um 5 auf 25 Tage verkürzen und Zulagen streichen. Mit ihrem Streik wollten die – hier in Düsseldorf bei der Gewerkschaft NGG organisierten – ArbeiterInnen das verhindern und 4,5 Prozent mehr Lohn durchsetzen. Dies war aber nur der formale Anlass. »Tatsächlich geht es den KollegInnen um ihre gesamte Situation. Auf dem Transparent am Streikzelt steht nur ein Wort: ›Menschenwürde‹.« (S. 7) Das zunächst Auffälligste an diesem Streik war seine Länge von sechs Monaten – diese »weist aber gleichzeitig auf die Schwäche der ArbeiterInnen hin« (S. 8), da soll man sich nichts vormachen. Durch die Länge des Streiks gab es im Fall Gate Gourmet viele Gelegenheiten, den Streik, seine Probleme, die individuellen und kollektiven Erfahrungen zu diskutieren und zu reflektieren. Dass diese Reflexionen und Diskussionen nun in einem wunderbaren Buch festgehalten sind, ist die Idee der »Flying Pickets« gewesen, der StreikunterstützerInnen aus der linken Szene. Flying Pickets ist, wie Alix Arnold und Christian Frings im Vorwort schreiben, »kein festes Kollektiv. Es steht für diese diffus kollektive Zusammenarbeit, die im Streik entstanden ist – und für die Aktionsform der umherschweifenden (und nicht »streunenden« wie es denunziatorisch bei Gobrecht heißt; vgl. Gobrecht, S. 20) Streikposten, die sie möglich gemacht hat.« (S. 10) Damit ist eine weitere Besonderheit dieses Streiks angesprochen: die Zusammenarbeit der Streikenden mit den Unterstützern von außen, die der Anlass für die harsche Kritik – treffender: den Schaum vorm Mund – von traditionalistischen Gewerkschaftssekretären wie H. Gobrecht zu sein scheint. Doch dazu unten mehr. Ein Lesebuch, aber auch ein Bilderbuch Nachdem die Idee, die gemachten Erfahrungen in einem Buch festzuhalten, bei den StreikaktivistInnen zunächst auf Verwunderung gestoßen war (S. 9), haben sie dann anscheinend umso engagierter mitgemacht. Und das Resultat lässt sich sehen: Das Buch ist als Lesebuch konzipiert und besteht aus unterschiedlichen und von einander unabhängig lesbaren Teilen, die zusätzlich durch sehr viele Fotos aus dem Streik aufgelockert sind. Am Anfang steht ein Kapitel über die wilden Streiks bei Gate Gourmet am Flughafen London-Heathrow (S. 11–26), mit denen der Konflikt begonnen hatte und die durch die Weltpresse gingen, weil sich – mitten in der Sommersaison – hunderte von British Airways-MitarbeiterInnen mit den KollegInnen von Gate Gourmet solidarisierten und ebenfalls streikten. Der zweite Text im Buch besteht aus einem »Streiktagebuch« (S. 27–90), das einer der Düsseldorfer Kollegen geschrieben hat und in dem alle Höhen und Tiefen, Widersprüche und Probleme aus Sicht eines Beschäftigten geschildert werden. Der Kollege schildert hier z.B. die Probleme eines Gewerkschaftssekretärs, der »ziemlich links ausgerichtet, fast schon alternativ, aber gleichzeitig in die konservativen Gewerkschaftsstruktur integriert« (S. 42) ist, was ihm »noch einige Schwierigkeiten bereiten wird« (Ebd.). Aber die Schwierigkeit des Streiks ist eine andere: Der Streik droht ziemlich schnell »ins Leere zu laufen« (S. 41), weil Gate Gourmet – im Gegensatz zu den Streikenden, aber auch zur NGG – auf die Situation gut vorbereitet wirkte. Mit dem Einsatz von Leiharbeitern gelingt es zum einen ziemlich schnell, den Betrieb wieder aufzunehmen; zum anderen »bekommt die LTU eine großartige Gelegenheit, weitere zukünftige Kosteneinsparungen bei den Flugkosten zu testen« (S. 41), in dem sie eine verminderte Qualität des Catering mit dem Streik beim Caterer begründen kann. Aber auch politische Erfahrungen können in einem solchen Streik gemacht werden. Bei der Diskussion der Blockadeversuche reflektiert der Tagebuchschreiber darauf, dass die Streikenden »keine geübten Kämpfer« sind, die »auch sonst Respekt vor der Staatsmacht haben« (S. 37), was sich durch die Erfahrungen des Streiks ändert: »Wir erleben hier einen kleinen Vorgeschmack auf spätere Ereignisse. Auch die Erkenntnis, dass es bei unserem Staat mit der Demokratie schlagartig zu Ende ist, sobald sich Kapital und die ihm hörige Politik zu sehr gereizt fühlen« (S. 38), womit auf den Einsatz von Staatsschutz etc. im Laufe der Auseinandersetzung angespielt wird. Das Tagebuch endet mit der Frage, ob der »Streik überhaupt etwas bewirkt oder verändert« hat. »Kaum zum Guten, er hat sogar negative Entwicklungen beschleunigt, die sonst nicht in diesem Tempo möglich geworden wären. Doch war der Kampf wichtig, er war tatsächlich unvermeidbar, er hat Grenzen aufgezeigt und Möglichkeiten bewiesen, die auch heute noch, trotz aller Repressionen und Angst, vorhanden und machbar sind. Alleine schon die Wirkung auf das kollektive Selbstwertgefühl, einem unmenschlichen Arbeitssystem wenigstens für einige Monate die Stirn bieten zu können, hat immensen Wert.« (S. 90) Die Produktion des Streiks Der dritte Text »Die Produktion des Streiks. ArbeiterInnen im Gespräch« (S. 91–202) ist das Zentrum des Buchs; in ihm reflektieren 13 ArbeiterInnen ihren Streik, seine Vorgeschichte und seine Auswirkungen. Er besteht aus Zitaten der ArbeiterInnen, die eingebettet sind in einen Text der Flying Pickets. Um größtmögliche Redlichkeit im Erkennen der Zitate der Beschäftigten und der Interpretationen durch die Herausgeber zu gewährleisten, sind diese farblich voneinander abgehoben, so dass der Leser jede Interpretation eines Zitats, jeden Kommentar und jede Analyse in Beziehung zu den Zitaten setzen und so selbst beurteilen kann, ob die Einschätzungen stimmig sind. Selbst wenn man die Sicht der Flying Pickets auf den Streik also nicht teilt, kann man dieses Buch mit viel Gewinn lesen. Die Zitate aus diesem Teil des Buchs stammen aus insgesamt 30 Stunden Interviews mit ArbeiterInnen, die die Herausgeber und gleichzeitig Unterstützer des Streiks größtenteils nach Streikende geführt haben, und aus Mitschnitten bei Veranstaltungen mit Streikenden. Einige Aussagen aus der Streikzeit wurden aus der Erinnerung und eigenen Notizen wiedergegeben. Das Ineinander von Mangel und Vorzug dieses Interviewteils diskutieren die Herausgeber zu Anfang selbst: »Im Nachhinein hat es sich als Fehler herausgestellt, erst so spät mit ausführlicheren Interviews zu beginnen. Andererseits war dieses praktische, manchmal schon fast aktionistische Herangehen eine wichtige Vorbedingung für die späteren Interviews und ihren Charakter. Das Grundproblem üblicher soziologischer und journalistischer Interviews besteht darin, dass sie das entfremdete Verhältnis von Interviewer und Interviewtem, vom ›Forscher‹ als Subjekt und den Befragten als Untersuchungsgegenständen, nicht aufbrechen können.« (S. 95) Durch die praktischen Beziehungen im Streik meinen die Herausgeber – ob zurecht, kann jeder Leser selbst entscheiden –, aus diesem soziologischen Problem herausgekommen zu sein: »Als wir mit den Interviews begannen, war den Befragten klar, dass wir kein akademisches Interesse verfolgten, sondern mit ihnen zusammen die schwierigen Fragen diskutieren wollten, die sich aus ihrem Streik ergaben. (S. 95) Sie machen aber zugleich auch die Schwächen dieser Herangehensweise deutlich, die zum einen darin bestanden, dass »die Frage, wie sich kollektives Handeln entwickelt und mit welchen Problemen es verbunden ist«, in den Interviews nicht so eingefangen werden konnte, »wie sie in Gesprächen oder Streitereien unter den ArbeiterInnen während des Streiks aufgeworfen wurde«. (S. 95f.) Das andere Problem sehen die Herausgeber darin, dass die Interviews natürlich Lücken aufweisen. Z.B. sind sie vorrangig mit den »Aktivisten, zu denen sich während des Streiks ein Vertrauensverhältnis entwickelt hatte«, gemacht worden. »Ebenso wichtig wäre es gewesen, mit denen zu reden, die sich nicht hervortaten, aber – vielleicht sogar mit Bauchschmerzen – den Streik über die ganze Zeit mitgetragen haben. Auch die Frauen, die etwa ein Drittel der Belegschaft ausmachen, kommen in den Interviews verhältnismäßig zu kurz ... das Problem, dass über Interviews diejenigen stärker in Erscheinung treten, die sich besser und selbstbewusster artikulieren können, haben wir nicht wirklich lösen können«. (S. 96) Aber davon abgesehen ist hier dennoch ein sehr lesenswertes Dokument entstanden, das zur Diskussion über die aktuelle Situation der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften aufruft. Um nur ein Beispiel von vielen zu nennen: Dem Kollegen Jens stellt sich die Frage, wie es passieren kann, »dass ein Streik von 80 von insgesamt 120 Kollegen ins Leere läuft« (S. 112) und er zieht aus dieser Erfahrung die Lehre, dass »die Gewerkschaften sich ... mehr mit dem Unternehmen beschäftigen müssen ... Wenn die Struktur einer Firma so ist, dass die Jobs von denen, die rausgehen, leicht zu ersetzen sind durch Leiharbeiter, könnten die mit Warnstreiks wesentlich mehr erreichen. Das war die erste Sache, die die meiner Meinung nach vermasselt haben. Die NGG muss sich in Zukunft die Firmen genau angucken: Wo liegen die Stärken und Schwächen der Firma, wo liegt die Hauptproduktivitätszeit«. (S. 112) Dazu müssten die KollegInnen vor Ort in den Betrieben allerdings als die Sachverständigen angesehen werden. Das scheint, wie man unten an Horst Gobrecht sehen wird, manchem Gewerkschaftssekretär unmöglich. Schöpferische Zerstörung durch McKinsey Im Anschluss an diesen Hauptteil gibt es zwei Kapitel zur Rolle der Unternehmensberatungsfirma McKinsey bei Gate Gourmet. Eines besteht aus einem Referat von dem Kölner Rechtsanwalt Detlef Hartmann (S. 215–224), dem das Protokoll einer Diskussion von Streikenden mit Detlef Hartmann vorangestellt ist (S. 203–214), in der »die Streikenden die analytischen Ausführungen immer wieder sehr anschaulich auf ihre eigenen Erfahrungen bezogen«. (S. 203) Hier wird drastisch deutlich, was es für die Beschäftigten heißt, wenn McKinsey das Motto ausgibt: »Sie sollen sich nicht verstecken können«. (S. 203) Bei Gate Gourmet bedeutete das, dass die Fließbänder abgeschafft und stattdessen gut kontrollierbare Einzelarbeitsplätze – workstations (S. 117) – eingerichtet werden sollten. So sollte gewährleistet werden, dass die von McKinsey äußerst knapp bemessenen Richtzeiten für die einzelnen Arbeitsschritte eingehalten und bei Nichteinhaltung einzelne ArbeiterInnen sanktioniert werden konnten: »No waste time« (siehe dazu auch Streiktagebuch, S. 31ff.) ist die Devise, die den Beschäftigten zunächst als »Arbeitserleichterung« schmackhaft gemacht werden sollte. Sie selbst sollten es auch sein, die die Rationalisierung vorantreiben. Dabei schildern die Beschäftigten, wie sie selbst anfänglich durchaus mitgemacht und erst nach einer Weile gemerkt haben, wohin diese Rationalisierungen führten: zu einer ungeheuren Arbeitsverdichtung und noch weiterer Vereinzelung der Beschäftigten. Für die Beschäftigten war es deshalb auch erfolgreiches Resultat ihrer Kämpfe gegen den Arbeitgeber und seinen Berater, dass sie in manchen Bereichen »die Bänder wieder reingeholt« haben: »Man sollte wirklich gegen manche Sachen kämpfen, auch wenn es klein sein mag. Wir wären in einer ganz anderen Situation, wenn wir aus der Produktion nicht dagegen gekämpft hätten. Wir hätten weder ein Band, noch sonst die ganze Situation. Wir haben nicht alles mit uns machen lassen«, kommentiert dies die Beschäftigte Anna (S. 118). Sowohl im Hauptteil des Buchs als auch in dem McKinsey-Kapitel lässt sich der Erkenntnisprozess bezüglich der Rolle von McKinsey bei den Beschäftigten sehr anschaulich verfolgen. Der Streik war dann die Möglichkeit, diese Prozesse rückblickend noch einmal gründlich zu reflektieren. Daran, dass das Band sechs mal aus der Fabrikationshalle raus und dann wieder reingeräumt wurde (S. 118), wird auch deutlich, wie widersprüchlich solche Rationalisierungsprozesse verlaufen können. Immer dann, wenn die Beschäftigten über die Veränderungen ihrer Arbeit diskutieren, wird klar, wie entscheidend die Arbeitsbedingungen dafür sind, ob die Arbeit als schwer und belastend wahrgenommen wird (z.B. S. 119f.): arbeitet man mit den KollegInnen zusammen oder alleine, wie hoch ist der zeitliche Druck, wie viel Spielraum hat man, seine Arbeitszeit selbst einzuteilen etc. Der Rechtsanwalt Detlef Hartmann wurde »in die Auseinandersetzung hineingezogen«, weil er den Streik für das Modernste hielt, was es zu dieser Zeit in Deutschland gab. »Der Streik konfrontiert sich nicht nur mit einem der größten Aasgeier, die es weltweit gibt, nämlich der Texas Pacific Group, sondern mit dem Bezug auf McKinsey richtet er sich gegen diejenigen Unternehmen, die die Globalisierung betreiben ... McKinsey ist Berater von Angela Merkel, McKinsey hat das Krankenhauswesen rationalisiert, McKinsey hat eine Offensive gestartet: Wie kommen wir an das kreative Wissen und Verhalten unserer Dreijährigen ran? ... Hier scheint der Streik bei Gate Gourmet die Pläne und Vorstellungen erstmal gestört zu haben.« (S. 207) Die soziale Dynamik der Solidarität Im Kapitel »Die letzte Blockade fand nicht statt. Die soziale Dynamik der Solidarität« (S. 225–242) sind die diesbezüglichen Reflexionen und Diskussionen der UnterstützerInnen aus der linken Szene, die »von der FAU über Unabhängige bis zu WASG und DKP« (S. 227) reichte, dokumentiert. Im Unterschied zu vielen Erfahrungen mit solchen – allzu oft parteimäßig organisierten – Streikkomitees, haben sich in dieser Ausein-andersetzung die UnterstützerInnen »vor allem an der Dynamik des Streiks orientiert und an dem, was die ArbeiterInnen selbst wollten«. (S. 227) Wie sich dieser Anspruch im Streik ergeben hat und ob er sich dort realisierte, möge der Leser selbst beurteilen. Die Offenheit, mit der hier die verschiedenen Herangehensweisen an einen Streik und die individuellen Erfahrungen der UnterstützerInnen diskutiert bzw. dokumentiert werden, macht angreifbar. Das nutzt dann auch Horst Gobrecht weidlich aus, um bei den Unterstützergruppen »persönliche und politische Hinter- und Abgründe« zu entdecken und pauschal zu urteilen, dass die Unterstützergruppen »wenig selbstkritisch, aber desto mehr sich selbst genügend« seien. (Gobrecht, S. 19) Es ist grotesk, dass er den UnterstützerInnen bzw. dem Buch insgesamt vorwirft, den Arbeitskampf darzustellen, »ohne das eigene widersprüchliche Denken und Verhalten in diesem Prozess nennenswert zu reflektieren« (Gobrecht, S. 1f.), denn er reflektiert selbst nicht, dass er die meisten dieser Widersprüche nur kennt, weil sie in dem Buch nachzulesen sind, und eben ausdrücklich als Material zur Diskussion offen benannt werden. Das macht gerade den qualitativen Unterschied dieses Buches zu vielen anderen Darstellungen aus. Man will es sich gar nicht ausmalen, was an Abgründen alles zum Vorschein käme, wenn die Diskussionen, die Gobrecht womöglich über den Streik geführt hat, in dieser Offenheit irgendwo dokumentiert würden... Ein Vergleich des im Internet zu findenden Originaltextes mit dem Titel: »Warum hatte Astrid nur so viel Glück, ›in einen richtigen Streik reinzugeraten‹? Oder: Die nach ihrer eigenen ›Arbeitermacht lechzen!‹« [2] mit der von der Redaktion des Sozialismus weichgespülten Fassung ist hier schon aufschlussreich, soll uns aber an dieser Stelle erspart bleiben. Dass es in der NGG auch andere Sekretäre gibt, dokumentiert ein Interview mit dem NGG-Sekretär Axel Peters (S. 243–251), der resümiert, dass es gut war, »dass wir gekämpft haben. Für uns ist allein die Erinnerung, dass wir mit geradem Rücken geschlossen so lange Zeit für die Interessen und die Menschenwürde dort gestanden haben, ein Meilenstein in der eigenen Lebenserfahrung. Für die NGG ist es auch ein wichtiger Eckpfeiler in der Historie«. (S. 246) Und Peters betont in diesem Zusammenhang auch, dass für die Streikenden »jede Unterstützung wichtig« war (S. 245). »Keiner der Streikenden war traurig, wenn Hilfe von Außen kam.« (S. 243) Bezogen auf die Zukunft der Gewerkschaften meint Peters: »Mittelfristig wird den Gewerkschaften politisch nichts anderes übrig bleiben, als der Öffentlichkeit die komplizierten Zusammenhänge des kapitalistischen Systems vor Augen zu führen. Manche sagen: Ist es nicht schon so im Lande, dass die Menschen schon längst allesamt eigentlich wissen, mit was für einem Scheißsystem wir es zu tun haben? Vielleicht brauchen die Menschen ein Bild von einer alternativen solidarischen Gesellschaft und mehr glaubwürdige Hoffnungsträger.« (S. 246) [3] Mit Lenin gegen die Beschäftigten Das sieht Horst Gobrecht freilich ganz anders. Er hat ersichtlich keinen Zweifel an seiner eigenen Glaubwürdigkeit als Gewerkschafter – zumal er Rückendeckung von Lenin hat (oder zu haben meint). Das treibende Motiv für Gobrecht ist der Vorwurf, dass derjenige, der »gezielt oder unbewusst die Streikfront« spaltet, als Linke/r »politisch ›verbrecherisch‹« (Gobrecht, S. 4) handle. Genau diesen Vorwurf macht er den Unterstützergruppen im Streik bei Gate Gourmet und fordert sie auf, »kommende Kämpfe der Arbeiterklasse wirklich zu unterstützen, statt sie objektiv zu torpedieren«. (Gobrecht, S. 26) Am Ende stellt er – ohne im ganzen Text auch nur einen einzigen Beleg dafür geliefert zu haben – fest, dass »die ›Unterstützergruppen‹ – schematisch planmäßig oder ›autonom‹ planlos – die gezielte Schwächung der Streikfront und damit der Kampfkraft in beide Richtungen in und nach dem Streik systematisch betrieben oder gefördert und deshalb maßgeblich zu verantworten« haben (Gobrecht, S. 26). Er versucht diesen Vorwurf herzuleiten daraus, dass die UnterstützerInnen angeblich nur die Aktivisten unter den Streikenden »hofiert« (ebd.) und die Indifferenten »ignoriert« (ebd.) hätten. Dass die UnterstützerInnen und HerausgeberInnen des Buchs selbst offen als Manko angesprochen haben, letztlich nur mit den AktivistInnen Interviews dokumentiert zu haben (siehe oben) – was noch überhaupt nicht Spaltung bedeutet – leugnet Gobrecht: »...sie verschwenden keinen unnötigen Gedanken auf die Frage, warum längere Gespräche nicht auch mit jenen zustande kamen...« (Go-brecht, S. 20) – und macht daraus fälschlicherweise gleich noch, dass die UnterstützerInnen mit den anderen gar nicht gesprochen hätten, auch nicht während des Streiks... (Ebd.) Es liegt in der Systematik der Kritik von Gobrecht, dass er alle in diesem Buch dokumentierten selbstkritischen Reflexionen sowohl der UnterstützerInnen als auch der streikenden ArbeiterInnen unterschlägt. Eine weitere Systematik besteht im exzessiven Gebrauch von Anführungszeichen bei seinen eigenen Worten, die den Eindruck erwecken, es würde sich dabei um Zitate aus dem Buch handeln. Besonders deutlich wird das z.B. bei einer Passage, wo Gobrecht schreibt, dass »die Arbeiterklasse auf ihre selbsternannten ›Propheten‹ einfach nicht hören will und deshalb kollektiv ›versagt‹«. Mit den Anführungsstrichen beim Versagen suggeriert er, dass dies die Herausgeber so geschrieben hätten, was nicht der Fall ist, und jedem aufmerksamen Leser des Buchs wird klar, dass die Perspektive der Herausgeber bzw. der Flying Pickets eben genau nicht so ist, dass sie einen abstrakten Maßstab äußerlich an die Auseinandersetzung anlegen, um dann von Versagen zu sprechen. Was in dieser Passage deutlich wird, ist einzig Gobrechts – autoritär-leninistische – Vorstellungswelt... Es gibt dann noch viele weitere kleine Unrichtigkeiten und miese Interpretationen – so werden z.B. Zitate aus dem Tagebuch, in dem der Tagebuchschreiber sein Resümee zieht (S. 90) als »dreiste« (Gobrecht, S. 16) Bewertung der »Unterstützergruppen« ausgegeben usw. usf. Damit ist man beim größten und grundsätzlichen Problem von Gobrechts Text angelangt: nämlich dem, wie er über die Beschäftigten schreibt (und denkt). Die Offenheit der KollegInnen, mit der sie über die eigenen Schwierigkeiten und Widersprüche sprechen, nutzt er, um sie vorzuführen und aufs Arroganteste abzuqualifizieren. Er wirft einem Kollegen »Standesdünkel« und »Überheblichkeit« (Gobrecht, S. 5) vor, er macht sich darüber lustig, dass »die eigene Courage und Bereitschaft zu unkonventionellem, da nicht planbarem Verhalten« wohl doch nur theoretisch (Gobrecht, S. 8) vorhanden gewesen wäre, um die Kollegen dann eine Seite weiter als »schöne Radikale« zu bezeichnen, die bereit waren, für das Streikgeld ihre »›Radikalität‹ über Bord zu werfen«. (Gobrecht, S. 11) Genau das, was er den UnterstützerInnen vorwirft, nämlich dass sie »die Streikenden als willenlos disqualifizieren« (Gobrecht, S. 13), tut er ständig selbst, indem er sie als von linken »Propheten« Verführte darstellt oder ein Zitat der Küchenhilfe Bella als »das von den Unterstützergruppen Gelernte« (Gobrecht, S. 14) interpretiert – als hätte diese Kollegin sich noch nie eigene Gedanken gemacht. Richtig widerwärtig wird es, wenn Gobrecht von dem Tagebuchschreiber schreibt, dass der »künstlich ›radikalisierte‹ Streikende von den ›Unterstützergruppen‹ faktisch allein gelassen« wird und sich die Gründe für die bisherige Handlungsunfähigkeit selbst zurechtlegen »darf« (Gobrecht, S. 8). Was hier deutlich wird, ist die Angst eines Funktionärs vor selbständigen Mitgliedern. Am liebsten würde er den Beschäftigten jegliche Subjektivität absprechen und sie mit Lenin beglücken: »Revolutionäre Erfahrung und organisatorische Geschicklichkeit sind Dinge, die man erwerben kann. Man muss nur den Willen haben, die erforderlichen Eigenschaften in sich zu entwickeln! Man muss die Fehler nur einsehen, diese Einsicht ist in revolutionären Dingen schon mehr als die halbe Besserung!« (W.I. Lenin zitiert nach Gobrecht, S. 27) Mal dahin gestellt, ob man Lenin so gerecht wird, mindestens Herr Gobrecht glaubt von sich, diese erforderlichen Eigenschaften zu haben – wenn ihm die Arbeiter nur zuhören würden... Was das Buch der Flying Pickets gerade so lesenswert macht, der offene Umgang mit der Komplexität und der Widersprüchlichkeit der sozialen Realität, ist das genaue Gegenteil von Gobrechts Vorstellungen. Letztlich kann die NGG froh sein, dass man über das Buch Flying Pickets auch sympathischere Gewerkschafter kennenlernen kann. Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/07 Flying Pickets (Hrsg.):»›Auf den Geschmack gekommen...‹ Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet«, Assoziation A, Berlin 2006, 12 Euro, 264 Seiten, ISBN 3-935936-54-0 (1) Horst Gobrecht: »›Mit heißem Herzen und kühlem Kopf‹. Die Streikenden von Gate Gourmet und ihre externen ›Unterstützerinnen‹. Kritisches zum und Nachdenkliches im Buch ›Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet‹«, Beilage zur Zeitschrift Sozialismus, Nr. 4/2007 (2) www.gg-streik.net/materialien/buchbesprechungen/ (3) Ergänzt wird das Buch von einer sehr nützlichen Chronik der Ereignisse bei Gate Gourmet, seit die LTU das Catering 1988 ausgegliedert hat, und mit einem Glossar für den Flughafenjargon und weitere Abkürzungen und Fachausdrücke. |