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Updated: 18.12.2012 15:51 |
»Stellt euch vor, wir werden verkauft, und keiner will mit« Montagsdemos und Blockaden: Bayer-Beschäftigte begehren auf Die Strategie der »Basisbetriebsräte«, einer rund 25-köpfigen KollegInnengruppe an den Bayer-Standorten in Leverkusen, ihr Mandat konsequent an die Willensbildung und Aufklärungsprozesse in der Belegschaft zu binden (s. express, Nr. 4/2006), scheint aufzugehen: Mit Montagsdemos und Blockaden der Bundesstraße B 8 wehren sich Beschäftigte des Bayer Chemieparks in Leverkusen gegen ein Anfang diesen Jahres bekannt gewordenes Kostensenkungsprogramm, mit dem das Management insgesamt 25 Mio. Euro einsparen will. Die Form dieses Arbeitskampfes wäre an sich schon bemerkenswert, doch die Auseinandersetzung stellt in mehrerer Hinsicht auch inhaltlich einen Bruch mit Traditionen dar: Die Beschäftigten stellen sich damit nicht nur gegen den zu erwartenden Personalabbau als Folge der gerade in der chemischen Industrie (siehe ehemalige Hoechst AG) schon früh verfolgten Strategie der Zerschlagung von Unternehmen, von Outsourcing und Verkäufen oder auch Fusionen unter dem Gesichtspunkt vermuteter Kosteneffektivierung. Längst geht es dabei nicht mehr >nur< um »Randbereiche« wie Kantinen, Feuerwehr, Sicherheitsdienste etc., sondern um die ständige Neustrukturierung des Kerngeschäfts selbst, oder in den Worten des Bayer-Managements: um Bereiche, die »strategische, konzeptionelle und repräsentative Aufgaben für den Bayer-Konzern wahrnehmen«. Die Beschäftigten stellen damit auch die ökonomische Logik jener »Strategien«, nach denen in immer rasanterem Tempo immer neu bestimmt wird, was jeweils als sog. Kerngeschäft und was als überflüssig gilt, in Frage und setzen auf ihren eigenen Sachverstand. Die Auseinandersetzung findet darüber hinaus statt vor dem Hintergrund der - nicht nur, siehe VW - in der IG Chemie allgegenwärtigen Strategie, solche Betriebsübergänge durch Entgegenkommen bei den Tarifentgelten zu begleiten - in der Annahme, dass mit Lohnsenkungen Beschäftigungssicherheit erreicht werden könne. So wurde für die Gesellschaft, in die die bisherige Personalabteilung überführt werden soll, von der IG BCE bereits ein Firmen-Tarifvertrag mit verschlechterten Arbeitsbedingungen unterzeichnet. Und nicht zuletzt richtet sich der Blick der Beschäftigten und ihrer »Basisbetriebsräte« - entgegen der denunziatorischen Rede von den bornierten Interessen der »Arbeitsplatzbesitzer«, die nur ihre Privilegien verteidigten - auf die Folgen des Umbaus in dem Chemiekonzern für die Stadt Leverkusen und ihre BewohnerInnen. Im Folgenden ein Hintergrundbericht zu den laufenden Montags-Aktionen, denen sich mittlerweile auch Beschäftigte des Leverkusener Klinikums, deren Personalrat und ver.di angeschlossen haben. Seit Montag, den 30. Oktober, rufen die Basisbetriebsräte regelmäßig zu einem »Meinungs- und Informationsaustausch« vor Tor 1 des Leverkusener Bayer-Werks auf. Sie führen damit auch vor, welche Möglichkeiten bei einer kreativen und kollektiven Auslegung von individuellen Informations- und Anhörungsrechten der Beschäftigten bestehen und wie diese als Mittel und Form des Arbeitskampfes eingesetzt werden können. Waren es anfänglich rund 250 KollegInnen, die sich an der Mahnwache und - im wahrsten Sinne des Wortes beiläufigen - Blockade einer Bundesstraße beteiligten, kamen zur letzten Montagsdemo bereits 450 Bayer-Kolleginnen, denen sich rund 150 Beschäftigte des Leverkusener Klinikums unter dem Motto »Gemeinsam gegen Niedriglöhne und Kündigungen in Leverkusen« anschlossen - der Aufruf war einschließlich der Bundesstraßenbegehung auch von der örtlichen ver.di-Verwaltung unterzeichnet worden. Die TeilnehmerInnen erteilten den InitiatorInnen, so die Basisbetriebsräte in einem Aufruf an alle Beschäftigten des Standorts, die sich nicht beteiligt hatten, den »klaren Auftrag, mit solchen Aktionen weiterzumachen«. Die Aufforderung, sich einzumischen, richtet sich nicht nur an rund 4000 Beschäftigte des von der Bayer Industry Services (BIS) betriebenen Chemieparks mit seinen Standorten in Leverkusen, Dormagen und Uerdingen, der selbst wiederum eine Ausgründung darstellt, sondern auch an die sog. Kernbelegschaft des Bayer-Konzerns in Leverkusen und den umliegenden Standorten mit insgesamt noch rund 9000 Beschäftigten: »Trennt Euch von dem Gedanken, dass uns das nichts angeht. Solche Treffen haben schon mal ganze Mauern zum Einstürzen gebracht«, so die Begründung der Basisbetriebsräte in ihrem aktuellen Aufruf. Die Bayer Industry Services wurde als Joint Venture der Bayer AG und der Lanxess AG gegründet. Einschließlich der drei operativen Teilkonzerne der Bayer AG und der Lanxess AG nutzen derzeit über 60 Produktions- und Dienstleistungsunternehmen die Vorteile dieses größten deutschen Chemieparks: vielfältige Produktverbünde und ein umfassendes Service-Angebot, zu dem unter anderem Umweltdienstleistungen, Logistik und technische Dienstleistungen, Sicherheit und Umweltschutz, Energieversorgung, Entsorgung, Analytik sowie die Aus- und Weiterbildung zählen. Teile dieser Leistungen bietet BIS auch Kunden außerhalb des Chemieparks an. Mit den »Synergieeffekten« dieses Verbunds argumentierte bislang auch das Unternehmen, doch Anfang des Jahres kündigten Geschäftsführung und die Gesellschafter der BIS - Belegschaftsvertreter und Beschäftigte erfuhren dadurch über die Presse - umfassende Maßnahmen zur Kostensenkung und Wettbewerbseffizienzsteigerung an. Darunter sollen Verkäufe und Ausgliederungen von Teilbereichen fallen. »Die Mitarbeiter kennen fast alle nur ein paar Zahlen, das Gesamtpaket kennt keiner«, so Frank Schmitz von den Basisbetriebsräten. Doch klar sei, dass dies Stellenabbau, Verlust von Kompetenz und Kaufkraft am Standort Leverkusen bedeute. In der regionalen Presse ist die Rede von rund 2300 Beschäftigten, die durch Spartenverkäufe in andere Unternehmen wechseln sollen. Die Geschäftsführung der BIS selbst benennt weitere 600 Arbeitsplätze, die sie bis 2009 streichen will. »Das Kreuz mit Bayer« Die Basisbetriebsräte gehen davon aus, dass neben den KollegInnen und deren Familien vor allem die Stadt Leverkusen dies spüren und dass es zu einer weiteren Verarmung kommen werde. Nach wie vor hat der international tätige Konzern mit seinen 350 Gesellschaften und weltweit rund 110200 MitarbeiterInnen seinen Hauptsitz in Leverkusen, wo das Unternehmen 1863 gegründet wurde. Im Jahr 2005 erwirtschaftete die Bayer AG einen bereinigten Gewinn von 2,812 Mrd. Euro (EBIT) bei einem Umsatz von über 27 Mrd. Euro. Doch Gewinne seien kein Garant mehr für irgendwelche sozialen Sicherheiten, so die KollegInnengruppe. In einem ihrer Flugblätter beschreibt sie den engen Zusammenhang zwischen Konzernpolitik und der Entwicklung der Stadt: »Sportförderung, Wohnungsbau, Kindergärten - Leverkusen, das war Bayer. Der Konzern wird nur noch seine so genannten Kerngeschäfte belassen, und zwar angetrieben vom internationalen Wettbewerb. Für Leverkusen heißt es Umdenken. Ende 2007 wird das letzte Bayer-Kaufhaus geschlossen. (...) Gemütlich bummeln Menschen durch die Leverkusener Fußgängerzone, vorbei an der Stadtverwaltung, hinüber zum großen Rathausvorplatz. Hier steht es noch, das Bayer-Kaufhaus. Das Kaufhaus gibt es schon über 90 Jahre. Es ist Teil einer Tochtergesellschaft der Bayer AG. Knapp die Hälfte der MitarbeiterInnen der »Bayer AG Leverkusen« wohnt auch direkt hier in Leverkusen. Und sie alle machen sich Gedanken, was die Entwicklungen bei dem Chemie-Riesen für die rund 162000 Einwohner, ihre Stadt und alle betroffenen Mitarbeiter bedeuten. (...) Die Geschichte der Stadt Leverkusen ist eng verbunden mit der Entwicklung des Weltunternehmens Bayer AG. Der Apotheker Carl Leverkus, der Begründer der Ultramarin-Farbenfabrik (gegründet 1860), gab der Stadt seinen Namen. Die Ansiedlung seines Unternehmens in Wiesdorf am Rhein war der Ausgangspunkt für den Aufstieg einer ländlich geprägten Umgebung mit kleinen Ortschaften zu einem urbanen Zentrum. 1891 kaufte das Elberfelder Unternehmen »Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co.« die Fabrik von Carl Leverkus, weil der Standort in Wuppertal zu klein wurde. In Wiesdorf fand sich Platz genug für die Expansion des Chemieunternehmens. 1912 schließlich wurde Leverkusen dann Firmensitz. Wenn man verreist und gefragt wird, wo man herkommt, so verbindet jeder mit der Antwort »Leverkusen«, gleich den Namen Bayer und das »Bayer-Kreuz«, das als Markenzeichen des Konzerns weithin sichtbar ist. (...) Das »Koloniemuseum« an der Nobelstraße in Leverkusen-Wiesdorf spiegelt fast 100 Jahre Wohn- und Lebenskultur wider. Dem Besucher bieten sich Einblicke in das alltägliche Leben der Menschen in den damaligen Werkswohnungen der Bayer AG. Das Doppelhaus wurde im April 2005 als Museum eröffnet. Zahlreiche ehemalige Mieter und Mitarbeiter trugen in dreijähriger Arbeit dazu bei, das Innenleben des Hauses wie in den 30er Jahren nachzustellen. (...) Die Bayer AG baute von 1899 bis 1913 für seine steigende Anzahl von Beschäftigten die so genannten »Kolonien«, Wohnviertel, von denen die Kolonien II »Anna« und III »Johanna« in Wiesdorf und Manfort noch weitgehend erhalten sind. Sie waren an den Stil der Gartenstadtarchitektur angelehnt und unter den Menschen damals sehr begehrt. Heute stehen die Häuser unter Denkmalschutz. Die Menschen, die dort wohnen, nicht! Wir Basisbetriebsräte kritisieren aufs Schärfste die kurzsichtige Denkweise des Unternehmens und fordern das Unternehmen auf, seiner sozialen Verantwortung für MitarbeiterInnen und Bevölkerung nachzukommen.« Ob solche Appelle Gehör beim Management finden, muss dahin gestellt bleiben. Doch dabei wollen es die Basisbetriebsräte auch nicht belassen. Sie ziehen sowohl die rechnerischen Grundlagen des geforderten Einsparvolumens als auch die vorgeschlagenen Einsparmaßnahmen in Zweifel. Der Betriebsrat, in dem Mitglieder der Basisbetriebsräte im Industriepark der BIS mit sieben von insgesamt 28 Mitgliedern vertreten sind, hatte nach Bekanntwerden der Unternehmenspläne selbst ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen beauftragt, tätig zu werden. Dieses kam zu dem Schluss, dass die vorgelegte Kostenrechnung insgesamt intrans-parent sei und dem vorgestellten Krisenszenario keine realistischen Annahmen zugrunde lägen. Statt jedoch, wie üblich in vergleichbaren Situationen, auf die Expertise von Betriebsräten in den Wirtschaftsausschüssen zu vertrauen und diesen die Verantwortung für entsprechende Gegenrechnungen zu übertragen, oder gar den Modellrechnungen aus dem Management zu glauben, die, so Heike Bär von der KollegInnengruppe, die Gefahr bärgen, »auf Basis beliebiger Excel-Tabellen hinweg rationalisiert zu werden«, soll die Belegschaft in die Auseinandersetzung einbezogen werden. »Jeder könne Vorschläge machen, wie die Strategie fortan denn sein soll. Und vor allem, wo es Möglichkeiten zum Sparen gebe«, wird sie im Leverkusener Anzeiger vom 31. Oktober zitiert. Das »Totschlagargument von BIS-Chef Klaus Schäfer, man sei zu teuer, das will dem Geschäftsführer niemand glauben«. Auf der Demonstration wurden Dialogboxen aufgestellt und Postkarten verteilt, auf denen die TeilnehmerInnen Anregungen notieren sollten. Dabei geht es den Basisbetriebsräten jedoch nicht um Vorschläge zur Selbstrationalisierung à la betrieblichem Vorschlagswesen, die durchaus im Interesse des Managements liegen dürften. Sie wollen vielmehr die Basis selbst zu Experten in solchen Konflikten machen. Man dürfe nicht alles den Betriebsräten überlassen, keine Erwartungshaltung entwickeln, dass die es schon richten werden, denn »wir wissen so wenig wie ihr«, so Heike Bär weiter. In der Tat finden sich im Gästebuch, im offenen Diskussionsforum oder auf dem »Schwarzen Brett« der Homepage der Basisbetriebsräte - auch dies Elemente einer offenen und auf Einbeziehung der Belegschaft setzenden Praxis, für die u.a. das NCI-Netzwerk der Münchner Siemens-Beschäftigten Pate stand - keine im Sinne des Managements verwertbaren Rationalisierungsvorschläge. Stattdessen wird dort z.B. kontrovers über einen Boykott der BayArena debattiert, nachdem die Betreiber des Bayer-Stadions es BIS-Beschäftigten untersagen lassen wollten, ihre Protesttransparente gegen die Konzernpolitik zu entrollen. Man kann gespannt sein, was sich dort in den nächsten Wochen noch alles findet an Vorschlägen zur Intensivierung des Arbeitskampfes. Eines hat sich die KollegInnengruppe allerdings bei aller Zurückhaltung nicht nehmen lassen: In einem Aufruf für den 10. November lud sie zum Fackelzug mit Grableuchten (statt Martinslaternen) und anschließendem Martinssingen bei »einem reichen Mann«. Ziel der Demonstration war das Privathaus von Werner Wenning, Vorstandsvorsitzender der Bayer AG. Den Text zur Melodie des »St. Martin«-Lieds hatte sie selbst verfasst: »Der Werner, der Werner, der Werner fuhr durch Schnee und Wind, sein Benz, der trug ihn fort geschwind. Der Werner fuhr mit leichtem Mut, sein Portemonnaie gefüllt und gut. Da saßen, da saßen, da saßen all die Untertan', haben Kleider noch, bald Lumpen an. Du hilfst uns nicht in unserer Not, so wird der bittre Frost der Tod. ... Der Werner, der Werner, der Werner, der das Schwerte zückt, zerteilt das Werk Stück für Stück. Der Werner, der Werner, der Werner legt sich still zur Ruh, da tritt im Traum die Belegschaft hinzu. Sie spricht: »Willst Du noch Dank, Du Vorstandsmann, für das, was Du uns angetan?« ... So viel Au-torenschaft musste sein in der Suche nach kollektiven Protestformen. Der Polizei war's Recht - sie sah keinen Grund für ein Demonstrationsverbot. Und Personalisierung war noch immer ein wirksames Mittel, Rösser und Reiter der Ideologie des ökonomischen Sachzwangs zu benennen, auch wenn die Reiter mittlerweile andere Rösser bevorzugen. KH Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11/06 |