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Updated: 18.12.2012 15:51
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DGB will Esther Dischereit kündigen

Der DGB Bezirk Berlin-Brandenburg möchte seine Kulturarbeit und die hauptamtliche Betreuung seiner Antirassismus-Website einstellen.

Von Martin Jander

Die Schriftstellerin und Gewerkschaftssekretärin Esther Dischereit soll Ende Juni 2006 arbeitslos werden. Mit ihrer Entlassung will der DGB Bezirk Berlin-Brandenburg seine Kulturarbeit und die hauptamtliche Betreuung seines Antirassismus Angebots im Internet (www.respekt.dgb.de externer Link) aufgeben. Ein Gütetermin vor dem Arbeitsgericht verlief am 22. Mai 2006 ergebnislos. Die Kündigung unterschrieb der DGB-Bundesvorsitzende Michael Sommer selbst, heißt es im DGB Haus in Berlin.

Seit 2001 arbeitet die international renommierte deutsch-jüdische Autorin für den Dachverband der Gewerkschaften in Berlin-Brandenburg. Ihre Arbeit wurde in den Geschäftsberichten regelmäßig ausführlich gewürdigt. Ihre Projekte - Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Kampagnen - erfreuen sich regen Zuspruchs und werden auch außerhalb der Gewerkschaften hoch gelobt. Erst kürzlich hat Dischereit den DGB Berlin-Brandenburg als Kooperationspartner in die Kampagne gegen die Zwangsprostitution (www.verantwortlicherFreier.de externer Link) eingebracht und dafür erfolgreich Sponsoren gewonnen.

Andreas Köhn, Mitglied der Landesbezirksleitung der Gewerkschaft ver.di in Berlin, dort u. a. verantwortlich für das Themenfeld Rechtsextremismus, ist auf Nachfrage überrascht von der Entlassung der Schriftstellerin. Dischereit sei im Unterschied zu manchem "Gewerkschaftsbürokraten sehr engagiert" gewesen und habe eine "sehr gute Arbeit geleistet", sagt er. Bei den Beschäftigten des DGB in Berlin hat sich die Kündigung der Schriftstellerin zwar längst herumgesprochen, zitierbar äußern möchte sich jedoch nur wenige.

Die Entlassung der Kunst- und Kulturbeauftragten des DGB Berlin-Brandenburg steht offenbar im Zusammenhang mit der als "Trendwende" apostrophierten Politik des gesamten Gewerkschaftsdachverbandes. Eine Einsparung von Ausgaben und eine Konzentration auf Aufgabenbereiche, die den Gewerkschaften - die zur Zeit unter großem Mitgliederschwund leiden - wieder neue Beitragszahler zuführen sollen, kennzeichnen diesen Prozess. Kunst, Kultur und Antirassismus scheinen dabei verzichtbar. Die Unterschrift Michel Sommers unter der Kündigung dokumentiert, dass es sich dabei keineswegs um eine regionale Sonderentwicklung handelt, sondern um einen allgemeinen Trend in den Gewerkschaften.

Ob man mit der Einstellung der Kulturarbeit und der hauptamtlichen Betreuung der Antrassismus-Website die richtigen Akzente setzt, wird innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften aber auch bezweifelt. Die Psychologin Professor Birgit Rommelspacher, Expertin in den Themengebieten Rechtsextremismus und interkultureller Dialog, äußerte sich betroffen über die vorgesehene Kündigung. Dischereits Arbeiten hätten sich vor allem durch die "Originalität des Zugangs und der Form" ausgezeichnet. Sie habe Themen bearbeitet, die "bei den Gewerkschaften gewöhnlich nicht sehr präsent" wären. Sie erinnerte sich besonders gut an Kunstaktionen, die das Ost/West- Verhältnis thematisierten, aber auch an Ausstellungen, die sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigten.

Katharina Karrenberg, die als bildende Künsterlin in Projekten Dischereits mitgearbeitet hat, nennt es "außerordentlich bedauerlich", dass der DGB Esther Dischereit kündigen will. Man solle sich das noch einmal sehr gut überlegen, schließlich habe die Organisation nicht nur die Aufgabe die ökonomischen Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, "sie hat auch einen Bildungsauftrag". Frau Karrenberg rät dem DGB die Kündigung zurückzunehmen und die Stelle besser zu dotieren. "Der DGB braucht eine gut bezahlte Kunstberaterin." Frau Karrenberg hält es für äußerst gefährlich, dass der DGB, der sich vollkommen zu Recht gegen die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen ausspreche, selbst solchen prekären Arbeitsverhältnissen Vorschub leiste. Esther Dischereit hat nicht nur für sich selbst zu sorgen, sie unterhält auch zwei gerade erwachsen gewordene Töchter.

Esther Dischereit scheint für die Beförderung der Kultur- und Antirassismusarbeit der Gewerkschaften besonders geeignet. Eine Beschäftigung als Lehrerin war ihr in den 70er Jahren wegen linken Engagements an der Universität Frankfurt verweigert worden. Sie arbeitete daraufhin in verschiedenen Druckbetrieben und war als Bildungsreferentin im Umkreis der linksundogmatischen DGB-Jugendschule Oberursel tätig. Als Autorin ist Esther Dischereit in Deutschland auch international vor allem mit Essays, Gedichten, Hörspielen und Theaterstücken hervorgetreten, die das Thema der "zweiten Generation" der Shoah-Überlebenden behandeln. Ihre Mutter hat den Nationalsozialismus in einem Versteck in Berlin überlebt. Möglicherweise ist sie die einzige international renomierte Autorin, die ein Anstellungsverhältnis beim DGB hat.

Die vorläufig letzte - von Esther Dischereit betreute - Ausstellung ("Plätze im Westen - Plätze im Osten") eröffnet am 7. Juni 2006 um 19 Uhr im DGB-Haus in der Keithstrasse. Schon einmal sollte Dischereit in den 90er Jahren von einer Gewerkschaft gekündigt werden. Damals arbeitete sie noch bei der ÖTV, einer Vorgängerorganisation der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di . Kaum war das Vorhaben ruchbar geworden, hatte eine große Anzahl von Gewerkschaftern aber auch prominenter Autoren und Wissenschaftler, unter ihnen Professor Peter Steinbach und Jürgen Fuchs, Einspruch erhoben. Um Schaden von der Organisation abzuwenden, zog die ÖTV die Kündigung damals zurück.


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