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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Wie weiter Gewerkschaftslinke? Die Frage steht: Müssen diese Gewerkschaften erst ganz zugrunde gehen und wird erst aus dem Schutt eine neue Kraft entstehen, um die sich die Massen scharen? Oder haben wir , die Gewerkschaftslinken, die Kraft und die Phantasie, den Zerfallsprozeß innerhalb der Gewerkschaften zu stoppen? In Großbritannien mußte Mrs. Thatcher in den 70er Jahren die Gewerkschaften , zuerst die Bergarbeiter, buchstäblich niederringen, ehe sie in einer Vorreiterrolle in den westlichen Industriestaaten die neoliberale Wirtschaftspolitik einführen konnte. In Deutschland brauchen die Gewerkschaften nicht niedergerungen zu werden, hier begeben sich die Gewerkschaftsführungen freiwillig auf die Plattform der Regierung anstatt den Widerstand gegen die Elendsstrategie von Kapital und Regierung zu organisieren. Das Kapital und seine Helfer wollen ein anderes Deutschland, eine andere EU. Bleiben wir bei Deutschland. Die Löhne und Sozialleistungen werden gesenkt, Senkung nach unten offen. Welchen Arbeitnehmerschichten die Löhne stark, welchen weniger stark und welchen Personengruppen sie sogar erhöht werden, soll nur noch Entscheidung der Unternehmensspitze sein: Ergebnis von Einzelverhandlungen zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmer, evtl. noch Unternehmensleitung und Belegschaftsvertretern. Deshalb die verstärkte Auflösung von Flächentarifverträgen. Das Szenario, daß heute von Kapital- und Regierungsseite durchgesetzt wird, ist kein neues Denkprodukt sondern hat einen jahrzehntelangen Vorlauf, ist Kerninhalt der Milton Friedman Denkschule und seiner Chikago-boys, war gedacht als Gegenstragie zu Keynes Nachfragetheorie. Als erster, quasi experimentiell, praktizierte Pinochet die Friedman-Theorie, dann Thatcher, dann Reagan in den USA. Der Neo-Liberalismus, wobei Liberalismus völlige Freiheit fürs Kapital bedeutet, ist also kein naturhafter Prozeß, als der er uns dargestellt wird sondern eine Strategieänderung des Kapitals. Der Keynesianismus (in der BRD auch rheinischer Kapitalismus genannt), war nur ein „Wimpernschlag der Geschichte“. Jeder Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, Kranke, Rentner, Normalbeschäftigte spürt inzwischen die Folgen der Agenda 2010, von Hartz I-IV. Daß alle diese Kürzungsmaßnahmen nicht spontane Eingebungen dieser Regierung sind, sehen wir, wenn wir das Buch von H.P. Martin und H. Schumann lesen: Die Globalisierungsfalle. Es ist schon 1996 erschienen. Martin/Schumann schildern darin eine Konferenz der führenden 500 Wirtschaftsführer, Politiker und Wissenschaftler, die 1995 aus aller Welt nach San Franzisco eingeflogen wurden. Der neue „globale Braintrust“ sollte die Wege weisen ins 21. Jahrhundert, „unterwegs zu einer neuen Zivilisation“. (Dieser Anspruch wurde von Gorbatschow formuliert, dem das US-Kapital eine Stiftung finanziert hatte und der als Gastgeber auftrat). Drei Tage lang sollte hochkonzentriert im Hotel Fairmont, hoch über der Bucht von San Franzisko nachgedacht werden über die Zukunft der Welt. „Die Zukunft verkürzen die Pragmatiker im
Fairmont auf ein Zahlenpaar und einen Begriff: `20 zu 80` und `tittytainment`“... Der Ausdruck Tittytainment wird von Zbigniew Brzezinski
kreiirt und sein Sinn wird von allen sofort begriffen: betäubende
Unterhaltung und ein bischen Milch, wenn das baby anfängt zu schreien.
Saßen da vor zehn Jahren politische Spinner zusammen, Bush sen,, Thatcher, Carter, Gorbatschow, Brezinski, die nur Horrorvisionen sponnen? Oder befinden wir uns heute mitten im Realisierungstadium der damaligen Denkprozesse, bis in Einzelheiten hinein? Schröder, Eichel, Fischer waren damals nicht dabei, sie haben wahrscheinlich nicht mal die Protokolle gelesen (nur ein deutscher Politiker war dabei: Biedenkopf). Aber sicher hat es nicht nur diese eine sondern viele derartige Konferenzen gegeben. Von dieser allerdings ist uns ein anschaulicher Bericht von Martin/Schumann zugänglich. Unter Gewerkschaftslinken wurde und wird stark darüber gegrübelt, warum ausgerechnet die SPD die Verelendungsstrategie des Kapitals in Deutschland umsetzt und es fiel den meisten die Kinnlade runter als die Gewerkschaftsführungen von Frühjahr 2004 an diesen Kurs offen flankierten. Im Herbst 2003 hatte noch die Gewerkschaftslinke, zusammen mit attac u.a. die Demonstration in Berlin organisiert, an der 100 000 Menschen teilnahmen. Im April gab es dann in drei Städten Demonstrationen mit mehr als 500 000 Teilnehmern, organisiert vom DGB und den Spitzen einiger Einzelgewerkschaften. Die Gewerkschaftslinken sahen sich bestätigt und meinten, sie hätten dafür gesorgt, daß die Gewerkschaftsspitzen nun endlich in die Hufe kämen und das täten, was ihre Aufgabe sei: Sich an die Spitze zu stellen des Widerstandes gegen Sozialabbau und Lohnkürzungen! DGB-Vorsitzender Sommer kündigte einen heißen Sommer an. Statt Fortsetzung und Steigerung des Kampfes gab es nur heiße Luft: Unterschriftenlisten in den Betrieben. Und bald auch Kotauerklärungen gegenüber Kanzler Schröder. Die Kollegen von bestorganisierten Betrieben, Siemens, Daimler, Opel wurden fallengelassen; die Arbeitslosen, die im August mit Demonstrationen begannen, wurden nicht nur nicht unterstützt sondern verhöhnt. Das hatte bei den aktiven Gewerkschaftslinken eine drastische Ernüchterung zur Folge, die Einsicht, daß keine Aktivitäten des Widerstandes von den eigenen Gewerkschaftsführern zu erwarten seien, daß ihnen die Eintracht mit ihren sozialdemokratischen Genossen in der Regierung wichtiger ist als die Interessen der Mitglieder zu vertreten. Unsere nächste Konferenz Die Enttäuschung der Gewerkschaftslinken hat sich ausgedrückt auf unserer Konferenz am 14./15. Januar in Stuttgart, und zwar positiv, einmal in einer starken Zunahme der Teilnehmerzahl und zum anderen in einer Aufbruchstimmung. Demnächst werden wir uns erneut treffen und die Konferenz fortsetzen. Die Konferenz sollte der veränderten Situation Rechnung tragen:
Vorschläge zur Struktur und zu den Aufgaben der Gewerkschaftslinken Wir arbeiten eigenständig innerhalb der Gewerkschaften. Wir arbeiten vorort mit allen Organisationen zusammen, die Widerstand gegen Sozial- und Lohnabbau, Kulturvernichtung, Bildungsabbau leisten. Wir kritisieren, wenn unsere Gewerkschaftsführungen vorort und auf Bundesebene ihre Pflicht, Widerstand gegen Kapital und Regierung zu leisten nicht wahrnimmt. Wir lernen aus jahrzehntelangen Fehlern in den Gewerkschaften , nämlich, daß die Gewerkschaften i.e.L. eine Organisation von und für Facharbeiter war und Arbeitslose, prekär Beschäftigte und Rentner nur am Rande mitliefen. Die Gewerkschaftslinke besteht von ihren Mitgliedern her aus vier Säulen: Arbeiter und Angestellte in Normalarbeitsverhältnissen, prekär Beschäftigte, Arbeitslose, Rentner. Keine dieser Gruppen hat für eine andere zu sprechen. Ziel ist es, Menschen aus diesen Gruppen gleichberechtigt zu organisieren. Die Gewerkschaftslinke versteht sich politisch. Es geht längst nicht mehr nur um Tarife sondern um einen Kampf gegen die Politik dieser Regierung und das System, dessen Willen sie vollstreckt. Nur wenn wir unser Handeln politisch begreifen, können wir auch auf der Tarifebene noch was erreichen oder weiteren Abbau verhindern. Wir als Gewerkschaftslinke organisieren uns demokratisch und transparent. Das ist auch unsere Forderung an Gewerkschaftsführungen und -apparate. Wenn die Gewerkschaftsführungen sich auf die Gegenseite schlagen, hat das zur Folge, das weiterhin Millionen Kollegen austreten werden, weil eine Mitgliedschaft sinnlos geworden ist, oder wie es eine Kollegin mit einem schönen Satz ausdrückte: Nichtkämpfen kann ich auch alleine. Wenn es der Gewerkschaftslinken gelingt, vorort Gruppen auf- und auszubauen, entstehen Kommunikations- und Kraftpole, um die sich Kollegen sammeln können, die Widerstand leisten wollen. Die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer haben sich in der Geschichte schon mehrfach den Kapitalsinteressen untergeordnet. Heute besteht jedoch der Unterschied, daß es kein konjunkturelles auf und ab mehr gibt mit der Folge des Wechsels von Arbeitslosigkeit und Vollbeschäftigung sondern nur noch die permanente Vergrößerung der Zahl der ökonomisch Überflüssigen. Während den Herrschenden dieser Welt wohl schon vor ihrer Konferenz 1995 in San Franzisco der künftige Tatbestand einer 20/80 Gesellschaft klar war, beträufeln uns unsere deutschen Großkapitalsvertreter bis heute mit Lügen: Kohl wollte die Zahl der Arbeitslosen halbieren, Peter Hartz und Gerhard Schröder ebenfalls. Und unsere Gewerkschaftsführer unterstützen diese Volksverdummung, wenn sie dem nicht widersprechen sondern mitträufeln. David und Goliath Wenn man beobachtet wie die Herrschenden zur Zeit in Deutschland ihre Politik durchziehen gegen die große Mehrheit der Bevölkerung, können leicht Gefühle der Ohnmacht und der Zwecklosigkeit aufkommen. In der Tat, es passiert eine konzertierte Aktion von Kapital, allen Parteien, fast allen Medien, den Kirchenführern, fast aller Wirtschaftswissenschaftler, sogar vieler Schriftsteller. Auf die Menschen prasselt täglich eine mediale Einheitsmeinung herunter: Die öffentlichen Kassen sind leer. Irgendwann, wenn wir alles mit uns geschehen lassen, wird
es uns wieder besser gehen. „Ihnen mit schlauen Parolen die Notwendigkeit von radikalen Reformen einhämmern, sie mit Plakaten, Anzeigen und TV-Spots überschütten, auf daß die Leute die Wünsche der Wirtschaft als ihre eigenen begreifen. Kannegießer, 62, und die Bosse von Gesamtmetall waren sich rasch einig, daß man `viel Geld in die Hand nehmen` müsse, um eine PR-Maschine für ein wirtschaftsfreundliches Klima zum Laufen zu bringen“, fährt Grill fort. „50 Millionen Euro machte Gesamtmetall locker und gründete damit im Jahre 2000 die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Das war der Auftakt. Seitdem folgen Reforminitiativen ohne Ende. Sie heißen Bürgerkonvent, Klarheit in die Politik, Marke Deutschland, Deutschland packts an, oder, jüngstes Beispiel Konvent für Deutschland, eine Initiative von Roland Berger, 66, und Hans-Olaf Henkel, 63, mit Roman Herzog, 69, als Gallionsfigur“... „Dabei ist die Agenda 2010 für sie erst der Anfang eines viel weiter gehenden Abbaus staatlicher Leistungen wie Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe. Ihr Einfluß geht mittlerweile so weit, daß von Sabine Christiansen bis Maybrit Illner keine Talkshow mehr ohne sie auskommt“... „Das Problem sind aber nicht die Politiker, die wissen nämlich, was man machen muß“, so Dieter Rickert, Deutschlands bekanntester Headhunter. Soweit die Zitate. Ja, die Politiker sind wirklich nicht das Problem, denn sie wissen was sie tun und zu lassen haben. Wie schön, daß wir Wirtschaftsführer wie Kannegießer und Rickert haben, die noch das offene Wort pflegen. Als Unterstützer dieser Propagandaeinrichtungen finden wir nicht nur Leute aus dem Großkapital sondern, wie sollte es anders sein, z.B. Oswald Metzger (Grüne), Peter Glotz (SPD), Hubertus Schmoldt (IG Chemie). Die deutschen Wirtschaftsführer fühlen sich nicht nur deshalb stark und können das offene Wort pflegen, weil Politiker sondern auch etliche Gewerkschaftsführer wissen, „was man machen muß“. Das Geld, das sie jährlich brauchen, es sind mehrere hundert Millionen Euro, wird immer fließen, dafür sorgen Deutsche Bank, Oetker, Düsseldorfer Großspender, Gesamtmetall oder lieber nicht genannt sein wollende Großkapitalisten. Das Problem für die Strategie des Kapitals sind also nicht die Politiker und die meisten Gewerkschaftsführer, die haben sie längst auf ihrer Seite, das Problem sind immer noch die Mitglieder der Gewerkschaften, die einfachen Bürger. Um die könnte einem allerdings bange werden angesichts der Totalität des Meinungsterrors der Herrschenden und ihrer schier unbegrenzten Geldmittel. Wir sollten jedoch den Kopf nicht hängen lassen sondern ihn lieber gebrauchen, die Lage zu analysieren. Sicher können die Herrschenden und ihre Helfershelfer die Massen gegen deren eigene Interessen in begrenzter Weise beeinflussen aber sie nicht völlig umpolen. Unwohlsein und Wut auf die Verschlechterungen bleiben. In Wirklichkeit ist es so, daß wir die besten politischen Ausgangsbedingungen seit 50 Jahren haben. In den letzten Jahren hat ein Ernüchterungsprozeß im Volk eingesetzt, die Skepsis gegenüber Regierung und allen Parteien hat zugenommen. Das äußert sich teilweise durch Protest (Demo 1.11.03 in Berlin) und Montagsdemos, vor allem durch Wahlenthaltung. Nie war in Deutschland die Gesprächsbereitschaft über die ökonomische und soziale Situation größer. Das ist die Chance, die die Gewerkschaftslinke heute nutzen muß! Natürlich haben wir keines der Mittel wie die Gegenseite. Das Verhältnis zwischen uns und Kapital ist noch viel ungleicher als es zwischen David und Goliath war. Aber wir haben auch eine Schleuder, die wir allerdings nicht nur einmal, sondern viele millionenmal gebrauchen müssen, gebrauchen, indem wir auf die Gehirne von Millionen Opfern der kapitalistischen Elendsstrategie zielen. Alle, die Angst um ihre Arbeitsplätze haben, die zehn Millionen prekär Beschäftigen, die neun Millionen Arbeitslosen, die 20 Millionen Rentner, fast alle von ihnen hören zum erstenmal bei Kapitalismuskritik zu. Jahrzehntelang urteilten die Kollegen über jemanden, der mit ihnen über das kapitalistische System reden wollte: „Der ist zwar ein netter Kollege, aber halt ein Idealist/Kommunist. Die Welt ist anders. Es geht doch aufwärts“. Das macht sich heute kaum einer mehr vor, weil das kapitalistische System sich selbst seine reformistische Grundlage entzogen hat. Voraussetzung dafür, daß wir politisch wirksam werden, ist unsere Organisierung. In unserer Organisation müssen wir uns Wissen und politische Klarheit aneignen, dann haben wir die Fähigkeit, Kollegen, Arbeitslose, Rentner, alle vom System Angegriffenen, anzusprechen und bei uns zu organisieren. Dieter Wegner, Hamburg |