letzte Änderung am 16. Januar 2004

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Frauen und der Einzelhandel - eine schwierige Beziehung

Christopher Bahn

Der Einzelhandelssektor gehört zu den Branchen, in denen prozentual mehr Frauen als Männer beschäftigt sind. In Deutschland waren 1997 67,1% der Beschäftigten weiblich, wobei dieser Anteil in den letzten Jahren im Zunehmen begriffen ist (Eurostat 1998; Hubertus 2002). Aufgrund der festzustellenden Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse wird dabei im Einzelhandel eine Vielzahl von Teilzeitarrangements angeboten, die Frauen wegen der fortbestehenden Zuschreibung von familiären Verpflichtungen bei der Koordination von häuslicher und erwerblicher Arbeit entgegenkommen (Kirsch et al. 1999; Lehndorff 2001). Kann daher der Einzelhandel - bei pessimistischer Einschätzung einer grundlegend anderen Gestaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in näherer Zukunft- als Modellbranche angesehen werden, die Frauen Qualifizierungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten in vielfältiger Weise bietet? Tiefergehende Analysen lassen Zweifel aufkommen. So sehen sich Frauen bei der Aufnahme und dem Ausbau eines Beschäftigungsverhältnisses schwerwiegenden, auf geschlechtstypisierten Rollenverständnissen beruhenden Barrieren gegenüber, die individuelle Entfaltungs- und Verdienstmöglichkeiten stark einschränken.

Schon bei der Wahl des Ausbildungsverhältnisses sind erste Hindernisse festzustellen, die den weiteren Berufsweg teilweise gravierend vorzeichnen und negativ beeinflussen. Im Einzelhandelssektor werden im wesentlichen zwei Ausbildungsgänge angeboten: Eine mehr auf die sortimentsspezifische Qualifikation ausgerichtete, zweijährige Ausbildung zum Verkäufer/Verkäuferin und die an verwandten kaufmännischen Berufen orientierte dreijährige Lehre zum Kaufmann/Kauffrau des Einzelhandels, die als Voraussetzung für Aufstiegspositionen und das mittlere Management unerlässlich ist (Marek et al. 1999; Paulini 1998; Tenbensel 1987). Die Frauenquote variiert dabei in beiden Ausbildungsgängen erheblich: Während der Anteil der weiblichen Auszubildenden bei den Kaufleuten zum Einzelhandel 1997 60% betrug, waren 76,7% der angehenden Verkäufer/Verkäuferinnen Frauen (Marek et al. 1999; Paulini 1998) Die Quote ist dabei über den Zeitablauf relativ konstant geblieben [1].

Bei der Analyse dieses Phänomens ließ sich das weitreichende Vorurteil widerlegen, dass junge Frauen eine geringere Berufs- und Karriereorientierung haben als ihre männlichen Kollegen, sondern vielmehr mangels alternativer Angebote in diesen Ausbildungsweg gedrängt wurden (Kleber 1992; Rudolph 1993; Rudolph/Grüning 1993). Obwohl grundsätzlich eine Verlängerung der zweijährigen Ausbildung und damit die Überführung in eine kaufmännische, aufstiegsorientierte Laufbahn möglich und von vielen jungen Frauen auch erwünscht ist, scheitern ihre Karrierewünsche häufig schon an dieser Stelle. Die anfänglich von den Betrieben und Ausbildern suggerierte Hoffnung, nach Abschluß der zweijährigen Ausbildung eine weitere Qualifizierung zur Einzelhandelskauffrau zu beginnen, erwies sich später für viele weibliche Auszubildende als illusorisch, da sie von ihren Betrieben nicht in diese Ausbildungsgänge übernommen oder als nicht befähigt für eine weitere Qualifikation betrachtet wurden (Kleber 1992; Rudolph/Grüning 1993). Insofern ist die in empirischen Untersuchungen festgestellte stärkere Familienausrichtung von weiblichen im Vergleich zu männlichen Beschäftigten nicht als Indiz einer fehlenden Karriereorientierung (z.B. Marek et al. 1999), sondern als Resignation und Reflex auf die systematische Brechung von weiblichen Karrierewünschen und die gesellschaftlich vorherrschende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zu deuten (Kleber 1992; Rudolph/Grüning 1993).

Doch selbst bei vorhandenen Qualifikationsmöglichkeiten eröffnen sich für Frauen nur eingeschränkte Beschäftigungsmöglichkeiten, da sie vorwiegend für den Einsatz in Abteilungen und Sortimentsbereichen vorgesehen sind, die mit Weiblichkeit assoziiert werden. So finden sich Frauen vor allem in den Abteilungen für Damenoberbekleidung (DOB), Schmuck und Haushaltswaren und in der Pafümerie, während sie bei technisch orientierten Sortimenten deutlich unterrepräsentiert sind (Jacobsen/Hilf 1994; Kleber 1992; Tenbensel 1987). Diese geschlechtsspezifsche Segmentation von Arbeitsplätzen nach sortimentsbezogenen Gesichtspunkten ist nicht zufällig und noch nicht einmal unbewußt vollzogen, sondern Ergebnis einer an geschlechtstypisierten Eigenschaften und Fähigkeiten orientierten Personaleinsatz- und -entwicklungsplanung (Tenbensel 1987).

Während sich dabei zumindest in den mit Weiblichkeit assoziierten Abteilungen Aufstiegschancen in das mittlere Management ergeben (z.B. als Erstverkäuferin, Substitutin), sind Frauen aufgrund der betrieblichen Orientierung an männlich geprägten Karrierepfaden und stereotypen Eigenschaften bei der Rekrutierung der oberen Führungskräfte stark benachteiligt (Jacobsen/Hilf 1994; Kleber 1992; Marek et al. 1999). Die Aufnahme in den Schulungskreis für Führungsnachwuchskräfte ist an die Bereitschaft zur unbegrenzten Mobilität und zum Einsatz in mehreren auswärtigen Filialen im Rahmen des Fortbildungsverhältnisses geknüpft, der in vielen Fällen aufgrund der traditionellen geschlechtsspezifischen Zuschreibung von familiären und häuslichen Verpflichtungen für Frauen ein unüberwindbares Hindernis darstellt (Kleber 1992; Marek et al. 1999; Tenbensel 1987). Doch selbst bei einer grundsätzlichen Bereitschaft zur Mobilität ist der Zugang zu den für den Aufstieg entscheidenen Fortbildungsveranstaltungen nur eingeschränkt gewährleistet, da Frauen häufig per se unabhängig von ihrer aktuellen familiären Situation und Planung ein diskontinuierlicher Erwerbsstatus zugesprochen wird (Faber et al. 1992; Kleber 1992). Diese Rollenerwartung ist als wesentlich für die Ausbildung einer geschlechtsspezifischen Segmentation von Arbeitsplätzen nach funktionellen und hierarchischen Gesichtspunkten anzusehen, da unter Bezugnahme auf die scheinbar kürzere Beschäftigungsdauer von Frauen in den Betrieben die kostenintensive Investition in die Qualifikation gescheut wird (Kleber 1992; Rudolph 1993; Rudolph/Grüning 1993).

Angesichts des allgemein konstatierten Trends zur Ausdehnung von filialisierten Einzelhandelskonzernen mit standardisierten Marketingkonzepten, der eine Polarisierung der Qualifikationsprofile erwarten läßt, scheint sich die Situation von weiblichen Mitarbeiterinnen in der Zukunft eher noch zu verschlechtern. Die erwartete Aufwertung und Requalifizierung von Arbeitsplätzen in der gehobenen Managementebene und im technischen Bereich (z.B. EDV-Betreuung) kommt vor allem Männern zugute (Jacobsen et al. 1999), da diese Tätigkeiten vorwiegend als Vollzeitarbeitsplätze angeboten werden und zu den männlich dominierten Arbeitsplatzsegmenten gehören. Trotz der öffentlichen Erklärungen von Unternehmen, auch qualifizierte Teilzeitarbeitsplätze zu schaffen und damit den Bedürfnissen insbesondere von Frauen entgegenzukommen (nach Jacobsen/Hilf 1998 waren 92,2% aller Teilzeitbeschäftigten im Einzelhandel weiblich), stehen der praktischen Umsetzung noch erhebliche geschlechtstereotype Vorurteile entgegen (Straumann et. al. 1996).

Auf der anderen Seite hat der Zuwachs an preissensiblen Betriebstypen wegen der stärkeren Spezialisierung von Tätigkeiten zur Folge, dass die Arbeitsplatzsegmente, in denen Frauen vorwiegend beschäftigt werden, von Dequalifizierungstendenzen betroffen sind. Jacobsen und Hilf (1994) haben in diesem Zusammenhang nachgewiesen, dass diese Arbeitsplätze einhergehend mit einer Absenkung des Qualifikationsniveaus durch eine hohe Stressbelastung und einen geringen Entscheidungsspielraum gekennzeichnet sind. Die Restrukturierung des Einzelhandelssektors erfolgt daher nicht geschlechtsneutral, sondern eröffnet dem männlich dominierten Management und technischen Fachpersonal neue Qualifizierungs- und Aufstiegschancen, während die vorwiegend im Verkauf arbeitenden weiblichen Beschäftigten eine Einschränkung ihres Tätigkeitsspektrums, verschlechterte Arbeitsbedingungen und zunehmend prekäre Arbeitsverhältnisse hinnehmen müssen.

Zusätzlich bewirkte die Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten in Deutschland eine weitere Verschlechterung der Erwerbsmöglichkeiten insbesondere für die Frauen, die kleinere Kinder zu versorgen haben. Im Zusammenhang mit der Zunahme von Arbeitszeitregimen, die den Beschäftigten die Anpassungslast an die sich im Tages- und Wochenablauf ändernden Kundenströme übertragen (Kirsch et al 1999; Lehndorff 2001), verschärfte sich das Problem der zeitlichen Koordination zwischen häuslicher und erwerblicher Arbeit. So sahen sich viele weibliche Beschäftigte gezwungen, ihre Freizeitaktivitäten außerhalb der Familie erheblich zu reduzieren oder sogar ihre Berufstätigkeit aufzugeben (Wiethold/Gartz 1999). Die mit der Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten verbundenen beschäftigungspolitischen Hoffnungen haben sich dabei zumindest für Deutschland nicht erfüllt: Seit der Einführung der verlängerten Öffnungszeiten 1996 wurden im Einzelhandelssektor ca. sechs Prozent der Arbeitsplätze abgebaut (Jacobsen/Hilf 1999; Wiethold/Gartz 1999).

Die Zuweisung und die Beschränkung von Frauen auf Arbeitsplätze im Verkaufsbereich beeinträchtigt daher nicht nur ihre persönlichen Entfaltungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten, sondern den Erwerbsstatus allgemein, da diese Arbeitsplatzsegmente -wie Frauenarbeitsplätze in anderen Sektoren auch- von Rationalisierungsmaßnahmen hauptsächlich betroffen sind (Duran et al. 1982). So traf der Personalabbau in Deutschland (Jacobsen/ Hilf 1999; für Ostdeutschland Jacobsen 1999; Kaluza 1995) und in Großbritannien (Kirsch et al 1999; Lehndorff 2001) vor allem vollzeitbeschäftigte Verkäuferinnen mit mittlerem Qualifikations- und Ausbildungsniveau, während die männlich dominierten Managementtätigkeiten und technischen Funktionen wie oben erwähnt eine wenn auch quantitativ geringe Ausweitung erfuhren (Davies 1995).

Dennoch ist der Trend in Europa nicht einheitlich: Der Anteil der im Einzelhandel Tätigen stieg im Vergleich zur Gesamtbeschäftigung in Frankreich und den Niederlanden, wobei sich jedoch die Aufschlüsselung nach Männern und Frauen aufgrund mangelnder statistischer Daten außerordentlich schwierig gestaltet (Kirsch et al.1999). Der Beschäftigungsaufbau in Frankreich erfolgte dabei vor dem Hintergrund institutioneller Regelungen, die eine Aufsplittung von Arbeitsplätzen in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse erschweren und Teilzeitbeschäftigte rechtlich erheblich besser stellen als in anderen westeuropäischen Ländern (Kirsch et al 1999; Lehndorff 2001). Die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen ist daher keine naturgesetzliche Entwicklung innerhalb des Einzelhandelssektors, sondern wird im wesentlichen durch das regulatorische Umfeld bestimmt.

Obwohl der Einzelhandelssektor bezüglich der nachgefragten Qualifikationsstrukturen und der innerbetrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen vergleichsweise gering erforscht ist (Jacobsen et al. 1999), können auch hier zwei gegenläufige Entwicklungen beobachtet werden: Neben der verstärkten Ausweisung von Arbeitsplätzen mit geringen qualifikatorischen Anforderungen und monotoner Tätigkeitsstruktur in preissensiblen Betriebstypen nahm die Anzahl der Qualifizierungs- und Weiterbildungsveranstaltungen vorwiegend in den Warenhäusern zu, da in einer hohen fachlichen und sozialen Kompetenz der Beschäftigten im Verkauf ein entscheidender Wettbewerbsvorteil gesehen wird. Frauen sind jedoch in Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen gemessen an ihrem Beschäftigungsanteil nur unterproportional vertreten (Jacobsen/Hilf 1994; Marek et al. 1999).

Zusammenfassend erscheinen die Auswirkungen der Restrukturierung des Einzelhandelssektors nicht als technologisch determiniert. Vielmehr sind sie abhängig vom regulatorischen Umfeld und den Machtverhältnissen der beteiligten Akteure (Duran et al. 1982; Tenbensel 1987). Die Durchsetzungsfähigkeit von emanzipatorischen und anderen gesellschaftlichen Einflußgruppen im politischen Prozess entscheidet daher, ob Frauen im Einzelhandel existenzsichernde Voll- und Teilzeitarbeitsplätze, Qualifizierungschancen und Möglichkeiten des beruflichen Aufstiegs vorfinden oder durch prekäre, monotone und niedrigqualifizierte Beschäftigungsverhältnisse in ihrer Lebensführung massiv behindert und eingeschränkt werden. Jedoch sind die Chancen für eine nachhaltige Veränderung der vorherrschenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung oder auch nur der Arbeitsbedingungen im Einzelhandel eher skeptisch zu beurteilen, da insbesondere auch die Gewerkschaften als wichtige Akteure der industriellen Beziehungen geschlechtsbezogene Fragestellungen und Probleme vernachlässigen oder gänzlich ignorieren (Rudolph/Grüning 1993). Die Entwicklung des Einzelhandelssektors zur Modellbranche für die Qualifikation und berufliche Integration von Frauen erscheint daher eher als visionärer Traum denn als realistische Hoffnung - ein Traum allerdings, für den es sich zu streiten lohnt!

Anmerkung

1) Vergleiche http://berufenet.arbeitsamt.de/bnet2/K/B6812107zugang_a.html [download vom 13.1.2004] und http://berufenet.arbeitsamt.de/bnet2/V/B6820100zugang_a.html.

Literatur

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