Home > Branchen > Auto international > artus
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Benchmarking, andersrum

Ingrid Artus* zum Arbeitskampf bei PSA Peugeot-Citroën

Es ist gängige Praxis (nicht nur) in allen großen Automobilkonzernen, Teile der Produktion outzusourcen bzw. an Subunternehmer zu verlagern. Die aktuelle Auseinandersetzung bei der Deutschen Telekom ist hierfür nur eines unter vielen Beispielen. Die Subunternehmen produzieren im Regelfall zu wesentlich günstigeren Konditionen, als dies im Stammunternehmen möglich wäre, v.a. weil sie ihren Beschäftigten geringere Löhne zahlen und schlechtere Arbeitsbedingungen gewähren, als das in den oft gewerkschaftlich gut organisierten Automobilkonzernen möglich wäre. Dass damit Dumpingeffekte und negative Rückwirkungen auf die Arbeitsbedingungen in den ›Stammbetrieben‹ einhergehen, liegt auf der Hand. Kann der Chef darauf verweisen, dass dieselbe Produktion viel billiger im outgesourcten Unternehmen erledigt werden kann, dann setzt dies den zuständigen Betriebsrat bzw. die Gewerkschaft gehörig unter Druck. Diese Form des ›Teile und Herrsche‹ gehörte zu den Lieblingsspielen der Unternehmer in den letzten 10–20 Jahren – mit dem sichtbaren Erfolg tariflicher Abwärtsspiralen in vielen Großunternehmen. Die Lust an diesem Spiel könnte ihnen allerdings in Zukunft möglicherweise vergehen. Der Streik im Peugeot-Citroën-Werk in Aulnay sous Bois (einer Pariser Banlieue) zeigt zumindest, dass die Logik des ›Teile und Herrsche‹ auch ganz andere Wirkungen haben kann als beabsichtigt: Wenn in den outgesourcten Betriebsteilen nämlich höhere Lohnsteigerungen durchgesetzt werden können als in den Stammbetrieben, so kann dies auch eine Positivspirale in Gang setzen. Die Aufsplitterung von Produktion und Belegschaften hat offenbar manchmal nicht-intendierte Nebenwirkungen, nämlich die Unkontrollierbarkeit der Situation aus Sicht der Herrschenden.

Was ist passiert?

Am 22. Februar 2007 kam es in der Fabrik des Peugeot-Citroën-Konzerns (kurz PSA, als Abkürzung für Peugeot Sociéte Anonyme oder Peugeot AG, zu der auch die Marke Citroën gehört) in Aulnay zu einem ersten Streik. Dieser wurde jedoch nicht bei PSA selbst geführt, sondern bei der Subunternehmerfirma Magnetto. Nach nur drei Tagen Streik lenkte die Unternehmensleitung von Magnetto ein und bewilligte den Streikenden eine 10-prozentige Lohnerhöhung (130 Euro), die Einstellung von etwa zehn zusätzlichen Leiharbeitern sowie fünf zusätzliche Urlaubstage. Hintergrund der schnellen Einigung war die prekäre Situation der italienischen Unternehmensgruppe. Sie steckt in akuten wirtschaftlichen Schwierigkeiten und war daher auf den Vertrag mit Peugeot-Citroën existentiell angewiesen. Auch Peugeot-Citroën zeigte sich besorgt über den Streik, da Magnetto nicht nur das Werk in Aulnay mit seinen Pressen beliefert, sondern auch das spanische Werk in Madrid. Ein Streik bei Magnetto drohte daher beide Werke lahm zu legen. Die massive Lohnerhöhung der Beschäftigten im Subunternehmen zog freilich erhebliches Interesse auf sich, insbesondere unter den – gleich nebenan arbeitenden – Peugeot-Citroën-ArbeiterInnen. Sie hatten im selben Monat gerade mal eine Entgelterhöhung von durchschnittlich 1,75 Prozent bekommen. Fünf Gewerkschaften hatten den Tarifvertrag unterschrieben, d.h. alle größeren Gewerkschaftsorganisationen außer der CGT und SUD (was in Frankreich eine durchaus übliche Situation ist). Der Magnetto-Tarifvertrag schien jedoch zu beweisen, dass kollektiv handelnde Belegschaften auch gegenüber großen Konzernen Verhandlungsstärke besitzen können – und dass daher mehr als 1,75 Prozent Lohnerhöhung »drin sind«. Angesichts des Unmuts an der Basis entschied sich die CGT-Gewerkschaftsorganisation zu handeln. Am 28. Februar begann der Streik mit dem Ziel einer allgemeinen Lohnerhöhung um 300 Euro, einer Vorruhestandsregelung für Beschäftigte ab 55 Jahren sowie der – befristeten – Einstellung beschäftigter LeiharbeiterInnen.

Die Unternehmensleitung lehnte die Forderungen umgehend als völlig unrealistisch ab. Man verhandele grundsätzlich nicht an einzelnen Standorten, sondern nur gleichzeitig für alle französischen Werke. Eine Verwirklichung dieser Forderungen würde jedoch rund 500 Millionen Euro kosten. Hier konnte freilich der übliche Verweis auf die schwierige Unternehmenssituation nicht fehlen, der am Rückgang des Unternehmensgewinns im Jahr 2006 auf »nur noch« rund 267 Millionen Euro festgemacht wurde. Freilich sieht das Gewinnergebnis anders aus, wenn man z.B. die Ergebnisse der PSA-eigenen Bank sowie der Firmen Gefco und des Zulieferers Faurecia in die Unternehmensbilanz einrechnet; zugleich verzeichnete allerdings die Automobilbranche 2006 insgesamt einen Einbruch bei den Gewinnen auf nur noch ein Drittel des Vorjahres.

Im Laufe des mehrwöchigen Arbeitskampfes verhärteten sich die Fronten zunehmend. Am Standort beteiligten sich etwa vierhundert bis fünfhundert der insgesamt etwa 3000 Beschäftigten am Streik. Darunter befanden sich auch etwa 50 LeiharbeiterInnen sowie etwa dreißig so genannte »Moniteurs«, d.h. Mitglieder der untersten Vorgesetztenebene in der Produktion. Der Streik genoss zudem eine beträchtliche Sympathie unter der Belegschaft. Rund 1300 Nicht-Streikende unterschrieben eine Petition zugunsten der Streikenden. Der Krankenstand schnellte in die Höhe auf rund 300 Beschäftigte und damit auf fast das Zehnfache des »normalen« Wertes. Dies reichte aus, um die Produktion um etwa 40 Prozent zu drosseln. Pro Woche verließen das Werk ca. 4000 Autos weniger als geplant. Die Unternehmensleitung zeigte sich jedoch unnachgiebig. Um die Streikenden zu ersetzen wurden zusätzliche LeiharbeiterInnen angeheuert, was nach französischem Recht illegal ist. Ende März wurde Peugeot-Citroën daher zur Zahlung von 5000 Euro Strafe verurteilt – Peanuts für einen Automobilmulti.

Das Ergebnis: Zwischen Frust und Trotz

Letztlich erwies sich das Kräfteverhältnis dann auch als zu ungleich. Zentral für das Ergebnis des Streiks war, dass es – trotz wiederholter Versuche – nicht gelang, den Streik auf andere Werke des Unternehmens in Sochaux, Poissy, Mulhouse und Saint-Ouen auszuweiten. Auch Appelle der Streikenden sowie der Gewerkschaftsführungen von CGT und SUD an den Staat (bzw. das Arbeitsministerium), sich in die Verhandlungen einzuschalten, verhallten ungehört. Derartige Forderungen im Rahmen einer Solidaritätsdemonstration in Paris blieben ohne Wirkung – obwohl sich in der politisch heiklen Phase des Präsidentschaftswahlkampfes nahezu alle KandidatInnen der Linken mit den Streikenden solidarisierten. Nach sechs Wochen Arbeitskampf kam es Anfang April schließlich zu einem Abschluss, der weit von den Zielen der Streikenden entfernt war: Die Unternehmensleitung bewilligte einen Zuschuss zum Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln und zum Kantinenessen, die Verlegung der Entgeltzahlung für LeiharbeiterInnen vom 15. auf den 1. des Monats, die Bezahlung von fünf Streiktagen und die Zusicherung von Sanktionsfreiheit für die Streikenden.

War dieses Ergebnis den ganzen Aufwand wert? »All das für ein paar Krümel vom Kuchen« – so die Meinung einiger Streikender. Die Äußerungen der Streikenden schwanken zwischen Bitterkeit, Trotz und Stolz: Freilich hatte man sich mehr erwartet. Aber mit 400 bis 500 Leuten lasse sich nun mal kein internationaler Automobilkonzern bezwingen. Dazu hätte es einer werksübergreifenden Solidarisierungsbewegung bedurft. Trotzdem: Der Streik hat gezeigt, dass die Logik der Spaltung und Ausgrenzung nicht immer und nicht über-all funktioniert. Und er verweist nicht nur auf Schwächen der Belegschaften, sondern auch auf einige sensible Stellen der Unternehmer: Die Auslagerung von Produktionen bedeutet auch eine mangelnde Kontrolle über den Betriebsfrieden in den ausgelagerten betrieblichen Teilbereichen. Und: Die Logik der Tarifkonkurrenz kann grundsätzlich auch in die andere Richtung wirken. Vielleicht sind es in Zukunft ja nicht mehr (nur) die Chefs, die auf die Bedingungen in anderen Werken verweisen, sondern ab und zu auch die Beschäftigten – »concession bargaining« anders herum sozusagen. Ob eine solche Option realistisch ist, hängt freilich eng mit der Arbeitsmarktsituation zusammen – sowie mit der Fähigkeit zur Solidarisierung zwischen ›Stammarbeitern‹ und prekären Beschäftigten. Aber vielleicht war ja der Fall von Peugeot-Citroën nur der Anfang.

* Ingrid Artus ist wissenschaftliche Angestellte an der Technischen Universität München und forscht u.a. über den Vergleich industrieller Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/07


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang