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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Tarifpolitik unter Revisionsvorbehalt IGM-Defensive setzt sich fort – R. Müller zum VW-Abschluss Mit dem am 5. November von der Großen Tarifkommission der IG Metall mit 93 zu 15 Stimmen angenommenen Abschluss der diesjährigen VW-Tarifrunde setzt sich die Defensive der IG Metall fort. Die Signale, die von VW ausgehen, sind eindeutig: Wenn die einstmals erreichten Standards in der Metallindustrie nicht einmal von der am besten organisierten Gewerkschaft in einer ihrer Hochburgen gehalten werden, wie soll dann der tarifpolitische Rollback in anderen Unternehmen und Branchen aufgehalten werden? Siemens, Karstadt, Daimler-Chrysler und jetzt VW sind eben nicht die Ausnahmen, sondern die neuen Benchmarks. Der von Berthold Huber jetzt wieder neu aufgewärmte Vorschlag, Tarifabschlüsse in Zukunft generell nur noch als Rahmenvereinbarungen abzuschließen und die Details je nach Ertragslage einzelbetrieblich regeln zu lassen, würde die bereits eingeschlagene Politik endgültig zur Norm machen. Der Abschluss im Einzelnen: »Jobs« Als positivster Teil des Abschlusses gilt der »Zukunftstarifvertrag«.
VW verpflichtet sich, bis 31. Januar 2011 in seinen deutschen Standorten
99000 Arbeitsplätze plus Auszubildende zu halten. Diese Absicht soll
durch verschiedene Investitionen an den sechs Standorten Wolfsburg, Hannover,
Emden, Salzgitter, Kassel und Braunschweig auch praktisch abgesichert
werden. Betriebsvereinbarungen an den Standorten werden hierzu die Modalitäten
regeln (hier wird dann das Kleingedruckte interessant sein). »Mäuse« Dem Teil »Jobs« stehen erhebliche Zugeständnisse
im Teil »Mäuse« gegenüber. Für die nächsten
28 Monate, d.h. von Oktober 2004 bis 31. Januar 2007, gibt es keine tarifliche
Erhöhung von Löhnen und Gehältern. »Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit« In Zukunft soll es für alle bisherigen Beschäftigten
(und nur für diese) ein neues, für ArbeiterInnen und Angestellte
einheitliches Eingruppierungs- und Entgeltsystem geben, das spätestens
ab 2008 in Kraft treten soll. Vereinbart wurde, dass die Einführung
»kostenneutral« erfolgt. »800 Stunden Vollflexi« Damit die Fabrik in Zukunft nicht nur atmen, sondern auch mal richtig durchschnaufen kann, wurde die Arbeitszeitflexibilität gewaltig erhöht. In Zukunft können bei Bedarf die Arbeitszeitkonten zwischen 400 Minus- und 400 Plusstunden variieren. Damit steht dem Unternehmen ein Arbeitszeitkorridor von bis zu 800 Stunden zur Verfügung, denn, wie heißt es in der Vereinbarung: »Plus- und Minusstunden können nur auf betriebliche Veranlassung entstehen« (und nicht etwa, weil Beschäftigte mal ’ne längere Auszeit nehmen wollen). Dies bedeutet, dass VW im Zweifel für Monate die Arbeit einstellen kann und im Bedarfsfall monatelang länger arbeiten lassen kann. Überstundenzuschläge werden in Zukunft erst ab 40 Wochenstunden fällig – und dies auch nur, wenn das individuelle Zeitkonto im Plus ist. Kernschmelze Wenn eingangs davon die Rede war, dass der VW-Abschluss
wie auch die vorausgegangene Vereinbarung bei Daimler-Chrysler neue Maßstäbe
setzen, so gilt dies nicht nur für den Inhalt, sondern auch für
das Procedere. Unternehmen kommt es bekanntlich nicht darauf an, um jeden
Preis Beschäftigte zu entlassen. Im Gegenteil, wenn es sich lohnt,
werden sogar ausgesprochen gerne mehr Menschen beschäftigt. Die DaimlerChrysler-Vereinbarung und der VW-Abschluss sind deshalb auch unter strategischen Gesichtspunkten falsch. Indem einigen Firmen Wettbewerbsvorteile ermöglicht werden, schafft sich die IG Metall ge-nau die Probleme, die sie mit den Standortvereinbarungen zu lösen vorgibt, an anderer Stelle neu. Zugleich bleibt die IG Metall einer national ausgerichteten Politik verhaftet, die nicht nur politisch borniert, sondern angesichts international ausgerichteter Unternehmensstrategien auch schlicht unangemessen ist. Das Ergebnis ist ein Absenken einmal erreichter tariflicher Standards. Dies passiert nicht irgendwo, sondern unter großer Publizität in den verbliebenen Zentren industrieller Produktion. Es findet eine tarifpolitische »Kernschmelze« (M. Dieckmann) statt. Die zwischenzeitlich kaum noch sichtbare Pilotfunktion von Metallabschlüssen kehrt jetzt im Negativen wieder. Wenn hier Löhne und Arbeitszeitstandards ausgehöhlt werden, so fragen sich viele GewerkschafterInnen, wie sollen sie dann in Branchen mit ungleich schwierigeren gewerkschaftlichen Rahmenbedingungen gehalten werden? Zu Recht wird seitens ver.di darauf hingewiesen, dass dieser Abschluss die Tarifrunden des Jahres 2005 vermutlich erheblich beeinflussen wird. Jedoch gilt für die Tarifpolitik das Gleiche wie für die einzelbetriebliche Standortsicherung. Im Zweifel ist das Hemd näher als der Rock. Auf VW bezogen hieß dies, dass der VW-Gesamtbetriebsrat von Beginn an wenig Zweifel ließ, dass ein Abschluss sich vor allem an den Interessen der jetzt Beschäftigten zu orientieren habe. Ähnlich wie bei 5000x5000 wurde das Arbeitsplatzargument über tarifpolitische und gewerkschaftliche Prinzipientreue gestellt. Entgegen der Hoffnung mancher Gewerkschaftslinker befindet sich der Betriebsrat hierbei wohl eher nicht im Gegensatz zur vielbeschworenen Basis. Und auch außerhalb von VW wird sich die Kritik in Grenzen halten. In den Zeiten von 1-Euro-Jobs kann kein Zweifel bestehen, dass sich selbst zu stark abgesenkten Löhnen zigtausende von Menschen bei eventuellen Neueinstellungen um einen VW-Arbeitsplatz bewerben werden. Dieses Ausbleiben massiver Kritik sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Beschäftigte den VW-Abschluss nicht als Zeichen verbliebener gewerkschaftlicher Gestaltungskraft wahrnehmen, sondern durchaus realistisch als Ausdruck von Schwäche. Diese Schwäche ist nicht zuletzt eine politische. Solange behauptet wird, es werde über Standortsicherung geredet, wo in Wirklichkeit unter für die Gewerkschaften massiv verschlechterten Rahmenbedingungen über Umverteilung verhandelt wird, solange werden Abschlüsse wie die bei VW eben weiter als Erfolge verkauft werden müssen und können nicht als sehr problematische Zugeständnisse innergewerkschaftlich zur Diskussion gestellt werden.
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