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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Patroni wider Willen Mihai Balan* über migrantische Arbeitsverhältnisse und Formen der Akkumulation in der Baubranche Der folgende Beitrag geht den Arbeitsverhältnissen migrantischer Wanderarbeiter in der deutschen Baubranche nach. Als Aufhänger dient die letzte Aktion, an der der Europäische Verband der Wanderarbeiter (EVW) zusammen mit der IG BAU beteiligt war. Die Arbeitsverhältnisse werden anhand der fiktiven Geschichte des ebenso fiktiven rumänischen Zimmermannes Florin dargestellt. Dennoch ist diese Geschichte kein bloßes Hirngespinst, sondern stellt eine Verdichtung von Erfahrungen dar, die sich tagtäglich ereignen. Parallelen zu realen Personen und Unternehmen sind nicht beabsichtigt. Der Autor hat diesen Weg aus persönlichen wie aus rechtlichen Gründen gewählt. Des Weiteren informiert der Beitrag über die Arbeit des EVW sowie über dubiose Verflechtungen und Methoden der Akkumulation in der Bauwirtschaft. Sie sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Die 14 rumänischen Wanderarbeiter, welche auf mehreren Baustellen im Kölner Raum beschäftigt wurden, konnten noch vor Weihnachten mit einem Großteil ihrer Löhne nach Hause fahren. Dabei sah die Lage für sie noch vor ein paar Wochen katastrophal aus: Nachdem sie mehrere Monate hart malocht hatten (jeweils ca. 260 Stunden monatlich), sollten sie Ende November mit offenen Lohnansprüchen in Höhe von ca. 80000 Euro netto vom Subunternehmen EXACT Bau GmbH nach Hause geschickt werden. Dies, weil sie es gewagt hatten, in einem Akt der Verzweiflung auf ihre Arbeitssituation aufmerksam zu machen: Einige der Bauarbeiter waren auf einen Kran geklettert und hatten sogar mit Selbstmord gedroht, falls das deutsche Unternehmen den offenen Lohnforderungen nicht in Kürze nachkommen würde. [1] Auf Bitten der Arbeiter hatte sich der Europäische Verband der Wanderarbeiter in Kooperation mit der IG BAU ihrer Sorgen angenommen. Nach mehreren Wochen harter Auseinandersetzung wurde letztlich in außergerichtlichen Verhandlungen mit den zuständigen Generalunternehmen der Erhalt eines Löwenanteils der offenen Löhne durchgeboxt. Erleichtert und heilfroh, dass der Horrortrip nun endlich ein Ende genommen hatte, konnten sich die Männer erfreulicheren Angelegenheiten widmen: der Organisation ihrer Heimreise, die wegen der Feiertage schon fast zu scheitern drohte, sowie dem Einkauf von ein paar Geschenken für Kinder und Ehefrauen, die den ganzen Trouble aus der Ferne noch weniger nachvollziehen konnten als die Männer selbst. Wie kommt es zu solch haarsträubenden Konstellationen? Florins Geschichte soll ein wenig Licht ins Dunkel bringen.
Das Geschäft mit der Not Als Florin Mitte April letzten Jahres beim Einkaufen einen Anruf bekam, ahnte er noch nicht, dass er ein paar Monate später als Scheinselbstständiger auf einer deutschen Baustelle um seinen Lohn kämpfen würde. Der gelernte Zimmermann war im Augenblick mit einer für viele Rumänen alltäglichen Sorge beschäftigt: Was muss aus dem Einkaufswagen wieder raus, damit das halbe Hähnchen auch noch mit übers Band kann? Sein Kumpel am Ende der anderen Leitung hingegen ließ nicht locker. Er war durch eine Anzeige an einem Schaufenster auf eine Arbeitsvermittlerin gestoßen, die Arbeit zu guten Konditionen in Deutschland anbot. Es hieß, sie könne noch ein paar Eisenflechter, Zimmermänner und Kranfahrer gebrauchen. Arbeit für die nächsten sechs Jahre auf den größten Baustellen Deutschlands sei damit sicher. Der Lohn solle bei 7,50 Euro netto pro Stunde liegen, Überstunden würden auch bezahlt, sogar von einer Krankenversicherung war die Rede – alles sei nach europäischen Standards und ganz legal. Florin ließ sich die Nummer geben und sagte seinem Kumpel, er werde dort anrufen und zusagen. Dennoch überlegte er nach dem Telefonat mit seinem Kumpel einen kurzen Augenblick. Schon öfter war er zum Arbeiten ins Ausland gereist, und immer hatte er darunter auch gelitten. Die 80-Stunden-Woche, das Fehlen von Privatleben und das zusätzliche Heimweh haben schon manche in verwahrlosungsähnliche Zustände getrieben. Doch andererseits reiste Florin, trotz aller Unannehmlichkeiten, gerne ins Ausland. Wenigstens für eine Weile konnte er so aus dem allzu oft grauen rumänischen Alltag ausbrechen. Das Bild vom fortschrittlichen städtischen Westen weckt bei dem einen oder anderen (ländlichen) Arbeiter Sehnsüchte; Sehn-süchte nach einer Gesellschaft, von der die rumänische noch weit entfernt scheint. Solche Abwägungen weichen allerdings schnell angesichts eines kurzen Vergleichs: Was sind schon 1 257 RON (umgerechnet 350 Euro) Monatslohn in Rumänien [2] gegen 7,50 Euro Stundenlohn netto in Deutschland? Da überlegt niemand allzu lange, zumal sich die Lage der arbeitenden Klasse seit dem Inkrafttreten der neuen Arbeitsgesetze deutlich verschlechtert hat und das Hierarchiegefälle zwischen Arbeitern und Unternehmern enorm forciert wurde.[3] So kann eine Kündigung heute aus vollkommen ominösen Gründen heraus erfolgen, wenn z.B. die Qualifikation der Arbeiter den Anforderungen der auszuübenden Tätigkeit nach Ansicht der Unternehmerseite nicht mehr adäquat zu sein scheint. Auch können den MitarbeiterInnen neuerdings ohne weitere Begründung unbezahlte Überstunden abverlangt werden. Diese sind bei Androhung einer Kündigung, die aufgrund der geänderten Arbeitsgesetze durchaus auch ganze Belegschaften treffen kann, zu erbringen. Florin hat sich letztlich, wie Zigtausende seiner Landsleute im letzten Jahr auch, für einen erneuten Weg ins Ausland entschieden. Er hat die Vermittlerin angerufen und ein Treffen vereinbart. Bei dem Treffen in einem provisorisch eingerichteten Büro in Bukarest wurde er in Hektik empfangen. Ob er denn seinen Pass bei sich habe, denn mehr brauche es derzeit ohnehin nicht. Nachdem eine Kopie des Ausweises erstellt worden war, ging die Person dazu über, einige Fragen bezüglich der gesundheitlichen Verfassung und der Arbeitsqualifikation zu stellen. Als die Eignung des Arbeiters für die Vermittlerperson feststand, wurde in ein paar kurzen Sätzen auf seine zukünftige Auslandsbeschäftigung eingegangen. Es wurde versichert, dass er in Deutschland legal arbeiten werde. Des Weiteren wurde Florin darauf hingewiesen, dass er im Ausland krankenversichert werde. Er werde viel zu tun haben und täglich Überstunden schieben müssen, so dass er wochentags auf seine zwölf Stunden kommen werde. Samstags müsse ebenfalls gearbeitet werden, und wenn Betonlieferungen anstünden, sei ja ohnehin klar, dass niemand die Baustelle verlassen könne, bis der Flüssigbeton den vorgesehenen Weg in die Schalungen gefunden habe. Für Florin war dies alles nichts Neues. Im Laufe der Jahre hatte er sich damit abgefunden, dass für migrantische Arbeiter andere Arbeitszeiten gelten. Dass er auf Befehl eines Poliers auch mal bis tief in die Nacht hinein werkeln musste, hatte er ebenfalls schon zähneknirschend hingenommen. Solange kein Arbeitsunfall die Gesundheit wesentlich beeinträchtigt, wird so manches geschluckt bzw. kann so manches geschluckt werden, denn nach gefährlichen Unfällen ist man entweder nicht mehr in der Lage, auf dem Bau zu arbeiten, oder schlicht und einfach tot – auch dieses Risiko besteht durchaus. Diesmal winkte jedoch ein Stundenlohn in Höhe von 7,50 Euro. Deutlich besser als so manch anderer Verdienst, den Florin in der Vergangenheit erhalten hatte. Er hatte auch schon Verträge unterzeichnet, die ein Festgehalt von 1200 Euro im Monat vorsahen, völlig losgekoppelt von der tatsächlich erbrachten Arbeitszeit. Florin gab sich also mit dem Unterbreiteten zufrieden und schlug ein. Die Vermittlerin verabschiedete sich mit der Zusage, dass über den weiteren Verlauf telefonisch kommuniziert werden würde. Ein paar Tage später war es dann auch soweit: Florin wurde benachrichtigt, dass er für eine der Maschinen, die am 1. Mai nach Deutschland fliegen würden, vorgesehen sei. Man teilte ihm mit, dass er sich um 9 Uhr an einem bestimmten Treffpunkt einzufinden und 100 Euro in bar mitzubringen habe. Am Treffpunkt, an dem sich an die 20 Arbeiter zusammenfanden, stellte sich heraus, dass das Geld, welches von einem nahen Verwandten der Vermittlerperson einkassiert wurde, als Kommission diente. Vielleicht wurde damit aber auch ein Teil des Tickets gekauft. Quittungen und Auskünfte gab es jedenfalls keine. Stattdessen wurden den Männern die Billetts in die Hand gedrückt, und es wurde ihnen versichert, dass sie am Flughafen in Deutschland vom Ehemann der Vermittlerin in Empfang genommen würden. Im Okzident In Deutschland angekommen, wurden die Arbeiter vom Ehemann der Vermittlerin, nennen wir ihn Cozmin, und einem anderen Rumänen erwartet. Die beiden Männer gaben sich als Repräsentanten des deutschen Subunternehmens, nennen wir es Acker GmbH, aus. In zwei Bussen wurden die Arbeiter zum Firmensitz gefahren, wo sie mit ca. 45 verschiedenen Unterlagen pro Mann für die nächsten Stunden allein gelassen wurden. Sie sollten sie unterschreiben und dann brav auf das Wiederkommen Cozmins warten. Auf die Nachfrage, um was es sich denn bei den Bögen handele, entgegnete Cozmin verschmitzt, dass die unterschriebenen Formulare die Voraussetzung für eine legale Einstellung seien. Des Weiteren befänden sich in den Unterlagen mehrere Formulare, die für ihre Krankenversicherung notwendig seien. Der Rest sei dann bürokratischer Natur, müsse aber ebenfalls unterschrieben und bei den Behörden eingereicht werden, damit letztlich alles seine legale Ordnung habe. Ein einziger Bogen war dann doch in beiden Sprachen abgedruckt. Der Werkvertrag für Selbstständige war im besten Juristenrumänisch verfasst und bezog sich größtenteils auf Verpflichtungen, die der jeweilige Selbständige mit der Unterzeichnung des Vertrages eingeht. Darunter viele Passagen zur Arbeitsdisziplin sowie standardisierte Artikel, die den Arbeitern bereits aus anderen Verträgen vertraut waren und nichts sonderlich Unbekanntes vom Einzelnen verlangten. Einzig die Anrede als »liber professionist«, also als Selbstständiger, war den Männern suspekt. Auf einem kleinen Ergänzungsblatt wurden die Arbeiter nochmals darüber aufgeklärt, dass sie eine Offene Handelsgesellschaft (OHG) gegründet hätten und dass ihre Bezahlung offen ausgehandelt worden sei, so dass für sie als Selbständige der Mindestlohn nicht in Betracht käme. Etwas verdutzt über die ungewöhnlichen Formulare, stellten die Männer Cozmin zur Rede, als dieser nach seiner langen Abwesenheit endlich wiederkam. Cozmin suggerierte jedoch, dass es sich um unwichtige Formalia handele, die lediglich intern von Bedeutung seien und der Firma einen Schutz gegen überzogene Forderungen der Arbeiterschaft bieten sollten. Die Bedingungen einer legalen Beschäftigung als Selbstständiger (eigene Materialien, eigene Anschrift etc.) wurden den Männern einfach verschwiegen, stattdessen wurde ihnen nahe gelegt, nicht weiter über die Bögen nachzudenken, vor allem nicht zu diesem Zeitpunkt. Wichtig sei, dass man noch vor 16 Uhr das Rathaus erreiche, weil dies sonst seine Pforten schließe. Dort müssten noch an diesem Nachmittag Einträge ins Melde-Register des Einwohnermeldeamtes vorgenommen werden, damit die rumänischen Arbeiter legale Wohnverhältnisse eingehen könnten. Wer die Bögen zur Selbstständigkeit nicht unterschreiben wolle, könne ja wieder nach Rumänien fahren, der Rest solle sich dann schleunigst zu den Bussen bewegen. Natürlich fuhr niemand zurück nach Rumänien. Florin hatte sich die 100 Euro von einem Kumpel geliehen, wie könnte er nun mit Schulden nach Hause kommen? Und wie sollte er sich die Rückreise finanzieren? Erneut Schulden machen? Wer sollte diese borgen, und wie sollte er dafür jemals aufkommen? In Rumänien würde ihn jeder für verrückt erklären. Auf dem Weg zum Rathaus richtete Cozmin noch einmal das Wort an die Landsmänner und bestärkte abschließend in vertrauensvollen Worten, dass alle Formulare legalen Beschäftigungsverhältnissen dienten und sich niemand Sorgen machen müsse. Es gebe nun mal mehrere Formen der Beschäftigung von Arbeitern, wichtig sei nur, dass alles legal bleibe. Außerdem sei die Acker GmbH ein seriöses Unternehmen, das seit Jahren Rumänen auf Baustellen in ganz Deutschland beschäftige. Wenn auch widerstrebend und nicht mehr als unbedingt nötig schenkten die Männer dem versierten Geschäftsmann ihr Vertrauen. Was blieb ihnen in dieser Situation auch anderes übrig? Auf dem Amt wurden sie in Fünfergruppen zum Unterschreiben diverser Unterlagen angehalten. Cozmin erklärte ihnen, dass es sich hierbei um die gesetzliche Versicherungspflicht im Krankheitsfall handele. Den deutschen Angestellten versicherte er, dass die Männer die Unterlagen aus freien Stücken unterschrieben. Dass die Arbeiter in Wirklichkeit gerade Formulare der Gewerbemeldestelle unterzeichneten, die zur Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) dienten, war ihnen geschickt vorenthalten worden. So wurden die rumänischen Arbeiter über Mittag zu Patroni [4]: Die Fünfergruppen wurden in Folge ihres Besuches bei der Gewerbemeldestelle nun als Personengesellschaften (GbR und/oder OHG) geführt. Cozmin hatte die Unterlagen fein säuberlich gesammelt und an sich genommen, die Arbeiter wieder in die Busse verfrachtet und zu den Unterkünften gefahren. Florin hatte es mit sieben anderen in einen heruntergekommenen Stadtteil in einem Ballungsgebiet verschlagen. In einer dieser typischen Bettenburgen wurde er in der neunten Etage in ein 70 qm-Appartement einquartiert, das für die nächsten Monate seine Bleibe sein sollte. Die Wohnung war seit Jahren nicht mehr renoviert worden: Statt eines Herds gab es Kochplatten, statt eines Betts stand ein zu kurz geratenes Klappbett bereit, und statt einer Tapete bildete Schimmel seine Muster auf der ewigfeuchten Wand ab. Wenigstens über Einsamkeit konnte er nicht klagen: Florin musste sich das Domizil mit fünf anderen Kollegen teilen.[5] Zu arbeiten begannen die Männer bereits am nächsten Tag in aller Frühe. Zum ersten Mal ließ sich der Chef der deutschen Firma blicken. Auch er erteilte eine Lektion in Sachen Arbeitsdisziplin und ließ sich seine Worte von einem stämmigen rumänischen Polier, der schon länger zu seinen Begünstigten zählte, übersetzen. Der Chef ging, doch das versprochene Geld kam nicht. Zumindest nicht in vollem Umfang: Pro Mann wurden 100 Euro die Woche an Essensgeld ausgezahlt, der Rest in der Regel mit mindestens zwei Monaten Verzögerung. Als Grund wurde immer wieder eine temporäre Liquiditätskrise angegeben. Daneben wurde psychologisch an das Vertrauen der Arbeiter appelliert: »Bruder, komm schon. Ich kenn den Kerl, der macht Euch schon noch reich, oder denkst Du etwa, dass ich Dich betrüge? Wir sind doch Landsmänner, mir könnt Ihr doch vertrauen!«, so oder ähnlich lauteten Cozmins Worte, und das zog auch eine Weile. Die Arbeitsbedingungen der migrantischen Wanderarbeiter stehen den Wohnverhältnissen in nichts nach. Florin war mit seinen Kollegen sechs Tage die Woche, im Schnitt zwölf Stunden täglich, auf der Baustelle – egal bei welchen Witterungsverhältnissen. Da sie bei dem Gebäude auch die Tiefgaragen hochziehen mussten, standen sie tagelang ohne Gummistiefel bis zu den Knien im Wasser. Dabei ist bezogen auf die Arbeitszeiten und -bedingungen eine Spaltung der Arbeiter zu beobachten, die an der Nationalitätszugehörigkeit entlang verläuft. Während die Arbeit der deutschen Kollegen alle Sicherheitsbedingungen erfüllte und fast nie länger als acht Stunden täglich dauerte, mussten die Rumänen unter hohem Risiko und schlecht ausgerüstet ihre Tätigkeit ausüben. Auch die Pausen waren fast immer ungleich verteilt. Während der rumänische Arbeiter mit einer Stunde pro Tag auskommen musste, stand seinem deutschen Kollegen die gleiche Zeit allein für seine Mittagspause zur Verfügung. Es sind solche Strukturen, in denen von den Wanderarbeitern die Umgehung der Sicherheitsbestimmungen sowie unbezahlte Surplusarbeit erzwungen werden können, was sie zur Niedriglohnkonkurrenz für die legalen Bauarbeiter macht. Und es sind ebenfalls diese Strukturen, die – wenn sie missverstanden werden – bei Letzteren Nationalismus und Rassismus generieren können. Das Unfallrisiko der Arbeiter steigt zudem exponential mit ihrer zunehmenden Übermüdung. Florin wird den traumatischen Anblick eines Kollegen, dem vier Finger seiner rechten Hand unter einer Stahlplatte zerquetscht wurden, nicht so schnell wieder vergessen können. Arbeitsunfälle stellen sich im Baugewerbe auf den ersten Blick als tragische Verquickung von Umständen und als Einzelschicksale dar: eines übermüdeten Kranführers und eines noch müderen Zimmermannes, der in dem entscheidenden Augenblick seine Hand nicht schnell genug wegziehen konnte. De facto sind die meisten Arbeitsunfälle, zumindest für die migrantischen Arbeiter, Folge einer systematischen Umgehung der Sicherheitsbestimmungen auf den Baustellen. Und dazu werden sie von den Arbeitgebern permanent angehalten. Die einzige Gelegenheit, bei der Florin einen Sicherheitsgurt tragen durfte und sogar explizit musste, war, als die »Finanzkontrolle Schwarzarbeit« bei einer Routinekontrolle die Baustelle beaufsichtigte. Danach verschwand die Weste samt Sicherheitsregeln wieder zurück in den Spind. Ob diese Arbeiter sich irgendwann gegen das Unternehmen aufgelehnt hätten, ist ungewiss. Vielleicht nach-dem sie – wie immer erst nach einem Arbeitsunfall – gemerkt hätten, dass der verletzte Kollege gar nicht wirklich krankenversichert ist und ergo auch kein Krankenwagen gerufen werden würde. Es sind leider oft erst Phänomene wie diese, in denen der Leidensdruck Einzelner zu groß wird, die Gruppendynamiken auslösen und die Arbeiter zu einer umfassenderen Solidarität und einem Realitätsgewinn treiben, so dass sie sich mit vereinten Kräften gegen ihre Peiniger zur Wehr setzen. Oft wird dann auch erst in solchen Fällen der EVW aufgesucht. Dies hin und wieder jedoch auch von Arbeitern, die in der Nahrungsmittelindustrie oder der Metallbranche arbeiten, oder auch von solchen, die als Erntehelfer ein Zubrot verdienen. Es ist erstaunlich, über welche Umwege die Nachricht vom EVW die Arbeiter erreicht. Häufig sind es die losen Netzwerke der Arbeiter selbst, in denen diese Information kursiert. Der Wanderarbeiterverband Bei der letzten Aktion in Köln (s.o.), bei der der EVW von der IG BAU tatkräftig unterstützt wurde, musste es nicht erst zu einem Arbeitsunfall kommen. Trotz der Spaltungsversuche von Seiten des Unternehmers – so wurde bspw. ein Teil der rumänischen Beschäftigten regelmäßig bezahlt, wohl um den Eindruck zu vermitteln, dass Geld da sei –, hatten sich 14 Arbeiter mit der Bitte um Hilfe im Arbeitskampf an den EVW gewandt. Richtig sauer waren die Männer geworden, als einer ihrer Gruppenleiter einen Großteil seines Lohnes an die Firma EXACT Bau GmbH wegen angeblicher »Administrationsarbeiten« abtreten sollte. Zudem wurden ihm allein 300 Euro für seine Arbeitsschuhe sowie weiteres hart erarbeitetes Geld für Werkzeug und Unterkunft abgeknöpft. Es war jedoch auch ein guter Schuss Verzweiflung, der die Männer den Kran hochklettern ließ. Voller Wut und Frust meldeten sie sich also beim EVW. Der Wanderarbeiterverband, 2004 auf Initiative der IG BAU ins Leben gerufen, hat sich die Organisation und Betreuung migrantischer Arbeiter zur Aufgabe gemacht. Dank der versammelten sprachlichen Kompetenzen kann den meisten Wanderarbeitern direkt in der Landessprache begegnet werden, womit erste Barrieren wegfallen. Das zerrüttete Vertrauen der Arbeiter, das nach solchen Vorfällen zunächst prinzipiell jedem »von außen« Kommenden gilt, kann dann in den meisten Fällen nach und nach wieder gewonnen werden. Ganz ohne Skepsis bleiben die Beziehungen zu uns Syndikalisten jedoch meistens nicht. Die Desillusionierung ist bei denjenigen, die sich bei uns melden, häufig viel zu groß: »Ja, gibt es denn für diese Betrüger kein Gesetz?«, so eine häufig gestellte Frage. Solche Fragen lassen Rückschlüsse auf die Vorstellungen der Arbeiter von ihren sozialen Verhältnissen zu. Es ist ein Teil unserer Arbeit, an diesen anzuknüpfen und mit ihnen in den offenen Diskurs zu treten. Wir nehmen uns dann Zeit für Bildungsarbeit, in der in diesem konkreten Fall ein wenig über Staat und Rechte diskutiert wurde. Zwei Punkte sorgen dabei immer wieder für Verwirrung. Auf der einen Seite bildet das positive Recht, die Frage macht es deutlich, einen Stein des Anstoßes. Wenn von den Wanderarbeitern eingeklagt wird, dass wir in einem Rechtstaat leben und es doch so etwas wie gesetztes Recht gibt, muss von unserer Seite meist darauf hingewiesen werden, dass diese Rechte zunächst einmal aktiv eingeklagt werden müssen – eben weil kein Richter sich von sich aus ihrer Lage widmen und ihnen ein bestimmtes Recht zusprechen wird. Auf der anderen Seite hat sich die Praxis der Unternehmen, die sich oft in Grau- und Schwarzzonen der Gesetze bewegen (siehe unten zum Phänomen der Scheinselbstständigkeit), zu einem Fels des Ärgernisses formiert. Dann wird von uns eingewendet, dass bestimmte Rechte überhaupt erst eingefordert und erkämpft werden müssen und dass außerdem nicht alle Probleme in der Form des Rechts gelöst werden können, schlicht und einfach, weil manche Probleme sozialer Natur sind. Wenn diese Botschaft bei einigen durchsickert, dann ist unserer Erfahrung nach schon einiges erreicht. Schließlich kann man nur als Enttäuschte(r) und damit Desillusionierte(r) vernünftige Positionen beziehen. Zu groß ist jedoch die Gefahr, diese Desillusionierten ohne klärende Gespräche nach Rumänien zurückzuschicken. In der von Krisen geprägten politischen Landschaft Rumäniens warten erstarkte Nationalisten und Rechte mit ihren antizivilisatorischen Parolen auf allerlei enttäuschtes Wahlvolk. Manchmal werden wir folgerichtig auch mit der Frage konfrontiert, ob es »unsere eigenen Landsmänner sind, die uns in diese Situation gebracht haben, oder ob es deutsche Unternehmer sind, die uns hier hinters Licht geführt haben«. Meistens beide, so unsere Antwort. Schließlich steht dahinter keine Frage der Nationalitäten, sondern eine von Standort- und damit auch von Lohnkosten. Die deutschen Unternehmen scheren sich herzlich wenig darum, wo sie ihre billigen und willigen Arbeiter herbekommen, und ebenso die rumänischen Unternehmen, denen es allenfalls egal sein kann, in welche Länder sie die Arbeiter entsenden; entscheidend ist für beide eben der Profit. Bei unserer Aufgabe, die tariflichen und gesetzlichen Ansprüche unserer Mitglieder durchzusetzen, sind wir in zunehmendem Maße mit dem Phänomen der Scheinselbstständigkeit konfrontiert. Statt Entsendearbeitern werden in der Baubranche immer häufiger Arbeiter als Selbstständige beschäftigt. Dies wirkt auch auf die Arbeit des EVW zurück: Neben den Informationskampagnen für migrantische Arbeiter (auf Baustellen) und der öffentlichen Aufklärungsarbeit vertritt der EVW seine Mitglieder derweil noch häufig – teils gerichtlich, teils außergerichtlich – in Lohnkämpfen.[6] Immer wieder ist er dabei damit beschäftigt, zunächst den Nachweis zu erbringen, dass es sich bei den Wanderarbeitern nicht um Selbstständige handelt. Akkumulation in Grau-Schwarz-Zonen Ich habe dargestellt, wie die Arbeiter aus dem Ausland hierher gelockt, zu Scheinselbstständigen gemacht und anschließend ausgebeutet werden. Manchmal genügen die Versprechungen, zuweilen muss jedoch mit anderen Mitteln nachgeholfen werden, damit der Widerstand der Einzelnen gebrochen und die Disziplin auf der Baustelle wieder hergestellt ist. So sind uns Fälle bekannt, in denen Arbeiter sogar mit Waffen attackiert wurden, damit sie sich nicht gegen ihre Schänder erheben oder sich gar gewerkschaftlich organisieren. Zu groß ist die Angst derer, die mit beiden Beinen im Sumpf der organisierten Kriminalität stecken. Die vielfältigen und massiven Manipulations- und Einschüchterungsversuche, welche die Arbeiter über sich ergehen lassen müssen, können ein Indiz dafür sein. Wenn alles zu scheitern droht, bleiben den Unternehmen oft nur noch Korruptionsversuche. Dann wird schon mal versucht, Mitglieder abzuwerben und gar zu Falschaussagen bei der »Finanzkontrolle Schwarzarbeit« zu bewegen. Doch was genau steht auf dem Spiel? Und wer spielt dieses Spiel mit dem Feuer eigentlich mit? Klar ist, dass für die einzelnen Unternehmen, die als Subunternehmer Wanderarbeiter illegal beschäftigen, strafrechtliche Verfahren drohen, die mit Freiheitsentzug und hohen Geldstrafen für die Beteiligten ausgehen können. Das Spiel ist nicht immer ganz durchsichtig, da kann es schon mal helfen, wenn hin und wieder Interna ausgeplaudert werden. Oft aus purer Selbstüberschätzung, mitunter auch aus bestimmten Interessenslagen heraus. So wurde unserem Verband einmal bei einem längeren, ausführlichen Gespräch gesteckt, welche Verquickungen existieren, in die selbst die Großen der Bauwirtschaft verwickelt sind. Auch bekannte Unternehmen sind nach unserem Wissensstand dabei so dreist, dass sie es vorziehen, ihre eigenen Subunternehmen zu gründen. Da wird dann einem pfiffigen Bekannten das Startkapital (20000 bis 30000 Euro) zugeschoben, damit dieser eine GmbH gründet und im Anschluss werden Menschen aus dem Ausland »hergezaubert«. Wenn die GmbH dann gerade auf Hochtouren arbeitet und, sagen wir, z.B. 80 Wanderarbeiter beschäftigt, wird der Geldhahn plötzlich von oben zugedreht. Der Subunternehmer muss dann alle Arbeiter loswerden, Konkurs anmelden und hoffen, dass das Insolvenzverfahren zu seinen Gunsten ausgeht. So haben alle ihr Geschäft gemacht. Fast alle, denn die, die am untersten Ende der Kette stehen, können oft froh sein, wenn sie wenigstens jeden Monat den ihnen zugesicherten Lohn, der fast immer unter dem Mindestlohn liegt, erhalten haben. Damit im Nachhinein die ganzen Verflechtungen nicht mehr ganz so leicht nachvollzogen werden können, werden zwischen dem Generalunternehmer, den Subunternehmen, den Sub-Sub-Subunternehmen etc. parallel einerseits Werkverträge, in denen nach Leistung, und andererseits gewöhnliche Arbeitsverträge, in denen nach Stunden bezahlt wird, abgeschlossen. Im entscheidenden Moment werden die Arbeitsverträge samt anderen belastenden Unterlagen dem Papierwolf zum Fraß vorgeworfen, so dass am Ende niemand mehr nachvollziehen kann, wer wie lange und vor allem auf welchen Baustellen beschäftigt wurde. Es existieren dann nur noch die neutralen Werkverträge, in denen lediglich die erbauten Kubikmeter und deren feste Preise auftauchen. Das hat Konsequenzen für die Wanderarbeiter, die, wenn es hart auf hart kommt, vor Gericht ihre Ansprüche geltend machen müssen und in der Nachweislast stehen. Die Unternehmerseite erwirtschaftet auf dem Rücken der Wanderarbeiter ihre Profite und kann sich so die lästige Konkurrenz aus dem Ausland vom Leibe halten. Leidtragende sind letzten Endes inländische wie ausländische Arbeiter. Es ist zu befürchten, dass solche Praktiken auf eine zynische Weise von konservativen Politikern als Munition gegen (einen angeblich zu hohen) Mindestlohn und Tarifverträge sowie für xenophobe Kampagnen instrumentalisiert werden. * Mihai Balan studiert Soziologie, arbeitet beim Europäischen Wanderarbeiterverband und lebt im schönen Offenbach. Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/08 (1) »RTL Explosiv« und einige Regionalblätter aus Köln berichteten über den Vorfall. Siehe hierzu auch den Artikel »Arbeiter schlechter dran als Bettler?« von Peter Kleinert in der Neuen Rheinischen Zeitung vom 12. Dezember 2007, www.nrhz.de (2) Siehe Institutul National de Statistica (INSSE), www.insse.ro (3) Die umfassenden Veränderungen des Arbeitsrechtes, die 276 der 298 Artikel betrafen, traten trotz des Unmutes aller Gewerkschaften und großer Proteste, bei denen u.a. »codul muncii – codul sclavii« (Arbeitsgesetz – Sklavengesetz) skandiert wurde, im Mai 2005 in Kraft. (4) In Rumänien werden die Arbeitgeber in der Baubranche Patron genannt. (5) Bei einem Außendiensteinsatz in Düsseldorf traf ich auf 25 Arbeiter, die in ähnlich katastrophalen Wohnverhältnissen hausten. Überall roch es nach Schimmel, in der Küche hatten sich Nager ihren Weg bis in die Schränke hinein gebahnt, und die einzige Dusche befand sich im Keller neben einer Waschmaschine, die bei jedem Waschgang durch laute und eindringliche Geräusche den Eindruck erweckte, als ob sie jede Sekunde explodieren könnte. Das fiel auch zwei Lokalreportern auf. Siehe den Artikel »Warten auf den Lohn« von Birgit Wanninger und Joachim Preuss aus Rheinische Post vom 9. Oktober 2007. (6) Weitere Informationen kann man der Internetseite des EVW entnehmen: www.emwu.org |