Home > Branchen > Auto: GM/Opel > Werke Europa allg > salami
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Ungarische Salami-Taktik

Opel-Widerstand wird weich gekocht - Chevrolet wird zur Opel-Konkurrenz ausgebaut - Geheime Pläne zum Ausbau von GM-Ungarn

von Winfried Wolf

Das GM-Management gab vor einer Woche bekannt, dass das Opel-Werk in Antwerpen mit 2500 Beschäftigten in jedem Fall geschlossen wird. Die IG Metall und der Opel-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz sprachen richtigerweise von einer "Kriegserklärung". Doch den starken Worten folgen keine Taten.

Das Treffen des europäischen Opel-Betriebsrats in Antwerpen am vergangenen Dienstag endete ohne einen Beschluss zu konkreten Kampfmaßnahmen. In der dort verabschiedeten Erklärung heißt es: "Wir sprechen uns strikt gegen die Werksschließung aus. Wir werden keinerlei Opfer bringen. (...) Wir rufen den GM-Managern die lange Geschichte der europäischen Solidarität und gemeinsamer Aktionen ins Gedächtnis. Solche gemeinsame Aktionen werden dann stattfinden, wenn sie notwendig sind."

Offensichtlich geht die "Teile-und-herrsche"-Taktik von GM-Europa-Boss Nick Reilly auf. Diejenigen unter den Opel-Betriebsräten, die glauben, mit dem Opfer Antwerpen sei "ihr" Standort - in Bochum, Kaiserslautern, Eisenach, Saragossa; Ellesmere Port, Luton oder Gliwice - gesichert, dürften die Rechnung ohne den Wirt in Detroit gemacht haben.

Rein betriebswirtschaftlich gesehen wird GM in Europa rund 20.000 der bisher 50.000 Arbeitsplätze abbauen müssen, wenn die Marke wieder ausreichend profitabel werden soll. Konzern intern entwickelte GM eine globale Alternative zu Opel und eine europäische Alternative zum aktuell debattierte "Sanierungsplan".

Die globale Alternative ist die Marke Chevrolet. Chevrolet-Modelle werden vielfach in Südkorea bei der GM-Tochter Daewoo hergestellt. Sie sind oft weitgehend identisch mit Opel-Modellen; der Opel Zafira entspricht beispielsweise dem Chevrolet Orlando. Dabei sind Chevrolet-Modell jeweils um 1-3000 Euro preiswerter als vergleichbare Opel-Modelle. Die Marke Chevrolet macht - jedenfalls nach GM-Angaben - im Konzernverbund Gewinne; Opel fuhr 2009 einen Milliarden-Verlust ein und wird auch 2010 defizitär sein. Das liegt sicherlich an vielen negativen Vorgaben aus Detroit. Vor allem hat diese mit der unterschiedlich großen Zahl erstellter Modelle zu tun.

Weltweit werden aktuell gut zwei Millionen Chevrolet-Modelle hergestellt - rund doppelt so viel wie Opel-Pkw. Bei einer solchen "economy of scale" lassen sich erhebliche Kostenvorteile erzielen.

Mitte Januar gab GM auf der Auto Show in Detroit bekannt, den Chevrolet-Absatz in Europa verdoppeln zu wollen. Der Chevrolet-Europa-Boss Wayne Brannon erklärte dort: "Wir werden die Konkurrenz zu Opel nicht schüren, aber auch nicht aktiv verhindern."

Die europäische Alternative zum aktuellen Sanierungsplan von GM Europe liegt in Osteuropa. Es liegen Informationen über weitreichende Pläne des US-Konzerns vor, die GM-Kapazitäten im ungarischen Szentgotthárd massiv auszubauen. Das ungarische GM-Werk gehört - wie der GM-Standort in Aspern bei Wien und wie ein Teil der Bochumer GM-Kapazitäten - zur GM-Tochter Powertrain. Bei Powertrain ist die Motoren- und Getriebefertigung von GM konzentriert (2008: 10.000 Beschäftigte, die 1,5 Millionen Motoren und 2 Millionen Getriebe fertigten).

Die geheimen Pläne zum Ausbau der GM-Fertigung in Ungarn sehen vor, dass die Modelle Corsa und Meriva, die bisher in Saragossa und Eisenach produziert werden, zukünftig in Ungarn vom Band rollen. Das würde auch die Transportkosten erheblich reduzieren. Aktuell gibt es bei der Fertigung der genannten Modelle als fester Bestandteil der Arbeitsteilung zur Erstellung eines Pkw Transporte zwischen Saragossa und Eisenach, was bei einer kompletten Fertigung in Szentgotthárd entfallen würde.

Der Ausbau der Motoren- und Getriebefertigung im ungarischen Werk würde darüber hinaus die Standorte Kaiserslautern und Bochum, wo Motoren und Getriebe gefertigt werden, existenziell gefährden.

Interessant an den Ungarn-Plänen ist: Teile derselben wurden zuerst vom Magna-Konzern entwickelt. Als der kanadisch-österreichische Autozulieferer noch - zusammen mit der russischen Sber-Bank - als zukünftiger Opel-Eigner gehandelt wurde, entwickelten die Magna-Topleute Pläne, große Teile der westeuropäischen Opel-Fertigung nach Ungarn und Österreich zu verlagern. Bereits bei Realisierung dieser Pläne waren - so Berichte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 9.6.2009 und der "Süddeutschen Zeitung" vom 10.6.2009 - die Opel-Werke in Kaiserslautern und Bochum existentiell gefährdet. Man macht es sich also erneut zu einfach, die aktuellen Schweinereien, denen sich die Kolleginnen und Kollegen bei Opel ausgesetzt sehen, allein auf das böse Management in Detroit zurückzuführen. Das GM-Management macht das, was jedes Management macht, das sich dem Ziel einer Profitsteigerung verpflichtet sieht, das auch persönlich an der Umsetzung dieser Zielsetzung verdient bzw. dessen Karrieren eng mit der Verwirklichung dieser Maxime verbunden sind - und das weiß, dass die Gegenseite zwar verbale Attacken fährt, im Zweifelsfall als Co-Manager agiert und sich fortgesetzt neu erpressen lässt.

Offenkundig wächst also das Erpressungspotential des GM-Managements in dem Maß, wie die Arbeitnehmervertreter von Opel in die Knie gehen. Schließlich muss davon ausgegangen werden, dass die aktuellen Pläne für GM in Ungarn dem Opel-Betriebsrat bekannt sind. Das Team, das an den zitierten Plänen - an konkreten Bauplänen, an Produktionsszenarien und an Kosteneinschätzungen für die Ausweitung der Szentgotthárd-Kapazitäten - arbeitet, sitzt in Rüsselsheim. Darauf, dass das GM-Europe-Management unter Nick Reilly daran arbeitet, einen harten Sanierungskurs durchzusetzen und dabei gegebenenfalls weitere Werke in Deutschland zu schleifen und die Powertrain- und Daewoo-Kapazitäten (mit niedrigeren Lohnkosten) auszubauen, deuten auch eine Reihe neuer personeller Entscheidungen im GM-Europe-Verbund. Die Mitte Januar 2010 eingesetzte neue GM-Europe-Entwicklungschefin Rita Forst war zuvor Chefingenieurin für alle Powertrain-Werke in Europa. Der neue GM-Europe-Finanzchef Mark James war zuletzt in gleicher Funktion bei GM Daewoo. Mit einer Reihe weiterer Personalentscheidungen wurden deutsche Manager abserviert und Leute, die - vermittelt über Vauxhall/Großbritannien - stärker in Detroit angebunden sind, eingesetzt. Die "Süddeutsche Zeitung" titelte dazu bereits: "Opel wird britischer" (16.1.2010).

Zur aktuellen Lage bei Opel erklärte die hessische Bundestagsabgeordnete und verkehrspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Sabine Leidig: "Vor dem Hintergrund der angekündigten Werksschließung in Antwerpen hätte ich mir gewünscht, dass zu parallelen europaweiten und zeitlich unbegrenzten Betriebsversammlungen aufgerufen wird - faktisch zu einem europaweiten Opel-Streik. Tagesordnungspunkte auf solchen Betriebsversammlungen könnten sein: Arbeitszeitverkürzungen und die Konversion der Autoindustrie."

Fassung für LabourNet vom 28.1.2010


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang