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Updated: 18.12.2012 16:07
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Israel: Der Mythos vom effizientesten Geheimdienst der Welt. Vom edlen Rächer zum moralischen Hochstapler?

Gaby Weber

Der israelische Premierminister, David Ben Gurion, hat nie behauptet, dass seine Regierung den Kriegsverbrecher Adolf Eichmann entführt hat. Diese Version kam in der Presse auf und mit der Zeit gefiel sich der Mossad in der Rolle des edlen Rächers, der, allein um der Gerechtigkeit willen, internationale Gesetze bricht. Ab 1975 veröffentlichen drei Mossad-Agenten, unter ihnen der Chef des Geheimdienstes, Isser Harel, Bücher, in denen sie detailliert beschreiben, wie sie nach jahrelanger Suche Eichmann schliesslich gefunden, vor seiner Haustür entführt und in der El Al Maschine ausser Landes geschafft haben wollen. Auf seiner homepage ( www.mossad.gov.il externer Link- "history") feiert der Mossad seine Heldentat. Viel davon ist frei erfunden. Die israelische Regierung dementierte aber nicht. Sie rechtfertigte ihre geheimen, ungesetzlichen Aktionen gegen Palästinenser mit dem Hinweis auf die ebenfalls illegale, aber moralisch gerechtfertigte Entführung Eichmanns.

Steven Spielberg läßt in seinem Dokumentarfilm "München" mehrere Male Golda Meir auftreten und das illegale Vorgehen gegen die Mitglieder des Kommandos "Schwarzer September", die 1972 bei der Olympiade in München israelische Sportler ermordet hatten, mit den Worten rechtfertigen: "So wie wir für Gerechtigkeit bei Eichmann gesorgt haben, sorgen wir auch für Gerechtigkeit bei den palästinensischen Terroristen".

Viel wurde geschrieben über Eichmann, Bücher und Drehbücher, und immer auf der Grundlage der Mossad-Darstellung. Gerät diese Darstellung ins Wanken, fällt auch die Figur des "noblen Rächers" und der Mossad wirkt wie moralischer Hochstapler.

Es ist eine historische Tatsache, dass die israelische Regierung jahrelang gewusst hat, dass Eichmann in Argentinien lebte und keinen Finger rührte. Dem Nazijäger Simon Wiesenthal war dies seit 1952 bekannt und er versuchte vergeblich, die israelischen Behörden zur Aktion gegen den Kriegsverbrecher zu bewegen. Ab 1957 teilte der deutsche Emigrant Lothar Hermann seinen Aufenthalt dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer mit, und der informierte mehrfach die Regierung in Tel Aviv. Aber nichts passierte. Wiesenthal schrieb in seinen Memoiren: "Die Israelis hatten kein Interesse mehr an Eichmann, sie mussten sich im Überlebenskampf gegen Nasser behaupten."

Interesse hatten die Israelis vor allem am Bau einer eigenen Atombombe.

In den fünfziger Jahren sah das US State Department die Regierung in Tel Aviv keinesfalls mit grösserer Sympathie. Es galt die Doktrin von Harry Truman, in den Nahen Osten keine Waffen zu liefern. Deshalb suchte Ben Gurion technologische Unterstützung für sein erstes Atomkraftwerk Dimona bei den Franzosen. Dem israelischen Angriff auf Ägypten in der Suezkrise war ein Abkommen mit Frankreich vorausgegangen.

Aber Paris wurde von den USA unter Druck gesetzt. 1958 gelangte Charles de Gaulle an die Regierung und, um sein eigenes Atomprogramm zu retten, kündigte er das Abkommen über nukleare Zusammenarbeit mit Israel. Ben Gurión schickte Simón Peres nach Argentinien, Gabun und Südafrika, um dort Natururan zu kaufen. Seine Verhandlungen mit der Regierung von Arturo Frondizi liefen derart gut, dass am 9. Mai 1960, zwei Tage vor dem Verschwinden Eichmanns, ein Auslieferungsabkommen unterzeichnet wurde. Eigentlich ein viel zu gutes Verhandlungsklima, um es für einen "in der Pampa verlorenen" Nazi zu riskieren.

Deshalb war Frondizi, Zeitzeugen zufolge, ausser sich vor Wut, als Ben Gurion am 23. Mai 1960 in der Knesset verkündete, dass sich Eichmann in israelischer Haft befinde und dass man ihm einen Prozess machen würde. Es war bekannt, dass Eichmann in Argentinien gelebt hatte, und die Presse schrieb von "Entführung", was eine gravierende Verletzung der argentinischen Souveränität bedeutete. Wenige Tage später schrieb Ben Gurion an seinen Amtskollegen. Auch wenn er nicht ausführte, wie Eichmann nach Israel gelangt war, entschuldigte er sich. Er erwähnte eine "Gruppe von Freiwilligen", die "nach einer langen Suche ihr Werk zu Ende gebracht haben".

Ben Gurion hat auch nie verraten, was ihn "überzeugt" hatte, nach jahrelangem Desinteresse den Kriegsverbrecher doch entgegen zu nehmen, und wer ihn "überzeugt" hatte. War es Standard Oil gewesen, der einen Mitwisser beseitigen wollte, der vom geheimen Pakt mit den Nazis wusste und angefangen hatte zu reden? Dies ist möglich, aber nicht zwingend. Auch für Israel war der gesprächige Nazi zu einem unkalkulierbaren Risiko geworden.

Was hätte Eichmann auspacken können? Die Zusammenarbeit der Nazis mit der Zionistischen Bewegung in den dreissiger Jahren? Sie hatte ein gemeinsames Interesse verbunden: die Vertreibung der Juden aus Europa und die Einwanderung von Juden nach Palästina - für Kenner der Geschichte kein Geheimnis. Ben Gurion hatte klar gesagt: "Es ist nicht Aufgabe des Zionismus, den Teil Israels zu retten, der sich in Europa befindet, sondern das Land Israel für das jüdische Volk zu retten. Die Führung der Jewish Agency ist davon überzeugt, dass eine Minderheit, die gerettet werden kann, nach den Bedürfnissen des zionistischen Projekt in Palästina ausgewählt werden muss".

Während die Anti-Faschisten zum weltweiten Boykott gegen das Hitlerregime aufriefen, schlossen das Reichswirtschaftsministerium mit der Jewish Agency und der Zionistischen Vereinigung im Sommer 1933 das Haavara-Abkommen. Es erlaubte ausreisewilligen Juden, einen Teil ihres Besitzes (mindestens 1.000 Pfund Sterling) in Form von deutschen Waren nach Palästina zu transferieren. Ben Gurion und Golda Meir sollen an der Haavara Company in Tel-Aviv beteiligt gewesen sein.

Das Abkommen ermöglichte 52.000 wohlhabende Juden, sich selbst und ihr Vermögen zu retten. Und die transferierten 140 Millionen Reichsmark waren für die jüdischen Siedlungen in Palästina eine wichtige Finanzspritze. Die SS und Eichmann im "Judenreferat" halfen bei der Auswanderung der deutschen und österreichischen Juden aktiv mit, Eichmann traf sich 1937 mehrere Male mit Anführern der Haganah in Kairo, um Details des Finanztransfers zu erörtern. Diese Details wurden nie bekannt.

Eichmann blieb Verhandlungsführer mit den Zionisten, auch in seiner Zeit in Ungarn (1944), als er eine Million Juden, die schon für den Abtransport nach Auschwitz vorgesehen waren, gegen 10.000 Lastwagen für die Ostfront eintauschen wollte. Ben Gurion unterstützte diesen Deal, der von den Alliierten abgelehnt wurde. Danach verhandelten Eichmann und sein Vorgesetzter, SS-Standartenführer Kurt Becher, in Budapest mit wohlhabenden Juden über ihre Ausreise. Und immer ging es um Geld. Über diese Finanztransaktionen hätten Eichmann und Becher sicher viel sagen können. Becher lebte nach dem Krieg als erfolgreicher Geschäftsmann in Bremen, ohne dass Israel jemals seine Auslieferung gefordert hatte. Er war geschützt, er schwieg. Und Eichmann hatte zu reden begonnen.

Nach dem Eichmann-Prozess übrigens haben sich die diplomatischen Beziehungen zwischen Washington und Tel Aviv deutlich verbesserten, auch was die militärische Zusammenarbeit anging. Im Weissen Haus störte man sich fortan nicht mehr daran, dass die Israelis offensichtlich über eine Atombombe verfügten.

Ich habe seit fast einem Jahr die israelische Regierung um einen Kommentar zu der Version des Mossad gebeten, zunächst über israelische Botschaften. Ich habe auch Einsicht in die geheimen Protokolle und Verhöre mit Eichmann zwischen dem 11. und 21. Mai 1960 in Uruguay beantragt. Ebenfalls keine Antwort. Ich habe den Premierminister, die parlamentarische Kontrollkommission und direkt den Mossad (www.mossad.gov.il externer Link - "contact us") gefragt und keine Antwort erhalten.

Allerdings hat der Mossad seit meiner Anfrage seine "Heldentat" - die Eichmann-"Entführung" - von seiner homepage entfernt.

Fortsetzung: Argentina: Wozu so viel Theater? Weshalb wurde der geschwätzige Eichmann nicht einfach erschossen? Wer hatte Interesse am Märchen von der Entführung?


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