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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die Wut der Contis

Das polizeiliche Grossaufgebot vom Donnerstag, 23. April 2009 war umsonst. Ebenso die Angst der Aktionäre des Reifenmultis Continental, zu deren Schutz das Heer von Ordnungskräften ausgerückt war. Die Arbeiter aus dem Reifenwerk im nordfranzösischen Clairoix haben gezeigt, dass sie den Herrschenden und deren Beschützern weit überlegen sind. Wie sie zu kämpfen haben, dass bestimmen sie ganz allein und lassen es sich von niemandem mehr vorschreiben. Wichtiger als brennende Reifen war an der Grossdemonstration in Hannover der Zusammenschluss mit ihren deutschen Kollegen. Mögen sich die französischen und die deutschen Conti-Arbeiter verstanden haben, trotz unterschiedlicher Sprache und Kultur! Begriffen haben sie zweifellos, dass sie die gleichen Interessen haben und sich gemeinsam gegen die Angriffe des Reifenmultis zur Wehr setzen müssen. Das haben sie mit dem vereinten Grossaufmarsch vor der Konzernzentrale deutlich demonstriert.

Ob auch die deutschen Gewerkschaftsführer die Zeichen der Zeit verstanden haben, muss allerdings bezweifelt werden. Ein paar Nachhilfestunden durch ihre französischen Kollegen hätten sie jedenfalls dringend nötig. "Wir wollen die Aktionäre mit Argumenten überzeugen." Mit diesen Worten wird der Sprecher der deutschen IG BCE in der Presse zitiert. Noch immer tun sie so, als gäbe es gemeinsame Interessen zwischen Arbeit und Kapital. Noch immer scheinen sie nicht begriffen zu haben, welche Sprache die Unternehmer und ihr Staat verstehen. Sechs Wochen lang seien sie ruhig gewesen und hätten umsonst gewartet, erklärt gegenüber dem Fernsehkanal RMC.fr Xavier Matieu, CGT-Delegierter der Conti-Arbeiter in Clairoix. Erst nachdem eine Präfektur verwüstet worden sei, habe man ihnen eine Stunde später die geforderten Gespräche angeboten. "Man muss aufhören, die Leute zu verarschen!!"

Während sich die IG BCE Funktionäre von der Gewalt der Arbeiter distanzieren - und sich aber gleichzeitig mit der grössten Selbstverständlichkeit der Gewalt der Unternehmer und ihres Staates unterwerfen! - verteidigt Xavier Mathieu die gewaltsamen Proteste, an denen er an vorderster Front teilgenommen hat: Es sind keine Chaoten, erklärt er, sondern Leute voller Wut. Leute, die sich auflehnen, die am Rand einer Depression stehen. "Man spricht von zerbrochenen Scheiben und Computern. Aber was ist das schon neben 1100 Leben, die gebrochen werden? Das ist überhaupt nichts. Seit sechs Wochen sind die Leute unter Druck, schlafen nicht mehr, essen nicht mehr, warten auf Antworten, auf Versprechen, die man ihnen macht, hören auf alles Mögliche und dessen Gegenteil. Jene, die davon sprechen, die Leute zu bestrafen, welche die Präfektur verwüstet haben, sind die gleichen, die vor sechs Wochen gesagt haben, dass sie die Patron-Halunken bestrafen werden. Man wird sehen, ob sie mit Continental dasselbe tun werden wie mit uns."

Bereits vor zwei Jahren sprach der CGT-Gewerkschafter von Verrat, als sein Kollege von der christlichen Gewerkschaft CFTC für eine Arbeitsplatzgarantie bis 2012 mit dem damaligen Werksdirektor Thierry Wipff den Vetrag über eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich unterschrieben hatte. Die Verarschung ist perfekt: Die Arbeiter haben gratis mehr gearbeitet, und nun soll ihre Fabrik dennoch bereits 2010 geschlossen werden. Sogleich nach der Vertragsunterzeichnung ist Thierry Wippf von Frankreich nach Rumänien versetzt worden. Seither leitet er das Conti-Werk in Timisoara, wie France Info herausgefunden hat. Während in Frankreich und Deutschland die Schliessung der Werke verkündet wird, sucht Continental gleichzeitig in Rumänien Arbeiter für die Produktion und den Maschinenunterhalt, ferner Ingenieure und Abteilungsleiter.

Zwar bestreitet Thierry Wipf, dass Continental die Produktion verlagern wolle. Doch in Rumanien kostet die Herstellung eines Reifens nur fünf Euro, gegenüber neun Euro in Frankreich. Ob unter diesen Umständen der Kampf für die Erhaltung des französischen Werkes nicht völlig aussichtslos sei, will der Reporter von France Info von Xavier Mathieu wissen. Vom Standpunkt des Geldes aus gesehen zweifellos, antwortet der CGT-Gewerkschafter. Wenn man jedoch bedenke, dass in Frankreich ein Reifen für 75 Euro verkauft werde, dann sei das französische Werk durchaus rentabel, und das rumänische einfach noch viel rentabler. Es sei beschämend, es gehe nur noch ums Geld des Geldes willen. "Es ist Zeit, damit aufzuhören! Man muss die Gesellschaft verändern! Nicht länger das Geld, sondern der Mensch muss wieder ins Zentrum der Gesellschaft gestellt werden. Andernfalls werden wir alle krepieren!"

Xavier Mathieu rechnet vor, wieviele Millionen Reifen in jedem der Conti-Werke hergestellt werden. Damit wird klar, dass die Überproduktion schon vor der Krise voraussehbar war. Ebenso die Schliessung der Werke in Frankreich und Deutschland. Mit falschen Versprechungen wurden die Arbeiter hingehalten: Um ihre Arbeitsplätze zu retten, müssten sie Opfer bringen, mehr arbeiten für weniger Geld. Dass sie nur ausgenützt worden sind, ist ihnen inzwischen klar geworden. Und deshalb ist es nur allzu verständlich, dass sie nun ihrer Wut freien Lauf lassen! Der Wortbruch der Conti-Manager ist kein Einzelfall. Das zeigen alle andern Beispiele, wo zwecks angeblicher "Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit" von den Arbeitern Opfer verlangt worden sind und noch immer werden - nur damit der Betrieb früher oder später dennoch geschlossen wird.

Vielleicht wird auch die wütende Reaktion der französischen Conti-Arbeiter bald kein Einzelfall mehr sein. Xavier Mathieu sei der Mann, der die Lunte für den "Mai 2009" angezündet habe, schreiben die französischen Zeitungen. Und, so befürchten sie, dieser könnte noch weit heftiger werden als der Mai 1968. Mögen sie recht behalten! Mögen die Arbeiterinnen und Arbeiter in allen Ländern sich nicht mehr wie brave Lämmer zur Schlachtbank führen lassen! Mögen sich für alle Ausgebeuteten die Worte von Xavier Mathieu bewahrheiten: "Wir sind jetzt keine Lämmer mehr sondern Löwen!" - rth

Bericht von Rainer Thomann

Verwendete Quellen:


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