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Updated: 18.12.2012 15:51
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Edwin Schudlich
Oktober 2004

Diskussionspapier

Für ein arbeitsloses Grundeinkommen und die Halbierung der Lebensarbeitszeit

I Die Gewerkschaften im neoliberalen Korsett

Holzmann, Siemens, Daimler-Chrysler, Karstadt, Opel, - die Liste der Unternehmen, die auf dem Rücken ihrer Belegschaften sich sanieren und die Profite steigern, ließe sich bequem vergrößern Sie sind nur die prominentesten Beispiele für die Aufkündigung der traditionellen Konsenspolitik seitens des Kapitals, die die Gewerkschaften allerdings immer noch einklagen. Deren Antwort auf die Angriffe des Kapitals beschränkt sich in der Regel - um den jeweiligen „Standort zu sichern“ - auf die Forderung nach dem Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und einem „sozialverträglichen“ Arbeitsplatzabbau.

Dies macht im Rahmen einer gewerkschaftlichen Betriebspolitik durchaus Sinn. Auf die gesamte Volkswirtschaft und die Gesellschaft bezogen führt diese Politik jedoch dazu, dass das Kapital die Gewerkschaften wie Tanzbären an der Nase herumführt. Zwischen einer nationalen Standortpolitik und einer international vernetzten Politik der Gegenmacht entschieden sich die Gewerkschaften bisher stets für die Erstere. [1] Über die bestehenden Herrschaftsstrukturen hinausgehende Vorstellungen werden so gut wie nicht entwickelt und bestimmen schon gar nicht ihre politische Praxis. Weil ihnen Utopien von einer gerechteren Gesellschaft abhanden gekommen sind, bleibt ihnen nur die „Tagespolitik“ und im kapitalistischen Rahmen des „Möglichen“ zu agieren.

So sind auch ihre Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung (statt Verlängerung), nach Vollbeschäftigung, nach höheren Einkommen (wie auch immer begründet) und nach der Reform der Sozialsysteme letztlich systemimmanent und greifen zu kurz, da sie auf wirtschaftliches Wachstum und die Erwerbsarbeit fixiert sind. Sie können keine neuen, weitergehendenpolitischen Perspektiven aus der neoliberalen Zwangsjacke weisen. [2]


II Menschliche Arbeitskraft wird überflüssig

Eine zukunftsweisende linke Politik muss sich jedoch von liebgewonnenen, nicht desto weniger veralteten Vorstellungen frei machen, die neuen Bedingungen und Strukturen der kapitalistischen Ökonomie zur Kenntnis nehmen und zur Voraussetzung der eigenen Politik machen.

Gemeint ist damit vor Allem der technisch-organisatorische Wandel in Gestalt der mikro-elektronischen Revolution, der - zusammen mit einer am Shareholdervalue orientierten Unternehmenspolitik - menschliche Arbeitskraft - in unserem Land wie weltweit - in immer größerem Umfang überflüssig macht. [3]

Dies führte zu einer immens gestiegene Produktivkraft der lebendigen Arbeit , die allerdings kaum den arbeitenden und schon gar nicht arbeitslosen Menschen zu Gute kommt, sondern in einen gigantischen Zuwachs des Reichtums in den Händen Weniger mündete.

Vor diesem Hintergrund mutet die ständig erhobene Forderung nach „Vollbeschäftigung“ merkwürdig antiquiert und phantasielos an. Trotzdem wird sie ge-betsmühlenhaft immer wieder aufgestellt - angesichts der herrschenden Umstän-de sicherlich legitim - doch auf das politische Problem bezogen, vor dem wir ste-hen, bleibt diese Forderung den sozio-ökonomischen Strukturen verhaftet, die das Problem der Arbeitslosigkeit erst hervor rufen.[4]

III Eine radikale Verkürzung der Lebensarbeitszeit und ein arbeitsloses Grundeinkommen für Alle

Es ist kein Zufall, dass gerade in den Arbeitsloseninitiativen - und nicht in den Gewerkschaften, den Organisationen der Arbeitsplatzbesitzer - aktuell wieder die Forderung nach einem arbeitslosen Grundeinkommen gestellt wird: Wenn unsere Gesellschaft offensichtlich die „Vollbeschäftigung“ nicht mehr garantieren kann, sie andererseits aber reicher ist als je zu vor,[5] steht diese Forderung objektiv auf der Tagesordnung .

Die Forderung - gleichgültig, welchen Nahmen man für diese Idee findet - ist jedoch keineswegs neu. Anfang der siebziger Jahre hatte Gorz - verbunden mit einer Verkürzung der Lebensarbeitszeit auf 20.000 Stunden - eine lebenslängliche Einkommensgarantie gefordert.

Negt plädiert für ein „Grundeinkommen“ für alle Bürger und Bürgerinnen und verweist in diesem Zusammenhang auf die finanzielle Vergütung für die Bürger im alten Athen für ihre Beteiligung am politischen Leben. (2001; 462)

Afheldt (2003; 74 f.) argumentiert in dieselbe Richtung und bezieht sich affirmativ auf Ulrich, der ein „Wirtschaftsbürgerrecht auf ein erwerbsunabhängiges Grundeinkommen für alle (Bürgergeld)“ fordert, um das „tyrannische Durchschlagen der Regeln des Arbeitsmarktes auf die gesamte Lebenslage einer Person zu verhindern.“ (Freiburg-Basel-Wien, 2002; 85).

Die aktuelle Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung [6] hat es sich zur Aufgabe gemacht, eben diese Forderung zu propagieren. Auch wenn man nicht alle Punkte dieser Initiative unterschreiben möchte, überzeugt die Analyse und Richtung der Argumentation: Der technische Fortschritt (vor Allem in Form der Automatisierung) soll zum Wohl der Menschen vorangetrieben werden, um stumpfsinnige und entwürdigende Arbeit zugunsten sinnvoller Tätigkeiten ab zu schaffen. Zur Sicherung der individuellen und gesellschaftlichen Existenz wird ein „bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger“ vorgeschlagen.

Während diese Initiative glaubt, ihre Forderung im Rahmen der kapitalistischen Ökonomie durchsetzen zu können, sind sich Gorz und Negt wie Andere auch der gesellschaftsverändernden Dynamik einer solchen Einkommensgarantie durchaus bewusst.

Im Gegensatz zu den bestehenden finanziellen Transferleistungen des Staates für „sozial Schwache“ wie z.B. Bezieher von Arbeitslosengeld etc. würde die lebenslange Einkommensgarantie „nicht mehr als Entschädigung, Beihilfe oder staatliche Betreuung des Individuums, sondern als die gesellschaftliche Form, die das Einkommen annimmt, wenn die Automatisierung nicht nur den ständigen Zwang zur Arbeit, sondern auch das Wertgesetz und die Lohnabhängigkeit selbst abgeschafft hat.“ (Gorz 1974; 69) [7]

Für Negt hätte die Einführung eines arbeitslosen Grundeinkommens system-sprengenden Charakter, weil es „die in Marktgesellschaften bisher übliche Verkoppelung von Arbeitsleistung und Einkommen partiell auflöst, und die Äquivalenzform sozialer Gerechtigkeit (und ökonomischer Effizienz) bewusst durchlöchert. (Negt 2001; 463).

Die Forderung nach einem arbeitslosen Grundeinkommen hat also nicht gemein-sam mit einer staatlichen „Almosenpolitik“, zu der konservative Politiker und Un-ternehmer gern zurück kehren möchten. Es ist kein „Arbeitslosensalär“, sondern das ihm zustehende Entgelt für die auf sein Arbeitsleben verteilte gesellschaftliche notwendige Arbeit in einer an den Bedürfnissen und nicht am Profit orientierten Ökonomie [8]. Mit dieser Forderung wäre zugleich ein erster Schritt getan, sich von den herrschenden ökonomischen Zwänge zu emanzipieren und die U-topie einer humanen Gesellschaft zu konkretisieren. [9]

IV Probleme

Die Durchsetzung dieser Forderung stößt allerdings nicht nur bei den „natürlichen“ Gegnern auf Seiten des Kapitals, sondern auch bei den lohnabhängigen Menschen und ihren Organisationen selber vorerst wohl auf nicht geringe Vorbehalte und bis hin zu aggressiver Ablehnung. [10]

Die in den drei Jahrhunderten seit der Entstehung der kapitalistischen Ökonomie verinnerlichte psycho-soziale Strukturen („protestantische Ethik“) haben dazu geführt, dass nicht nur Kirche und Kapital, sondern auch die große Mehrheit der lohnabhängigen Menschen und ihre Interessenvertreter der Norm folgen, dass derjenige, der nicht arbeit, auch nicht essen soll. Diese Norm erfüllt offensichtlich die tief im Inneren der Menschen herrschenden am Leistungsprinzip orientierten Vorstellungen über Arbeit, Leistung und Gerechtigkeit. Sie bilden sicherlich eines der größten Hindernisse bei der Durchsetzung.

Schließlich wird - wenn auch oft nur als Rationalisierung der eben beschriebenen Entsagungsethik - das Argument ins Feld geführt, eine derartige Einkommensgarantie sei nicht bezahlbar. Angesichts des bisher nie erreichten Reichtums unserer Gesellschaft ist dieser Vorbehalt gedanklich nicht nach vollziehbar. Entscheidet sich unsere Gesellschaft für das arbeitslose Grundeinkommen könnte dies - ohne an dieser Stelle auf Details einzugehen - ohne Weiteres durch eine Umverteilung des Volkseinkommens - nämlich von oben nach unten - finanziert werden.

Es wäre wohl realistisch, davon aus zu gehen, dass dieses Grundeinkommen steuerfinanziert werden müsste. Dabei ist es an dieser Stelle unerheblich welche Steuer dazu heran gezogen würde - eine Steuer auf die automatisierte Produktion [11] oder auf alle Einkommen [12].

Die endgültige Klärung dieser Frage wäre aber erst der zweite Schritt - nach dem ersten Schritt, der eine politische Entscheidung über die Einführung des Grundeinkommens herbeiführen müsste.

An der generellen Frage, welcher Weg in Zukunft eingeschlagen werden soll: Verbesserung der „Standortbedingungen“ und Reparatur des bestehenden ökonomischen „Betriebs“ oder Aufbruch in eine andere Ökonomie kommen die Gewerkschaften und schon gar nicht eine „linke“ Politik vorbei. Mit der Forderung nach einer qualitativen Beschränkung der Lebensarbeitszeit und einem arbeitslosen Grundeinkommen wäre eine Möglichkeit eröffnet, wieder aus der Defensive heraus zu einer qualitativ neuen Reformpolitik zu kommen, die eine Ökonomie der lebendigen Arbeit und eine vernünftig organisierte Gesellschaft näher rücken würde.

Anmerkungen und Verweise

(1) In dankenswerter Offenheit hat Klaus Franz, Betriebsratsvorsitzender und Aufsichts-ratsmitglied der Adam Opel AG, dafür ein Beispiel gegeben. Auf die Frage eines FR-Reporters, welche Politik er im Aufsichtsrat vertreten habe, antwortete wörtlich. „Wir sind grundsätzlich zu Einsparungen bereit. ... Ich bin seit 1995 Mitglied im Aufsichtsrat, mein Vorgänger Richard Heller war damals, als es um den Kauf von Saab ging, strikt dagegen. Er argumentierte, dass ... Saab nicht zu sanieren sei.“ (FR 28.10.2004, S. 12)

(2) „Hoffen, die zentralen Probleme Abwanderung von Industrie, Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung würden sich durch eine Konjunkturverbesserung lösen, wird zu einem Warten auf Godot - und der kam bekanntlich nie. ... Die Rückkehr zur Vollbeschäfti-gung ist unter allen zeitgenössischen Legenden die bei weitem populärste - postreligiöses Opium fürs Volk. Das Täuschungsmanöver gründet im Selbstbetrug.“ (Afheldt 2003; 20 ff.)

(3) „Zum ersten Mal in der Geschichte braucht die kleine Zahl derer, die die Wirtschaft regieren und die Macht haben, die Gesamtheit der Menschen nicht mehr.“ (Negt 2001; 21)

(4) „Das Recht auf Arbeit, das Recht auf einen Arbeitsplatz und das Recht auf Einkom-men sind lange ein und dasselbe gewesen. Dabei kann es nicht mehr bleiben. ...
Die Alternative Vollzeitarbeit oder vollständige Arbeitslosigkeit leugnet implizit die faktische Verringerung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit und verteilt diese Verringerung auf die unegalitärste Weise: sie bestraft und marginalisiert diejenigen, die dem Leistungsdruck enthoben sind (die Arbeitslosen), um die Norm der Vollzeitbeschäftigung und damit die Natur der sozialen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu bewahren.“ (Gorz 1974; 56 f.)

(5) Afheldt weist darauf hin, dass seit Anfang der siebziger Jahre sich das Sozialprodukt in Deutschland verdoppelt habe und dies verbunden mit zunehmender Arbeitslosigkeit, öffentlicher Armut und sozialer Ungleichheit war. (Afheldt 2003; 20)

(6) Zu finden im Internet unter www.freiheitstattvollbeschaeftigung.de externer Link

(7) „Die Garantie eines vom Arbeitsplatz unabhängigen Einkommens kann emanzipatorisch oder repressiv, linker oder rechter Prägung sein, je nach dem ob sie den Individuen neue räume individueller und gesellschaftlicher Tätigkeit öffnet oder im Gegenteil nur der gesellschaftliche Lohn für ihre erzwungene Untätigkeit ist.“ (Gorz 1974; 66)

(8) „Das Hauptziel der Einkommensgarantie in ihrer konservativen Version besteht demnach nicht darin, Hilfsbedürftigkeit und Arbeitslosigkeit abzuschaffen, sondern sie zu dem für die Gesellschaft niedrigsten Preis sozial erträglich zu machen. Deren dualistische Schichtung wird dadurch unvermeidlich erhalten und sogar verstärkt.“ (Gorz 1974; 67)

In ihrer linken Version gehorcht die Garantie eines vom Arbeitsplatz unabhängigen Ein-kommens einer radikal anderen Logik. Sie präsentiert sich nicht als Arbeitslosensalär o-der mildtätige Unterstützung derjenigen, die die Gesellschaft marginalisiert. Sie ist im Gegenteil das jedem Bürger zukommende Recht, auf sein ganzes Leben verteilt das Produkt des nicht weiter reduzierbaren Quantums an gesellschaftliche notwendiger Arbeit zu erhalten, die er im Lauf seines Lebens zu erbringen hat.
Es sieht kaum so aus, als würde dieses Quantum gegen ende des Jahrhunderts 20 000 Stunden überschreiten: in einer egalitären Gesellschaft, die für ein weniger wettbewerbs-orientierte und entspanntere Lebensweise optiert, könnte es sogar noch wesentlich ge-ringer sein.
“ (Gorz 1974; 68)

(9) „An die Stelle der politischen Ökonomie der toten Arbeit, des Kapitals, des Eigentums muss überall dort, wo von der Notwendigkeit menschlicher Emanzipationsprozesse gesprochen wird, die politische Ökonomie lebendiger Arbeit treten, die auf eine vernünftige Organisationsform des Gemeinwesens zielt.“ (Negt 1971; 22)

(10) Als aktuelle Illustration für diesen Tatbestand kann die aufgeheizte Atmosphäre die-nen, die schnell entstand, als am Samstag dem 23.10.2004 die Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung“ in Frankfurt öffentlich für ihre Thesen warb. (FR 28.10.2004, 40)

(11) „In technischer Hinsicht stellt die Finanzierung des Einkommens auf Lebenszeit kein neues Problem und setzt keine Stärkung des Zentralstaats voraus. Am besten erfolgt sie durch eine Besteuerung der automatisierten Produktion.“ (Gorz 1974; 73)

(12) Siehe Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung“ im internet.

Literatur (Auswahl)

Afheldt, Horst: „Wirtschaft, die arm macht - Vom Sozialstaat zur gespaltenen Gesellschaft“, München 2003

Gorz, André: „Wege ins Paradies“, deutsche Ausgabe Berlin 1983

Negt, Oskar: „Arbeit und menschliche Würde“, 1. Auflage Göttingen 2001


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