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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Steuer-Oase Bundesrepublik Wie BAYER sich arm rechnet Im Jahr 2004 wartet Leverkusen wieder einmal vergeblich auf Gewerbesteuer-Überweisungen von BAYER. Wie andere Konzerne zahlt der Chemie-Multi in der Bundesrepublik kaum noch Steuern. Die Bücher „Asoziale Marktwirtschaft“ von Hans Weiss und Ernst Schmiederer und „Geheimnisse der Unternehmenssteuern“ von Lorenz Jarass und Gustav M. Obermair enthüllen, mit welchen ganz legalen Steuertricks BAYER & Co. Milliarden einsparen und Bund, Ländern und Kommunen so die größten Probleme bereiten. Von Udo Hörster „„Wann zahlt BAYER wieder Gewerbesteuer?“, fragte ein Journalist der Rheinischen Post BAYER-Chef Werner Wenning auf der letzten Bilanz-Pressekonferenz. „Wenn wir wieder Gewinne machen. 2004 nicht!“, antwortete der Vorstandsvorsitzende lapidar. „Gewinne im Sinne des Steuerrechts“ meinte er. Sein Leverkusener Werksleiter Walter Schulz gebrauchte diese präzisere Formulierung dankenswerterweise, als er in der Neuss-Grevenbroicher Zeitung erklärte, warum die Stadt Dormagen im Jahr 2001 von BAYER trotz satter Erträge keinen Cent Gewerbesteuer erhielt. „Wir müssen deutlich unterscheiden zwischen dem Bilanz-Gewinn eines Unternehmens und dem so genannten steuerpflichtigen Gewerbe-Ertrag, der für die Gewerbesteuer maßgeblich ist“, dozierte er. Diese Unterschiede zwischen dem ausgewiesenen Gewinn, dem realen und dem versteuerten, über den das Steuer-Geheimnis gnädigerweise den Mantel des Schweigens hüllt, vergrößern sich mehr und mehr. Der Pharma-Riese zahlte erstmals im Jahr 1999 an seinem Leverkusener Stammsitz keine Gewerbesteuer mehr und dann nochmals 2001 und 2003, während es - bei deutlich niedrigeren Erträgen - 1990 noch 123 Millionen Euro waren. An den Standorten Dormagen, Wuppertal, Brunsbüttel und Krefeld flossen die Gelder ebenfalls zunehmend spärlicher. Gründe dafür fanden sich immer: Pensionsrückstellungen, der LIPOBAY-GAU oder die schlechte Konjunktur. In Wirklichkeit lag es aber an den Rechenkünsten der Steuer-Abteilung und den sich ständig vergrößernden Steuer-Schlupflöchern. Die Hiobsbotschaften aus der Konzern-Zentrale veranlassten die Kommunal-PolitikerInnen regelmäßig, Haushaltssperren zu verhängen. „So viele Schwimmbäder können wir gar nicht schließen, um die Steuer-Ausfälle aufzufangen“, stöhnte der Leverkusener Oberbürgermeister Paul Hebbel vor drei Jahren. Seitdem kürzt und streicht die Kommune an allen Ecken und Enden, ohne aus der Bredouille zu kommen. Im Jahr 2004 machte die Industrie- und Handelskammer einen drastischen Spar-Vorschlag, der den Verkauf des Rathauses, die Privatisierung der Verkehrsbetriebe, des Parkhauses und der Schulgebäude-Reinigung vorsah. Aber nicht mal das konnte Leverkusen wieder finanziellen Handlungsspielraum verschaffen. „Das alles reicht nicht aus, um wieder Land zu sehen“, konstatierte der CDU-Politiker Klaus Hubbert resigniert. Gleichzeitig schrumpfte die an das Land zu zahlende Körperschaftssteuer, weil ihr ein ähnlicher Bemessungsschlüssel wie der Gewerbesteuer zugrunde liegt. Im Jahr 2002 erhielt BAYER sogar eine Rückzahlung in Höhe von 250 Millionen Euro. Mehr oder weniger ein interner Rechen-Vorgang. Der ehemalige Steuer-Chef des Leverkusener Chemie-Multis, Heribert Zitzelsberger, war nämlich als Staatssekretär ins Finanzministerium gewechselt und tat dort das, was er sonst auch immer gemacht hat: BAYER so viel Steuern wie möglich zu ersparen. Die unter seiner Federführung entstandene „Unternehmenssteuer-Reform“ senkte den Körperschaftssteuersatz von 40 auf 25 Prozent ab. Wenn die Unternehmen ihren zu den alten Bedingungen versteuerten Gewinn nachträglich an die AktionärInnen ausschütteten, konnten sie sogar noch rückwirkend in den Genuss der Herabsetzung kommen. Der Pharma-Riese ließ sich das nicht zweimal sagen, erhöhte seine Dividende auf astronomische 1,40 Euro und erhielt vom Finanzamt 250 Millionen zurück. Zudem stellte das Gesetzes-Werk Veräußerungsgewinne steuerfrei. BAYER brauchte aus diesem Grund für den Erlös aus dem Verkauf seiner Beteiligung an der EC ERDÖLCHEMIE keinen Cent an den Fiskus abzuführen. Parallel dazu erleichterten Zitzelsberger & Co. den Kauf von Unternehmen oder einzelner Teile, wovon der Gen-Gigant zuletzt beim Erwerb der ROCHE-Sparte „rezeptfreie Medikamente“ gehörig profitierte. „In Deutschland können als einzigem Industrie-Land der Welt alle Ausgaben (auch Schuld-Zinsen für Beteiligungen) de facto voll steuerlich abgesetzt werden“, ereifern sich Jarass und Obermair in ihrer Kritik der „Reform“. Darum wählen die Multis bevorzugt die Bundesrepublik aus, um derartige „Unkosten“ abzusetzen. Auf 100 Milliarden „Verlust-Vortrag“ kommen die 30 DAX-Unternehmen zusammen; BAYER schiebt Miese von fast zwei Milliarden Euro vor sich her, weshalb selbst zwei Jahre mit Milliarden-Gewinnen wie 2001 und 2002 steuer-technisch ein Nullsummenspiel ergeben würden. Zu allem Überfluss darf der Pillen-Produzent seine Aufwändungen für ROCHE samt der fälligen Zinsen den Finanz-Behörden in Rechnung stellen, obwohl die neue BAYER-Tochter mit ihrem Sitz in Basel hierzulande gar keine Abgaben zahlt. Auf ein Nichts noch über Jahre steuermindernde Abzüge zu bekommen - das geht nur in der Steuer-Oase Bundesrepublik. Dank der billigen Zinsen greifen die Firmen bei ihren Investitionen zunehmend auf Fremdkapital zurück. Bei BAYER ging die Eigenkapital-Quote vom 1999er Höchststand 48 Prozent kontinuierlich auf 32,6 Prozent im Jahr 2003 zurück. Solche Zins-Transaktionen und andere Finanz-Operationen des Konzerns wickelt BAYER INTERNATIONAL ab. Die Gesellschaft sitzt in Belgien, weil dort keinerlei Körperschaftssteuern anfallen. So zahlte sie 2002 für einen Gewinn von 96 Millionen Euro nur 0,61 Prozent Steuern: 0,58 Millionen. Die EU-Wettbewerbsbehörde sieht in dem unmoralischen belgischen Angebot eine illegale Subventionsvergabe und forderte Maßnahmen. BAYER und die anderen im „European Roundtable of Industrialists“ (ERT) organisierten Multis erreichten einen Aufschub bis mindestens 2010. Aber nicht nur mit Kauf und Verkauf, auch mit Gewinn/Verlust-Zahlenakrobatik sparen die Multis dank der Unternehmenssteuerreform gehörig. Das Regelwerk schuf das Konstrukt der Organschaft, welches die Verrechnung von Gewinnen und Verlusten innerhalb eines Konzern-Verbundes ermöglicht. Dabei kam stets die Formel zur Anwendung, die Gewinne in Ländern mit niedrigen Steuer-Sätzen und die Verluste in denen mit offiziell hohen anfallen lässt. Global gehandelte Medikamente wie ASPIRIN eigneten sich dabei besonders gut als Manövriermasse. Der Pharma-Riese berechnet seinen Tochter-Gesellschaften nicht nur Lizenz-Gebühren, sondern auch Herstellungskosten. Der Preis-Gestaltung sind kaum Grenzen gesetzt, seit der Bundesfinanzhof die Firmen im Jahr 2001 von der Verpflichtung enthob, Nachweise für die Kalkulationen zu erbringen. „Wie soll man als Finanz-Fahnder kontrollieren, ob die Herstellung von 20 ASPIRIN-Tabletten drei Euro oder drei Cent kostet?“, fragt ein Beamter in „Asoziale Marktwirtschaft“ ratlos. Nach seiner Ansicht wären die Global Player auch dumm, wenn sie ihre Gewinne nicht in Billigsteuer-Länder verschieben würden. „Und den Pharma-Konzernen kann man vieles vorwerfen, aber ganz gewiss nicht, dass sie dumm sind. In dieser Hinsicht gehören sie zu den Klügsten“, stellt der Fahnder fest. Auch ein neuer Erlass-Entwurf des Finanzministeriums, der einen Kontroll-Abgleich intern und extern berechneter Preise erlaubt, dürfte ihrer Schlauheit kaum Grenzen setzen. Den Finanz-BeamtInnen ist es aufgrund des Steuergeheimnisses nämlich nicht gestattet, sich vor den Finanzgerichten auf diese Informationen zu berufen. „Wir haben mit Herrn Zitzelsberger unseren besten Mann entsandt und gehen davon aus, dass er in unserem Sinne tätig wird“, kommentierte der damalige BAYER-Vorstandsvorsitzende Manfred Schneider auf der Hauptversammlung im April 1999 den Wechsel seines Steuer-Chefs ins Eichel-Ministerium sinngemäß. Diese Erwartungen hat Heribert Zitzelsberger bis zu seinem plötzlichen Tod Ende 2003 mehr als erfüllt. Aber auch seine Vorgänger haben schon ganze Arbeit geleistet. Sie räumten BAYER & Co. unter anderem großzügige Abschreibungsmöglichkeiten ein. So setzten die Multis fleißig Wert-Verluste für Anlagen und andere Güter in ihre Bilanzen ein und häuften damit „stille Reserven“ en masse an. In anderen Ländern wie z. B. den USA gelänge ihnen das nicht. Dort können sie eine solche Regelung nur in Anspruch nehmen, wenn ein Verkauf stattfindet und sich die Wert-Minderung tatsächlich realisiert. Und das Finanzamt? Schaut es den Abschreibungskünsten, Gewinn/Verlust-Akrobatiken und sonstigen Steuer-Jonglierereien tatenlos zu? Ja. Die BetriebsprüferInnen seien „absolut chancenlos“, sagt ein Wirtschaftsanwalt, welcher der Industrie für einen Stundenlohn von 600 Euro tausend ganz legale Steuer-Tricks verrät. „Irgendeine Lücke gibt es immer, in jedem System. Ich werde dafür bezahlt, sie zu finden“, so der Mann für alle Fälle. Manchmal muss er sich nicht einmal sonderlich anstrengen. Die JuristInnen von BAYER & Co. wirken nämlich schon bei der Gestaltung der Gesetze mit und bauten die Schlupflöcher gleich mit ein. Entsprechend mager schätzt der Konzern-Prüfer Dietmar Prugger seine Erfolgsaussichten ein. „Die Betriebsprüfung kann nur die gröbsten Missstände beseitigen“, gesteht der Finanzbeamte. Noch dazu trifft es dabei am häufigsten mittelständische Betriebe. „Am meisten geprüft wird bei den Kleinbetrieben, am wenigsten bei den Großbetrieben. So macht man Wirtschaftspolitik“, weiß Prugger. Wirtschaftspolitik dieser Art hat die Steuern auf Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit von 1980 bis 2003 nur um das Anderthalbfache, von 50 auf 71 Milliarden Euro anwachsen lassen, bei exorbitanten Gewinn-Sprüngen, während das Aufkommen aus Lohnsteuer und Sozialabgaben im gleichen Zeitraum um das 2,8fache stieg, von 150 auf 420 Milliarden. Der offizielle Steuer-Satz von 40 Prozent auf Gewinne blieb für die Finanzämter ein schöner Traum: Tatsächlich zahlten BAYER und die anderen 29 DAX-Unternehmen durchschnittlich nur etwa 10 Prozent! Die Differenz landete unter anderem bei den AktionärInnen. Dürften die Konzerne abzüglich der 40 Prozent Steuern eigentlich nur 60 Prozent ihres Gewinnes ausschütten, also das Anderthalbfache, so beglücken sie die ShareholderInnen mit dem Zwei- bis Fünffachen der Summe. „Diese Diskrepanz weist auf erhebliche Defizite bei der Steuer-Erhebung hin“, bemerken Jarass und Obermair. EU-weit bittet nur Griechenland die Konzerne weniger zur Kasse. Da hält sich sogar das Wirtschaftsorgan Handelsblatt mit Kritik zurück: „Im internationalen Vergleich ist Deutschland eine Steuer-Oase. Kapital-Gesellschaften leisten en bloc überhaupt keinen Beitrag mehr zur Staatsfinanzierung (...) Die Steuer-Last, über die die deutsche Wirtschaft klagt, ist eher ein Phantomschmerz.“ Bald gibt es vielleicht noch weniger Grund zur Klage. Lorenz Jarass prophezeit einen weiteren Sinkflug der Unternehmenssteuern. Da bleibt nur das Fazit der „Asoziale Marktwirtschaft“-Autoren: „Was wir herausgefunden haben, lässt sich auf den einfachen Satz bringen: "Die Konzerne plündern den Staat aus, auf jede nur erdenkliche Weise - immer gedeckt durch die Gesetze“. Asoziale Marktwirtschaft; Hans Weiss/Ernst Schmiederer;
341 S. Vorabdruck aus "Stichwort BAYER" 4/2004. Gerne senden wir ein Probe-Exemplar zu: CBGnetwork@aol.com Coordination gegen BAYER-Gefahren |