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Updated: 18.12.2012 15:51
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Juristische Verfahren in Deutschland als Unterstützung für die argentinische Menschenrechtsbewegung

Interview mit Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Berlin, Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e. V. (RAV)

In der Zeit von 1976 bis 1978 wurden mindestens acht, vermutlich 20 Mitglieder des Betriebsrates im Werk Gonzales Catán von Mercedes Benz verhaftet, in Folterzentren verschleppt und ermordet. Seit einigen Jahren wird in verschiedenen Ländern sowohl juristisch als auch politisch versucht, den Konzern und einzelne seiner Funktionsträger dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Die Strafanzeigen des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e. V. (RAV) sind einer dieser Versuche. Aus welcher Motivation heraus hat sich diese Arbeit entwickelt, und wie hängt sie mit dem Vorgehen in den USA und in Argentinien zusammen?

Wir haben 1999 die erste Strafanzeige gegen den Deutsch-Argentinier Juan Tasselkraut hier in Deutschland eingereicht, weil das zu diesem Zeitpunkt DIE erfolgversprechendste ALTERNATIVE war und sich gut in den Rahmen der Argentinienverfahren gefügt hat, die wir, im Rahmen der “Koalition gegen Straflosigkeit” seit 98/99 vor der deutschen Justiz initiiert haben (vgl. dazu www.menschenrechte.org externer Link).

Es ist wichtig, auch politisch darauf aufmerksam zu machen, dass man eben keine ausschließliche Schuldzuweisung an die argentinische Militärdiktatur machen darf, sondern das analysieren muss, was damals deutsche Politik, und was deutsche Wirtschaftskonzerne an Mitschuld getragen haben. Die ersten Recherchen der Journalistin Gaby Weber haben dann schnell gezeigt, dass gerade multinationale Konzerne in Argentinien ihr ganz eigenes Süppchen gekocht haben. Sie haben die argentinische Militärdiktatur für sich die Drecksarbeit machen und unliebsame Gewerkschafter landesweit abräumen lassen, sodass man da insgesamt von einer Enthauptung der argentinischen Arbeiterbewegung sprechen kann.

Nach der ersten Anzeigenerstattung 1999 hat sich eine Gruppe von ehemaligen Gewerkschaftern bei Mercedes Benz gebildet, Wurzeln innerhalb des argentinischen politischen Raumes geschlagen, und sich dann entschlossen, eine Strafanzeige in Argentinien zu erstatten. DieSE ist deswegen besonders HERVORZUHEBEN, weil vorher in Argentinien nur die Militärs und nicht ihre Komplizen aus Wirtschaft und Politik angezeigt wurden.

Als sich abzeichnete, dass die deutschen Ermittlungsbehörden wenig unternehmen und dass die Firma von sich aus keinerlei Anstalten macht, das Geschehen historisch und politisch aufzuarbeiten, haben sich die argentinischen Opfer, die Angehörigen von Verschwundenen und die Überlebenden, dazu entschlossen, eine Zivilklage in den USA einzureichen.

Wie hat denn eigentlich Mercedes Benz/Daimler Chrysler auf die Klagen reagiert?

Daimler Chrysler war von Anfang an schlecht informiert und schlecht koordiniert. Sie hatten überhaupt nicht mit derartigen Verfahren gerechnet. Das PR-Büro von Daimler Chrysler hat einem Spiegel-Journalisten auf dessen Nachfrage nach der Darstellung der Firma geantwortet : ”Was wollen sie denn mit den ollen Kamellen?”

Sie haben nicht begriffen, dass die schweren Menschenrechtsverletzungen in Argentinien auch nach 28 Jahren nicht vergessen sind, sondern, dass man das auch heute nicht nur gerichtlich, sondern auch gesellschaftlich aufarbeiten muss. Sie haben die Dimensionen des ganzen Falles von Anfang an vollkommen unterschätzt.

Anfangs hat Daimler Chrysler sich mit allen Kräften darum bemüht, den Fall unter der Decke zu halten. Als die Ereignisse in Argentinien dann Jahr für Jahr von den kritischen Aktionären bei den Aktionärshauptversammlungen zum Thema gemacht wurden, haben sie versucht, die Öffentlichkeit mit verkürzten und falschen Darstellungen zu täuschen . Aber Lügen haben ja bekanntlich kurze Beine. Es wurde ihnen jedes Jahr die Version des letzten Jahres vorgehalten und schließlich wurden sie dazu gezwungen, eine interne Untersuchungskommission einzuberufen. Nun verstecken sie sich hinter diesem methodisch schlechten und in seinen Schlussfolgerungen nicht überzeugenden Gutachten von Prof. Tomuschat und meinen, damit sei alles zu dem Thema gesagt.

Welche Rolle spielt das Gutachten von Professor Tomuschat für die Prozesse und für die Arbeit der Koalition gegen Straflosigkeit?

Als Jurist ist es mir vollkommen klar, dass Vergangenheitsaufarbeitung nicht nur auf juristischem Wege passiert.

Wir haben zunächst die juristische Schiene genutzt, weil es uns als das vielversprechendste Mittel erschien. Wir haben es darüber hinaus geschafft, diesen Fall gerade in Deutschland bekannt zu machen, so dass die kritischen Aktionäre von Daimler Chrysler und aber auch Teile des Betriebsrates diesen Fall aufgenommen, und letztlich den Gesamtbetriebrat dazu gebrach haben, interne Nachforschungen anzuregen. Dies endete in einem ziemlichen Desaster, weil der durch den Bericht der Wahrheitskommission in Guatemala sehr renommierte und durchaus geschätzte, Volkerrechtsprofessor Christian Tomuschat eine Auftragsarbeit abgeliefert hat, die sowohl von ihrer Methodik her als auch von den Schlussfolgerungen sehr wenig überzeugt.

Wir haben das leider schon im Laufe seiner Arbeiten an dem Gutachten feststellen müssen, weil wir gehört hatten, dass er praktisch gar nicht mit den Hauptpersonen, nämlich denjenigen, die selber Folterhaft erlitten haben, und den Angehörigen der Verschwundenen gesprochen hat. So war es dann auch wenig überraschend, als dann die Ergebnisse vorgestellt wurden, die wir dann auch in der Öffentlichkeit stark kritisiert haben.

Für die Strafverfahren hier in Deutschland war das jetzt nicht unbedingt von größter Bedeutung, Es ist nur sehr schade, weil wir gehofft hatten, durch die Verfahren auch einen Impuls für interne Ermittlungen zu geben, und dass durch die interne Ermittlungen auch neue Informationen für die Strafverfahren nutzbar seien. Da ist aber leider zu wenig passiert, und das ist weder von dem Gutachter noch von der Firma mit dem notwendigen Ernst betrieben worden

In Argentinien sind ja 2003 die Notstands- und Schlusspunktgesetze für nichtig erklärt worden.

Ja. Für alle Strafverfahren in Deutschland spielen die neueren argentinischen Entwicklungen eine sehr große Rolle. Historisch ist zunächst bemerkenswert, dass in Argentinien in den 80er Jahren nach Ende der Diktatur die Militärjunta von einem argentinischen Gericht verurteilt wurde. Es hat kaum ein anderes Land geschafft, eine Militärdiktatur im eigenen Land durch Gerichte in förmlichen Verfahren verurteilen zu lassen. Danach kam es zu einem ziemlichen Rückschlag, denn die Militärs sind begnadigt worden und es sind verschiedene Amnestiegesetze und Strafbefreiungsgesetze verhängt worden. Das Interessante ist, dass die argentinische Menschenrechtsbewegung nicht locker gelassen hat, und in den neunziger Jahren in Europa, unter Anderem in Deutschland, Unterstützung gesucht hat.

Wir haben die juristischen Verfahren in Deutschland nie als Selbstzweck gesehen, sondern es war immer eine Kooperation mit den Argentiniern und unsere Arbeit war als Unterstützung für die argentinische Menschenrechtsbewegung gedacht.

Außerdem sind zwar die Amnestiegesetze, sowohl von einem argentinischem Gericht, als auch im Sommer 2003 durch den Senat für null und nichtig erklärt worden, aber einerseits steht die Entscheidung durch das oberste argentinische Gericht, ob dies überhaupt rückwirkend möglich ist, immer noch aus. Schließlich müssen die Verfahren dann auch rein praktisch durchgeführt werden.
Dies bedeutet einen Riesenkomplex von Verfahren, komplizierten, aufwendigen Verfahren, die dann realisiert werden müssen.

Unsere argentinischen Freunde sagen: “Solange wir das nicht sehen, solange die Typen nicht bei uns vor Gericht stehen, solange brauchen wir auch die Unterstützung und den Druck aus Europa, sowohl von der europäischen Menschenrechtsbewegung als auch von der europäischen Justiz.“
Hauptziel von uns Allen bleibt es natürlich, dass diese Verbrecher in Argentinien vor Gericht gestellt werden.

Nun ist die Situation in Deutschland aber so, dass die Staatsanwaltschaft Nürnberg- Führt alle Verfahren, unter anderem das Verfahren gegen Juan Tasselkraut, eingestellt hat.

Wie so oft: gute Nachrichten und schlechte Nachrichten zur gleichen Zeit. Also einerseits haben wir erreicht, dass internationale Haftbefehle gegen die überlebenden Junta-Chefs Massera und Videla vom Amtsgericht Nürnberg Fürth erlassen wurden und die Bundesregierung deren Auslieferung betreibt. Das war schon ein sehr großer Erfolg war, auch weil sie als mittelbare Täter dieses Massenmordes angesehen wurden, was eine sehr weitgehende Entscheidung ist, weil damit der Apparat der Militärdiktatur als Unrechtsregime qualifiziert wurde.

Aber nach sechs Jahren Prozessen ist der Staatsanwaltschaft in Nürnberg scheinbar die Luft ausgegangen. Außerdem haben sie gedacht, dass wir und die Argentinier inzwischen zufrieden sind und dass man die Verfahren leise beenden kann.

Sie haben unterschätzt, dass es für die Argentinier noch äußerst wichtig ist, dass hier Strafverfahren betrieben werden. Deswegen ist es für uns klar: Die Verfahren sind zwar eingestellt, aber wir haben die Einstellungen nicht akzeptiert, und versuchen auf allen Ebenen, also auch auf der politischen Ebene, die Wiederaufnahmen der Ermittlungen zu erreichen.
Für den Fall Juan Tasselkraut bedeutet dies, dass zwei verschiedene Rechtsmittel von uns anhängig gemacht wurden. Zum Einen haben wir der Staatsanwaltschaft gesagt: “Es sind von euch nicht alle Erkenntnisquellen ausgeschöpft worden, ihr habt noch sehr viel Material unbeachtet gelassen, nehmt mal ganz schnell das Verfahren wieder auf, nehmt euch die Zeugen, lest euch das Material durch, und kommt dann zu einer vernünftigen Entscheidung“. Zum zweiten haben wir in einem förmlichen Klageerzwingungsverfahren beim Oberlandesgericht Nürnberg den Antrag eingereicht, die Staatsanwaltschaft anzuweisen, Anklage gegen Juan Tasselkraut wegen Beihilfe zum Mord an Diego Nunez zu erheben. Beide Verfahren sind im Juli 2004 begonnen worden und bisher ist noch nichts entschieden.

Die Klage in den USA ist eine zivile Schadenersatzklage. Warum eine Schadenersatzklage? Welche Konsequenzen hat das für andere Strafverfolgungsprozesse, insbesondere in Argentinien?

Es ist üblich, dass Strafverfahren und Zivilverfahren entweder parallel oder zeitversetzt durchgeführt werden. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist es nichts besonderes, dass in mehreren Ländern Klagen anhängig gemacht werden. Das Wichtige in unserem Fall ist, dass die verschiedenen Verfahren in den verschiedenen Ländern dazu beigetragen haben, insgesamt beachtliches Material über die Verwicklung von Daimler Chrysler in das Verschwindenlassen von Gewerkschaftern zu bekommen. Das ist die Grundlage für die Zivilklage in den USA.

Diese Zivilverfahren in den USA dauern lange. Daher weiß man ebenso wenig wie bei den Strafverfahren in Deutschland und Argentinien, ob sie tatsächlich am Ende von Erfolg gekrönt sein werden. Das Signal lautet aber für Mercedes Benz und für andere Firmen, die gerade aktuell in anderen Ländern ihre Schweinereien betreiben: “Wir beobachten eure Aktivitäten. Wir klopfen euch auf die Finger. Wir lassen nicht locker und wenn es sein muss, verklagen wir euch dort, wo es vernünftige rechtliche Möglichkeiten gibt. Ihr kommt aus diesem Prozess nicht unbeschadet davon!” Daher lautet die erste Zwischenbilanz: Daimler-Chrysler/Mercedes Benz ist nicht unbeschadet aus diesen fünf Jahren hervorgegangen, sie müssen sich in der Öffentlichkeit massiv für das verantworten, was sie in Argentinien zwischen 1976 und 1983 getrieben haben und sie sind, unter anderem auch deswegen, weil sie sich auch heute nicht damit auseinandergesetzt haben, ein negativer Präzedenzfall für die Beteiligung eines multinationalen Konzerns an Menschenrechtsverletzungen einer autoritären Diktatur.

Was bedeutet der Fall der Verschwundenen von Mercedes Benz für die internationale Menschenrechtsarbeit?

Der Fall ist mittlerweile als ein sehr wichtiger Prozess gegen multinationale Konzerne einzuschätzen. Er reiht sich ein in etwa 60 bis 70 ähnliche Verfahren, die vor allem in den USA in den letzten zwei Jahrzehnten gelaufen sind. Der Fall ist in eine Reihe von Strafverfahren gegen staatliche Menschenrechtsverletzer einzuordnen, die vor den verschiedensten Gerichten in den letzten Jahren geführt worden sind. Es ist spannend, dass man es gerade in Argentinien geschafft hat, die Verantwortlichkeit eines solchen Konzerns für Menschenrechtsverletzungen herauszustellen. Die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen kann auf der einen Seite juristisch passieren. Auf der anderen Seite muss das auch gesellschaftlich politisch diskutiert und aufgearbeitet werden. Es kommt uns ja auch nicht nur darauf an, dass vergangene Unrecht aufzuarbeiten. Dies ist sicherlich für die Opfer und die Familienangehörigen ungeheuer wichtig. Es ist aber auch deswegen notwendig, weil solche Fälle der Straflosigkeit für die Vergangenheit immer auch eine Hypothek für aktuelle und zukünftige soziale Auseinandersetzungen sind. Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen kann eine Gesellschaft vergiften. Es muss auch deutlich werden, dass es multinationale Unternehmen gibt, die um des Profites willen Menschenrechtsverletzungen in Kauf nehmen oder gar selber initiieren. Das ist ein Wissen, welches man in den aktuellen politischen und sozialen Auseinandersetzungen verbreiten muss. Wir dürfen nicht nur auf die Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Akteuren achten, sondern müssen auch die Finanzeure und Profiteure dieser Zustände denunzieren und zivil- und strafgerichtlich zur Verantwortung ziehen.

Das Interview führte Lisa Carstensen.


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