letzte Änderung am 16. Februar 2004

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„Ich werde sie niemals vergessen“ Trotz Fonds: KZ-Opfer verklagt BAYER

Als einer der wenigen hat Simon Rozenkier die grausamen medizinischen Experimente in den KZ überlebt. Aber er ist ohne direkte Nachkommen geblieben. Sterilisationspräparate von BAYER haben ihn unfruchtbar gemacht. Die pauschal festgesetzte Summe von 8.000 Dollar, die ihm der Entschädigungsfonds der bundesdeutschen Wirtschaft für sein Leid zugedacht hatte, empfand der 75-Jährige als blanken Hohn. Er verklagte den Leverkusener Chemie-Multi direkt.

von Jan Pehrke

„Ich werde sie niemals vergessen.“ Das sagt der in Polen geborene KZ-Überlebende Simon Rozenkier über die wegen ihre Filzhüte „Cowboys“ genannten BAYER-Forscher, die regelmäßig ins KZ kamen, um über den Fortgang der Experimente mit ihren Labor-Erzeugnissen zu wachen. „Diese Spritze wird deinen Muskeln zu arbeiten geben. Verstehst du das, du rothaariger Hund?“, so leitete der NS-Arzt Horst Schumann die wochenlange Tortur ein. „Man sagte mir, ich bekäme Vitamine zur Stärkung gespritzt. Ich kann den Schmerz, die Blutungen und das Leiden nicht beschreiben. Ich wusste nicht, was sie genau taten, aber die Cowboys kamen fast jeden Tag, sahen bei der Gabe neuer Injektionen zu, untersuchten mich dann und machten sich Notizen. Ich war ihr Versuchskaninchen“, schreibt der 75-Jährige in einem autobiographischen Text.

Vorher hatten die Nazi-Mediziner ihn und andere mit Röntgen-Strahlen behandelt. Aber diese verursachten so starke Nebenwirkungen, dass die Häftlinge nicht mehr zur Arbeit zu gebrauchen waren. So fanden die BAYER-Wissenschaftler mit einem Sterilisationsmittel zum Spritzen schließlich eine Lösung, das Aussterben der Juden auf pharmazeutischem Wege zu befördern und so dem Rassenwahn der Faschisten zu dienen.

Aber nicht nur aufgrund dieser Menschenversuche war das Leiden des Polen im KZ unauflöslich mit dem Namen BAYER bzw. dem des von BAYER mitgegründeten Mörder-Konzerns IG FARBEN verknüpft. Nachdem Rozenkier sich von Tests mit einem Typhus-Erreger erholt hatte, musste er als Zwangsarbeiter das IG-Werk Monowitz bei Auschwitz mit aufbauen. Unerträgliche Zustände herrschten dort. Den ganzen Tag über bekamen die KZ-Insassen nicht mehr als eine spärlich bemessene Ration Suppe zu essen. Wer zu langsam arbeitete, wurde geschlagen oder gleich erschossen - ganz wie es den Aufsehern gerade beliebte. Viele ertrugen dieses Leben nicht und warfen sich in Elektro-Zaun, der die Baustelle umgab. Alles dies geschah unter den Augen der IG-Oberen. „Ich sah auch Zivilisten von den IG FARBEN herumgehen, die die Baustelle inspizierten und die Arbeitsmannschaften kontrollierten. Sie sahen, wie die Soldaten uns schlugen und wie wir langsam verhungerten - und taten nichts, um dem Einhalt zu gebieten“, erinnert sich das KZ-Opfer. Auch zur Errichtung des BAYER-Werkes in Javozno zogen ihn die Nazis als Sklaven-Arbeiter heran.

Diese und andere Strapazen überstand Simon Rozenkier nur durch Zufall, dank seiner selbstlosen Schwester und - paradoxerweise - aufgrund der abstrusen Rassen-Theorie des berühmt-berüchtigten Dr. Josef Mengele. Als er bei einem Arbeitseinsatz eine polnische Familie um Kartoffeln anbettelte, wollten die Soldaten ihn schon aufhängen. Aber seine Schwester erlöste ihn, indem sie ihren Körper dem Begehren eines NS-Kommandanten auslieferte. Noch über 50 Jahre danach brach Rozenkier beim Erzählen dieser Begebenheit im Verlauf eines Interviews mit der New York Times in Tränen aus. Mengeles Aufmerksamkeit erregte der jüdische Häftling durch seine blauen Augen und roten Haare. Das war im Rasse-Atlas der Nazis nicht vorgesehen, weshalb er für einige Zeit zum begehrten Studien-Objekt Mengeles wurde. Auch den „Todesmarsch“, die mörderische Aktion der Nazis, angesichts der näher rückenden Allierten das KZ Auschwitz zu räumen und die Gefangenen nach Buchenwald zu verbringen, überlebte der Junge.

Nach dem Krieg emigrierte Rozenkier in die USA. 1953 heiratete er. Nun wollte er das Gelöbnis erfüllen, das sich er und sein Bruder gegeben hatten. Angesichts des Verlustes ihrer Angehörigen schworen sie sich, für eine reiche Nachkommenschaft zu sorgen - die jüdische Antwort an die Adresse derer, die versucht haben, sie zu vernichten, wie Simon Rozenkier schreibt.

Aber die Ehe blieb kinderlos. Dem Mann ging irgendwann auf, dass das mit medizinischen Versuchen im KZ zu tun haben könnte. Er suchte das bundesdeutsche Konsulat in New York auf. Dort prüfte man seinen Fall und verwies ihn an einen deutschen Arzt. Der eröffnete ihm dann, er sei im Krieg ein hochrangiger SS-Mann gewesen. Rozenkier erstarrte vor Schreck. Nur weil seine Frau auch nachts nicht von seiner Seite wich, brach er die Untersuchung nicht ab. Von den Ergebnissen erfuhr der KZ-Überlebende lange Zeit nichts. Erst mehr als 45 Jahre später brachten Anwälte das bundesdeutsche Finanzministerium dazu, die Unterlagen herauszugeben. Sie bestätigten Rozenkiers grausamen Verdacht. Jetzt hatte er Gewissheit darüber, wer ihm nicht nur im KZ, sondern noch weit darüber hinaus so viel Leid zugefügt hatte: BAYER und SCHERING. Mit der pauschal festgelegten 8.000 $-Kompensation des anonym-abstrakten Entschädigungs-„Joint Ventures“ bundesdeutscher Firmen wollte er sich nicht abfinden. Er verklagte BAYER und SCHERING direkt, um genaue Aufklärung über die medizinischen Versuche zu erlangen, die Namen der getesteten Präparate zu erfahren und die Konzerne für ihre Schuld einzeln zur Rechenschaft zu ziehen. Über die Höhe des Schadensersatzes sollten dann die Richter befinden.

Diese Klage stellte die Grundlage des Entschädigungsfonds in Frage, der weiteres gerichtliches Vorgehen gegen bundesdeutsche Unternehmen eigentlich ausschloss. Aber Rozenkiers Anwalt sieht das als berechtigt an, weil die deutsche Seite ihren vertraglich zugesicherten Verpflichtungen nicht nachgekommen sei, die unter anderem eine individuelle Prüfung jedes Falls vorgesehen hätten. „Jeder empfindet Mitgefühl mit dem Kläger“, sagt der BAYER-Anwalt Roger Witten diplomatisch, bleibt in Sache aber hart. „Die US-amerikanische Seite hat den bundesdeutschen Firmen Rechtsfrieden zugesichert. Diese Sache hinter sich zu lassen, war nicht nur im Interesse der betreffenen deutschen Unternehmen und des Landes, sondern auch im außenpolitischen Interesse der Vereinigten Staaten“, so Witten. Der an den Verhandlungen um den Fonds beteiligte Stuart E. Eizenstat pflichtete dem ebenso bei wie die Bush-Administration, die dem Gericht in New Jersey empfahl, das Verfahren einzustellen. Warum sie das tat, war Simon Rozenkier lange unklar, bis er von den Geschäften der Vorfahren George W. Bushs mit den IG FARBEN und anderen NS-Firmen erfuhr. „Ich wusste lange nicht, dass Prescott Bush, der Großvater Präsident Bushs‘, an der Wall Street mit dem Verkaufen deutscher Kriegsanleihen und mit der Verschleierung deutscher Unternehmensbeteiligungen an US-Konzernen Geld machte. Jetzt verstehe ich, warum die Bush-Administration den Richter drängt, meinen Fall einzustellen. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, schreibt Rozenkier.

Vorabdruck aus "Stichwort BAYER", Ausgabe 1/2004

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