»Go South« oder: Überall
kann Süden sein
Im Zuge der Krise bei den ›deutschen‹
Autokonzernen DC, Opel und VW wird immer wieder auf die Erfolge japanischer
und koreanischer Hersteller verwiesen. Auch wenn Mitsubishi dabei nicht
ganz ins Bild passt: Honda, Mazda, Hyundai und Nissan konnten ihre Absatzzahlen
deutlich steigern, Toyota liegt mittlerweile auf Platz 2 der führenden
Automobilproduzenten. Grund genug, sich die Strategien jenes Konzerns
genauer anzusehen, dessen Produktionssystem und Arbeitsorganisation namensgebend
und schon früh zum Inbegriff von Lean Production wurden. Ein wesentliches
Erfolgselement dieses Systems liegt darin, Arbeitsbeziehungen herzustellen,
in denen die Bindung an das Unternehmen unter Umgehung gewerkschaftlicher
Interessenvertretungen erfolgt. Der Süden der USA ist Musterbeispiel
und zugleich Laboratorium für die Entwicklung solcher Verhältnisse,
insofern hier die »right to work«-Gesetzgebung – d.h.
u.a. das Verbot gewerkschaftlich organisierter »closed shops«
– jede Form kollektiver Interessenvertretung extrem erschwert und
somit ›optimale Standort-Bedingungen‹ bietet.
Asiatische und europäische Unternehmen haben dort mittlerweile zehn
Produktionsstandorte, an denen insgesamt fast 50000 Leute beschäftigt
sind – alle nicht gewerkschaftlich organisiert. In einem von ihnen,
dem Toyota-Werk in Georgetown, Kentucky, versucht die UAW seit einiger
Zeit, dies zu ändern. Die dortige Organisierungskampagne ist in der
heißen Phase angelangt, Ende November sollen dort die »Unterstützungskarten«
ausgezählt werden, mit denen die Beschäftigten dokumentieren,
ob sie im Betrieb eine gewerkschaftliche Vertretung wünschen. Wir
haben drei Berichte übersetzt*, die sich mit einigen Besonderheiten
des Toyotismus, den Widerständen bei der Organisierungskampagne und
deren strategischer Notwendigkeit auseinandersetzen.
* Die Übersetzungen (04101115/17/18) basieren jeweils
auf den unter <www.labornotes.org
>
erschienenen Langfassungen der Beiträge aus der Print-Ausgabe von
Labor Notes, September 2004
»Oberste Priorität«
Mike
Parker* zur strategischen Bedeutung der Organisierung bei Toyota
Die Zukunft der Arbeiterbewegung hängt von den freiwilligen
gewerkschaftlichen »Organizern« bei Toyota und von Arbeitern
wie ihnen in einer wachsenden Zahl von gewerkschaftsfreien Autofabriken
ab.
Langfristig werden die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter weder ihre
Löhne noch ihre Sozialleistungen und ihren Arbeitsplatz halten können,
wenn die Schrittmacher der Autoindustrie gewerkschaftlich unorganisiert
bleiben. Im Moment bieten japanisch geführte Betriebe hohe Löhne,
um im Gegenzug die Gewerkschaften aus den Betrieben draußen zu halten.
Aber diese Löhne werden sinken, wenn der gewerkschaftlich organisierte
Teil in der Autoindustrie schwächer wird und weniger Druck erzeugen
kann. Die gewerkschaftlich organisierten Unternehmen werden Toyota folgen
und die Löhne senken. Dies wird wiederum die Löhne und Arbeitsbedingungen
zunächst in der verarbeitenden Industrie und in Folge im Dienstleistungsbereich
nach unten drücken.
Egal, wie stark die UAW im Moment noch bei den Big Three (DaimlerChrysler,
Ford und General Motors, Anm. d. Ü.) sein mag, sie wird ihre Macht
verlieren, wenn sich die Produkte der gewerkschaftlich organisierten Betriebe
nicht mehr verkaufen lassen. Die letztendliche Verantwortung dafür
mag durchaus beim Management liegen – das das Design, den Produktionsprozess,
die Qualität und die Marketingstrategien bestimmt –, doch Fakt
ist, dass zurückgehende Verkaufszahlen Einfluss haben werden auf
die Stärke der Gewerkschaften.
Die Automobil-Unternehmen in asiatischem Besitz beherrschen gut ein Drittel
des US-Marktes, wenn man die Importe und die Autos, die sie in den Vereinigten
Staaten produzieren, zusammenrechnet. Dieser Anteil wächst um etwa
zwei Prozent pro Jahr und ist inzwischen groß genug, um einen deutlichen
Einfluss auf die Preise und den Markt ausüben zu können. Ein
noch größerer Einfluss wird den ohnehin schon starken Druck,
Konzessionen machen zu müssen, intensivieren und die Gewerkschaft
weiter schwächen.
Wettbewerbsvorteil: »frei von Regeln«
Die nicht gewerkschaftlich organisierten »transplants«
(Produktionswerke ausländischer Hersteller; Anm. d. Red.) in der
Industrie haben eine Reihe bedenklicher Vorzüge. Die Zeitschrift
Business Week schätzt, dass Toyota alleine wegen der Unterschiede
in der Rentenversicherung gegenüber General Motors einen Kostenvorteil
von 1500 US-$ pro Auto hat.
Zum Teil ist dies ein Resultat der jüngeren Belegschaften in diesen
Werken. Doch zum großen Teil beruht dies auf der ungleich größeren
Möglichkeit von gewerkschaftlich organisierten Arbeitern, sich einer
Entlassung vor Erreichen der Altersgrenze zu widersetzen.
Ein weiterer Faktor sind die Sozialleistungen selbst. Die Sozialbestimmungen
in den von der UAW organisierten Betrieben bieten zwar mehr Sicherheit,
aber sie kosten die Unternehmen deutlich mehr.
Toyota erreicht weitere Einsparungen dadurch, dass es »frei«
ist von gewerkschaftlichen Arbeitsregeln, von Outsourcing-Beschränkungen
und Programmen zu Arbeitssicherheit und Unfallschutz. Ohne dass sich eine
Gewerkschaft wehrt und für die menschliche Würde kämpft,
unterliegt Toyota nur geringen Einschränkungen, wenn es darum geht,
die Belegschaft ›auszupressen wie eine Zitrone‹.
Natürlich kosten gewerkschaftlich organisierte Arbeiter die Firmen
mehr. Der entscheidende Punkt bei Gewerkschaften ist jedoch, dass sie
das Management zwingen, die Bedürfnisse der Arbeiter Ernst zu nehmen,
auch und gerade wenn diese grundlegend verletzt werden.
»Benchmark Toyota«
Der Druck, die Belegschaft zu verkleinern, die Sozialleistungen
abzubauen und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, ist nicht nur
das Resultat wie auch immer gearteter Marktkonkurrenz. Das Toyota-Produk-tions-System
ist vielmehr ein Prototyp für das US-Management, Toyota ist die »Benchmark«.
Zeitschriftenartikel wie: »Führung lernen bei Toyota«
und »Die DNA des Produktionssystems bei Toyota«, die kürzlich
in der Harvard Business Review erschienen sind, sind Pflichtlektüre
beim Chrysler-Management.
Die Autoindustrie ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die brutale
Wahrheit: »Organisieren oder sterben«. Es zeigt auch deutlich,
dass es nicht reicht, einfach nur eine möglichst große Zahl
von Leuten zu organisieren. Die Arbeiterbewegung muss vielmehr die führenden
Unternehmen in jedem Sektor organisieren, oder sie wird den jeweiligen
Sektor ganz verlieren. (...)
* Mike Parker ist Elektriker bei DaimlerChrysler,
langjähriger Autor von Labor Notes und Co-Autor mehrerer Bücher
über Lean Production. Zuletzt von ihm erschienen: »Democracy
is Power. Rebuilding the Unions from the Bottom Up« (gemeinsam mit
Martha Gruelle; alle Publikationen zu beziehen über: labornotes@labornotes.org;
www.labornotes.org
).
Übersetzung: Nadja Rakowitz, Jörg
Waschatz, Kirsten Huckenbeck
Erschienen im express,
Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit,
10-11/04
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