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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Ford-Genk – das nächste Industriedenkmal ... oder Auftakt der Kämpfe in der Krise 2013/14? Vom Ford-Fabrikgelände in Gent, unmittelbar am Albert-Kanal gelegen, fahren am 11. November ab 11 Uhr minütlich Pendelbusse der Stadtwerke ins Zentrum, um einen guten Teil der etwa 20000 TeilnehmerInnen zur Demonstration gegen die Schließung des Ford-Werks zu bringen. Landesweit haben die Gewerkschaften zu diesem »Mars voor de Toekomst« (»Marsch für die Zukunft«) aufgerufen, es bleibt aber bei einer weitgehend regionalen Veranstaltung – auch wenn Delegationen aus Brüssel, Köln und sogar von den Ford-Werken im spanischen Valencia an ihren Transparenten zu erkennen sind. Im Bus kommen wir gleich mit einem Ford-Arbeiter ins Gespräch, der mit seiner Frau und Freunden zur Demo unterwegs ist. Sie sind sehr interessiert, dass wir aus Köln gekommen sind, und berichten von der aktuellen Situation: Noch acht Tage Arbeit dieses Jahr, alles andere steht in den Sternen. Nach der Demonstration treffen wir ihn wieder und er erzählt uns, das sei jetzt das dritte Mal, dass er durch eine Werkschließung arbeitslos werde – und fragt uns verschmitzt lächelnd, ob das wohl an ihm liege? Ein anderer, den wir bereits von der Aktion der belgischen Ford-ArbeiterInnen am Mittwoch (7. November) am Tor 3 von Ford-Köln kennen, ist seit 25 Jahren bei Ford – davor hat er im Steinkohlebergbau von Genk gearbeitet, der ab 1987 geschlossen wurde. Vom Industriedenkmal zum Industriedenkmal? Bei strahlendem Sonnenschein bewegt sich die bunte Menschenmenge mit Luftballons, Transparenten, Kindern und Hunden wie auf einem Familienausflug vom Stadtzentrum zum nahegelegenen Industriedenkmal »C-Mine« – der ehemaligen Schachtanlage Winterslag, auf der sich der älteste und der jüngste Förderturm der limburgischen Bergbauregion befinden und die heute als Denkmal, Kulturzentrum und Multiplex-Kino dient. Schon aus einigen Kilometern Entfernung war der große Förderturm zu sehen, auf den sich die wenig kämpferisch wirkende Demonstration zubewegte. Am Ford-Parkplatz war auf Zetteln darum gebeten worden, wegen der vielen Kinder und des »familiären« Charakters auf die sonst bei solchen Demonstrationen üblichen Knallkörper (»bommetjes en dergelijke«) zu verzichten – sie wurden daher diesmal auch nur sehr dezent eingesetzt und immer sorgsam weit entfernt, am Rand der Demo gezündet. Die Szenerie hatte etwas Gespenstisches: Vor der Entlassung stehende Ford-ArbeiterInnen ziehen zum Denkmal der letzten großen Welle der Arbeitsplatzvernichtung in den 1980er Jahren – und einige von ihnen sogar buchstäblich zum Ort ihrer früheren Beschäftigung, an dem heute die heile neue Welt der »Dienstleistungsgesellschaft« aufgeführt wird. Was soll uns das sagen: Dass auch das riesige Ford-Gelände in Genk, einstmals die größte Fabrik von Ford in Europa, noch eine Zukunft als Multiplex-Kino hat? »Zwartberg 1966« – Bürgerkrieg in Belgien Was sich aber den solidarischen Gästen aus Deutschland nicht auf den ersten Blick erschließt, ist eine andere Assoziation, die Menschen aus Limburg und insbesondere Genk beim Anblick der Fördertürme unweigerlich durch den Kopf gehen dürfte: Eine Geschichte der härtesten und militantesten Kämpfe gegen Arbeitsplatzverlust, die mit dieser Region verbunden ist. Anders als im benachbarten Ruhrgebiet auf deutscher Seite hatte der Boom des Steinkohlebergbaus in Limburg erst nach dem Ersten Weltkrieg begonnen und war zum Hoffnungsträger dieser ansonsten ländlichen Region geworden. Der Boom schuf tausende Arbeitsplätze, die in den 1950er und 1960er Jahren auch mit vielen Migranten aus Spanien oder der Türkei besetzt wurden. Als ab Mitte der 1960er Jahre in ganz Westeuropa Gruben stillgelegt wurden, traf es auch Limburg. Die Regierung hatte zunächst fünf Gruben mit etwa 60000 Bergarbeitern im wallonischen Teil geschlossen, dort aber für Ersatzarbeitsplätze in anderen Branchen gesorgt. Für Ende 1966 wurde dann die Schließung von Zwartberg in Genk angekündigt – ohne Aussicht auf andere Arbeitsplätze in der Region. 2300 Bergarbeiter traten unter Tage in einen Sitz- und Hungerstreik. »Aus Solidarität mit den 4300 unmittelbar betroffenen Mineuren rissen Kumpel der benachbarten Zechen Straßen und Eisenbahnschienen auf, stürzten Lichtmasten und Verkehrssignale um, schwangen Fäuste, Grubenhölzer und Pflastersteine. 3000 Polizisten der auf Bekämpfung von Krawallen spezialisierten ›Rijkswacht‹ und Fallschirmjäger mit Kongo-Erfahrung rückten in das Streikgebiet bei Limburg, 40 Kilometer nordwestlich von Aachen. Ihre Autos wurden von den Demonstranten umgestürzt und angezündet. Die Polizisten reagierten mit Tränengas, Wasserwerfern und scharfen Schüssen. Mehr als 80 Menschen wurden verletzt, zwei getötet. Zum erstenmal in der Geschichte Belgiens mussten Ordnungsstreitkräfte die Straßen durchkämmen und Haus um Haus von den Aufrührern säubern.« (Der Spiegel, 7/1966) Die »Tragödie von Zwartberg« ist fester Bestandteil des historischen Gedächtnisses der Arbeiterbewegung in Limburg. Als 1986 die Schließung der letzten verbliebenen Minen angekündigt wurde, kam es 1986 und 1987 noch mal zu wochenlangen, teilweise wilden Streikbewegungen der Bergarbeiter, die sich in einigen Fällen fast zu branchenübergreifenden Generalstreiks ausweiteten und von militanten Auseinandersetzungen mit der ›Rijkswacht‹ begleitet waren (erst vor wenigen Wochen war mit der Kunstausstellung »Manifesta9«, die über 100000 BesucherInnen verzeichnete, des 25. Jahrestags der Schließung des Steinkohlebergwerks Waterschei in Genk am 10. September 1987 ge-dacht worden). Damals kamen noch viele Bergarbeiter bei Ford in Genk unter, wo zur Hochzeit 14000 Menschen Autos montierten. Von Detroit nach Antwerpen, von Köln nach Genk Ford hatte bereits in den 1920er Jahren begonnen, Produktionsstätten in Europa aufzubauen. Eine der ersten Fabriken war in Antwerpen, die in den 1930er Jahren auf eine Kapazität von 10000 Fahrzeugen jährlich ausgebaut wurde. Als in den 1960er Jahren Arbeitskräfte in Köln knapp wurden, suchte Ford einen neuen Standort mit günstigen Löhnen und fand ihn in Genk – logistisch über den Albert-Kanal gut angebunden. Die Gewerkschaften zeigten sich sofort bereit, für das strukturschwache Genk günstigere Tarife als in Antwerpen zu unterschreiben, so dass Genk allmählich die Produktion in Antwerpen ablöste. Am 24. Oktober 1962 wurde der Grundstein gelegt – ein Datum, das die heute bei Ford Beschäftigten besonders ärgert, denn auf den Tag genau 50 Jahre später, am 24. Oktober 2012 wurde ihnen die endgültige Schließung ihrer Fabrik bis spätestens Ende 2014 angekündigt. Auch eine Art, das Jubiläum zu feiern. Zu den letzten heftigen Auseinandersetzungen war es 2003 gekommen, als Ford ankündigte, 3000 der damals noch bestehenden 9000 Arbeitsplätze in Genk abzubauen, vor allem aufgrund der Verlagerung der Transit-Produktion in die Türkei. Damals schlugen die Wellen hoch, weil durch eine Indiskretion bekannt wurde, dass Ford schon Monate vorher den Staatsschutz darüber informiert hatte, dass möglicherweise das Werk ganz geschlossen werden solle – der Staat sich also auf entsprechende Auseinandersetzungen einzustellen habe. Die Gewerkschaften organisierten Streiks, und gegen ihren Willen kam es im Werk zu vereinzelten Sabotageaktionen. Der Arbeitsplatzabbau konnte aber nicht verhindert werden. Kampfperspektiven? Ob es in der Auseinandersetzung über die jetzt angekündigte Schließung zu einem Wiederaufleben der kämpferischen Tradition dieser Region kommen wird ist noch offen. Auffällig ist allerdings der Unterschied zu der vor zwei Jahren völlig reibungs- und konfliktlos verlaufenen Schließung des Opel-Werks in Antwerpen. Dort hatten Betriebsrat und Gewerkschaft die Belegschaft mit der Hoffnung auf einen Investor dazu gedrängt, bis zur letzten Minute brav und geduldig weiterzuarbeiten, um nur ja keinen möglichen Käufer zu verschrecken. Als in Genk bereits am Montag, den 22. Oktober, das Gerücht – unter anderem in deutschen Zeitungen verbreitet – bekannt wurde, dass Ford Genk schließen könnte, verbarrikadierten die ArbeiterInnen noch am selben Tag die Tore und verhindert den Abtransport von produzierten Fahrzeugen. Die Konzernleitung wagte es auch nicht, am 24. Oktober auf der Sondersitzung des Betriebsrats die Entscheidung persönlich mitzuteilen, sondern ließ sie schriftlich überbringen. Etwa 4500 Beschäftigte bei Ford und weitere 5000 bei Zulieferfirmen in der Region sind betroffen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung wurde in der Fabrik, die schon seit längerem nur noch an vier Tagen pro Woche im Zweischichtbetrieb produziert und damit nur zu ca. 65 Prozent ausgelastet ist, ohnehin nicht produziert. Vor zwei Jahren hatten sie bereits auf zwölf Prozent Lohn verzichtet, um eine Beschäftigungsgarantie zu bekommen. Als Akt symbolischen Protestes wurden drei Autos von den Bändern geholt und vor dem Haupttor angezündet. Dank der damit geschaffenen hübschen Fotomotive gelang es ihnen immerhin, in die weltweite Presse zu kommen. Für den nächsten Aufmerksamkeitsschub müssten sie sich eigentlich bei der Kölner Polizei und Staatsanwaltschaft bedanken. Zur Sitzung des europäischen Betriebsrats am 7. und 8. November im Kölner Ford-Werk organisierten die drei Gewerkschaften – die sozialistische, christliche und liberale, auf Demos immer leicht an den Farben rot, grün und blau zu erkennen – eine Delegation von ArbeiterInnen aus Genk (ja, -Innen, denn es sind wirklich auch sehr viele Frauen dabei). Aus Sorge, sie könnten an der Grenze von der belgischen oder deutschen Polizei abgefangen werden, wurden sicherheitshalber vier Busse losgeschickt. Zu ihrer eigenen Überraschung kamen alle vier ungehindert durch, und auf einmal standen sie am 7. November ab 8 Uhr mit 200 gut gelaunten, aber wütenden Menschen vor Tor 3, hinter dem sich der Sitzungssaal befindet. Sie taten das, was streikende Arbeiter in Belgien oder auch Frankreich auf einer Demonstration eben tun: Sie zündeten ein paar Bengalos und Reifen an, jagten Raketen in den Himmel und warfen mit Böllern um sich. Bis hierher wäre die Sache kaum eine Agenturmeldung wert gewesen – allerdings hatten sie die örtlichen Medien eingeweiht und so begleitete sie das Regionalfernsehen »TV Limburg« die ganze Zeit. Auf dem Videoclip dieses Senders ist sehr schön zu sehen, wie offensichtliche Ausbildungsmängel bei der deutschen Polizei dann zu einer Eskalation führten, die die belgischen Ford-ArbeiterInnen bis in die deutsche Tagesschau brachten [1]: Als erstes erscheinen zwei normale Streifenwagen mit ganz jungen PolizistInnen am »Tatort«, die wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben auf protestierende ArbeiterInnen, und schon gar keine aus Belgien, gestoßen waren. In völliger Verkennung der Sachlage meinen die vier, sie müssten jetzt mal 200 wütenden, weil bald arbeitslosen Ford-ArbeiterInnen erklären, dass das mit den Bengalos hier untersagt ist. Auf dem Video ist zu sehen, dass sich drei bemühen, ihr Fehlverhalten umgehend zu korrigieren, aber Probleme haben, den vierten jungen Beamten auch davon zu überzeugen. In purer Verzweiflung lösen sie einen Großalarm aus, der schließlich vier Hundertschaften den belgischen ArbeiterInnen entgegenstellt. Dann kommen Querelen innerhalb der Staatsmacht hinzu, die später ausführlich in der Lokalpresse erörtert werden: Zum Leidwesen der Polizeiführung, die deeskalieren und sich zurückziehen will, und auch des Ford-Managements, das umgehend auf Strafverfolgung verzichtet, besteht die Kölner Staatsanwaltschaft darauf, bei allen Beteiligten die Personalien festzustellen; neun werden sogar mit aufs Polizeipräsidium genommen und der letzte erst am nächsten Morgen wieder entlassen. Diese »Eskalation«, aufgebauscht durch erste Fehlmeldungen der Presse über angezündete Streifenwagen und reihenweise Schwerverletzte (siehe die ausführliche Darstellung bei labournet.de), führt dazu, dass durch SMS und Emails in Kürze die ganze linke und gewerkschaftliche Szene in Köln informiert ist und eine ganze Reihe von Menschen während der stundenlangen Einkesselung der belgischen ArbeiterInnen in solidarischer Absicht vorbeischauen. Der Konflikt um Arbeitsplätze und die damit verbundene Existenz, der mit Ford-Genk und einigen anderen Betrieben gerade erst begonnen hat und sich in der Krise 2013/14 deutlich verschärfen dürfte, hat damit frühzeitig eine enorme Politisierung erhalten. Die rege Beteiligung aus Köln – sowohl von Ford-ArbeiterInnen als auch aus der linken Szene – an der Großdemo in Genk wäre ohne diesen Vorfall sicherlich nicht zustande gekommen. Als wir am folgenden Donnerstag zur Frühschicht bei Ford den Aufruf zur Demonstration in Köln am 14. November, dem europaweiten Aktionstag, verteilten, waren wir überrascht, wie viele KollegInnen mit Hinweis auf den Vorfall am Vortag meinten, sie wollten am Sonntag mit nach Genk fahren. Dabei war das Verhalten aus der Fabrik während der stundenlangen Einkesselung ihrer belgischen KollegInnen beschämend gewesen – kaum zwanzig Kölner Ford-Arbeiter ließen sich mal für eine halbe Stunde mit einer lustlos hochgehaltenen IG-Metall-Fahne hinter dem Fabrikzaun blicken. Und am nächsten Morgen erzählten die meisten, die wir fragten, dass sie durch ihre Vertrauensleute oder Betriebsräte während der Frühschicht über nichts informiert worden waren. Dafür brachte der Kölner Betriebsratsvorsitzende und Vorsitzender des europäischen Betriebsrats von Ford, Dieter Hinkelmann, den Eingekesselten nach einiger Zeit höchstpersönlich belegte Brötchen und Wasserflaschen vors Tor – zur Sitzung des Europabetriebsrats hatte man sie nicht vorgelassen. Für die belgischen ArbeiterInnen hatte daher der Sonntagsausflug der IG Metall nach Genk den schalen Beigeschmack einer Alibi-Veranstaltung: »Statt sich in Krisenzeiten gegenseitig zu helfen, versuchen die deutschen Gewerkschaften – insbesondere die IG Metall! – die eigenen Standorte zu sichern. ... Es wird viel geredet. Aber das einzige, auf das sich der Europäische Betriebsrat konkret verständigt hat, ist, eine große Delegation zu unserer Demonstration am Sonntag nach Genk zu schicken. Das ist alles!« (Interview mit einem Gewerkschaftsführer aus Genk in Junge Welt vom 9. November 2012) Bereits vor dem Schließungsbeschluss war geplant, ab Dienstag, den 13. November, noch mal acht Tage zu produzieren – 1000 Fahrzeuge pro Tag. Wegen des europäischen Aktionstags wurde der Produktionsbeginn aber auf den 15. November verschoben. Für den 13. haben die Belgier zum Streik in allen europäischen Ford-Fabriken aufgerufen, wohlwissend, dass sich Standorte wie Saarlouis, Valencia oder Köln, die in der Schließung von Genk ihre eigene Rettung sehen, kaum daran beteiligen werden. Originell ist aber die Kampftaktik in Genk. Wegen des geringen gewerkschaftlichen Streikgelds wurde beschlossen, die acht geplanten Tage zu arbeiten. Aber um Druck in den Verhandlungen machen zu können, soll die Auslieferung der Fahrzeuge verhindert werden. Das Haupttor wird im festen Schichtrhythmus (6-14-22 Uhr) rund um die Uhr bewacht – die anderen Tore sind abgeschlossen und mit Autos verbarrikadiert. Als wir am Sonntag nach der Demo vom Ford-Parkplatz abfahren, erzählt uns ein Arbeiter noch stolz, dass die Schichtpläne für diese Blockade bereits bis März 2013 feststehen! Die KollegInnen freuen sich daher jederzeit über Besuche, Adresse: Henry Fordlaan 8, 3600 Genk, Belgien. Christian Frings 1) http://www.tvl.be/nl/2012-11-07/ford-genk-werknemers-bestormen-ford-fabriek-keulen Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10-11/12 |