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Updated: 18.12.2012 15:51
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Vom Tellerwäscher zum Revolutionär...?

Die Arbeitsbedingungen im deutschen Hotel- und Gaststättengewerbe gehören zu den schlechtesten im Lande. Die Situation ist mies, aber nicht hoffnungslos.

"Wer nichts wird, wird Wirt" lautet ein geflügeltes Wort. Und zu Genüge gibt es Leute, die diesem verheißungsvollen Ruf des vermeintlich schnellen Geldes folgen: Sowohl als Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, als auch auf Seite der Angestellten. Für letztere endet dies jedoch zumeist in Schinderei, Prekarität und Hungerlöhnen.

Dass es vor dem Tresen angenehmer ist, als dahinter, sollte eigentlich niemandem ein Geheimnis sein. Dass es ebenso angenehmer ist, sich das Steak (oder den Linseneintopf) von jemand anderem an den Tisch bringen zu lassen, anstatt selbst zu kochen, den Tisch zu decken und zu spülen, ist gleichsam klar: Für das Geschäftsessen, den besonderen Abend oder einfach nur nach Feierabend gibt es, zugegebenermaßen zu einem gewissen Aufpreis, ja Andere, die einem die lästige Arbeit abnehmen. Wie aber die Arbeitsbedingungen eben dieser "Anderen" sind, wird über der Feierlaune, dem lauwarmen Essen und dem 20-Minuten-Bier schon mal gern vergessen. Viele Gäste haben leider Gottes noch eine sehr romantisierende Vorstellung von einem genetisch servilen Servicepersonal, dessen Lebenserfüllung darin besteht, anderen einen angenehmen Abend zu bereiten, oder dem netten Studenten/der netten Studentin die sich ein paar Euro plus ein sattes Trinkgeld dazuverdienen. Über die Arbeitsbedingungen in einem Restaurant/Hotel wird dabei leidlich wenig nachgedacht und nach der gängigen Dienstleistungsphilosophie der allermeisten Hotel- und Gaststättenbetreiber soll gerade an so etwas kein Gedanke verschwendet, sondern der Aufenthalt in Gänze genossen werden. Nun, es bleibt wohl genauso wenig empfehlenswert, die Gedanken der Bedienung beim Servieren des 10. Halben oder des Kaviars zu erahnen, wie sich deren Herstellung vorzustellen. Ein wenig Show gehört schon dazu...

Tipping is not a town in China...

Dennoch: Die Arbeit im Hotel-und Gaststättengewerbe wird nicht nur unter die körperliche Schwerstarbeit gezählt, sondern ist auch noch eine der am schlechtesten bezahlten. Als das Hamburger Abendblatt am 8. Januar den Fall einer Reinigungskraft bekannt machte, die im Hamburger fünf Sterne Hotel Dorint Sofitel (zugehörig der Accor-Gruppe) lediglich 2,46 Euro pro Stunde plus "Leistungsbonus" verdiente, war das Geschrei groß. Die Gewerkschaft NGG richtete postwendend eine eigene Hotline für von Dumpinglöhnen Betroffene ein, der Hamburger Senat traf sich zu einer Sondersitzung und der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) sowie die Geschäftsleitung wuschen ihre Hände in Unschuld mit Hinweis darauf, dass ja das Subunternehmen, bei dem die Betroffene angestellt war, für den Lohn zuständig sei – und keinesfalls die Geschäftsleitung des Dorint, geschweige denn der DEHOGA. Und gerade angesichts der von der NGG vorangetriebenen Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro entbrannte ein heißer Streit um eben diesen, in dem der Schwarze Peter munter die Runde machte.

Den Beschäftigten der Gastronomie kann dies allerdings lediglich als blanker Hohn erscheinen, versuchen doch Gastronomen seit jeher – mit Verweis auf den "tip" (= die Trinkgelder) – die Löhne zu drücken.

Zwar gibt es durchaus einige Regionen und Bundesländer, in denen die Tarifverträge zwischen DEHOGA und NGG vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bzw. dessen regionaler Vertretung für "allgemeinverbindlich" (av) erklärt wurden – d.h. der Tarifvertrag ist auch für Nicht-Tarifparteien gültig. Dennoch gibt es laut NGG-Chef Möllenberg insgesamt nur in zehn von 18 Tarifgebieten überhaupt Tarifverträge zwischen der NGG und dem DEHOGA. In den restlichen Gebieten weigere sich der DEHOGA regelrecht, in Tarifverhandlungen einzutreten. Wen wundert's, ist doch das Hotel- und Gaststättengewerbe eine der Branchen mit dem niedrigsten gewerkschaftlichen Organisationsgrad der Republik. So überrascht es kaum, dass einem in Berlin Stundenlöhne von 3-5 Euro das Fürchten lehren, oder in Mecklenburg-Vorpommern für  Fachkräfte ein Tariflohn von 6,10-6,13 Euro gezahlt wird. Das eine modern-kapitalistische Fastfood Kette hierzulande gezielt gewerkschaftlich Aktive aus ihren Filialen herauskauft ist eine Seite der Medaille; Betriebe etwas gröberer Gangart setzen gezielt auf Mobbing und Schikanen, oder lassen unbequeme Angestellte auch mal gern kurz vor Feierabend und unter vier Augen Opfer eines "bedauerlichen Arbeitsunfalls" werden.

Moderne Sklaven...

Hinzu kommt noch, dass der extreme Stress, Leistungsdruck und eine wild um sich greifende Flexibilisierung die Organisierung in der Branche erschweren. Die grundsätzlichen arbeitsrechtlichen Bestimmungen können von den meisten Angestellten in der Gastronomie eigentlich nur wie eine moderne Märchen gelesen werden: Schichten von mindestens zwölf Stunden sind keine Seltenheit. Schichten von 15 bis 24 (!!!) Stunden fangen da schon eher an, an die Substanz zu gehen, kommen deshalb aber nicht weniger selten vor. Um den Hochs und Tiefs der Branche entsprechen zu können, wird immer mehr Arbeit an Personaldienstleister ausgelagert. Konkret bedeutet dies: Vornehmlich Unternehmen der gehobenen Gastronomie und Caterer arbeiten mit einer Mindestbesetzung an Festangestellten und holen sich bei Bedarf LeiharbeiterInnen zu Hand. Für die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter bedeutet dies nicht nur, dass sie sich ständig auf eine neue Arbeitsumgebung einstellen müssen – was einen Zusatz an Stress bedeutet – sondern auch, dass sie das Glück haben, in den Tarifbereich der christlichen Gewerkschaften zu gelangen, die in ihrer christlichen Nächstenliebe den gemeinen Proleten ja gerade noch davon abhielten, überzogene Forderungen gegenüber der ach so gebeutelten Arbeitgeberseite zu stellen. Wem dies nun nicht an lebensnahem Extremsport reicht, der fange an in der Gastronomie auf 400-€-Basis zu jobben. In diesem Bereich sind arbeitsrechtliche Bestimmungen und Tarifverträge – ob es sie nun gibt oder nicht – böhmische Dörfer. Kündigungsfristen? Lohnfortzahlung im Krankheitsfall? Urlaubsgeld? Pünktliche Auszahlung des Lohnes? Geregelte Arbeitszeiten? Fehlanzeige!!! Und das, obwohl ein Minijob einem regulären Arbeitsverhältnis rechtlich zu 100% gleichgestellt ist (vgl. §§§-Dschungel). Die Unwissenheit der Beschäftigten bezüglich ihrer Rechte ist wohl – neben den flexiblen Anwendungsmöglichkeiten des 400-€-Vertrages – einer der Hauptgründe, warum sich Minijobs im deutschen Hotel- und Gaststättengewerbe so großer Beliebtheit erfreuen. Laut DEHOGA-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges wurden so seit 2003 in der Gastronomie 300.000 neue Minijobs eingerichtet, ohne offiziell sozialversicherungspflichtige Stellen zu verdrängen. Andere Zahlen belegen jedoch einen Rückgang von 3,8% bei regulären Vollzeitbeschäftigungsverhältnissen. Dies ist immer noch die Spitze des Eisberges. Neben dem bereits erwähnten hohen Anteil an Schwarzarbeit, setzt sich gerade ein Trend zur Scheinselbständigkeit durch. D.h. anstatt auf Lohnsteuerkarte zu arbeiten, wird von potenziellen Beschäftigten erwartet, ein Gewerbe anzumelden. Dies böte die Vorteile, dass die "working poor" relativ problemlos auch ihren Dritt-Job unterkriegen und wegen fehlender Lohnnebenkosten hinterher mehr in der Lohntüte ist. Letztlich werden diese "Kosten" jedoch nur auf die Beschäftigten umgewälzt und, da Kellnerin oder Barmann nunmal keine selbständigen Berufe sind, erfordert es noch einiges an Kreativität bei der Anmeldung des Gewerbes. Aber wen würde es nicht entzücken, sein Bier auch mal von einem Personaltrainer kredenzt zu bekommen.

Die Stellung halten...

Die Geister mögen sich scheiden, ob das Gastgewerbe an sich ein sinnvolles ist oder nicht. Mir persönlich fehlt allerdings der nötige Puritanismus, um mich letzterer Position anzuschließen. Dass die Verhältnisse schlecht sind heißt allerdings nicht, dass dies auch so bleiben muss. In nur wenigen anderen Branchen hängt noch soviel des Arbeitsablaufes und der Mehrwertschöpfung am Einbringen der persönlichen körperlichen Arbeitskraft wie in der Gastronomie. Und kaum irgendwo anders ist gute Publicity von so enormer Bedeutung.

"Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will" ist und bleibt also keine leere Phrase, sondern durchaus ein Weg zur Durchsetzung von Verbesserungen und der Wiedererlangung von Würde und Respekt. Denn: Der Kunde ist zwar König, aber Du bist Kaiser. Seien wir also Kaiser...

Artikel von Lars Röhm, erschienen in der Direkten Aktion vom März/April 2007. Wir danken dem Verlag!


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