Home > Branchen > DC > USA > Toledo1
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

»Anpassen oder sterben«

Arbeiter bei Jeep hinterfragen DaimlerChryslers Version einer Tragödie - von Michael Brooks *

Der mit einer Schrotflinte bewaffnete Myles Meyers tötete einen ebenfalls bei Jeep angestellten Kollegen und verwundete zwei weitere Menschen, bevor er sich selbst mit seiner Waffe am 27. Januar erschoss. Eine mögliche Sicht der Dinge ist: Wieder einmal ein wahnsinniger US-amerikanischer Arbeiter, der an seinem Arbeitsplatz herumballert. Dieter Zetsche, geschäftsführender Direktor von DaimlerChrysler, wiederholte diese Einschätzung der Ereignisse in einer Mitteilung, die im gesamten Werk am 28. Januar verteilt wurde.

»Die Informationen deuten darauf hin, dass es sich um einen einmaligen Vorfall handelt«, ließ er verlauten. Die bei Jeep beschäftigten Arbeiter sagen jedoch aus, dass es sich bei Meyers Amoklauf nicht um einen Einzelfall, sondern um den Schlusspunkt einer gezielten Schikane am Arbeitsplatz handelt, die sich über mehrere Monate erstreckte.

Viele Arbeiter befürchten Konsequenzen, wenn sie offen über ein von ihnen als einschüchternd empfundenes Klima bei Toledo Nord sprechen. Ein Großteil der Arbeiter war lediglich unter Zusicherung vollständiger Anonymität zu Aussagen bereit. »Sie tragen doch kein Mikrofon bei sich, nicht wahr?« fragte ein misstrauischer Arbeiter. »Woher soll ich wissen, dass Sie nicht vom Management bezahlt werden?«

»Die waren seit Monaten darauf aus, Myles rauszuschmeißen«, sagte >Karl<, dessen Name hier geändert wurde, weil er befürchtet, dass seine Mitarbeit an diesem Artikel zu Konsequenzen innerhalb der Firma führen würde. »Es ist Teil ihrer Strategie, die älteren Arbeiter mit besserer Bezahlung auszuschalten - besonders wenn es sich um Aktivisten handelt, die für eine stärkere Gewerkschaft eintreten - und sie durch jüngere und billigere neue Arbeitskräfte zu ersetzen«.

In einer Rede vor Managern der Automobilbranche bei der jährlichen Auto-Tech-Konferenz in Detroit teilte Zetsche von DaimlerChrysler seinem Publikum mit, dass das gegenwärtige globalisierte Zeitalter ein neues wirtschaftliches Paradigma geschaffen habe: »Es heißt: sich anpassen oder sterben«.

Der wahre Myles Meyers

Das von den öffentlichen Medien vermittelte, ungünstige Portrait, das Meyers als instabilen Charakter darstellt, der zudem Drogenmissbrauch betreibt, ist nur schwer mit dem Bild in Verbindung zu bringen, das von einigen der Menschen entworfen wird, die ihn am besten kannten: Angestellte der zweiten Schicht der Karosseriewerkstatt des Jeep-Werks in Toledo Nord.

Juan Garza, der seit Dezember 2004 nicht mehr bei DaimlerChrysler arbeitet, hatte von Meyers eine hohe Meinung. »Er war ein toller Bursche, ich hatte Respekt vor ihm«, sagte Garza. »Andererseits hatte Myles auch keine Angst, seine Meinung zu sagen. Dies ist auch der Grund, weshalb einige der Aufseher etwas gegen ihn hatten. Ich wünschte nur, ich hätte dort noch gearbeitet; wissen Sie, ich denke andauernd darüber nach, dass ich es ihm vielleicht hätte ausreden können«.

»Ich habe mich fast jeden Tag während der Pause mit ihm unterhalten«, erzählt >Jay<, ein Fließbandarbeiter. »Er war ein freundlicher Bursche und schien mit allen gut auszukommen«. >Karl< sagte, dass Meyers oft über seine Familie sprach. »Er gab vor mir mit dem Verlobungsring an, den er gerade für seine Freundin gekauft hatte. Und er sprach nie über sich selbst - er erzählte immer nur stolz über seine Kinder und seine Familie«. >Karl< äußerte sich lobend über Meyers Arbeitsethik. »Der Junge war unglaublich - er konnte schweißen, löten, beherrschte Reparaturarbeiten, konnte mit dem Walzblech umgehen - alles, was man sich vorstellen kann«, erzählte er. »Er hielt sich ran, er half der Firma aus der Klemme, wann immer sie in einer steckte«.

Windau erinnerte sich an einen Vorfall, bei dem Meyers zeigte, dass er einer schwierigen Lage gewachsen war. »Ein Lieferant schickte uns defekte Karosserien mit Haarrissen, die erst entdeckt wurden, als die Fahrzeuge schon zusammengebaut waren«, erzählte er. »Wir reden hier über Hunderte von defekten Fahrzeugen und Dollar-Summen in Millionenhöhe, die für eine Behebung des Schadens nötig geworden wären«, und fügte hinzu, dass Meyers vielseitige Fähigkeiten ihn besonders für die Aufgabe qualifizierten, diese Fahrzeuge zu reparieren. »Myles trug dazu bei, dieses ganze Durcheinander in Ordnung zu bringen«.

>Marty< erwähnte Meyers Selbstlosigkeit. »Er war immer derjenige, der für den United Way sammelte oder sich als Ansprechpartner für Spendensammlungen zur Verfügung stellte«, erzählte er. »Er war ein guter Mann«. Bob Worthington, ein Arbeiter aus der Produktion, der über mehrere Jahre hinweg mit Meyers zusammen gearbeitet hatte, gab an, dass Meyers ein ausgezeichneter Arbeiter war, dessen Arbeit über jeden Vorwurf erhaben war. »Er war der Allerletzte, von dem ich jemals gedacht hätte, dass er so reagiert«, sagte er. »Ich war traurig, dass er wohl dachte, er habe keine andere Wahl«.

Meyers könnte dem Management aufgefallen sein, weil er freimütig gegen etwas eintrat, was von vielen Arbeitern als Versuch von DaimlerChrysler empfunden wurde, die besser bezahlten Positionen abzuschaffen, die oft ältere Arbeiter innehaben.

Yang stimmte mit dieser Ansicht überein. »Eine Methode, mit der durch das Prinzip der schlanken Produktion >Abfall< beseitigt wird, ist beispielsweise, das System der längeren Betriebszugehörigkeit dadurch auszuhebeln, dass seit langem im Werk beschäftigte Arbeiter mit den Jüngeren verglichen werden«, hob er hervor. »Die Ersteren betrachten die jüngeren, befristet eingestellten Arbeiter als >Normbrecher<, während die neuen Arbeiter die alte Garde deswegen ablehnen, weil sie besser bezahlt wird und ihnen feindselig gesinnt sei«.

»Myles war sich darüber im Klaren, dass die Firma nur zu gerne lediglich eine Kategorie von Arbeitern beschäftigen würde: den Typ des Hans Dampf in allen Gassen, der nur niedrig entlohnt zu werden braucht«, merkte Windau an, wobei er in der Firma übliche Praktiken erwähnt, die Arbeiter dazu zu zwingen, auch Tätigkeiten außerhalb ihrer Arbeitsplatzbeschreibungen auszuführen. Angestellte, die sich weigern, riskieren vielen Arbeitern zufolge Konsequenzen, die von Disziplinarmaßnahmen bis zur Entlassung reichen.

Auseinandersetzungen mit langer Geschichte

In keiner großen Firma fehlen Spannungen am Arbeitsplatz, dennoch denken viele Angestellte bei Jeep, dass die Situation bei Toledo Nord besonders brisant ist. In einer vorbereiteten öffentlichen Stellungnahme gab der Sprecher der Firma, Ed Saenz, bekannt, dass »DaimlerChrysler auf die Möglichkeit verzichtet, einen Kommentar zu Ihrem Artikel abzugeben«. Als er darüber befragt wurde, ob DaimlerChrysler den Lesern der City Paper gerne noch irgend etwas mitteilen würde, wiederholte Saenz lediglich noch einmal seine standardmäßige, einen Satz umfassende Antwort. »Diese Manager stehen unter einem riesigen Druck, kontinuierlich die Produktivität zu verbessern«, meinte >Karl<. »Dies ist das Vorzeigewerk von DaimlerChrysler und Dieter (der geschäftsführende Direktor Dieter Zetsche) macht den Managern der einzelnen Werke die Hölle heiß, um sie dazu zu bringen, unter allen Umständen die Kosten zu reduzieren und mehr Fahrzeuge herzustellen«.

Diese Profitgier veranlasste DaimlerChrysler, die Anzahl der Angestellten nach dem Umzug von der alten Anlage am Jeep Parkway in das neue Werk Toledo Nord drastisch zu reduzieren. Die Jobs von 1400 stundenweise beschäftigten Arbeitern wurden im Laufe der Übergansperiode abgeschafft, während Daimler-Chrysler ungefähr 281 Millionen Dollar an Steuervergünstigungen dafür bekam, das neue Werk in Toledo zu halten. Der Staat Ohio investierte letztes Jahr weitere 117 Millionen Dollar bei einem Vertragsabschluss, in dem der Automobilhersteller zustimmte, ein neues Produktionswerk mit drei Zulieferern in Toledo zu bauen. Darüber hinaus war im Umstrukturierungsplan von 2001, der von DaimlerChrysler als notwendig zur Verhinderung von Verlusten im nordamerikanischen Sektor angekündigt wurde, ein Abbau der Gesamtbelegschaft um 26000 Jobs über einen Zeitraum von drei Jahren vorgesehen. Dies schloss 6800 reguläre und 19000 stundenweise entlohnte Beschäftigungsverhältnisse ein.

Der Betriebsschlosser George Windau erklärte, dass Roy Thacker - der Aufseher, der von Meyers erschossen wurde - selbst nach der Fusion von Daimler-Benz mit Chrysler entlassen worden war.

»Roy musste vor Gericht gehen, um seinen Job zurückzubekommen, weil die älteren Aufseher entlassen wurden«, erzählte er, indem er sich auf einen Prozess aus dem Jahr 2002 bezog, der von dem Staatsanwalt Geoffrey Feiger für 13 Arbeitskräfte in Vorarbeiter-Positionen gewonnen wurde. Die Akten sind im Bezirksgericht abgelegt und geben DaimlerChrysler als Angeklagten an. Thacker gab später seine Zustimmung dazu, dass sein Fall vor eine Schlichtungskommission gebracht wurde und bekam schließlich seinen Arbeitsplatz zurück.

»Man darf nicht einmal eine Wasserflasche an seinen Arbeitsplatz mitnehmen«, sagte ein anderer Betriebsschlosser. »Arbeiten Sie mal in der Hitze im Sommer ohne Wasser«. Den Arbeitern zufolge sind Lebensmittel, Getränke und persönliche Gegenstände mittlerweile an den Arbeitsplätzen verboten. »Im alten Werk hatten die Jungs Kopfhörer auf oder hatten ein Radio in der Nähe, um eine nettere Atmosphäre um sich zu haben«, erinnerte sich >Phil<. »Manchmal sah man die Leute bei der Arbeit singen oder lächeln. Jetzt gibt es nur den Fabriklärm während zehn oder zwölf Stunden«.

Mehrere Arbeiter lieferten eine Beschreibung des Raums in der Nähe der Abteilung für Arbeitsbeziehungen im Werk, in den Arbeiter, die sich verletzt hatten, geschickt wurden. »Sie wollen die (vom Staat verwalteten) Entschädigungszahlungen für Arbeiter nicht bezahlen oder möchten Untersuchungen der OSHA (der amerikanischen Behörde für Arbeitssicherheit und -gesundheit) verhindern, also werden viele Arbeiter, die sich verletzt haben, gezwungen, Jobs zu erledigen, bei denen sie sitzen können«, sagte >Jerry<. »Wenn es diesen Arbeitern zu schlecht geht, um irgend eine Arbeit zu erledigen, müssen sie in diesem leer stehenden Raum herumsitzen. Sie dürfen nicht einmal mit anderen Arbeitern, die auch verletzt sind, reden«, berichtete er und fügte hinzu, dass verletzten Arbeitern gesagt wird, »dass sie nicht zum Reden hier sind«.

Ein weiterer Reibungspunkt für die Arbeiter bei Jeep ist die Politik der obligatorischen Überstunden - Arbeiter müssen Tage einlegen, an denen sie 10 bis 12 Stunden arbeiten, und zwar an 6 Tagen pro Woche. »Die obligatorischen Überstunden wurden angeordnet, nachdem all diese Arbeiter entlassen wurden«, berichtete >Marty<, ein Arbeiter in der Produktion. »Man muss kein Genie sein, um eine Verbindung zwischen den Entlassungen und den Überstunden herzustellen«.

Darüber hinaus sind die Arbeiter unzufrieden damit, dass die Firma dazu übergeht, zunehmend befristete Teilzeitjobs (sogenannte TPTs) zu vergeben. Diese Teilzeitarbeitskräfte arbeiten drei Tage pro Woche und haben davon nur wenig. »Diese Arbeiter haben die Möglichkeit einer Vollzeitstelle ständig vor Augen und werden so unter Druck gesetzt, wie Verrückte zu malochen«, erzählte >Kevin<, ebenfalls in der Produktion tätig. »Dazu kommt, dass ein älterer Arbeiter, der krank geschrieben ist, während dieser Zeit durch einen TPT ersetzt wird. Wenn der ältere Arbeiter wieder zurück ist, wird von ihm erwartet, dass er auf dem Niveau von zwei übereifrigen Teilzeitkräften schuftet, die jeweils vier Tage Zeit haben, um sich von ihrer Überanstrengung zu erholen«.

Shari Plewa, eine Arbeiterin in der Produktion des Wrangler-Werks, teilt dieses Gefühl. »Es gibt TPTs, die fünf Tage einer Arbeitswoche arbeiten«, sagte sie. »Noch schlimmer ist, dass die Gewerkschaft es zulässt, dass sie so ausgenutzt werden. Sie erhalten keine Sozialleistungen, sind in der Firma nicht repräsentiert und werden entlassen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Manchmal ruft man sie zur Arbeit, und die Firma sagt dann, >tut uns leid, aber es gibt gerade nichts zu tun<. Dann geht dieses arme Volk unverrichteter Dinge wieder nach Hause«.

Die meisten der befragten Arbeiter geben an, dass die Regeln im neuen Werk sich von denjenigen des Werks am Jeep Parkway sehr unterscheiden. Die firmenweiten Modewörter, die für DaimlerChryslers Produktionsphilosophie typisch sind - wie zum Beispiel »Verschlankung der Produktion« und »kontinuierliche Verbesserung« - heißen bei vielen Menschen, die bei Toledo Nord arbeiten, ganz anders.

»Treffender wäre >Stress-Management<«, sagte >Phil<. »Die Manager hier im Werk treiben sowohl die Leute als auch die Maschinen ständig an ihre Grenzen, nur um ein paar Autos mehr pro Stunde zu bauen. Was man in der letzten Woche geschafft hat, ist diese Woche nicht mehr gut genug«. Manuel Yang, Dozent an der Universität von Toledo, der schon zahlreiche wissenschaftliche Artikel über die Beziehungen zwischen Unternehmen und Arbeitern in der Autoindustrie verfasst hat, beschrieb die neue Philosophie als »eine Methode, mit der man den durchschnittlichen Arbeiter dazu bringt, schneller, härter und intensiver zu arbeiten«.

»Die schlanke Produktion ist eine der Waffen des Firmenmanagements im gemeinsamen Kampf gegen die Arbeiter auf der ganzen Welt«, lautete seine Meinung. »Es ist unnötig darauf hinzuweisen, dass die Arbeiter von solch intensivierten Arbeitsbedingungen erdrückt werden und verständlicherweise unter dem Stress zusammenbrechen, verrückt werden oder ihre Gewehre mit zur Arbeit bringen, wie im Fall Myles Meyers«.

>Marty< sagte, die Firma nehme an, dass alle Menschen, wie Maschinen, eine einheitliche Toleranz für Stress besitzen.

»Man nehme Tom Brady (Quarterback der Neuengland Patriots, einem Footballteam) - der auch unter einem unglaublichen Druck einen kühlen Kopf bewahrt und auf einem Niveau Leistung erbringt, das dich und mich zusammenbrechen ließe«, sagte er. »Er ist an einem Ende der Skala und der Rest von uns fällt weiter dagegen ab. Nur sehr wenige Menschen können auf hohem Niveau über längere Zeit hinweg Leistung erbringen, und wenn man zu lange zu heftig angetrieben wird, muss irgendwann etwas passieren«.

Viele Angestellte sind der Meinung, dass die zusätzliche Arbeit und der vermehrte Stress auf versteckte Weise ihren Tribut fordern: Krankheiten, Ehestreitigkeiten und Suizide. »Die tatsächliche Tragödie im Fall von Myles liegt darin, dass die meisten Leute der Ansicht waren, dass ein solcher Vorfall unvermeidlich war«, sagte >Marty<. »Die Frage war nur, wer zuerst zusammenbrechen würde«.

Das Management bei Jeep: Gezielte Schikane?

Die Arbeiter, die für diesen Artikel interviewed wurden, sprachen alle über ein Klima der Einschüchterung bei Toledo Nord. »Man würde nicht glauben, was sie mit den Leuten alles machen«, sagte >Johnny<. »Wenn sie es auf jemanden abgesehen haben, bearbeiten sie ihn jeden Tag, bis er entweder von selbst geht oder negativ auffällt und gefeuert wird«.

Er erinnerte sich an einen Zwischenfall, der sich ereignete, nachdem er sich darüber beklagt hatte, dass er gezwungen wurde, die Arbeit eines anderen Facharbeiters auszuführen. »Der Vertrauensmann der Gewerkschaft riet mir, gut aufzupassen - und erzählte, dass ich unter Beobachtung stehe«, berichtete er. »Der Vertrauensmann wusste im Voraus von der Überwachung. Und tatsächlich standen allmählich immer mehr Aufseher an meinem Arbeitsplatz herum, um nach einer Gelegenheit zu suchen, mich aufzuschreiben«.

Die Schikane hörte erst auf, als »sie es leid wurden, darauf zu warten, dass ich endlich Mist bauen würde«, sagte er.

Protokolle, in die beim Ausschuss für Arbeitsbeziehungen (National Labor Relations Board, NLRB) eingesehen wurde, zeigen, dass zahlreiche Arbeiter Klage einreichten mit der Begründung, dass DaimlerChrysler aufgrund von Gewerkschaftsaktivitäten gegen sie zum Vergeltungsschlag ausgeholt habe. Die Klagen beschrieben Maßnahmen wie zeitweilige Einstellungen des Arbeitsverhältnisses oder Entlassungen von Arbeitnehmern, die sich für ihre vertraglich zugesicherten Rechte einsetzten.

Die Sorge um mögliche Vergeltungsschläge reicht über die Grenzen des Werks hinaus. Garza weigerte sich, über seine Erfahrungen zu berichten und war angesichts der Möglichkeit von Konsequenzen auch für jene, die dort nicht mehr beschäftigt sind, sichtlich verstört. »Alles ist so friedlich im Moment«, sagte er. »Ich möchte kein Risiko eingehen, indem ich darüber rede, was diesen Arbeitern angetan wird«.

Plewa berichtete einen ähnlichen Zwischenfall. »Mir gingen die Einzelteile aus und es dauerte lange, bis der neue Bestand ankam«, erinnerte sie sich. »Schließlich wurde das Band gestoppt. Als nächstes wurde ich wegen meiner Arbeitsleistung (es handelt sich dabei um Disziplinarmaßnahmen aufgrund schlechter Arbeitsqualität) ins Büro gerufen. Ich musste der Gewerkschaft mit einem Prozess drohen, um sie dazu zu bringen, mich zu verteidigen«. >Jay< wurde Zeuge der kontinuierlichen Belästigung, die die Werkmanager von DaimlerChrysler gegen Meyers richteten. »Über die letzten zwei Monate hinweg beobachtete mindestens ein Manager Myles während der gesamten Schicht«, erinnerte er sich. »Eine Aufseherin folgte ihm sogar während der Pause zur Toilette und roch an seinen Kleidern, um herauszufinden, ob er dort geraucht hatte« (Auf den Toiletten in Toledo Nord ist Rauchen untersagt).

Auch >Karl< bezeugte etwas, das auf ein Muster koordinierter Verfolgung durch das Management gegenüber Meyers hinwies. »Mehrere Vorarbeiter standen mit verschränkten Armen außerhalb des Schweißkanals und starrten Myles während der ganzen Schicht an«, berichtete er. »Wenn er fragte, ob er zur Toilette gehen oder eine Rauchpause einlegen könne, ignorierten sie ihn, weil sie ihn dann aufschreiben wollten, wenn er den Arbeitsplatz ohne Ablösung verließ (Die >Ablösung< besteht aus einem Arbeiter, der extra dafür eingeteilt ist, in den Pausen einzuspringen)«.

>Marty<, der im Dezember in der Nähe von Meyers arbeitete, erwähnte Belästigungen, die noch weiter gingen. »Sie brachten andere Arbeiter dazu, die Schutzbrille für das Schweißen an einen anderen Platz zu legen, wenn Myles zum Mittagessen ging oder seine Werkzeuge zu verstecken - solche Scheiß-Spielchen«, sagte er.

»Wenn Myles dann zurückkam, war alles am falschen Platz, und die Manager schrien ihn an, weil er nicht unverzüglich weiter arbeiten konnte«. >Karl< bemerkte etwas, das Meyers besonders aus der Fassung brachte. »Eine jüngere Vorarbeiterin wurde angewiesen, diese beleidigenden Schilder in Myles Arbeitsumfeld aufzuhängen; darauf waren Bilder, die so doof waren, dass sie schon erniedrigend wirkten«, berichtete er und beschrieb, dass die Schilder eigentlich für Kinder gedacht waren. »Er war ein Mann, der schon länger Jeeps baute, als sie überhaupt auf der Welt war, und wurde behandelt, als wäre er dumm!« Meyers war über diesen Vorfall, der sich im vergangenen November ereignete, sichtlich sehr verärgert.

>Jerry< berichtete, dass ein Vorarbeiter, mit dem er sich gut versteht, ihm erzählte, dass das Management schon Wochen vor der Schießerei darüber informiert wurde, dass Meyers sich seltsam verhielt. »Der Vorarbeiter berichtete, dass einige Arbeiter gehört hatten, wie Myles sagte, dass er sich Toney und Thacker >schnappen< würde«, erinnerte er sich, und spielte damit auf zwei der Opfer an, den verstorbenen Roy Thacker und Mike Toney; ebenfalls verwundet wurde Paul Medlen.

»Es hätte nicht so weit kommen müssen«, äußerte Windau. »Ich hatte großen Respekt vor Roy Thacker«.

UAW als Waffenbruder?

Eine der meistgehörten Klagen in diesen Interviews war, dass die UAW sich nicht mehr angemessen um die Mitglieder ihres Locals 12 vor Ort kümmert. »Ich wurde beschuldigt, für das Anhalten des Bandes verantwortlich zu sein, was einfach nicht stimmte«, sagte >Larry<, ein Arbeiter aus der Produktion. »Der Vorarbeiter nahm mich zur Abteilung für Arbeitsbeziehungen im Werk mit, und schließlich tauchte auch noch jemand von der Gewerkschaft auf«, erzählte er. »Während der gesamten Sitzung sagte der Vertrauensmann nicht ein verdammtes Wort. Er saß nur da und spielte an seinen Papieren herum. Das Ganze hatte nur deswegen keine Konsequenzen, weil ein Vorarbeiter dann doch noch für mich eintrat«.

Plewa stimmte diesem Bericht zu. »Als ich aufgeschrieben wurde, weil ich angeblich das Band zum Stillstand gebracht hatte«, erinnerte sie sich, »verhielt sich der Vertrauensmann von der Gewerkschaft (während der Disziplinarsitzung), als vertrete er lediglich die Interessen der Firma«.

Bruce Baumhower, der Vorsitzende des Local's 12, und Lloyd Mahaffey, Präsident der Region 2.B der UAW, konnte bis zum Druck dieses Artikels trotz wiederholter Telefonanrufe nicht erreicht werden. Eine Reihe von Arbeitern, die für diesen Artikel kontaktiert wurden, wiesen darauf hin, dass sie die UAW immer als noch ihre Interessenvertretung betrachteten, obgleich sie mit der Gewerkschaft unzufrieden seien. »Wenn ich an diesem Bericht mitarbeite, könnte das dazu führen, dass die Firma die Gewerkschaft zerbricht«, äußerte ein Arbeiter aus der Produktion, der seinen Namen nicht öffentlich preisgeben wollte. »Trotz der Probleme der UAW werde ich Dan Henneman und Mark Epley (zuständiger Vorsitzender der UAW bei Jeep bzw. Schrift- und Kassenwart) weiterhin unterstützen«.

Vielen Arbeitern zufolge stellt der - bislang beispiellose - achtjährige Vertrag, der von Gewerkschaftsmitgliedern im Dezember 2003 ratifiziert wurde, ebenfalls eine Quelle der Unzufriedenheit dar. »Wir hatten bereits ungefähr ein Jahr lang einen Vertrag, den aber niemand von uns je zu Gesicht bekommen hat«, sagte >Harold<, ein Arbeiter aus der Produktion. »Sie haben uns dazu gebracht, über etwas abzustimmen, das wir noch nie gesehen haben«. >Phil< erwähnte, dass der frühere Abteilungsvorsitzende der UAW bei Jeep, Nick Vuich, ihnen gesagt habe, es gebe keine andere Wahl und dass sie den Vertrag somit annehmen müssten.

Facharbeiter, die bei der ersten Wahl gegen den Vertrag gestimmt hatten, veranstalteten laut >Phil< später einen nächtlichen Protest gegen die Wahl, indem sie die Wahlurnen und -formulare beschmierten und verunstalteten. Hunderte von Facharbeitern schrieben »STREIK« oder »UNGÜLTIG« auf die Formulare.

Die Beziehung zwischen der UAW und den Arbeitern bei Jeep war in den vergangenen Jahren recht instabil. Die Gewerkschaft ist weiterhin damit beschäftigt, sich in Gerichtsverhandlungen gegen einen Prozess über viele Millionen Dollar zu verteidigen, der von 60 Maschinenschlossern beim Bezirksgericht in Toledo im Jahr 2002 angestrengt wurde. In dem Verfahren wird behauptet, dass die Angeklagten der Gewerkschaft (sowohl Local 12 als auch die nationale UAW) gegen ihre Pflicht der angemessenen Vertretung der Maschinenschlosser verstoßen haben, und zwar ungeachtet der Abkommen zu den Tarifverhandlungen.

Eine Durchsicht der NLRB-Akten, die während der vergangenen 13 Monate abgeheftet wurden, gibt Aufschluss über eine Anzahl von Klagen, die alle behaupten, dass die Gewerkschaft nichts gegen Daimler-Chryslers Beschwerden gegen Beschäftigte unternahm. Windau zufolge untergräbt dies den üblichen Prozess, bei dem der Gewerkschafter die Beschwerde über einen Angestellten noch einmal prüft und bearbeitet, vollständig.

Yang ist der Meinung, dass die Beziehung zwischen der UAW und ihren Mitgliedern nicht mehr zu kitten sein könnte. »Die Einzigen, die Jeep befreien, die Wiederholung der Tragödie um Myles Meyers verhindern und die Gewerkschaft dazu bringen können, für sie zu arbeiten und die unmenschlichen Auswirkungen der verschlankten Produktion wieder umzukehren, sind die einfachen Arbeiter selbst«, erklärte er. »Weder die Medien noch die Regierung oder die Gewerkschaft oder das Management oder irgend jemand, der nicht bei Jeep arbeitet, wird das tun«. Die Senatorin Theresa Fedor räumte ein, dass auch der Gesetzgeber bei der brisanten Entwicklung der Beziehungen zwischen den Arbeitern, der UAW und DaimlerChrysler eine Rolle spielen könnte.

»Ich bin der Ansicht, dass es eine Untersuchung geben sollte«, sagte Fedor. »Es ist höchst bedauerlich, wenn jemand das Leben für so hart hält, dass er zu solch drastischen Maßnahmen greifen muss«.

Der Abgeordnete des Repräsentantenhauses, Mark Wagoner, schloss weitere Untersuchungen der Tragödie sowie der Begleitumstände, die möglicherweise zu den Unglücksfällen geführt haben, nicht aus.

»Wenn die Menschen bei DaimlerChrysler und der UAW entscheiden, dass die Vorfälle eine Untersuchung rechtfertigen, sollte ihnen dieses Vorrecht zugestanden werden«, sagte Wagoner. Einige Arbeiter sind jedoch der Meinung, dass mögliche Vergeltungsschläge der Firma nicht ihre einzige Sorge sind.

»Ich fürchte mich mehr vor der Gewerkschaft als vor DaimlerChrysler - man muss sich nur vor Augen halten, was sie mit Cal gemacht haben«, gab >Eric<, ein Facharbeiter, zu bedenken. Er bezog sich damit auf den Anschlag auf das Haus des Jeep-Angestellten Calvin Buckmaster im April 2004, bei dem ein Unbekannter einen Ziegelstein mit den Buchstaben >UAW<, an den mit Klebeband fünf Kugeln geheftet waren, geworfen hatte. Damals hatte Buckmaster Fragen über Ausgaben der Gewerkschaft und deren Dokumentationspraktiken aufgeworfen. Er weigerte sich, für diesen Artikel einen Kommentar abzugeben. Er bestätigte lediglich, dass er seitdem aus Gründen der Sorge um sein Wohlbefinden in ein anderes Werk von DaimlerChrysler versetzt wurde.

»Das ist der Preis, den man für das Aussprechen von Fakten zahlt«, erklärte >Bud<, ein anderer Facharbeiter. »Ich möchte nicht plötzlich tot sein, oder mein verdammtes Haus abbrennen sehen. Ich würde Ihnen gerne einiges über das erzählen, was hier vor sich geht, aber ich fürchte, dass das auf Kosten meiner Familie gehen wird«.

(Aus: Toledo City Paper, 17. Februar 2005)

(1) Übersetzung: Gerlinde Göppel

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/05


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang