letzte Änderung am 18. Nov. 2002 | |
LabourNet Germany ARCHIV! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany |
|
Home -> Branchen -> Auto -> Fiat -> Aus? -> Klein | | Suchen |
Die Kleinstadt Termini Imerese in der Provinz Palermo ist im Oktober zu einem Ort avanciert, an dem sich die industrielle Zukunft Italiens entscheidet. Termini Imerese, Sitz des sizilianischen Fiat-Werks, steht auf der Abschussliste eines landesweiten "Umstrukturierungsplans" des Konzerns, der die Zukunft der italienischen Automobilproduktion in Frage stellt.
Am 9.Oktober blieb die Stadt stehen Ð geschlossen wegen Streik. 25000 Menschen Ð Arbeiter, Angestellte, Manager und Beamte, Geschäftsleute, Junge, Frauen mit Kindern, Bankangestellte, Lkw-Fahrer Ð sie alle versammeln sich zu einer gemeinsamen Demonstration von Protest und Verzweiflung, an der Spitze der Bürgermeister, der Erzbischof und der Präsident der Region Sizilien.
Seit den letzten Wahlen, die Berlusconis Partei Forza Italia mit über 60% haushoch gewonnen hat, sind alle politischen Vertretungen in der Hand der Rechten bis extremen Rechten.
Aber das tut jetzt kaum noch was zur Sache: Die 1900 Fiat-Beschäftigten sollen auf Kurzarbeit Null gesetzt werden Ð eine Warteschleife in die Arbeitslosigkeit. 600 wurden bereits vor einem Jahr "ausgegliedert", weitere 1000 und mehr aus Zulieferbetrieben und Werkstätten verlieren mit dem Werk ihre Existenz.
An den 3500 "überschüssigen", wie die Firmenleitung sie zynisch nennt, hängen Familien Ð man kann getrost von 14000 Menschen ausgehen Ð und eine ganze ökonomie: der Hafen, die Eisenbahn, die E-Werke, Schulen, das Transportgewerbe.
Das Werk ist seither besetzt. Der Bürgermeister der Stadt ist in den Hungerstreik getreten; er hat seine 82 Kollegen in den Gemeinden der Provinz dazu gebracht, einen Protestbrief an die Regierungen in Palermo und Rom zu unterschreiben.
Als ein paar Tage später Fausto Bertinotti in Termini über die Geschichte von Fiat und die Machenschaften der Familie Agnelli spricht, begrüßt er ihn mit den Worten: "Bürger, Freunde, Arbeiter. Und warum nicht, Genossen. Zu euch spricht der Bürgermeister von Termini Imerese, der heute der Bürgermeister von Rifondazione Comunista ist. Es ist mir ganz egal. Heute bin ich Bürgermeister von Fausto Bertinotti, dem ich danke, dass er hierhergekommen ist, um an der Seite der Arbeiter dieser Stadt zu kämpfen."
Fiat Imerese ist die größte Fabrik der Insel und das was von den hochtrabenden Industralisierungsplänen der 70er und 80er Jahre übrig geblieben ist, die aus der Cassa del Mezzogiorno finanziert wurden. Sie wäre die letzte in einer langen Reihe von Betriebsschließungen, die den kurzen Traum vom Anschluss an den industrialisierten Norden unter sich begraben haben: Bergwerke, Werften, Petrochemie, Luftfahrttechnik, Telekommunikation, rollendes MaterialÉ
Alle Industriebetriebe, die in den letzten 30 Jahren in Sizilien angesiedelt wurden, haben mit der Zeit dichtgemacht. Wenn jetzt auch noch Fiat schließt, wäre die Bevölkerung wieder da, wo sie vor 30 Jahren war. "Dann müssten wir wieder auswandernÉ"
Vielleicht stehen die Chancen diesmal doch besser. Die Worte des Gouverneurs von Piemont hängen wie ein Damoklesschwert über der Stadt: "Termini Imerese muß geschlossen werden, damit Turin gerettet werden kann." Doch gegen diesen Satz hat sich ein Sturm der Entrüstung erhoben. Denn Termini liegt nicht mehr "in Afrika" (wie die Norditaliener Sizilien abschätzig nennen), sondern ist zum Symbol für Italien geworden.
Fiat will landesweit 8100 Beschäftigte entlassen, zusätzlich zu den 3300, die schon im Juli vor die Tür gesetzt worden sind Ð mit Zustimmung der regierungsfreundlichen Gewerkschaften CISL und UIL. So gut wie alle sieben Fiat-Werke sind davon betroffen, und im Norden soll auch das letzte Werk von Alfa Romeo in Arese, einem Vorort von Mailand, geschlossen werden. In den 80er Jahren waren hier 15000 Menschen beschäftigt, bevor Craxi das Unternehmen an Fiat verschenkte, mitsamt Grundstück, für das die Firma jetzt 500 Millionen Euro haben will.
Heute arbeiten auf dem Gelände 4000 Beschäftigte in über 23 Firmen; 2500 davon für Alfa. "Mailand liegt auf der imaginären Grenze zwischen der Großindustrie des Nordwestens, die immer weniger wird, und den molekularen Ein-Mann-Betrieben [Ich-AGs] des Nordostens, die sich ausbreiten. Alfa war der industrielle Grenzposten auf dieser Linie.
Fällt Alfa, breitet sich der Nordosten überall aus", schreibt der Verantwortliche für Industriepolitik von Rifondazione Comunista in deren Tageszeitung Liberazione (15.10.). "Dann fällt auch Mailand, inzwischen Hauptstadt eines Landes, das in die Regionalliga abgerutscht ist; deren Vorzeigeunternehmer Falck und Pirelli zu Immobilienhändlern geworden sind. Mailand im Ausverkauf. Nein! Stoppen wir sie in Arese!"
Zusammen mit Zulieferern und Dienstleistern stehen also insgesamt 40000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Hier helfen keine Sozialpläne mehr, hier hilft nur eine politische Entscheidung: Gibt es für die italienische Automobilindustrie, eine neue industrielle Perspektive oder nicht?
Fiat hat in der Nachkriegszeit seine industriepolitischen Pläne eng mit staatlicher Industriepolitik verknüpft, die es natürlich auch beeinflusst hat. In den 50er Jahren schmiedete die Regierung ein Dreiecks-Abkommen zwischen der Sowjetunion, die Erdöl lieferte, der Staatsholding ENI, die das Erdöl abnahm, und Fiat, das in Togliattigrad eine Automobilfabrik errichtete und mit dem Deal über eine unabhängige Erdöllieferung verfügte.
In den 70er Jahren stieg Libyen mit einem bedeutenden Aktienpaket ein; aber Fiat trennte sich bereits 1984 vom libyschen Partner Ð das Pentagon hatte dem Konzern die Aufträge für den "Krieg der Sterne" verweigert. Es begann eine Finanzkrise, die Fiat unter den Einfluss von Mediobanca brachte. Fiat begann, sich zu verschulden und Staatsgelder zu kassieren Ð in den letzten 20 Jahren 145 Milliarden Euro. Statt in neue Autotechnologien floss das Geld in Dividenden und Luxusabfindungen für Topmanager. Bei den neuen Modellen setzte Fiat auf Design, verlor aber den Anschluss an das ökoauto.
Die Krise von Fiat ist natürlich Teil der weitweiten Automobilkrise, aber während deren Markt um 4% geschrumpft ist, hat Fiat 20% verloren. Im Dezember 2001 folgte eine Kapitalerhöhung von über 6 Milliarden Euro und der Verkauf von 20% der Automobilaktien an GM. Im Jahr 2004 hat Fiat die Option, die restlichen 80% ebenfalls an GM zu verkaufen.
So wie die Dinge stehen, werden die Würfel jedoch viel früher fallen Ð so oder so. Die Verschuldung des Konzerns ist stetig gestiegen; vor sechs Monaten musste Fiat den Offenbarungseid leisten, auf dem Schuldenkonto standen 3,3 Mrd. Euro. Die Gläubigerbanken übernahmen das Regiment und forderten, die Schulden seien binnen Jahresfrist abzutragen. Fiat reagierte mit dem beschriebenen "Umstrukturierungsplan".
Dieser sieht aber nur eine Sanierung der Finanzen auf Kosten der Beschäftigten vor, er enthält kein neues industriepolitisches Konzept. Agnelli versucht nur, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen.
GM hingegen hat klargestellt, dass es Fiat nur dann übernehmen wird, wenn der Konzern zuvor die Drecksarbeit der Massenentlassungen geleistet hat. Unterdessen fällt der Aktienwert, das Gesellschafterkapital entwertet sich, die internationale Finanzpresse spekuliert über den Verkauf lukrativer Tochtergesellschaften zu Schleuderpreisen.
Bei der Ratingagentur MoodyÕs ist Fiat längst in der B-Klasse gelandet. Die Regierung schaut zu und liebäugelt mit einer "internationalen" Lösung, sprich: dem Verkauf an GM, das den Preis dafür immer höher schrauben kann.
Der US-Konzern ist aber nicht an der Autoproduktion interessiert, sondern nur an der Vertriebsstruktur. Es kursieren auch Gerüchte, Fiat solle der deutschen GM-Tochter Opel zugeschlagen werden. Das Geflecht an technologischem Knowhow und Produktionsstrukturen, würde mit einer übernahme durch GM zerschlagen werden.
Italien droht, zum Argentinien Europas zu werden. Dies erklärt die Breite des Widerstands und die Tragweite der Lösungen, die insbesondere von der Linken vorgetragen werden.
"Dieses Unternehmen", sagt Gigi Malabarba, der für Rifondazione Comunista im Senat sitzt, "haben wir oft gekauft. Die Fabrik gehört nicht mehr Agnelli, sie gehört denen, die darin arbeiten. Und wenn die Unternehmenspolitik des Managements so kläglich gescheitert ist, ist es nur rechtens, es wieder unter öffentliche Kontrolle zu nehmen."
Rifondazione Comunista hat in der Kammer einen änderungsantrag zum Haushaltsplan eingebracht: Es soll ein Fonds "für den Erwerb des Fiat-Eigentums" eingerichtet werden. Laufzeit: ab dem 1.1.2003, Ausstattung: 1 Euro.
Die Fiat-Krise und der damit drohende Deindustrialisierungsprozess im siebtgrößten Industrieland der Welt wirft ein grelles Schlaglicht auf die Unfähigkeit des Kapitalismus, komme er nun in Gestalt von Fiat oder von GM daher, unter Bedingungen verschärfter globaler Konkurrenz seine Reproduktionsbasis zu erhalten. Der grenzenlose Markt eröffnet nur zu Beginn neue Märkte und Akkumulationsmöglichkeiten; am Ende bedeutet er für schwächere Kapitalien eine absolute Grenze. Auf der Suche nach Möglichkeiten, selbst unmittelbare Tagesprobleme zu lösen, muss deshalb der Rahmen der globalen Konkurrenz als solcher in Frage gestellt werden. Rifondazione Comunista hat als erste die Forderung nach staatlicher übernahme von Fiat in die Debatte geworfen Ð mit einigem Erfolg.
Die Idee, dass der Staat einspringen soll, gewinnt Anhänger. Die Regierung sträubt sich noch, aber der Gouverneur der Zentralbank, Antonio Fazio, hat verlauten lassen: "Das wäre keine Sünde." Der EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti, sonst gern ein unerschütterlicher Verfechter des Freihandels, sekundiert: "Die Kommission ist neutral zwischen öffentlichem und privatem Eigentum; sie hat keine Vorurteile." Ach, und was ist mit dem Privatisierungsdogma? Neben der Praxis des Neoliberalismus gerät nun offenkundig auch seine Lehre unter die Räder. Kommissionspräsident Prodi entschuldigt sich: "Italien kann nicht ohne Industrie gelassen werden."
Aber wofür soll der Staat das Geld der Steuerzahler ausgeben? Immer wieder geistert das Beispiel Renault und Volkswagen durch die Presse, zwei Autofirmen mit mehrheitlich staatlicher Beteiligung. Dabei wird vergessen, dass diese Firmen nicht weniger dem globalen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind und ihn nicht weniger drastisch an die Belegschaften weitergeben. Renault hat gerade einen Umstrukturierungsplan hinter sich; VW erwägt, das Seat-Werk von Katalonien nach Osteuropa zu verlagern.
Stellt sich also die Frage: Gibt es eine Automobiltechnologie, die (mit staatlicher Hilfe) international wettbewerbsfähig wäre und dem Sektor eine neue Zukunft erschließt? Claudio Sabattini, Vorsitzender der Fiom Sizilien, spricht für seine Gewerkschaft, wenn er sagt: "Mit der Wasserstofftechnologie geht das Auto seiner größten industriellen und technologischen Innovation entgegen." GM forsche seit Jahren auf dem Gebiet und habe das erste Modell dafür schon auf dem letzten Autosalon vorgestellt. Aber der US-Konzern werde das Wasserstoffauto erst in 30 Jahren rentabel bauen können; warum sollte Europa dann etwas gelingen, was dem Branchenprimus nicht gelingt? Die Frage wird nicht gestellt.
Der Soziologe Oscar Marchisio plädiert dafür, technologisch über das Auto hinauszudenken, statt sich nur mit einer neuen Antriebstechnik zu begnügen. In Liberazione vom 9.10. erklärt er: "Wir müssen unser Modell von Mobilität so ändern, dass Mobilität nicht mehr nur durch private Transportmittel gewährleistet wird. Wir müssen den gesamten Nahverkehr, den öffentlichen wie den privaten, neu konzipieren. Denkbar wäre z.B., Autos für den Stadtgebrauch zu vermieten statt zu verkaufen. Man könnte eine âMobilitäts-KreditkarteÔ einrichten." Die Autobranche sei weltweit an ihr Ende angelangt, nicht nur in Italien.
Der Ansatz von Marchisio hat mindestens den Vorteil, dass er die industrielle Zukunft nicht an eine neue, globale Technologiekonkurrenz bindet, sondern an lokale und ökologisch nachhaltige Alternativen zum derzeitigen Transportsystem, die zudem den Vorteil hätten, vom Erdöl wegzuführen, das in wachsendem Maß eine Kriegsursache geworden ist. Dafür würde sich eine staatliche übernahme von Fiat lohnen.
Beim Fiom-Vorsitzenden der Lombardei stoßen solche Vorschläge auf offene Ohren: "Ich hoffe, die anderen Gewerkschaften erkennen, dass mit Fiat eine ganze Phase der industriellen Entwicklung zu Ende gegangen ist." Aber eine staatliche Rettungsaktion möchte er noch an andere Bedingungen geknüpft sehen: "Der Staat darf nicht die Schulden der Familie Agnelli finanzieren. Alle Einnahmen müssen blockiert und für die industrielle Umstrukturierung zur Verfügung gestellt werden." Keine Fabrikschließungen, keine Entlassungen, keine Kurzarbeit Null. "Gegen die drohende Schließung hilft nur die Fabrikbesetzung. Kurzarbeit muss rotieren, die bestehenden Aufträge müssen solidarisch auf die Werke aufgeteilt werden, die Arbeitszeit herabgesetzt, Umschulungen und Weiterbildung angeboten werden."
Ein ziemlich konkretes Programm für die Arbeitskämpfe, die anstehen. Der sie verbindende gemeinsame Nenner und Ausgangspunkt lautet: Fiat muss in Gemeineigentum übergehen Ð nicht weil diese Eigentumsform als solche die Probleme lösen würde, sondern weil der Eigentumswechsel die Voraussetzung ist, neue Wege mit Zukunft zu beschreiten.
LabourNet Germany | Top ^ |