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Updated: 20.02.2007 13:16

Wie teuer ist ein Massenmord?Wie teuer ist ein Massenmord?

Wenn von Menschenrechtsverletzungen die Rede ist, geht es meist um Aufarbeitung der Geschichte, um Strafverfolgung und um die subjektiven Folgen des Terrors. Konventionen und Entschädigungsgesetze werden erlassen und Menschenrechtsbeauftragte ernannt. EINES kommt in der Diskussion zu kurz, oder es kommt gar nicht vor: der finanzielle Teil.

Wie teuer ist ein Massenmord? Gemeint ist damit nicht der Kauf von Waffen und Munition, das Anheuern von Soldaten und Söldnern. Gemeint ist Massenmord als finanzielle Größe des modernen Risikomanagements.. Welche Risiken geht man ein, wie können diese Risiken eingeschränkt werden? Fragen, die sich der moderne Manager stellen muss. Und eigentlich auch immer gestellt hat. Nur erfahren haben wir davon bisher wenig, denn diese Fragen, Risiken, Prämien, Schadenssumme, werden meist im Verborgenen ausgehandelt.

Beispiel Argentinien. Dort hat es einen realen massenhaften Mord vor dreissig Jahren gegeben. Während der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 verschwanden nach Schätzungen von Menschenrechtsgruppen etwa 30.000 Personen. Ein hohes Risiko für die Versicherungsbranche. Denn wenn sie für diese 30.000 Morde die Lebensversicherungen hätte auszahlen müssen, wäre das die shareholder teuer zu stehen gekommen. Aber sie mußte ja nicht zahlen, die Risiken wurden begrenzt, weil die Leichen nie auftauchten und die Hinterbliebenen deshalb keine Totenscheine vorlegen konnten. Erfolgreiches Risk Management also.

Rodolfo Dietl vertritt in Buenos Aires die Allianz-Versicherung: “Das ist eine Bedingung jeder Versicherungsgesellschaft, dass man den Tod beweisen muss. Und das Vehikel hier in Argentinien ist der Todesschein, der vom Zivilregister ausgestellt wird.“ Und was machen Personen, die den nicht haben? „Naja, die sind für uns noch am Leben. Überall auf der Welt müssen Sie beweisen, dass diese Person tatsaechlich verstorben ist.”

Die Mehrzahl der 30.000 Verschwundenen waren Arbeiter oder Angestellte. Und laut Gesetz 1567 aus dem Jahr 1974 – also zwei Jahre VOR dem Militärputsch - mussten öffentliche wie private Arbeitgeber für ALLE Mitarbeiter Lebensversicherungen abschließen. Alsdann ab dem 24. März 76, dem Tag des Staatsstreiches, das Morden der staatlichen Sicherheitskräfte systematisch wurde, drohten der Versicherungsbranche Schadensfälle in astronomischer Höhe. Nehmen wir als Beispiel die Firma Mercedes Benz Argentina – gegen die zahlreiche Strafverfahren wegen Beihilfe zum Mord liefen und laufen, was den Vorteil hat, dass der Fall gut dokumentiert ist.

Bei Mercedes Benz „verschwanden“ nach dem Putsch 1976 und 77 vierzehn Arbeiter. Für sie alle hatte das Unternehmen bei der Versicherung Plus Ultra eine Lebensversicherung abgeschlossen. Und einige von ihnen hatten sogar noch zusätzlich bei Plus Ultra eine Versicherung im Falle ihres Ablebens abgeschlossen, um ihre Familien zu versorgen. Diese 14 Arbeiter sind nachts, von Uniformierten, aus ihren Häusern verschleppt worden. Sie tauchten kurze Zeit später im Folterzentrum der Armee, Campo de Mayo noch einmal auf und verschwanden dann für immer. Es trat also, versicherungstechnisch gesehen, der Schadensfall ein. Der Firma Mercedes Benz und auch dem Mutterhaus Daimler-Benz in Stuttgart, war dieser Umstand bekannt, wie interne Firmen-Vermerke belegen.

Die Firma hätte eigentlich in diesem Moment den Schaden bei Plus Ultra melden und die Auszahlung der vereinbarten Summe an die Hinterbliebenen beantragen müssen. Die Frist, in der dies zu geschehen hat, beträgt drei Jahre. Es war also Zeit genug. Aber die Firma unterließ dies. Warum ? – darüber kann man nur spekulieren, auf jeden Fall hat es sich positiv auf die Bilanzen der Versicherungen ausgewirkt.

Die Witwen gingen leer aus. SIE wussten damals noch gar nicht, dass sie schon Witwen waren sondern hofften immer noch, dass ihre Männer eines Tages zurückkehren, wenn sich die Militärs wieder in ihre Kasernen zurückziehen würden. Dann kam der Dezember 1983, Argentinien wurden wieder demokratisch. Aber ihre verhafteten Männer kehrten nicht zurück. Als sich die Frauen langsam mit dem Tod ihrer Angehörigen abgefunden hatten, war es zu spät, die Auszahlung der Lebensversicherung zu fordern. Die Drei-Jahres-Frist war ja abgelaufen und es sollte noch über zehn Jahre, bis 1994, dauern, bis die demokratische Regierung Totenscheine für die „Gewaltsam Verschleppten“ ausstellen würde.

Außerdem gab es auch die Firma Plus Ultra nicht mehr, sie war Ende der achtziger Jahre an die Allianz verkauft worden. Und die hat mit den Verschwundenen von Mercedes Benz nichts zu tun. Man war sogar so freundlich, die Bücher zu öffnen. Dabei kam allerdings Erstaunliches zum Vorschein: Ebenso, wie die Versicherung Plus Ultra dank der unterlassenen Schadensmeldungen durch Mercedes Benz von der Zahlung verschont wurde, so hat sich auch Mercedes Benz die Freiheit genommen, sein eigenes finanzielles Risiko abzuwälzen. Aber nicht, wie es immer geschieht, auf die, die ohnehin nichts haben, sondern – zum Erstaunen der Allianz – auf die Versicherung.

Bei der Durchsicht der Bücher taucht nämlich mit Datum vom 21. Mai 1985 eine Zahlung aus der kollektiven Lebensversicherung von Mercedes Benz auf. Da wurden 1.648.500 Pesosfür den Tod des Mercedes-Arbeiters José Mosquera – geschehen angeblich drei Monate zuvor – gezahlt. Aber der Mercedes-Arbeiter Juan José Mosquera war 1977 verschleppt worden und seitdem fehlt vom ihm jede Spur. 1.648.500 Pesos – das entsprach damals, in Zeiten chronischer Inflation, 2.500 Dollar.

Die Auszahlung dieser Versicherungssumme geschah eine Woche, bevor die Hinterbliebenen der verschwundenen Mercedes-Arbeiter im Prozess gegen die Junta-Kommandanten aussagten. Die Familie Mosquera erschien nicht vor Gericht.

Der Verdacht liegt nahe, dass Schweigegeld gezahlt wurde, um eine öffentliche Zeugenaussage zu verhindern. Aber warum hat Mercedes Benz dieses Schweigegeld – vielleicht ein paar Monatslöhne - nicht einfach gezahlt sondern es die Versicherung zahlen lassen? Das riecht nach Versicherungsbetrug. Ich habe Daimler Chrysler dazu befragt aber keine Antwort erhalten. Bei der Allianz ist man irritiert und will erneut nach Unterlagen über den merkwürdigen „Schadensfall“ suchen. Wahrscheinlich wird man aber das Problem unter Gentlemen „regeln“. Der Betrug wäre ohnehin verjährt und die Versicherungsbranche wird eine öffentliche Diskussion über den finanziellen Preis eines Massenmordes vermeiden wollen. Für die shareholder war ja die Bilanz positiv.

Die Witwen übrigens leben heute von Renten, die 200 Euro nicht übersteigen.

Gabi Weber


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