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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Schlecker: Eine politische Lösung? – In der Tat! Kurz vor dem endgültigen Scheitern der Transfergesellschaften hatten wir mit Anton Kobel* über Hintergründe und Ursachen der Schlecker-Insolvenz, den Streit um »Staatskohle« für »Management-Fehler« und »im Wettbewerb gescheiterte Unternehmen«, die Aussichten für die Entlassenen und die Perspektiven einer Fortführung des Unternehmens, vielleicht sogar in Belegschaftshand, diskutiert. Das »Nein« für die angeblichen Subventionen, die doch nur Bürgschaften waren, zeigt, wie ideologisch die Debatte über den Zusammenhang von Markt und Staat geführt wird – Letzterer ist wie der berühmte Hase immer schon da: Ist das niedersächsische »Nein» zu Schlecker nicht ein »Ja« für Rossmann? Und das »Nein« zu Transfergesellschaften nicht ein »Ja« zu künftigen Transferzahlungen, nämlich für 11000 entlassene Schlecker-VerkäuferInnen, die sich nun mit 300000 arbeitslosen KollegInnen um 24000 offene Stellen bewerben dürfen? Vielleicht aber auch nur ein Warnschuss an die Opelaner, für die es ›der Markt‹ nun schon wieder nicht richten wird, die Debatte über die Verwendung staatlicher Mittel gar nicht erst wieder aufleben zu lassen. Verfolgt man die Kommentare in Feuilletons und Blogs, dann scheinen Viele Schlecker keine Träne nachzuweinen. Unmodern, schmuddelig, spießiges Ambiente und Sortiment, kurzum: nicht mehr zeitgemäß – und noch nicht einmal billig. Anton Schlecker habe die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkannt, so der Tenor. Ein klassischer Managementfehler also? In der FR vom 24./25. März dagegen wird mit der Konsumentensouveränität argumentiert: Das »junge Bürgertum« bestimme durch »Bildung und Lebensstil, was in diesem Land als erstrebenswerter Lebensstil gilt« – und habe mit den Füßen gegen Schlecker abgestimmt. Wo würdest Du die Gründe für die Insolvenz verorten? Anton Kobel: Die FR-Formulierung ist zeitgemäß süffig. Aber auch nicht mehr. Die wirtschaftlichen Fakten sind anders. Die profitabelsten Schlecker-Filialen sind die in den Fußgängerzonen, den 1a- und 1b-Lagen der Städte, so Untersuchungen, die der Insolvenzverwalter in Auftrag gegeben hat. Erklärt wird dies mit der gutbetuchten, städtischen Laufkundschaft, die ohne großen Zeitaufwand und moralische Skrupel erreichbare Einkaufsorte bevorzuge. Dies würde der Standortwahl der Konkurrenten dm und Rossmann entsprechen. Nach Einschätzung der Schlecker-Betriebsräte im Rhein-Neckar-Raum, also im Raum Mannheim, Heidelberg, Ludwigshafen, spielen vielerorts auch andere Faktoren eine wesentliche Rolle, wie z.B. die Funktion als Alleinversorger, die Nähe zu Wohngebieten und Wohnanlagen für Ältere und Behinderte. Bedeutsam für das Scheitern der Schlecker-Strategie dürfte die permanente Expansion sein. Dadurch wurde zu wenig Kapital in den Erhalt und die Modernisierung bestehender Filialen investiert. Die Konkurrenten dm und Rossmann konnten so ungehindert ihr »modernes« Image aufbauen. Konkurrenz erfordert konkurrenzkonformes Verhalten. Schleckers Expansionsstrategie und deren Finanzierung basierte neben der Gewinnverwendung vor allem auf Lieferantenkrediten, d.h.: Die Waren sollten schneller verkauft als beim Lieferanten bezahlt werden. Dieses im Einzelhandel oft praktizierte System ähnelt einem Schneeballsystem und geht genauso lange gut. Die in den letzten Jahren bei Schlecker bemerkbaren Umsatzrückgänge hängen sicherlich nicht unwesentlich mit den Kaufkraftverlusten infolge der real sinkenden Einkommen und Renten zusammen. Hier könnte sich die Lage zahlreicher Filialen besonders ausgewirkt haben. Schlecker siedelte ja bewusst in mietgünstigen Seitenstraßen, »ärmeren« Stadtteilen und in kleineren Dörfern an. Seine Rolle als oft alleiniger Nahversorger bedeutete dann auch Umsatzverluste. Nicht zu unterschätzen ist die Wirkung der noch immer zunehmenden Konkurrenz im Handel. Diese wurde durch die Expansion aller Discounter und SB-Läden verschärft. Auch Lidl, Penny, Aldi usw. haben vergleich-bare Sortimentsteile. Zur Verschärfung der Konkurrenzen und Akkumulationsbedingungen im Einzelhandel trugen die Abschaffung des Ladenschlussgesetzes und damit eine Verlängerung der Konkurrenzzeiten entscheidend bei. Die Folgen wie leerstehende Läden sind überall sichtbar und werden durch die Schließungen von Schlecker-Filialen mal wieder ins Blickfeld gerückt. Diese wurden von der Gewerkschaft vorausgesagt, hatten allerdings keinen Einfluss auf das Handeln der fünf im Bundestag vertretenen Parteien. Auch »Die Linke« hat in den sog. rot-roten Regierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern das wettbewerbsbeschränkende Ladenschlussgesetz zugunsten von Ladenöffnungsgesetzen abgeschafft. Was hältst Du von der zeitweilig kolportierten These, dass Anton Schlecker in den Ruin getrieben wurde wegen des schlechten Images, das er als Arbeitgeber hatte? Zugespitzt ausgedrückt: vielleicht auch gerade wegen der gewerkschaftlichen Erfolge in der Kampagne gegen die Arbeitsbedingungen bei Schlecker, die sich in einem für diese Branche erstaunlichen Organisationsgrad und einem Tarifvertrag mit vergleichsweise akzeptablen Absicherungen für die Beschäftigten ausdrücken? Anton Kobel: Schlecker hat immer wieder und an fast allen Orten alles getan, um sein schlechtes Image zu erhalten. Selbst seine 2009 begonnene Modernisierungs- und Sanierungsstrategie endete in einem öffentlichen Fiasko. Für die damals neu konzipierten XL-Filialen wurde ein eigenes Unternehmen gegründet. Dessen Personal war oft vorher in den Schlecker AS-Filialen entlassen und in der Schleckereigenen Leihfirma MENIAR zu Billiglöhnen und ohne Tarifbindung und Betriebsräte wieder eingestellt und dann an die XL-Filialen verliehen worden. Das Menschenverachtende in der Schlecker-Ideologie spiegelte der Namen der Leihfirma wider: Menschen In Arbeit! Gesetzesänderungen gegen den Missbrauch von Leiharbeit trugen selbst in der CDU den Arbeitstitel Anti-Schlecker-Gesetz. Der permanent notwendige Kampf der Schlecker-Beschäftigten, ihrer Betriebsräte und der Gewerkschaft und die dabei erzielten Erfolge führten zu einem gewerkschaftlichen Organisationsgrad von ca. 40 Prozent. Diese Kämpfe wurden meist in der Öffentlichkeit und mit Unterstützung gesellschaftlicher Kräfte ausgetragen. Das machte die »Schlecker-Frauen« zum bundesweiten Begriff und Anton Schlecker zum Kotzbrocken der Nation. Eine Folge davon war ein »stiller Boykott« eines Ladens, in den man eben nicht einkaufen geht. Dabei dürfte dieser stille Boykott dauerhaft keine zweistelligen Umsatzeinbußen gebracht haben. Aber unter den Bedingungen harter Konkurrenz sind schon wenige Prozente entscheidend. Diese Boykottierenden erfuhren häufig nichts von der durch die Betriebsräte und die Gewerkschaft erfolgreich betriebenen ›Resozialisierung‹ von Schlecker, d.h. die von Teilen der Gesellschaft erzwungene Einhaltung der gültigen Sozialstandards. Auch hatten die unmittelbaren Konkurrenten dm und Rossmann kein Interesse daran, die von ihnen ganz offensichtlich aus den Schlecker-Resozialisierungsprozessen gewonnenen Erkenntnisse und Verhaltensänderungen öffentlich zu kommunizieren. Die Geschichte der Tarifbindungen und erstmaligen Betriebsratswahlen bei dm und Rossmann ist ohne die Ereignisse bei Schlecker nicht zu erklären und wäre eine eigene Berichterstattung wert. Umstritten ist, ob selbst ein »gesundgeschrumpfter« Schlecker angesichts der Konkurrenzsituation im Drogeriemarktbereich – dm und Rossmann gelten als Marktführer – überhaupt eine Chance habe oder ob die Kette gerade wegen der Gefahr eines sonst drohenden »Duopols« gerettet werden müsse, wie etwa Heinz-J. Bontrup in der taz vom 20. März schreibt. Ist Schlecker systemrelevant? Muss das Unternehmen überhaupt weitergeführt werden? Anton Kobel: Schlecker ist auch systemrelevant. Nach meiner Auffassung eher nicht für das ›Makro-System‹ der Marktwirtschaft. In diesem Markt konkurrieren nicht nur die Drogerieketten dm und Rossmann. Es gibt Müller und die Discounter wie Lidl, Aldi usw. Relevant sind die Schlecker-Filialen aber für bedeutende ›Mikro-Systeme‹ von Menschen aus Fleisch und Blut. Für diese sind sie oft die einzigen, fußläufig erreichbaren Nahversorger. Dass die Schlecker-Filialen dabei so alleine bleiben, hängt damit zusammen, dass auch die viel gelobten, »modernen« Konkurrenten ihre Funktion nicht in der Versorgung von Menschen sehen, sondern diese als Ausgangspunkt für ihren Profit. Systemrelevant ist Schlecker auf jeden Fall für die ›Lebens- und Familien-Systeme‹ von ca. 35000 Beschäftigten. Diese sind fast alle sozialversichert beschäftigt, also in Vollzeit oder »geschützter« Teilzeit. Es gibt hier kaum 400-Euro-Jobs. Diese Arbeitsverhältnisse sind wohl – unabhängig von der Relevanz für die betroffenen, überwiegend langjährig bei Schlecker beschäftigten Menschen – auch für die Sozialversicherungssysteme relevant. Das alles sind gute, vor allem menschenfreundliche, aber auch gesellschaftlich sinnvolle Gründe für die Weiterexistenz der Arbeitsplätze, in welcher Unternehmensform auch immer. Ob die Transfergesellschaften beschäftigungspolitisch etwas bringen, wird ebenfalls kontrovers diskutiert. Einige, wie etwa Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft, bestreiten mit dem Argument der »Dynamik auf dem Arbeitsmarkt« die Notwendigkeit sog. Auffang- oder Transfergesellschaften und glauben offenbar, dass die 11000 entlassenen VerkäuferInnen auch ohne diese einen Arbeitsplatz finden (vgl. Stuttgarter Zeitung, 23. März 2012). Andere kritisieren gerade umgekehrt, dass die Transfergesellschaften lediglich ein teurer Übergangsparkplatz in die nachfolgende Arbeitslosigkeit seien (vgl. Heinz-J. Bontrup, taz vom 20. März 2012). Wie schätzt Du die Arbeitsmarktlage für VerkäuferInnen ein? Was hältst Du von dem Argument der Vergeudung von Steuergeldern? Und wo siehst Du die Chancen einer Transfergesellschaft für die Beschäftigten – im Unterschied etwa zu Sozialplänen und/oder Abfindungen? Anton Kobel: Die Arbeitsmarktlage für VerkäuferInnen ist schlecht. Es gibt kaum Angebote an Vollzeit- und existenzsichernden Teilzeitarbeitsplätzen. Alle anderen, auch aktuellen Behauptungen sind pure Propaganda. Bundesweit soll es ca. 21000 offene Stellen im Verkauf geben, so gebetsmühlenartig und Sand in den Verstand verstreuend von Vertretern der Bundesagentur für Arbeit und der Arbeitgeber behauptet. Und kein Wort mehr! Mindestens die Hälfte der offenen Stellen sind nämlich Minijobs. Armut trotz Arbeit und Altersarmut gehören zum Einzelhandel wie die superreichen Deutschen, die ihr Milliardenvermögen im Einzelhandel erarbeiten ließen. Die Aldi-Brüder, Herr Schwarz von Lidl, die Familie Otto, die Hauptaktionäre des Metro-Konzerns – also Metro C&C, MediaMarkt, Saturn, Kaufhof, real – seien hier stellvertretend genannt. Eine entscheidende Bedeutung einer Transfergesellschaft (TFG) sehe ich darin, dass sie den Bezug von Arbeitslosengeld I faktisch sechs bis zwölf Monate später nötig macht und zwar mit deutlich mehr Geld. In den Schlecker-Transfergesellschaften sollten die dort »geparkten«, ca. 11000 Beschäftigten rund 80 Prozent ihres letzten Gehaltes bekommen. Zudem sollten Qualifizierungsmaßnahmen organisiert werden. Ich halte dies für eine sinnvolle Verwendung von Steuergeldern. Unter Beachtung aller Kosten-Nutzen-Gesichtspunkte sowie der Auswirkungen auf die Entlassenen ist das politisch gut zu vertreten. Sozialpläne bringen bei Insolvenz normalerweise nicht viel Abfindung. Diese sind auf maximal 2,5 Monatsgehälter gedeckelt. Ob die dann ausgezahlt werden können, hängt davon ab, ob es überhaupt zu verteilendes Geld gibt. Nicht zu unterschätzen sind bei Weiterführung des Unternehmens entstehende Widersprüche und Konflikte in der Belegschaft. Diejenigen, die im Betrieb weiterarbeiten können, haben eher das Interesse, dass möglichst viel Kapital im Betrieb bleibt und nicht für die Abfindungen der Ausscheidenden verwendet wird. Das Interesse der Gekündigten ist entsprechend. Um die geplanten elf Transfergesellschaften zu finanzieren, braucht es einen Kredit in Höhe von geschätzten 70 Millionen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) würde diesen stellen, allerdings nur bei einer Zusicherung von Bürgschaften, die – nachdem Philipp Rösler eine Beteiligung des Bundes kategorisch abgelehnt hatte – die betroffenen Bundesländer abgeben müssten. Dafür sind politische Entscheidungen in den jeweiligen Parlamenten bzw. Kabinetten notwendig. Noch ist unklar, ob sich alle Bundesländer für solche Bürgschaften aussprechen. Insbesondere FDP-geführte Wirtschaftsministerien wie etwa in Niedersachsen, Hessen oder Sachsen lehnen staatliche Garantien eher ab, denn zum einen sei der Staat »nicht der bessere Unternehmer« und dürfe »in einer Sozialen Marktwirtschaft Fehler von Unternehmen nur in wirklichen Ausnahmefällen korrigieren«, wie etwa FDP-Fraktions-Chef Rainer Brüderle meint (Stuttgarter Zeitung, 27. März). Zum anderen verweisen sie auf ein vom Land Baden-Württemberg in Auftrag gegebenes Gutachten der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC), demzufolge das Konzept von Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz, Investoren für Rest-Schlecker zu finden, nicht aussichtsreich sei – ebenso wenig wie eine Weiterführung der Kette in Eigenregie. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Finanzierung von Transfergesellschaften über Bürgschaften und der Frage, wie das Restunternehmen weiter betrieben wird? Oder ist das lediglich der Versuch, staatliche Intervention überhaupt abzulehnen? Und wie beurteilst Du die Notwendigkeit einer politischen Intervention im Umgang mit der Pleite? Anton Kobel: Die Auseinandersetzungen um die letztlich von den FDP-Wirtschaftsministern von Bayern, Niedersachsen und Sachsen verhinderten Transfergesellschaften sind politische Auseinandersetzungen. Dabei wird jede als Argument erscheinende Aussage und jeder ökonomische Zusammenhang genutzt. So haben die Neoliberalen gemeinsam mit den Ordoliberalen alles an »Sachverstand« aufgeboten, was seit Jahren am Markt zu haben ist. Die Äußerungen der FDPler Rösler und Brüderle zeigen, worum es auch am Beispiel Schlecker geht. Es geht noch immer um die politische Hegemonie des Neoliberalismus. So absurd es erscheinen mag: Der Kampf um die TFG für die Schlecker-Frauen ist ein Kampf ums Prinzip! Die Schlecker-Frauen haben das wie viele andere verstanden: »Rettungsschirme für die Banken, Ehrensolde für Wenige und Nix für uns!« Noch nicht mal eine Bürgschaft für einen Kredit, der die TFG ermöglicht hätte! Diese Form des Verteilungskampfes ist für Viele politische Bildung durch die politische Praxis. Wozu das führt, ist mir allerdings unklar. Ob zu Resignation oder Wut oder Aktivität? Ob nach rechts oder links oder gegen ›die da Oben‹? Ob »nur« gegen die FDP oder gegen die PolitikerInnen insgesamt? Wenn die FDP gegen die von der Insolvenz betroffenen, abhängig Beschäftigten agiert und gleichzeitig ihre von den Wahlpleiten betroffenen Parteigänger in Ministerien und staatlichen Institutionen unterbringt, dann hat dies nicht zu unterschätzende Auswirkungen für das politische Bewusstsein. Ich denke, für den Erhalt der jetzigen, wenn auch oft nur formalen Demokratie sind staatliche Interventionen notwendig. Das Etikett »soziale Marktwirtschaft« scheint mir in der BRD demokratierelevant zu sein – auch deshalb sind staatliche Interventionen geboten. Und auch deshalb darf die Auseinandersetzung bei und um Schlecker nicht beendet werden. Die Familie Schlecker soll trotz der Insolvenz weiterhin monatliche Einnahmen von 70000 Euro haben, wie das Manager Magazin am 22. März 2012 berichtete. So ist das bei reichen Leuten: Der Papa Schlecker geht in Insolvenz, das Vermögen der Mama Schlecker bleibt in Folge eines Ehevertrages und das der beiden Sprösslinge wegen wohl rechtzeitiger Schenkung ungeschoren! Auch hier bietet sich eine staatliche Intervention an: Enteignet Schlecker! (Artikel 14 Grundgesetz) Letzte Frage: Wenn schon politische Intervention und Auffanggesellschaften – warum nicht über eine Umwandlung in ein belegschaftsgeführtes Unternehmen, eine Genossenschaft oder ähnliches nachdenken? Heinz-J. Bontrup hatte vorgeschlagen, einen »Mitarbeiter-Schlecker« zu gründen. Statt Bürgschaften für Transfergesellschaften bzw. Staatssubventionen für private Investoren zur Verfügung zu stellen, sollte das Unternehmen zu einem symbolischen Preis von 1 Euro an die MitarbeiterInnen verkauft werden, denn »keiner kennt ein Unternehmen – seine Stärken und Schwächen wie auch die Erwartungen der Kunden – so gut wie die Beschäftigten.« Sie seien das größte Kapital der Firma. (Vgl. taz, 20. März) Was hältst Du von diesem Vorschlag, und warum wird diese Idee bei Schlecker nicht aufgegriffen? Anton Kobel: Ich finde den Vorschlag von Heinz-J. Bontrup sympathisch, politisch richtig und aktuell sinnvoll. Die Weiterführung von Schlecker als Genossenschaft ist innerhalb von ver.di Thema, leider aber auch nicht mehr. Es gab in den letzten Jahren mehrfach Anstöße zu einer Debatte in ver.di. Diese wurde jedoch nicht organisiert, sondern eher verweigert. Es gibt deshalb keine Position dazu, geschweige denn planvolle Überlegungen – oder gar Konzepte für einen »Plan B«. Vielmehr lässt sich festhalten, dass es bislang mindestens drei Meinungen zu diesem Thema gibt: 1) ver.di sollte die Bildung von Genossenschaften unterstützen. 2) Genossenschaften im Kapitalismus bringen nichts. 3) Wenn Menschen dann mit Hilfe von ver.di eine Genossenschaft bilden, dann verlassen sie die Gewerkschaft, da sie diese nicht mehr brauchen. Diese Po-sitionen müssen ausdiskutiert werden. Die nächste Krise eines Handelsunternehmens kommt bestimmt. Schlecker als Genossenschaft oder mindestens mit einer bedeutenden Beteiligung der Belegschaft am Eigenkapital hätte nicht nur den politischen Charme einer Form solidarischer Ökonomie, sondern wäre ganz sicher ein bedeutsamer Beitrag zur Beseitigung des Schlecker anhaftenden Schmuddel-Images. Und es brächte Perspektiven für weitere, notwendig werdende Kämpfe. Vielleicht besteht jetzt in ver.di nach dem Scheitern der TFG eine größere Chance, die notwendige Debatte über Genossenschaften zu führen. Jedenfalls sollte diese Chance genutzt werden, auch wenn der Kampf um die TFG und den Erhalt von möglichst vielen Arbeitsplätzen die Kräfte der ver.di-Aktiven und Betriebsräte voll in Anspruch genommen hat. * Anton Kobel hat 1994 die Schlecker-Kampagne bei HBV in Mannheim/Heidelberg mit ins Leben gerufen.
Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 03/2012 |