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Updated: 18.12.2012 15:51
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Höllenhund und Höllenschlund

Daimler macht Deal mit Cerberus auf Kosten der Chrysler-Beschäftigten

von Winfried Wolf 16.05.2007

Viel Wohlfeiles wurde über die Symbolik des Namens des Finanzinvestors, der demnächst gut 80 Prozent der Anteile an dem Autobauer Chrysler halten wird, geschrieben. Immerhin handle es sich bei Cerberus in der griechischen Mythologie um den Höllenhund, der den Eingang zur Unterwelt, zum Hades, bewacht. Die Wirklichkeit ist eher banal: Chrysler und hier vor allem die Beschäftigten bei Chrysler sind die Verlierer in einer erbitterten internationalen Konkurrenz in der Autobranche. Sie werden in den Höllenschlund der Kapitalvernichtung - der Zerstörung zehntausender Arbeitsplätze, der Vernichtung angesammelter Ansprüche auf Pensionen und auf Gesundheitsversorgung in Höhe von Dutzenden Milliarden Euro - gestoßen.

Dieser klassische "kreative Zerstörungsprozess" bildet das Gegenstück zu den sich auftürmenden Profiten der Konzerne und Banken - und zwar der Profite der "unproduktiven" Finanzinvestoren ebenso wie der Profite der "produktiven" Investoren. Der Aktienkurs der DaimlerChrysler AG vollführte nach der Ankündigung der Übernahme von Chrysler durch Cerberus einen Sprung nach oben - mit einem kurzzeitigen Plus von 7,8 Prozent. Allein dieser DAX-Hüpfer dürfte ein paar Insider-Leuten Dutzende Millionen Euro auf das Konto gespült haben.

Der DaimlerChrysler-Chef Dieter Zetsche, der persönlich die größte Verantwortung für die Krise des Tochterunternehmens in den USA trägt, hat unter den am Ende noch bestehenden zwei Verkaufsmöglichkeiten konsequenterweise diejenige gewählt, die für die Beschäftigten die schmerzlichste ist. Ein Verkauf an den Autozulieferer Magna, zu dem sich in den letzten Tagen noch der russische Finanzinvestor Oleg Deripaska gesellte, hätte dann weit mehr Sinn gemacht, wenn auf die bestmögliche industrielle Perspektive für Chrysler abgezielt worden wäre. Immerhin ist Magna maßgeblicher Chrysler-Zulieferer; gleichzeitig hätte auf diese Weise Chrysler einen Zugang zum russischen Markt erhalten, da Deripaska Eigentümer des zweitgrößten russischen Autoherstellers, des Unternehmens Gaz, ist. Ohne Zweifel war das Bündnis von Magna mit dem russischen Oligarchen problematisch - hier sollen sich heftige Einwände der US-Aufsichtsbehörden abgezeichnet haben. Doch Daimler hätte Magna dazu drängen können, diese Liaison wieder aufzugeben. Vor allem wäre es sinnvoll, dass die Arbeitnehmervertreter und die involvierten Gewerkschaften, in den USA die UAW und in Kanada die CAW, auf ein Zusammengehen mit Magna gedrängt hätten. Tatsächlich gab UAW-Chef Gettelfinger wenige Tage vor der Bekanntgabe des Deals Cerberus-Daimler sein Jawort zum Zusammengehen mit dem Höllenhund.

Zetsche allerdings handelt nach den Interessen des deutschen Konzerns. Indem er Chrysler abstößt, werden sich Daimler und Chrysler bald wieder als Konkurrenten gegenüberstehen - auf den Märkten in den USA, in Russland und international. Also macht die Übergabe an den Höllenhund und das Hineinstoßen in den Höllenschlund durchaus Sinn.

Aus Sicht des Daimler-Managements war der Ausstieg bei Chrysler inzwischen logisch. Das nun wieder rein deutsche Unternehmen kann sich auf diese Weise aus dem Chrysler-Engagement ohne größere Verluste befreien. Der Stuttgarter Konzern zahlt netto rund 1,5 Milliarden Euro an Chrysler bzw. Cerberus (Es ist nicht zutreffend, dass Daimler etwas von Cerberus erhält. Die entscheidende Zahlung von Cerberus geht an Chrysler, was jedoch Teil der Cerberus-Gruppe sein wird, sodass hier das Prinzip "linke Tasche-rechte-Tasche" gilt). Die Radikalsanierung, die bei Chrysler in Bälde unter Einschluss des Verzichts auf die Zahlungen für Pensionen und für die Gesundheitsversorgung ansteht, hätte das Unternehmen Daimler nicht ohne unkalkulierbaren Imageschaden durchziehen können. Der Name Cerberus hingegen bürgt für die entsprechend Drecksarbeit-Qualität.

Die Behauptung, Daimler hätte für das Chrysler-Engagement draufgezahlt, ist fragwürdig. In dem neunjährigen Zeitraum seit der Bildung von DaimlerChrysler im Jahr 1998 erwirtschaftete Chrysler gut 12 Milliarden Euro Gewinne und rund 6 Milliarden Euro Verluste. Selbst wenn 2007 nochmals dicke Chrysler-Verluste anfallen, gibt es über den gesamten Zeitraum hinweg netto kein Minus. Dies betont auch Dieter Zetsche zu Recht. 2004 und 2005 war es sogar so, dass allein durch die Chrysler-Gewinne bei der gesamten DaimlerChrysler-Bilanz rote Zahlen vermieden werden konnten. Die Behauptung, Daimler habe 1998 rund 36 Milliarden US-Dollar für den Kauf von Chrysler hingelegt und dieses Geld sei nun gewissermaßen verdampft, ist problematisch. Zunächst ist festzuhalten, dass Daimler nie einen Dollar für Chrysler bezahlt hat. Vielmehr gab es 1998 eine Unternehmensneugründung, eine Verschmelzung beider Unternehmen auf die neue Firma und eine Kapitalerhöhung. Im neuen Konzern DaimlerChrysler hielten dann die ehemaligen Chrysler-Eigentümer gut 40 Prozent der Anteile. Dies war die "Bezahlung" für den Deal. Diejenigen US-Großaktionäre, die diese Anteile behalten haben, erlitten in der Folgezeit natürlich auch Verluste. Vor allem aber ist der heute deutlich niedrigere Wert des DaimlerChrysler-Unternehmens zu einem erheblichen Maß auf den Einbruch aller Aktienkurse, den es 2001 bis 2003 gab, zurückzuführen.

Richtig ist "nur": Die Rendite bei DaimlerChrysler konnte nach der Übernahme nicht auf dem alten Niveau gehalten und schon gar nicht, wie erhofft, gesteigert werden. Indem Chrysler in den Höllenschlund gestoßen wird, gelangen wieder hohe Renditeerwartungen ins Visier der großen und kleinen Aktionäre.

Die Situation ist tatsächlich ebenso bizarr wie bezeichnend für das Wirken und Wüten des Kapitals: Daimler wird ohne Chrysler einen Umsatz von immerhin 47 Milliarden Euro und einen Absatz von 2,6 Millionen Autos verlieren. Doch der Kapitalwert des Unternehmens, der derzeit bei 47 Milliarden Euro liegt, dürfte bis zum Herbst, wenn die Trennung vollzogen ist, auf deutlich über 50, wenn nicht 60 Milliarden Euro ansteigen. Vorausgesetzt natürlich, dass die Kurse nicht wieder wie 2001ff einbrechen.

Legendenbildung

Der Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche wird an der deutschen Börse als kühler Kopf mit Sinn für das Notwendige gefeiert. Der Cerberus-Berater Wolfgang Bernhard wird an den Finanzmärkten als Chefstratege bei dem Großdeal zwischen dem Schnurrbärtigen und dem Höllenhund gelobt. Und immer wieder liest und hört man, Schuld an der Chrysler-Krise sei die notorisch falsche Modellpolitik. Wie wahr! Im vergangenen Jahr 2006 liefen bei Chrysler 2,7 Millionen Pkw von den Montagebändern, von denen mehr als zwei Millionen benzinschluckende Sport and Utility Vehicles (SUVs), also schwere Geländewagen, Minivans und Pickups, waren.

Doch derjenige, der in der Ära DaimlerChrysler die längste Zeit an der Spitze des Unternehmens Chrysler stand, war Dieter Zetsche. Er war im gesamten Zeitraum 2000 bis 2005 der Chrysler-Boss. Noch vor einem Jahr kreierte das Unternehmen Chrysler eine Werbekampagne, in der ein "Dr. Z." als netter Onkel von nebenan mit deutschem Akzent US-amerikanisch sprechend, für die Chrysler-Autos warb. Zetsche persönlich machte PR für die "falsche Modellpolitik". Und in all den Zetsche-Chrysler-Jahren war der Mann an seiner Seite Wolfgang Bernhard - als Ratgeber, als Vertrauter und als knallharter Chrysler-Top-Manager, der die Vorgaben von Schremmp und Zetsche kompromisslos durchsetzte. Es war der angebliche Erfolg bei Chrysler, der Zetsche als Schrempp-Nachfolger an die Spitze des gesamten Konzerns spülte. Und es war der angebliche Erfolg der Chrysler-Sanierung, weswegen Bernhard als Top-Mann zu VW wechselte, wo er dann Anfang 2007 nach einem Wechsel an der Konzernspitze ausschied.

Eine andere Begründung für den Ausstieg von Daimler bei Chrysler besagt, die Chrysler-Übernahme habe nie Sinn gemacht, da es zwischen dem "Premiumhersteller" Mercedes und einem "Hersteller von billigen Mittelklassewagen" keine Synergieeffekte geben könne. Solche Behauptungen werden tagtäglich durch die Plattformstrategien bei anderen Autokonzernen, etwa zwischen Audi, Porsche, VW und Skoda, widerlegt. Richtig ist allerdings, dass es nach dem Ausstieg von DaimlerChrysler bei Mitsubishi Motors (2004) und nach der Aufgabe des 10,5-Prozent-Anteils von DaimlerChrysler an Hyundai (2005) einen massiven Bruch in der Orientierung auf Synergien gab, was im übrigen die Krise beim Kleinwagen Smart verschärfte.

Es ist schon so: Der rein betriebswirtschaftliche Grund für das Scheitern der Vereinigung waren Managementfehler, für die Top-Leute verantwortlich zeichnen. Doch Zetsche präsentiert sich derzeit als derjenige, der von einer anderen Warte aus radikale Schlußfolgerungen aus der "falschen Modellpolitik bei Chrysler" und aus der "Unvereinbarkeit des Zusammengehens von Premiummarke mit Massenhersteller" zieht. Und Bernhard berät den Höllenhund mit seinem Insiderwissen, wie aus den Chrysler-Beschäftigten mehr auszupressen und wie von ihnen mehr abzupressen ist. Neues Spiel, neues Glück - und niemand kümmert sich um das Geschwätz und die Jobs von gestern.

Ende der "Welt AG" - Renationalisierung

Der Ausstieg von Daimler bei Chrysler wird als "Ende der Welt AG" bezeichnet. Zumal es zwei Jahre zuvor bereits Vergleichbares bei Mitsubishi gab. Tatsächlich konnte man 1998 im "Spiegel" lesen, was später ein größerer Teil der globalisierungskritischen Bewegung verallgemeinerte: "Mit der Fusion von Daimler-Benz und Chrysler entsteht eine Wirtschaftswelt, die kein Zuhause mehr kennt." Der damalige Konzernchef Jürgen Schrempp lobte die neue Gleichberechtigung: "Dies ist keine Übernahme; wir erleben den Zusammenschluss von Gleichstarken." Die Fusion DaimlerChrysler stand demnach für die neue Form des angeblich "internationalen Kapitals".

Doch es gab 1998 keine Fusion. Es handelte sich vielmehr von vornherein um eine Übernahme, bei der am Ende die deutsche Daimler Benz AG 54 Prozent des Aktienkapitals der neu gebildeten DaimlerChrysler AG hielt. Bei dem Kasperle-Theater mit einer gleichberechtigten Führung von Jürgen Schrempp und Bob Eaton, mit zwei Firmensitzen in Detroit und Stuttgart, mit einer gemeinsamen Konzernsprache Englisch fiel spätestens 1999 der Vorhang: Das komplette alte Chrysler-Management verließ, reichlich mit Abfindungen versehen, die Company, die Konzernzentrale blieb das "bullshit castle" (Schrempp) in Stuttgart-Untertürkheim und das vorherrschende Idiom im Top-Management war und blieb das Badisch-Schwäbische, gelegentlich ergänzt um ein bemühtes Schulenglisch. Das "Amerikanische" allerdings hielt insofern Einzug im deutschen Konzern DaimlerChrysler (und bald auch in den Top-Etagen der übrigen deutschen Konzerne), als mit der Übernahme von Chrysler durch Daimler-Benz nun die Prinzipien des "shareholder value", die Orientierung an sehr kurzfristigen Renditezielen und die Verdreifachung der Gehälter im Top-Management Teil der allgemeinen Konzernkultur wurden.

Letzten Endes ist für das Scheitern des Zusammenschlusses Daimler-Chrysler ein ganz anderer Aspekt maßgeblich: Kapital ist zwar international agierend und insofern global ausgerichtet. Gleichzeitig sind jedoch die Großaktionäre und das Top-Management der großen Konzerne Teil der jeweiligen nationalen herrschenden Klassen. In der Konsequenz sind Zusammenschlüsse von Konzernen mit stark unterschiedlichen Traditionen und Kulturen weit mehr vom Scheitern bedroht als solche innerhalb eines nationalen Rahmens oder innerhalb eines Blocks wie der EU. So lautet auch das Ergebnis einer jüngeren Studie der Cass Business School in London. Danach entwickelten sich die Aktienkurse bei Fusionen von Unternehmen innerhalb eines Landes durchschnittlich um mehr als 10 Prozent besser als der Gesamtmarkt, wohingegen internationale Mergers eine unterdurchschnittliche Kursentwicklung aufwiesen. Am schlechtesten ist nach dieser Studie die Bilanz bei transatlantischen Zusammenschlüssen.

Bislang kam es nirgendwo zur Bildung wirklich "multinationaler" oder "transnationaler Unternehmen" und schon gar nicht zu einem "internationalen Kapital". Diese Begriffe sind ideologisierend; sie verzerren die Wirklichkeit. Gerade weil die Konzerne in Staaten eingebunden sind und weil sie diese Einbindung instrumentell nutzen, gibt es neben der Konkurrenz zwischen den einzelnen Konzernen die Konkurrenz zwischen Staaten und Blöcken - die Militarisierung und die daraus resultierenden Kriege eingeschlossen.

Die Verankerung der großen kapitalistischen Konzerne in einer "nationalen" Kultur und Klasse hat selbstverständlich wenig mit Patriotismus und viel mit Opportunismus zu tun. Dies brachte der ehemalige Chrysler-Boss Lee A. Iacocca 1985 gut auf den Punkt: "Das kapitalistische System ist das beste Wirtschaftssystem, das die Welt je gekannt hat. Ich bin 100 Prozent dafür. Ich bin allerdings der erste, der zugibt, dass ich immer die Republikaner favorisiert habe, wenn die Geschäfte gut gelaufen sind und ich viel verdient habe. Aber seit ich zu Chrysler gekommen bin, tendiere ich mehr zu den Demokraten." Es war die Regierung unter US-Präsident Jimmy Carter, die Chrysler 1979 einen Milliarden-Kredit gewährte, der damals das Überleben des Autobauers ermöglichte.

Dem heutigen Unternehmen Chrysler wird die gegenwärtige US-Regierung oder eine zukünftige keinen Kredit und keine Überlebenshilfe mehr geben. Umgekehrt wird eine Brutalsanierung bei Chrysler, die Cerberus angehen wird, dazu genutzt werden, um insgesamt eine Restrukturierung der US-amerikanischen Autoindustrie, die sich in einer tiefen Krise befindet, anzugehen. Jedes neue Zugeständnis bei Chrysler wird in Kürze als Waffe gegen die Beschäftigten bei General Motors und bei Ford eingesetzt werden. Und ausgehend von Nordamerika wird dieser Prrozess auf Europa übergreifen und dort zunächst auf die US-Fabriken von GM/Opel und Ford.

Eine Spirale nach unten bei den Arbeitsverhältnissen und den sozialen Sicherungssystemen soll in Gang gesetzt werden. Und es wird bei dieser Spirale nach unten aus Sicht der Bosse kein Ende geben - es sei denn, die Beschäftigten selbst gehen zur gemeinsamen Gegenwehr über.


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