Home > Branchen > Auto: Ford > Russland > gew_forum_ethmanow
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Der multinationale Metallarbeiter in der Stadt Putins

Treffen mit einem 35jährigen Arbeiter, der zum nationalen Gewerkschaftsführer wurde. Bei Ford in Sankt Petersburg hat eine von Aleksej Etmanow geführte Gruppe junger Arbeiter eine Gewerkschaft ins Leben gerufen, sehr harte Streiks geführt und bedeutende Siege errungen. Und jetzt, auf dem Weg zu einer landesweiten Gewerkschaft?

In Osteuropa gibt es vermehrt bedeutende Beispiele für erfolgreichen gewerkschaftlichen Widerstand gegen Lohn- und Sozialdumping und weitere neoliberale Gegenreformen. Wie solcher Widerstand entsteht, wie er sich entwickelt, mit welchen Problemen und Widersachern er zu kämpfen hat und welche Rolle internationale Solidarität (insbesondere aus Westeuropa) dabei spielen kann, zeigt das folgende Interview der unabhängigen linken italienischen Tageszeitung "il manifesto" vom 20.3.2008 mit Aleksej Etmanow über die Streiks im Ford-Werk Sankt Petersburg.

Wir hätten dieses Interview gern schon früher einem noch größeren Kreis der deutschsprachigen Linken bekannt gemacht und haben daher versucht, zumindest eine gekürzte Version in der "jungen Welt" unterzubringen. Nachdem es fast einen Monat dort lag, bekamen wir nun auf unsere vierte (!) Anfrage hin eine Absage. Wie so oft, ohne jede Begründung. Schade, doch sind Aleksej Etmanows Einblicke in die neu entstehenden russischen Klassenkämpfe für alle Interessierten auch jetzt noch eine spannende und hochaktuelle Angelegenheit.

(.)

Vor wenigen Wochen kam es in den Ford-Werken von Vsevolozhsk, nicht weit von Sankt Petersburg entfernt, zum Abschluss eines neuen Tarifabkommens auf Grundlage dessen der Durchschnittslohn der 1.800 Arbeiter um circa 20% stieg und nun etwas mehr als 25.000 Rubel im Monat (ca. 700 Euro) beträgt. Die Gewerkschaft hatte mehr gefordert (ca. 30%) und einen lang andauernden Streik durchgeführt. aber auch wenn diese Forderung nicht erfüllt wurde, ist es ein Erfolg, weil in Russland gewerkschaftlich organisierte Streiks sehr selten sind und wenn sie vorkommen, sofort mit Hilfe von Polizei und Gerichten unterdrückt werden. Außerdem erfolgte der Streik bei Ford kaum ein Jahr nach einer anderen Lohnerhöhung, die ebenfalls durch einen Streik erreicht wurde. Es ist kein Zufall, dass nach den Ford-Arbeitern auch die Arbeiter der anderen in Russland tätigen Automobilunternehmen von Hyundai in Taganrog bis zu AutoVaz in Togliatti ihr Haupt erheben, um ihren Lebensstandard zu verteidigen.

Ein 35jähriger, energischer, offener und unverblümter Arbeiter <namens Aleksej Etmanow> bildet seit einigen Jahren den Bezugspunkt dieses neuen gewerkschaftlichen Protagonismus, der in der Fabrik des US-Unternehmens entstanden ist. Sein Name erschien häufig als Organisator und Sprecher dieses Arbeiterkampfes, der viel von sich reden machte, in den Zeitungen. Jetzt bekommt er ständig Anrufe und Besuche von Gewerkschaftsaspiranten, die Rat und Hilfe suchen.

(.)

In wenig mehr als zwei Jahren hat Etmanow von Null ausgehend eine äußerst starke Betriebsgewerkschaft aufgebaut, die von der großen Mehrheit der Arbeiter und der Bevölkerung unterstützt wird. Gleichzeitig hat er die Grundlagen für eine nationale Automobilarbeitergewerkschaft gelegt, die derzeit in vielen Fabriken Wurzeln schlägt, indem sie 1.) das Gesetz herausfordert, dass das Streikrecht begrenzt, 2.) die Herrschaft der "gelben" Gewerkschaften, den Erben der sowjetischen Gewerkschaft und 3.) die Repression der lokalen Behörden, die systemisch zur Verteidigung des Unternehmers Partei ergriffen haben. Das Interview mit Etmanow führen wir nicht vor einem mit Tee gefüllten Samowar, sondern vor dem Sushi des japanischen Restaurants, das - auch hier - nicht fehlen darf.

Interview von Astrit Dakli:

Wie kommt es, dass Du eine nationale Führerfigur geworden bist, Aleksej? Wie hat alles angefangen?

"Als sie die Fabrik eröffnet haben, bin ich sehr gern hingegangen, um da zu arbeiten, auch wenn es nicht meine Arbeit war. In Wirklichkeit bin ich Schiffstechniker. Es war ein neuer Arbeitsplatz, sauber, schön. Dann habe ich sehr schnell gemerkt, dass nicht alles Gold war, was glänzte. Die Arbeitsbedingungen waren schlecht, die Arbeitzeiten belastend, der Lohn gering. Zusammen mit Anderen (wir waren viele junge Leute im Betrieb) habe ich angefangen, Proteste zu initiieren und zu fordern, dass der Arbeitsvertrag eingehalten wird. Es war hart, aber die Umwelt war solidarisch und die Versuche der Kontrolleure, ,uns an unseren Platz zu bringen' scheiterten. Dann kamen Gewerkschafter aus dem holländischen Ford-Werk, die wir per E-Mail kontaktiert hatten, um mit uns zu sprechen und uns Hilfe zuzusagen. So haben wir nach und nach ein Minimum an Organisation geschaffen. 2006 wurden wir auf den Kongress der Ford-Arbeiter der ganzen Welt eingeladen, der in Brasilien stattfand, und da hat für mich die echte Wende stattgefunden. Als ich die Anderen hörte und mit ihnen sprach, als ich gehört habe, was die machen und wie sie behandelt werden, habe ich begriffen, dass es bei uns nicht so weitergehen konnte - schlechter bezahlt und schlechter behandelt als alle Anderen."

Ihr habt auch Hilfszusagen von den europäischen Gewerkschaften erhalten.

"Ja, ich habe kapiert, was man tun musste, um einen Kampf besser zu organisieren und gemerkt, dass wir auch Solidarität aus dem Ausland kriegen könnten. So habe ich mich, kaum dass ich zurück war, zusammen mit einer Gruppe von zehn bis fünfzehn Genossen, mit denen es eine große Übereinstimmung gibt, an die Arbeit gemacht. Wir haben mit allen diskutiert, haben erklärt, dass, wenn wir bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Entlohnung wollen, wir ein paar Risiken eingehen und streiken müssen. Und so hat, nach einigen Monaten, der erste Kampf begonnen. Wir haben verhandelt, haben einen kurzen Streik veranstaltet und am Ende eine Lohnerhöhung und normative Verbesserungen durchgesetzt."

Das war nur der Anfang. Das habt Ihr sofort gesagt. Weil die Lohnerhöhung gering war und der größte Teil der Forderungen endlosen Verhandlungen vorbehalten blieb.

"Das Unternehmen hat versucht, mich zu kaufen, indem es mich zum Kontrolleur beförderte, mit einem erheblich höheren Lohn von 40.000 Rubel (ca. 1.100 Euro; Anm. d. Red.) . Und ich habe akzeptiert, aber ohne ihnen im Umtausch irgendwas dafür zu geben. Ja, ich tat meine Arbeit, nahm meinen höheren Lohn und machte dann genau wie vorher, weiter meine Gewerkschaftsarbeit, verhandelte und organisierte die Anderen. An diesem Punkt hatte nämlich die Mehrheit der Arbeiter begriffen, dass unsere Initiative funktionierte. Während des Jahres 2007 sind wir schnell gewachsen. Praktisch haben sich mehr als tausend Arbeiter uns angeschlossen und damit war unsere Stärke sehr viel größer. Wir haben auch angefangen, Kontakt mit anderen russischen Automobilunternehmen aufzunehmen, um zu versuchen, ein horizontales Netzwerk zu schaffen - den Embryo einer landesweiten Automobilarbeitergewerkschaft. Inzwischen gingen die Verhandlungen mit Ford weiter, allerdings ohne Ergebnisse. Somit haben wir uns auf eine echte Kraftprobe vorbereitet und als im November der neue Streik begann, waren wir gut organisiert. Wir bekamen finanzielle Unterstützung von den internationalen Gewerkschaften und vor allem von den Ford-Kollegen aus anderen Ländern. Und wir haben uns dafür gerüstet, die Verluste, die die Arbeiter erlitten, zu veringern."

Welches Verhältnis hattet ihr zu den lokalen Behörden?

"Schlechte. Die Polizei war immer an den Toren, wo wir Streikposten aufstellten, und dann gab es in einer Tour Festnahmen, Verhöre und Nervereien. Der Bürgermeister von Vsevolozhsk hat dafür gesorgt, dass sie alles versuchten, damit wir aufgeben. Er war immer ein Herz und eine Seele mit dem Unternehmen. Am Ende ist es ihnen allerdings nicht gelungen. Wir haben sehr gut Widerstand geleistet und auch, dass sie andere Arbeiter ins Werk geholt haben, hat dem Unternehmen nichts genutzt. Sie haben es nicht geschafft, die drei Schichten und eine akzeptable Produktion aufrechtzuerhalten. Sie mussten sich auf irgendeine Art mit uns einigen. Das Ergebnis war nach mehr als einem Monat Streik nicht das Maximum, das wir gefordert hatten, aber es war in jedem Fall gut und wir haben es gern akzeptiert."

Und die Politik? Wie hat die sich zu Eurem Kampf verhalten?

"Kein Politiker war bereit, uns zu unterstützen. Ich persönlich habe <bei den Präsidentschaftswahlen> am 2.März Sjuganow gewählt. Das war richtig, um meine Stimme nicht an die Macht zu verschenken. Aber auch die Kommunisten haben uns nicht die Hand gereicht. In der Tat denke ich, dass einer von uns bei den Kommunalwahlen kandidieren sollte. Der würde ohne weiteres gewählt und von da drinnen könnte er den Arbeitern ernsthaft helfen."

Was sind die nächsten Schritte, Aleksej?

"Auf der persönlichen Ebene habe ich gerade für tausend Dollar ein Stück Land am Flussufer gekauft, zwei Stunden von hier entfernt. Ich will da eine Holzhütte bauen und zum Fischen hinfahren. Das ist seit jeher mein Traum und ich will ihn jetzt verwirklichen, wo ein bisschen Geld in der Kasse ist. Im Betrieb müssen wir an den neuen Tarifvertrag denken. Der alte läuft jetzt aus. Wir müssen ihn auf besserer Grundlage erneuern. Vor allem wegen der Renten und dem ,sozialen' Teil des Tarifvertrages. Aber wir haben Zeit. Wir können das in aller Ruhe angehen. Die Verhandlungen werden in jedem Fall lange dauern.

Allgemeiner betrachtet denke ich, dass meine Hauptaufgabe jetzt sein wird, den Versuch zu starten, eine echte, nationale Automobilarbeitergewerkschaft aufzubauen. Nachdem unser Beispiel in allen Zeitungen war, habe ich aus sehr vielen Fabriken Anfragen bekommen. Da ging es um Ratschläge, aber auch um direkte Hilfe. Motto: ,Komm' für einen Monat zu uns. Wir stellen was auf die Beine!' Bei AutoVaz (der größten Automobilfabrik des Landes; Anm. d. Red.) haben wir bereits tausend Mitglieder unter den Arbeitern. Bei Hyundai auch. Als nächstes kriegen wir einen Fuß bei Toyota und bei Nokia rein. Die Chancen bestehen. Der Spielraum für eine echte Gewerkschaft ist enorm. Was fehlt, ist die Zeit."

Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern: Gewerkschaftsforum Hannover

Kontakt: gewerkschaftsforum-H@web.de


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang