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Updated: 18.12.2012 15:51
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Zieldiktat führt zu Zielkonflikt

»Sie müssen nicht verstehen, nur verkaufen« – Ergebnisse einer Banken-Studie der HBS

Die vielfach als Naturereignis wahrgenommene und bezeichnete Banken- und Finanzmarktkrise steht angesichts anderer Katastrophen derzeit nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dass die Entwicklung – oder sollte man sagen: Erfindung? – und der Vertrieb von Finanzprodukten jedoch alles andere als ein Naturprozess ist, sondern mit spezifischen ökonomischen Steuerungs- und Anreizsystemen sowie Zielvorgaben zu tun hat, darauf weist etwa ver.di seit langem hin. Mittlerweile hat sogar der Gesetzgeber etwas, wenn auch etwas sehr bestimmtes an der Finanzkrise verstanden und im Februar ein »Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und der Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes« verabschiedet. Damit diese Quadratur des Kreises funktioniert, sollen künftig die abhängig beschäftigten BeraterInnen sanktioniert und mit bis zu zweijährigem Berufsverbot belangt werden können, falls ihnen fehlerhafte Beratung nachgewiesen werden kann. Die freiberuflichen »Drückerkolonnen« (Uwe Foullong, ver.di-Bundesvorstand, Fachbereich Finanzdienstleistungen in ver.di-publik, Nr. 1-2/2011) – immerhin rund 80000 Menschen verdienen provisionsgetrieben mit Vermittlungen im »Grauen Kapitalmarkt« ihr Geld – werden von dieser Regelung kaum erfasst, sollen für deren Kontrolle doch künftig die kaum sachkundigen und notorisch überlasteten Gewerbeämter zuständig sein.

Für ver.di und rund 72000 BankerInnen, die im Vorfeld gegen dieses Gesetz protestiert hatten, sind die Ursachen ohnehin woanders zu suchen: Entlohnungs- und Prämiensysteme, Vertriebsstrukturen und -vorgaben führen systematisch dazu, dass »gute Arbeit« ebenso wie »gute Beratung« verunmöglicht und systematisch über die Köpfe der vermeintlich souveränen KundInnen hinweg, wenn nicht gegen deren Interessen ›beraten‹ wird. Was auch immer »gute Arbeit« ausgerechnet im Anlagebereich heißen könnte: Eine Studie der Hans Böckler Stiftung über den Bankensektor zeigt darüber hinaus nun auch, dass die verbreitete Rede von der »postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft« eher einem soziologischen Euphemismus aufsitzt, als auf eine genaue Analyse der Arbeitsverhältnisse zurückgeht. In vielen Banken nehme »die Kundenbetreuung Züge von Fließbandarbeit an: Standardprodukte sollen möglichst reibungslos und in großen Mengen verkauft werden. Hohe Zielvorgaben und computergestützte Vertriebssysteme setzen Beschäftigte unter permanenten Druck. Die Kundenzufriedenheit werde oft lediglich als Kennzahl unter vielen wahrgenommen«, so die Zusammenfassung der Ergebnisse einer von der Hans Böckler Stiftung geförderten Studie an der Universität Oldenburg* in einer Pressemitteilung vom 24. Januar 2011. Wir dokumentieren:

Prof. Dr. Thomas Breisig und sein Forscherteam erkundeten in einer Befragung die Vertriebsstrategien von 127 Groß- und Volksbanken sowie Sparkassen; zudem führten sie zahlreiche Interviews zu den Auswirkungen der Vertriebssteuerung im Arbeitsalltag. Die Untersuchung ist damit nicht statistisch repräsentativ. Sie bietet aber einen breiten Einblick in die drastischen Veränderungen, die sich während des vergangenen Jahrzehnts in der Arbeitsorganisation und der Vertriebssteuerung deutscher Banken vollzogen haben. »Teil-weise unsäglich gewordene Zielsysteme«, so ein Fazit der Studie, sorgten dafür, dass die Kundenberater häufig fast keine Spielräume bei ihrer Arbeit haben. Die Beschäftigten erhalten klare Mengenvorgaben von der Zentrale, erleben permanente Kontrolle und wenig Freiraum.

Die Forscher skizzieren die Hintergründe der Entwicklung zu einer »Finanzindustrie«. Die rigide Vertriebssteuerung wurde in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut, als Reaktion auf eine als Krise wahrgenommene Situation: Deutsche Banken hatten lange als außergewöhnlich erfolgreich gegolten, dann aber standen sie um das Jahr 2000 plötzlich bei einigen Kennzahlen schlechter da als britische und US-Geldhäuser. Sie hatten niedrigere Eigenkapitalrenditen und höhere Kosten je Ertrag. Die Citibank etwa musste nur 41 Euro-Cent einsetzen, um einen Euro zu verdienen, die deutschen Großbanken benötigten in manchen Jahren den doppelten Einsatz. Im Rückblick nennen die Studienautoren zwei Hauptursachen dafür: Die US-Banken hätten schon in dieser Zeit wenig nachhaltig gearbeitet; es handelte sich also um keinen fairen und aussagekräftigen Vergleich. Zudem befanden sich die deutschen Banken in einer Übergangsphase, weil der Bauboom in Ostdeutschland, von dem sie als Finanziers lange profitiert hatten, an sein Ende kam.

Zwischen 2000 und 2005 machten Bankvorstände und ihre Ideengeber aus Business Schools und Unternehmensberatungen allerdings andere Gründe für den Rückstand verantwortlich. Sie führten die Krise der deutschen Finanzinstitute auf mangelnde Effizienz und eine zu hohe Filialdichte zurück. Studien erklärten die meisten Filialen für zu klein, um wirklich rentabel zu sein. Die Banken reagierten mit einem »massiven Reorganisations- und Konzentrationsprozess«. Das Filialensterben ebbte erst nach 2006 ab – berichten Breisig und seine Ko-Autoren – und zwar, weil neue Studien nun belegten, wie wichtig Kundennähe ist. Ab diesem Zeitpunkt, kurz vor der nächsten Krise, verbesserten sich auch die Kennzahlen der deutschen Banken.

Egal ob Groß- oder Volksbank: Inzwischen steuern fast alle die Arbeit in den Filialen nach US-amerikanischem Vorbild. Beim IT-gestützten Customer Relationship Management (CRM) bildet eine Datenbank das Rückgrat der Vertriebsaktivitäten, nicht der einzelne Berater, der den Kunden und seine Lebensverhältnisse kennt. Sämtliche verfügbaren Informationen über die Kunden werden gespeichert, die Beschäftigten müssen ständig Daten eingeben. Mathematische Methoden sollen dann Trends und Verhaltensmuster sichtbar und auf Vertriebspotenziale aufmerksam machen. So bilden sich Kundensegmente – vom Top-Kunden, der eine ausführliche Beratung wert ist, bis zum Massenkunden, bei dem die Marge als so niedrig angesehen wird, dass er nur standardisierte Produkte erhält. Durch den Aufbau der Datenbanken sind die IT-Kosten in die Höhe geschossen: 1998 machten sie nur etwa ein Viertel der Gesamtkosten aus, sieben Jahre später bereits die Hälfte. Dafür sank der Anteil der Personalkosten von rund 65 auf nur mehr 45 Prozent.

Beim CRM rückt die Technik an die erste Stelle. Sehr viele Arbeitsabläufe sind bis ins Detail vorgegeben, die Beschäftigten und Betriebsräte sprechen von einem fremdbestimmten Arbeiten. Vor allem bietet die Informationstechnik eine gute Basis für die Arbeit mit Zielvorgaben und -kontrolle. Einige Banken geben vor, dass jeder zweite Kundenkontakt zu einem Abschluss führen soll oder eine Beratung nicht länger als 30 Mi-nuten dauern darf. Auch die Zahl der Kundengespräche wird häufig vom mittleren Management bestimmt.

Überraschend war dabei für die Forscher, in welchem Umfang die definierten Verkaufsziele alles andere überlagern. Ziele der Personalentwicklung, selbst »Kundenzufriedenheit, von der man meinen könnte, sie sei auf lange Frist gesehen das Lebenselexier jedweder Vertriebsorganisation«, müssen demnach hinter den Verkaufsvorgaben zurückstehen. So steuerten mehr als 90 Prozent der untersuchten Banken ihre Vertriebsarbeit über Zielvorgaben, gut 80 Prozent betrieben ein Benchmarking zwischen Filialen. Eine systematische Analyse der Kundenzufriedenheit nutzten hingegen nur 56 Prozent für die Vertriebssteuerung (siehe dazu Infografiken im Böckler Impuls 20/2010). Die Wahrnehmung der meisten Befragten ist: Die Ziele werden von oben nach unten »ohne jeden Anflug von partizipativer Öffnung vorgegeben«. Bei diesen Verfahren von »Zielvereinbarungen« zu sprechen, sei irreführend, schreiben Breisig und seine Ko-Autoren: »Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun. Was in den Filialen ankommt, kann man unumwunden als Zieldiktat bezeichnen.«

Die Vorgaben werden durch ein ausgiebiges Controlling überprüft, so die Studie. Die Aktivitäten eines Beraters werden meistens einmal je Woche kontrolliert, und zwar anhand zählbarer Indikatoren: Kundenanrufe, Zahl der Gespräche und Verkäufe, Einhaltung von Terminen. Die Qualität der Beratung, das Erreichen von guten Zwischenlösungen und Zwischenständen spielt keine Rolle. Ein Beschäftigter aus einer Volksbank mit 120 Angestellten sagt: »Wir controllen uns einen Wolf.«

Fast überall spielen Kennzahlen bis auf die Teamebene eine bedeutende Rolle, in 85 Prozent der Filialen sogar für einzelne Beschäftigte. »Jeder Mitarbeiter wird tendenziell als Profit-Center geführt«, so die Autoren. Die unteren Führungskräfte haben kaum Spielräume, sondern sind um der eigenen Ziele willen »genötigt, für Zielerreichung zu sorgen«. In etlichen Banken werde der Wettbewerb zwischen Filialen, Regionen, einzelnen Teams richtiggehend zelebriert, die Ergebnisse werden bekannt gegeben, und von den Resultaten hängen schließlich Boni, Personalausstattung, Karrieren ab. Dieses Regime übt laut Studie einen »massiv zunehmenden Leistungsdruck« aus. Ein Befragter sagt: Es wäre schön, ohne solchen Vertriebsdruck zu arbeiten. Dann könne er vielleicht das Rentenalter im Beruf erreichen.

Die Beschäftigten leiden aber nicht nur unter dem Leistungsdruck, sondern offensichtlich auch unter dem ständigen Zielkonflikt zwischen Kunden- und Verkaufsorientierung. Selbst wenn es Gegenstimmen gibt: Die Mehrzahl der Betriebs- und Personalräte sagt, dass ihr Institut sich in diesem Konflikt eher für die Verkaufsorientierung entscheidet. Kampagnen spielen im Vertrieb eine große Rolle, phasenweise werden einzelne Produkte besonders aggressiv vermarktet. Es gibt dann die Vorgabe, hiervon möglichst viel abzusetzen. »Im Grunde entscheidet der Computer« darüber, welche Geldanlage an den Mann oder an die Frau gebracht wird, stellt ein Beschäftigter fest. Ein anderer sagt: »Der Kunde hat auf jeden Fall im Moment das Nachsehen.« Ein Befragter berichtet von einer Anweisung: Er müsse das zu verkaufende Produkt nicht verstehen, er brauche es nur zu verkaufen.

Wenig gelernt aus der Krise? Einige deutsche Banken haben vor der Krise Nachsteuerrenditen von über 20 Prozent angestrebt und tun das weiterhin. Solche Eigenkapital-Renditen sind nur unter Inkaufnahme großer Risiken erreichbar, schreiben Breisig und sein Team. Und zu den Risiken gehörten auch »die Gefährdung langfristiger Kundenbindung durch eine überstrapazierte Verkaufsorientierung in Kurzfristperspektive« sowie ein »Heißlaufen der Zielsysteme«.

Die Beschäftigten wünschen sich der Befragung zufolge, dass die Industrialisierung der Vertriebsarbeit zumindest teilweise zurückgenommen wird. Und obwohl Betriebswirtschafts-Professor Breisig auch davon ausgeht, dass eine kunden- und beschäftigtenfreundliche Steuerung sehr gute Marktchancen hätte, rechnet er nicht mit großen Veränderungen. Viele der geschilderten Methoden kämen nach wie vor zum Einsatz: Personalabbau, kurz getaktete und sich steigernde Vorgaben, ständiger Vertriebsdruck. Das verspreche allenfalls kurzzeitigen Erfolg: »Auf lange Sicht kann man keine erfolgreiche Dienstleistungsarbeit von frustrierten, unter Dauerdruck gehaltenen und in Rankings betriebsöffentlich abgewerteten Beschäftigten erwarten.«

* Thomas Breisig, Susanne König, Mette Rehling, Michael Ebeling: »Sie müssen es nicht verstehen, Sie müssen es nur verkaufen – Vertriebssteuerung in Banken«, edition sigma, Forschung aus der Hans Böckler Stiftung, Berlin 2010.

Infografiken zum Download im Böckler Impuls 20/2010: http://www.boeckler.de/32014_111313.html#link externer Link

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 03-4/11
express im Netz unter: www.express-afp.info externer Link, www.labournet.de/express externer Link


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