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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Erwins Bruder Peter bei Opel Erwin heißt ein Automobilarbeiter, aus dessen Sicht ich im Herbst 2000 die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seit der Einführung der Lean Production („schlanke Produktion“) beschrieben habe.* Damals war Erwin im Alter von 49 Jahren krankheitsbedingt gekündigt worden. Er ist immer noch arbeitslos, weil er bei Opel seinen Rücken kaputt gearbeitet hat. Ja, Erwin hatte bei Opel Rüsselsheim gearbeitet, was ich damals verschwiegen hatte. Und Erwin hat einen jüngeren Bruder, Peter, der ebenfalls bei Opel ist, allerdings in Bochum. Auch Erwins Vater war Opel-Arbeiter und damals zu seiner Zeit hatte das noch funktioniert, das mit „einmal Opel immer Opel“ und „meine Kinder bring ich da auch unter“. Das ist aber sehr lange her. Heute ist ein guter Tag, um Erwin und seine kluge Frau erneut zu besuchen, denn Erwin hat Besuch von seinem Bruder aus Bochum und auch sein Freund Paul, der immer noch bei Opel Rüsselsheim schafft, kommt aus diesem Anlaß dazu. Denn Opel ist zur Zeit wieder Gesprächsthema – aber belauschen wir die Vier einfach etwas. „Ich hab Dich im Oktober im Fernsehen gesehen, bei Eurem Streik in Bochum, toll war das, richtig was los und Frauen und Kinder vor dem Tor, bin fast neidisch geworden, weil ich das nie erleben durfte“, sagt Erwins Frau Magda zum Peter, als alle beim Kaffee am Küchentisch sitzen. Ihr Mann guckt etwas beleidigt. „Ich weiß, war mal in der Tagesschau kurz im Bild, obwohl ich mich gar nicht vorgedrängt habe. Das machen v.a. Parteileute – die anderen haben meist zu viel Angst. Oder Rentner, die damals als Betriebsratsvorsitzende 1993 den ersten Verzichtsvertrag mit allen Tricks gegenüber der Belegschaft durchgeboxt haben und heute auf kämpferisch machen.“ „Ich glaub, ich weiß, wen du meist“, mischt sich Paul grinsend ein, „unser Betriebsratsvorsitzende ist leider noch zu jung für die Rente…. Aber ich wollte schon immer mich bei dir bedanken für euren Streik in Bochum, hab immer noch schlechtes Gewissen, dass wir in Rüsselsheim alle so eingeschüchtert sind und alles mit uns machen lassen – und euch damit im Stich gelassen haben. Aber wir haben ja auch nie eine oppositionelle Gruppe bei Opel, da gibt’s keine Diskussionen, geschweige Arbeitskämpfe – wenn sie nicht für eine symbolische halbe Stunde vorgeschrieben werden… Ohne euren Streik hätten wir ja nicht das Verhandlungsergebnis, das sie uns ja am Donnerstag vorgestellt haben.“ „Findest du das gut?“ Peter schaut erstaunt. „Wir hatten doch gefordert 1) keine Entlassungen, kein Personalabbau, 2) keine Werksschließung, auch keine Teilschließung, 3) Einhalten des europäischen Rahmenvertrags ohne Modifizierungen und schließlich 4) keine Zerschlagung der Werke – ein Betrieb, eine Belegschaft, so, wie wir schon 2000 beim Streik gefordert hatten. Davon haben wir nix bekommen, keine Ahnung, was sie die ganze Zeit verhandelt haben… 10.000 Leute weg und geschlossen wird früher oder später sowieso, v.a. in Bochum. Und die, die erst bleiben, dürfen dafür schon wieder verzichten!“ „Ja, aber es gibt doch keine Schließungen und der Personalabbau ist sozialverträglich, so heißt es überall“ wirft Erwin ein. Sozialverträglich ist das Unwort des Jahres!“ regt sich seine Frau auf, „wärst du letztens mitgekommen zum Sozialbündnis, da war lang und breit die Rede davon, dass es nur für die Firma verträglich ist, weil sie die Leute loswerden ohne Sozialplan und ohne Geschrei – die Zeche zahlen die Betroffenen und die öffentliche Hand.“ „Also, ich weiß nicht“ wirft Paul zögernd ein, „die Abfindungen, die sie anbieten, machen mich schon nachdenklich… Wenn sie nicht genug Freiwillige bekommen, entlassen sie halt alle 10.000 ohne Abfindung und ohne Beschäftigungsgesellschaft…“ „Sei ja vorsichtig!“ mischt sich Erwin ein „wenn du keine neue Stelle bekommst, wird die Abfindung auf dein Arbeitslosengeld angerechnet, dann hast du nichts davon. Und dass das mit meiner Zwangs-PSA-Karriere letztes Jahr auch ein Flop war, hast du ja mitbekommen.** War wie Beschäftigungsgesellschaft: kaum Qualifizierung und keine Vermittlung. Und jetzt geh ich auf ALG II… Das kommt schneller als du denkst!“ Peter wirkt frustriert. „Dabei hast du es noch relativ gut, Paul, denn du bist viel länger bei Opel und die Abfindung höher. Selbst bei einer Beschäftigungsgesellschaft hast du hier im Raum Frankfurt bessere Chancen. Bei uns im Ruhrpott bedeuten alle Varianten baldige Arbeitslosigkeit. Ich würde auch in einer Beschäftigungsgesellschaft halt keinen Job finden, aber meine betriebliche Altersversorgung verlieren, bin noch keine 10 Jahre da…“ „Armer Peter“ Magda tätschelt ihm den Arm.
„Die Rüsselsheimer Beschäftigungsgesellschaft soll wenigstens
ein IG Metall-Laden sein, hab ich gehört, muss doch Vorteile haben“.
„Ja, mischt sich Paul erregt ein, „Mypegasus gehört dem
Justiziar der Gewerkschaft und einem anderen Ex-Metall-Funktionär.
Haben schon den Osten abgebaut. Wenigstens jemand hat was davon…“
Genau! Und dann soll auch noch die Mehrheit des Gesamtbetriebsrats dafür
sein, für das Unternehmen Namenslisten der Opfer zu erstellen, schon
mal für den Fall, dass sich nicht genügend freiwillig melden.
Opel soll das zur Bedingung für weitere Verhandlungen über Standorte
und Lohnverzicht gemacht haben.“ Peter wird wieder munter, so regt
er sich auf „das sind ja Handlanger und Mittäter! Und ich kann
dann kaum noch was dagegen tun! Schweinerei!“ Mag Wompel Langfassung der Kolumne in Junge Welt vom 11.12.2004 * „Wer im Mittelpunkt steht, ist allen im Weg. Aus dem Leben eines Arbeiters in der Autoindustrie.“ Essay von Mag Wompel, erschienen in express 8/2000 und der SoZ - Sozialistische Zeitung vom 31.8.00 ** War Erwin einer meiner anonymen
Informanten zu Maatwerk-PSA? Siehe
„Maatwerk - Die Geschichte einer "Vorzeige"-PSA.“
Die Studie von Mag Wompel |