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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Dienst am Kunden? Sexistische Übergriffe im Hotelgewerbe - Beschäftigte und Gewerkschaft brechen beredtes Schweigen - Von Jenny Brown* Als eine gewerkschaftlich organisierte Hotelarbeiterin den Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, am 14. Mai der sexuellen Nötigung beschuldigte, reichte das Echo viel weiter als bis zu den rechtlichen Konsequenzen für einen einzelnen reichen Mann. Die Nachricht brach das Schweigen über den sexuellen Missbrauch von Hotelarbeiterinnen - ein viel weiter verbreitetes Problem, als viele vermutet hatten (oder Hotelleitungen zugeben mochten). Eine weitere New Yorker Reinigungskraft beschwerte sich am 29. Mai über einen sexuellen Übergriff durch einen ägyptischen Banker an ihrem Arbeitsplatz, dem noblen The Pierre. Am 2. Juni kam es nun in acht Städten zu öffentlichen Veranstaltungen über sexuelle Nötigung und Übergriffe durch Gäste; diese so genannten Speak-outs waren von der Hotelgewerkschaft UNITE HERE organisiert worden. »Diese Kunden denken, dass sie uns benutzen können wozu sie wollen, weil wir nicht so mächtig oder so reich sind wie sie«, sagt Yazmin Vazquez, Zimmermädchen aus Chicago. Hotelarbeiterinnen erleiden gesundheitliche Schäden durch Arbeitsbelastungen. U.a. stemmen sie täglich hundertfach schwere Matratzen. Doch die verdeckte Gefahr der Hotelarbeit liegt den Aussagen der Reinigungskräfte zufolge in den Angriffen der Kunden auf ihre Würde und ihre physische Integrität. Die Arbeiterinnen beschweren sich, dass männliche Kunden sich zur Schau stellen, sexuelle Gefälligkeiten kaufen wollen, sie angreifen, begrapschen und in manchen Fällen zu vergewaltigen versuchen. Cecily Phillips berichtete bei dem Speak-out in Toronto, dass sie sich »erniedrigt, schmutzig und nervös« gefühlt hat, nachdem ein Kunde sie beim Bettenmachen begrapscht hatte. »Kunden offerieren Geld für Mas-sagen - aber sie wollen keine Massage, sondern etwas anderes«, sagt Elizabeth Moreno, eine 18-jährige Hotelarbeiterin aus Chicago. Wenn sie Zimmerservice-Bestellungen liefert, kommen männliche Gäste gelegentlich nackt an die Tür. Das Problem nimmt so überhand, dass Hotelarbeiterinnen in Hawaii und San Francisco Widerstand geleistet haben, als das Management Arbeitskleidung mit Röcken einführen wollte. Die Beschäftigten, die ständig über Betten, Wannen und Böden gebeugt arbeiten, befürchten, dass sie in solchen Uniformen Angriffen noch stärker ausgeliefert wären. Eine Arbeiterin erzählt, sie trage bei der Arbeit zusätzliche Kleidungs-schichten zur Abschreckung, nachdem ein Gast in ein Badezimmer hereingeplatzt war, das sie gerade reinigte, und seine Genitalien zur Schau gestellt hatte. Im Sofitel New York, wo Strauss-Kahn ein Zimmer für 3000 Dollar die Nacht bewohnte, hat das Management jetzt laut Gewerkschaft die Uniform geändert: nicht mehr Röcke, sondern Hosen und Tunika. Ein Problem für die Sicherheit des Zimmerpersonals sind auch Stellenstreichungen, die zur Folge haben, dass die Frauen bei der Arbeit isoliert sind. So waren Hotelbeschäftigte in Hawaii bei der »Turn down duty«, bei der sie abends die Zimmer betreten, um Vorhänge vorzuziehen und Betten aufzudecken, früher meist zu zweit. Inzwischen verlangt das Management von ihnen, allein zu arbeiten. Dabei fühlen sie sich nicht sicher. In Chicago haben die Arbeiterinnen für das Recht gekämpft, ihre Materialwagen beim Putzen von Hotelzimmern so in die Türen zu stellen, dass diese während der Reinigung geöffnet bleiben. Einige Hotelleitungen hatten eingewendet, das sei »unprofessionell« oder berge das Risiko von Diebstählen. Doch die Arbeiterinnen wollen nicht in einem Raum mit geschlossener Türe allein sein, denn dann könnte ein Kunde hereinkommen und den Fluchtweg blockieren. »Wenn wir das Wasser laufen haben, hören wir den Gast nicht hereinkommen«, sagt Moreno. In ihrem Hotel überwacht eine Aufsichtsperson die Zimmerreinigung, wenn ein Kunde anwesend ist. Der Kunde hat immer Recht? Eine 30-jährige Hotelarbeiterin in Indianapolis ist »Gästeläuferin« in der Abendschicht: Sie bringt Kunden auf Verlangen Handtücher und Shampoo. Etwa zweimal in der Woche sieht sie sich Männern gegenüber, die nackt zur Tür kommen, zweifelhafte Angebote machen oder Schlimmeres. Die Manager wissen das, sagt sie, aber die meisten tun es mit einem Lachen ab. Hotelarbeiterin Andria Babbington aus Toronto wurde von den Managern ausgelacht, als sie sich über einen nackten Gast beschwerte, der sie aufforderte, seine Bettdecke um ihn herum festzustecken, während er im Bett lag. »Hotels sind die Komplizen in einer Kultur des Schweigens«, sagt Annemarie Strassel von UNITE HERE. »Die Prämisse lautet: Der Gast hat immer recht.« Beide Reinigungskräfte in New York City, die in den letzten Wochen Übergriffe zur Anzeige gebracht haben, sind Gewerkschaftsmitglieder. Weil 75 Prozent der Hotels in der Stadt gewerkschaftlich organisiert sind, ist »New York der falsche Ort, um Jagd auf Hotelarbeiterinnen zu machen«, warnt die Gewerkschaft New York Hotel and Motel Trades Council. Aber auch wenn man eine Gewerkschaft hat, ist die Schlacht erst halb geschlagen. Die Reinigungskräfte stellen auch die sexistischen Traditionen auf den Prüfstand. »Das Problem ist inzwischen zur Normalität geworden«, so Strassel. Um das Muster zu durchbrechen, »müssen Frauen zuerst unbedingt damit herausrücken«. Nach Ansicht von ExpertInnen ist es schon außerhalb des Jobs schwer genug, sexuelle Übergriffe an die Öffentlichkeit zu bringen, da oft davon ausgegangen werde, dass die Frauen selbst teilweise oder gar allein die Schuld daran trügen. Bevor es DNA-Tests gab, konnten sie auch einfach als Lügnerinnen ge-brandmarkt werden. In Frankreich gibt es sogar einen überlieferten Ausdruck für das, was Strauss-Kahn getan hat. Seine Verteidiger sprachen von »troussage de domestique«: einer Tradition, die besagt, dass Hausangestellte dem Herrn des Hauses sexuell zur Verfügung stehen. (Das ist natürlich nicht allein eine französische Spezialität. Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger hat ein Kind mit der Haushälterin, die zwanzig Jahre lang für ihn gearbeitet hat.) Dazu kommt der Wunsch des Hotelmanagements, es den Gästen recht zu machen und öffentliche Aufmerksamkeit erregende Vorfälle unter den Teppich zu kehren. Und viele Arbeiterinnen ertragen Demütigungen oder Angriffe als Teil des Jobs. Eine Beschäftigte berichtete der New York Times, dass sie sich angewöhnt hatte, einen Dosenöffner zur Selbstverteidigung bei sich zu tragen, achdem sie von hinten gepackt worden war, als sie gerade Staub saugte. Selbst wenn Beschäftigte sich über das Verhalten eines Gastes beschweren, wird die Polizei kaum je gerufen. »Das muss vertraulich bleiben«, wurde den Beschäftigten in einem texanischen Hotel vor einigen Jahren beschieden, nachdem eine der ArbeiterInnen spät nachts von einem nackten Gast angegriffen und begrapscht worden war, dem sie einen Rasierer bringen sollte. »Egal was wir sagen, die Manager werden immer die Gäste respektieren«, so Hortensia Valera beim Speak-out in Chicago. Falsche Diskretion Die Hotelarbeiterin, die Strauss-Kahns Übergriff angezeigt hat, ist ihrem Anwalt zufolge praktisch untergetaucht. Sie konnte aufgrund des Sturms an öffentlichem Interesse nicht mehr arbeiten gehen, daher sammeln UnterstützerInnen über eine Kirchengemeinde Geld. Strauss-Kahns Anwälte werden laut Wall Street Journal wahrscheinlich eine halbe Million Dollar ausgeben, um ihre Vergangenheit nach etwas zu durchforsten, womit man sie diskreditieren kann. Immerhin, die Polizei hat Strauss-Kahn und den ägyptischen Banker Mahmoud Abdel-Salam Omar festgenommen und damit gezeigt, dass Beschuldigungen wegen sexueller Übergriffe ernst genommen werden können. Seit den Verhaftungen haben sich Arbeiterinnen freier gefühlt, über ähnliche Vorfälle zu reden, stellen Organiser der Hotelgewerkschaften fest. Die Antwort des Managements bezeichnet Strassel als »ohrenbetäubendes Schweigen«. Sie fügt hinzu, dass sie von nur einem einzigen Hotel weiß, in dem die Belegschaft zu einer Versammlung über das Thema einberufen wurde. Die Hotelleitungen haben einige Neuerungen angekündigt. Beim The Pierre wurde die direkte Vorgesetzte der angegriffenen Arbeiterin suspendiert, weil sie nichts unternommen hatte, nachdem diese ihr von Omars Attacke berichtet hatte. Omar hatte Papiertaschentücher angefordert und griff die Arbeiterin an, als sie ihm diese brachte. Die Vorgesetzte notierte den Vorfall im Logbuch des Hotels, wo ein Manager am nächsten Tag davon las und die Polizei informierte. Das Sofitel und das Pierre sagen nun, sie wollen die Arbeiterinnen mit Panic-Buttons ausstatten. Das reicht nicht aus, meinen Gewerkschafter. Das Management muss »dafür sorgen, die Leute besser zu schulen, damit sie verstehen, dass sie das Recht haben, den Mund aufzumachen«, erklärt Babbington, gewerkschaftliche Arbeitsschutzbeauftragte in Toronto, einem Reporter und fordert ihn auf: »Ihr müsst auf jeden Fall deutlich machen, dass Gäste damit nicht durchkommen werden.« Artikel erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8-9/11 express im Netz unter: www.express-afp.info , www.labournet.de/express Übersetzung: Anne Scheidhauer |