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Updated: 18.12.2012 15:51
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20 Jahre Fabrikkommission bei Mercedes Benz Brasilien

2 Reisen von Mitgliedern der DC - Koordination zum Fest in Brasilien


Im Herbst 1984 gelang es der Belegschaft vom Mercedes-Benz-Werk in Sao Bernardo (LKW), nach dreitägigem Streik die Anerkennung einer Fabrikkommission durchzusetzen. Dies und das jahrelange Wirken dieser Kommission mit jeweils befristet geltendem Statut war und ist ein ständiger Kampf. Denn es gibt in Brasilien kein Betriebsverfassungsgesetz. So muss diese Art der Belegschaftsvertretung im Betrieb hart erkämpft werden. Zum 20 jährigen Bestehen organisierte die aktuelle Kommission ein großes Fest.

Beim Entstehen und bei den jeweiligen Auseinandersetzungen um ein neues Statut hat der GBR-Vorsitzende in Deutschland Hilfestellung beim Konzernvorstand geleistet. Von anderer Art und genau so wichtig war jedoch die jahrzehntelange solidarische Begleitung durch KollegenInnen von Mercedes - Benz oder jetzt DaimlerChrysler aus den deutschen Werken. Von Anfang an bis jetzt haben sich hier der AK „Solidarität mit Brasilianischen Gewerkschaften“ aus Mannheim und Kollegen aus Stuttgart hervorgetan; später weitete sich der Kreis der aktiven deutsch-brasilianischen Zusammenarbeit auf die gesamte Mercedes-Koordination aus. In den 80 Jahren wurde der Austausch vor allem durch TIE - International, seit Ende der 90er Jahre durch TIE - Deutschland organisiert.

Kein Wunder also, dass die brasilianischen Kollegen Vertreter aus Deutschland zu ihrem Fest eingeladen haben. So machte sich Anfang November eine Delegation aus Mannheim und Untertürkheim, begleitet von Cordula aus Hamburg, die bereits vor 20 Jahren bei dem ersten Austausch als Übersetzerin tätig gewesen war, auf den Weg zu einer neuerlichen Austauschreise. Allerdings war das eigentliche Fest inzwischen um einen Monat verschoben worden; der Reisetermin konnte jedoch nicht mehr verändert werden. Zum eigentlichen Fest Anfang Dezember flogen dann nochmals Michael Clauss und Fritz Stahl; so gab es innerhalb kürzester Zeit zwei Brasilienreisen.


1. REISE IM NOVEMBER 2004

Vom 8. bis 13. November waren die KollegInnen aus MA und UT Gast der Fabrikkommission in Sao Bernardo, die das Programm, die Unterkunft und den Transport hervorragend organisiert hatten. Hier nun die Schwerpunkte des Programms:

Montag, 8. November
Austausch mit den CIPA-Vertretern der Fabrik im Gewerkschaftshaus von Sao Bernardo über neue Formen der Gesundheitssorge im Betrieb. (CIPA ist eine gesetzlich verankerte paritätisch besetzte Kommission zum Unfallschutz.) Es wurde unter anderem die Mapping - Methode dargelegt. „Mapping“ ist eine Form von „Gesundheitszirkel“, bei der die Kollegen - also die eigentlichen Experten bezüglich ihrer Probleme am Arbeitsplatz - Forderungen bezüglich Verbesserungen selbsttätig erarbeiten. Aus Kanada kommend, wird diese Methode durch TIE-Deutschland in mehreren Ländern vorangetrieben und ist in UT bereits in zwei Abteilungen erfolgreich durchgeführt worden.

Dienstag 9. November
Besichtigung von zwei Kooperativen. Eine Metallverarbeitende Fabrik und eine Produktionsstätte für Wolldecken und Umhänge wurden von den jeweiligen Fabrikbesitzern aufgegeben und danach von den Belegschaften in eigener Regie übernommen. Der harte Kampf um die Erringung der Eigentumsrechte, um die Wiedergewinnung der abgewanderten Kunden und Lieferanten und um die demokratische Organisierung von Firmenleitung und Produktionsabläufen lässt wichtige Erfahrungen für die Selbstorganisation solidarischen Wirtschaftens zu.

Mittwoch 10. November
Ein Tag in einer von der Arbeiterpartei (PT) regierten Stadt: Santo André.
Morgens wurden mehr informatorische Einblicke in Organisationen vermittelt, die die Arbeitslosigkeit verringern, neue Arbeitsplätze schaffen, berufliche Fortbildung anbieten oder Hilfestellung bei Firmengründungen leisten. Nachmittags dann konkretes kennen lernen eines Elendsviertels, das die Stadtverwaltung mit den Bewohnern zusammen durch infrastrukturelle Maßnahmen in seiner Lebensqualität wesentlich verändert hat. Besonders beeindruckend die Begegnung mit der Leiterin eines kürzlich errichteten Gemeindezentrums.

Donnerstag 11. November
Begegnung mit der Landlosenbewegung . Mit Hilfe der Metallgewerkschaft von Campinas fuhr die Gruppe zu einer seit 18 Jahren bestehenden Landbesetzung, die sich inzwischen zu einem richtigen Dorf entwickelt hat (Sumaré 1). Leider fiel eine detaillierte Besichtigung dem unerbittlich niederprasselnden Regen zum Opfer; so konnte allein der Bericht eines der Verantwortlichen die Bedeutung der Landlosenbewegung (vor allem MST) für die anstehende Agrarreform und für die Politik des Landes überhaupt schildern.

Auf dem Weg nach Sumaré 1 besuchte die Gruppe eine bestreikte Fabrik, in der Druckmaschinen hergestellt werden. Die KollegInnen hatten die Arbeit niedergelegt, weil sie ihren Lohn nicht erhalten hatten; und die Firmenleitung drohte damit, das Werk ganz stillzulegen. Solidarische Grüße und Ermunterung der KollegInnen aus Deutschland kamen gut an. Es entwickelte sich eine interessante Diskussion mit den Kollegen vor dem Tor.

Freitag 12. November
Um 5 und um 7 Uhr jeweils Teilnahme an den Versammlungen vor dem Werkstor bei DaimlerChrysler Sao Bernardo. Die Kollegen wurden über wichtige Pläne für 2005 zur Arbeitszeitgestaltung informiert und zu dem großen Fest am Sonntag eingeladen. Zudem wurde die deutsche Delegation begrüßt, in deren Namen Serkan Senol solidarische Worte an die Brasilianer richtete. Danach wurden je nach Interesse die Achsenfertigung und der Rohbau besichtigt. Der Personalchef ließ es sich nicht nehmen, die Delegation bei einem kleinen Früh-stück zu begrüßen.

Es folgte ein Tagesseminar mit den Mitgliedern der Fabrikkommission. Auch Genevaldo aus Campinas und Henrique aus Juiz de Fora nahmen daran teil. Das Programm:

1. Kurze Darstellung der betrieblichen Situation

Juiz de Fora: Immer noch sehr wenig Arbeit; immer noch sind nicht alle Unsicherheiten bezüglich des für 2006 geplanten Produktionsanlaufs für den speziellen Smart beseitigt.

Campinas: Von der früheren Busproduktion (4 500) ist nur ein großes Zentrallager übrig geblieben (600). Es droht die totale Vergabe an Fremdfirmen. Zudem wird damit gedroht, die Mehrheit der Beschäftigten, die ja in der Verwaltung tätig sind, nicht mehr als Metallarbeiter zu betrachten, sondern sie in einen anderen Tarifbereich mit schlechteren Bedingungen zu überführen.

Sao Bernardo:
Im Augenblick herrscht Hochkonjunktur im NFZ- und Motorenbau. Die Fabrikkommission kämpft gegen das maßlose Überstunden fahren und für weitere Neueinstellungen. In den letzten 2 Jahren wurden 2 150 neue Leute teils befristet teils unbefristet eingestellt.
Für 2005 läuft zurzeit ein Diskussionsprozess um neue Arbeitszeitregelungen. Die Vorschläge werden in diesen Wochen mit der Belegschaft diskutiert. Die Abstimmung soll noch vor Weihnachten erfolgen.

Mannheim:
Die neuesten Vereinbarungen haben schwerwiegende Folgen bezüglich der Flexibilität der Arbeitszeiten (18 Stundenschicht) und bringen Lohnverluste mit sich. Im Rohbau bei EVO BUS werden neue Technologien (Roboter) ausprobiert, die ebenfalls Arbeitsplatzabbau mit sich bringen.

Untertürkheim:
Die DC- Vereinbarung vom Juli 2004 wurde kritisch dargelegt, der besondere Kampf der Mettinger am Aktionstag 15. Juli geschildert. Eine Reaktion der Brasilianer: „Wie kann ein solcher Abschluss von ein paar Leuten ohne Diskussion mit den Belegschaften unterschrieben werden? Unmöglich!!!“
Das anlässlich des Austausches angefertigte T-Shirt mit Bildern von dem Marsch auf der B10 und einem Protestzug auf der Stadtautobahn Anchieta in Brasilien wird unter den Teilnehmern verteilt (und wie sich im weiteren Verlauf der Reise herausstellte von den brasilianischen Kollegen auch regelmäßig getragen.)


2. Illustrationen

Es wurde eine PowerPointPresentation vorgeführt, die von der Mannheimer Gruppe aus Anlass des Festes angefertigt worden war und eindrücklich die Geschichte der deutsch-brasilianischen Solidaritätsarbeit bei DaimlerChrysler illustriert. Entsprechende CD-ROMs wurden verteilt. Die PPP ist erhältlich bei Fritz Stahl.
Valter Sanches legte anhand von einigen Statistiken die augenblickliche Hochkonjunktur in der brasilianischen Industrie im Allgemeinen und Automobilindustrie im Besonderen dar.


3. Weitere Planung der Zusammenarbeit

-- Die 2. Nummer der Internationalen Zeitung DC-workers news soll spätestens ab Januar weiter konkretisiert werden. (Die brasilianischen Kollegen baten darum, mit der Erstellung und Herausgabe der 2. Ausgabe bis nach den Festlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen der Fabrikkommission und ihren Betriebsferien zu warten.)

-- An einigen Beispielen soll ein „alternatives Benchmarking von unten“, d.h. der Arbeitsbedingungen in Abteilungen gleicher Produktion (z.B. Motorenbau in Mannheim und Sao Bernardo) ausprobiert werden. Das Ziel ist es, dem ausschließlich an Kosten orientierten Benchmarking der Unternehmensleitung etwas entgegen zu setzen und die Arbeitsbedingungen nach oben anzuheben und nicht nach unten zu nivellieren. Konkrete Absprachen bezüglich der Vorbereitung hierzu wurden getroffen.

-- Im Frühjahr 2006 soll ein weiteres Internationales Treffen für DC - Beschäftigte stattfinden. Als möglicher Termin/Ort wird die Hauptversammlung in Berlin ins Auge gefasst, um auch dort „alternativ“ zum Shareholder-Kapitalismus aufzutreten. Verantwortliche für die notwendige Vorbereitung wurden festgelegt.

Samstag, 13. November
Halbtagesseminar im größeren Rahmen zum Thema „20 Jahre Fabrikkommission“ und Reform der Arbeitsgesetzgebung in Brasilien.
Mit etwa 90 Kollegen aus der Fabrik wurde anhand von mehreren Referaten die Geschichte der Fabrikkommission aufgezeigt. (Fritz Stahl stellte in seinem Referat die deutschen Interessenvertretungsstrukturen mit ihren Vor- und Nachteilen heraus.) Die anschließende, teilweise heftige Diskussion über die Reform der Arbeitsgesetzgebung und dabei speziell der Gesetzgebung für Gewerkschaften prägten das Programm.

Den Abschluss des Tages und der gesamten Begegnung bildete eine Grillparty mit Samba - band, guten Speisen, viel Cachaca und herzhaften Diskussionen, in welchen Sprachen auch immer. Dies ließ erahnen, welche Ausmaße das große Fest im Dezember haben würde.

Abschließend sei nochmals bemerkt, dass auch diese Reise wieder einmal die vielen kleinen Gelegenheiten außerhalb des offiziellen Programms bot, um die notwendigen persönlichen Beziehungen zu vertiefen und die eine oder andere Verabredung zu treffen. Nur auf Basis dieser persönlichen Beziehungen ist eine dauerhafte internationale Zusammenarbeit überhaupt möglich.
Ausdrücklich bedanken wollen wir deutschen Teilnehmer uns bei TIE- Deutschland und bei der Stiftung „Menschenwürde und Arbeitswelt“ Berlin, deren organisatorische und finanzielle Unterstützung auch diese Reise wieder möglich gemacht hat.

2. REISE IM DEZEMBER 2004

Die Einladung einer deutschen Delegation zum eigentlichen Fest Anfang Dezember konnte nicht ausgeschlagen werden. So haben Michael Clauss und Fritz Stahl die deutsche Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung vertreten. Es gab drei wichtige Höhepunkte:

Donnerstag, 9. Dezember
Im Gewerkschaftshaus von Sao Bernardo wurden die ehemaligen und jetzigen Mitglieder der Fabrikkommission im Rahmen einer Feierstunde geehrt, die ehemaligen Koordinatoren der Kommission Tarcisio Secoli, Adi dos Santos, Sergio Nobre und Valter Sanches sowie der jetzige Koordinator Moises Selerges erhielten nochmals eine besondere Auszeichnung.

Freitag, 10. Dezember
Im Rathaus von Sao Bernardo (eine etwa 600 000 Einwohner zählende Stadt am Rande von Sao Paulo) fand eine ähnliche Ehrung statt. Hier in Sao Bernardo liegt das DC - Werk. In den 70/80er Jahren fanden in dieser Stadt entscheidende Arbeitskämpfe statt, die zu neuen Aufbrüchen in der Gewerkschaftsbewegung führten. Auf Antrag eines PT Stadtrates stimmte der gesamte Stadtrat dieser Ehrung zu, obwohl die PT nur 5 von 21 Sitzen im Parlament der Stadt innehat. So erhielten alle ehemaligen und jetzigen Mitglieder der Fabrikkommission eine Ehrenmedaille, die Koordinatoren wurden zu besonders verdienstvollen Ehrenbürgern ernannt. Ein Empfang vorher und hinterher lockerte die etwas steife Atmosphäre auf.

Sonntag 12. Dezember
Große Show auf dem Parkplatz vor dem Werkstor von Mercedes. National gut bekannte Rockmusiker, eine Samba Band aus Rio und ein bekannter Sänger, der schon viele, viele Jahre gewerkschaftliche und politische Kämpfe unterstützt, lockten über 10 000 Leute an, die natürlich in entsprechend guter Stimmung waren.
Eingestreut eine ganz kurze Phase von mehreren Ansprachen. Auch Michael und Fritz wurden wie bei den Veranstaltungen vorher begeistert begrüßt und erhielten für ihre Redebeiträge tosenden Applaus. Es gibt eine große Sensibilität für dauerhafte internationale Zusammenarbeit. Moises, der aktuelle Koordinator der Fabrikkommission, schloss seinen Aufruf mit den Worten: „ Unser Engagement besteht darin, die Tradition einer kämpferischen Arbeitervertretung aufrecht zu erhalten und uns den Herausforderungen für eine gerechtere Gesellschaft zu stellen.“

Kämpferische Interessenvertretung zu sein, hat die Fabrikkommission in all den Jahren bewiesen. Dabei ist ein lebendiger Austausch mit der Belegschaft das A und O. Dies konnten Michael und Fritz auch in diesen Tagen bei verschiedenen Anlässen wieder erleben. Die Fabrikkommission beschließt nichts, wenn nicht vorher intensive Diskussionen mit den Betroffenen geführt worden sind. Der ständige lebendige Kontakt mit den KollegInnen (diesmal erlebt bei einer Versammlung der Auszubildenden oder in einer Mittagspause in benachbarten Lokalen) nimmt die Furcht, dass sich dieses Gremium verselbständigen könnte.

Die gesellschaftliche Verantwortung zeigte sich übrigens ganz konkret in Folgendem: Am Montagmorgen, also gleich nach dem Fest mit den ganzen Strapazen, fuhr um 6 Uhr früh ein Omnibus mit vielen Mitgliedern der Fabrikkommission und anderen Gewerkschaftern aus dem Betrieb nach Brasilia (14 Stunden Busfahrt und anschließend ein Fußmarsch von gut 20 km standen auf dem Programm! ), Die Gruppe nahm an dem nationalen Marsch teil, mit dem mehrere Gewerkschaftsdachverbände auf die Lula - Regierung Druck machen wollten, damit diese den Minimum-Lohn von 260 auf 320 Reais erhöht. Ebenfalls soll die Steuertabelle verbessert werden.

„Ein Stück des Weges liegt hinter Dir, ein anderes Stück hast Du noch vor Dir. Wenn Du verweilst, dann nur um Dich zu stärken, nicht aber um aufzugeben“. So sagte ein Philosoph vor vielen Jahren.
Die Fabrikkommission bei Mercedes - Benz do Brasil hat ihr 20 jähriges Bestehen gefeiert. Sie wird weiterarbeiten und weiterkämpfen; jedenfalls gibt es keine Anzeichen für das Gegenteil. Eine Herausforderung an die Mercedes - Koordination, ihrerseits die internationalen Beziehungen weiter auszubauen. Heute mehr denn je notwendig!


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