Abschlusserklärung der
Konferenz der Gewerkschaftslinken
in Stuttgart, am 14./15.1.05
Sozialkahlschlag braucht Gegenwehr!
Die Angriffe der SPD/GRÜNEN-Bundesregierung, der bürgerlichen
Parlamentsopposition von CDU/CSU und FDP sowie der Kapitalverbände
auf das Sozialsystem haben eine neue Qualität erreicht. Ob Rentenversicherung,
Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung oder gewerkschaftliche Flächentarifverträge,
ausnahmslos werden sie unter dem verharmlosenden Namen Agenda 2010 systematisch
ausgehöhlt und in ihrer Substanz grundsätzlich in Frage gestellt.
Durch diese als „Reform“-Politik getarnten Angriffe wird sich
die Situation von vielen Millionen Menschen in und außerhalb der
Betriebe drastisch verschlechtern. Noch mehr Armut wegen Erwerbslosigkeit
und noch mehr Armut trotz Arbeit werden die Folge sein. In dieser Situation
gilt es, die sozialen Errungenschaften mit allen uns zur Verfügung
stehenden Mitteln zu verteidigen.
Die EU-Kommission will mit einer Richtlinie den gesamten Dienstleistungssektor
in der EU deregulieren. Bei diesem antidemokratischen Kahlschlagsprojekt
geht es um nichts anderes als dem Kapital neue Anlagefelder zu eröffnen
und die Öffentlichen Dienstleistungen gewaltig einzuschränken,
was nur auf Kosten der Lohnabhängigen und der Bedürftigen geht.
Die zurzeit sich entwickelnde Kampagne gegen die so genannte Bolkestein-Richtlinie
unterstützen wir und rufen die Gewerkschaften auf, allen Deregulierungsbestrebungen
der EU entschlossenen Widerstand entgegenzusetzen.
Aber das allein reicht nicht aus! Selbst wenn z. B. die Hartz-Gesetze
wieder abgeschafft werden, stellt sich die Frage, wie Erwerbslosigkeit
und Armut zu bekämpfen sind und was wir der Ausdehnung ungeschützter
Beschäftigungsverhältnisse sowie der steigenden Ausbeutung in
den Betrieben entgegensetzen können.
Der Aushöhlung des Flächentarifvertrages
entgegentreten
Die Gewerkschaftsführungen suchen den Flächentarifvertrag
zu retten, indem sie dem Kapital Öffnungsklauseln anbieten. Die Folge
ist eine Aushöhlung, was den Zielen der Unternehmer nach Verbetrieblichung
entgegenkommt. Damit wird der Flächentarifvertrag seiner wichtigsten
Wirkung, nämlich die Konkurrenz der Beschäftigten untereinander
aufzuheben, beraubt, und er wird zu einer leeren Hülle entwertet.
Dieser Tendenz müssen wir entgegentreten und versuchen sie rückgängig
zu machen.
Massenerwerbslosigkeit, die Geisel des Kapitalismus
Allein mit der Androhung von Entlassungen, gelingt es dem Kapital ganze
Belegschaften zum Verzicht auf ihre Ansprüche zu erpressen. Erwerbslose
sind schon aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung weitgehend ausgegrenzt.
Die Massenerwerbslosigkeit ist nicht nur die schlimmste Form gesellschaftlicher
Ausgrenzung, sie ist auch das wichtigste Druck- und Erpressungsinstrument
für das Kapital und seine parlamentarischen Interessenvertreter,
um möglichen Widerstand zu unterdrücken und um dadurch die neoliberale
Politik auf allen Ebenen der Gesellschaft und in den Betrieben möglichst
ungestört und uneingeschränkt umsetzen zu können. Der Kampf
gegen die neoliberale Politik beinhaltet somit als zentralen Kern den
Kampf gegen die Erwerbslosigkeit.
Arbeitszeitverkürzung ist das Gebot der Stunde
Arbeitszeitverlängerung bedeutet einen weiteren Anstieg der Erwerbslosigkeit
und einen Verlust an Lebensqualität, deshalb müssen wir uns
dagegen zur Wehr setzen. Aber das reicht nicht aus. Wir dürfen nicht
zulassen, dass die einen immer länger, oftmals unter schlimmsten
Arbeitsbedingungen, arbeiten müssen, um sich ihre Existenz zu sichern,
während die anderen immer weiter aus dem Arbeitsmarkt gedrängt
werden, ohne jede Lebensperspektive. Nur über die Verteilung der
Arbeit durch eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem
Lohn- und Personalausgleich kann die Massenerwerbslosigkeit wirksam bekämpft
werden. Geld dafür ist genug da, wie z. B. die Rekordprofite von
Daimler-Chrysler, Siemens und vielen anderen Konzernen zeigen.
Mindestlohn gegen weitere Lohnsenkungen
Gegen Lohndumping und um die Abwärtsspirale bei den
Löhnen zu stoppen, muss ein Mindestlohn durchgesetzt werden. Es ist
nicht hinnehmbar, dass Menschen gezwungen werden, für 2,50 €
brutto in der Stunde zu arbeiten! Um eine positive Wirkung entfalten zu
können, muss ein Mindestlohn so hoch sein, dass er nicht als Begründung
zum Absenken von Löhnen dienen kann. Ein Mindestlohn von 10 Euro/Stunde
würde für über 30% der abhängig Beschäftigten
eine deutliche Verbesserung der Einkommens- und Lebenssituation bedeuten.
Gleichzeitig muss ein Mindestlohn dynamisiert werden, d.h. er muss jedes
Jahr um den Prozentsatz des Anstiegs der Lebenshaltungskosten angehoben
werden.
Widerstand ist möglich
Mit den Montagsdemonstrationen und anderen Anti-Hartz-Aktionen hat sich
im letzten Sommer eine große Protestbewegung gegen den organisierten
Sozialkahlschlag entwickelt. Auch der Widerstand der Belegschaften bei
Daimler-Chrysler gegen das vom Management verordnete Einsparungsdiktat,
insbesondere die Besetzung der B10 und die einwöchige Arbeitsniederlegung
bei Opel Bochum gegen Massenentlassungen zeigen den vorhandenen Widerstandswillen
von Betroffenen und beweisen: Widerstand ist möglich! Es ist aber
nötig, die bisher nur vereinzelt und isoliert geführten Abwehrkämpfe
auszuweiten und weiterzuentwickeln. Der soziale Protest muss mit dem betrieblichen
Protest zusammengeführt werden, um sowohl mehr Durchschlags- als
auch Anziehungskraft entfalten zu können.
Statt Co-Management, konsequenter Kampf
Um unsere Forderungen durchsetzen zu können, brauchen
wir neben den Erwerbsloseninitiativen und Bünd-nissen gegen Sozialabbau,
die gewerkschaftlichen Massenorganisationen. Die Gewerkschaften bleiben
trotz der Co-Management Politik der Vorstände immer noch die stärkste
Organisation der abhängig Beschäftigten in Deutschland. Gegen
die katastrophale Politik des Stillhaltens der Gewerkschaftsvorstände
organisieren sich derzeit Strömungen wie die Gewerkschaftslinke oder
die ver.di-Linke, die versuchen, eine klassenkämpferische Alternative
zu entwickeln. Es braucht die gemeinsame Organisierung aller kämpferischen
Kräfte in den Gewerkschaften, um genug Druck für einen Kurswechsel
–aufzubauen!
Gegen die fortgesetzte Umverteilungspolitik zu Lasten der Erwerbslosen
und Lohnabhängigen setzen wir den gemeinsamen Abwehrkampf in den
Betrieben und auf der Straße. Warten wir nicht darauf, dass andere
für uns handeln. Werden wir selbst aktiv gegen die Agenda 2010, die
Hartz-Gesetze und die Angriffe auf die Flächentarifverträge.
Kämpfen wir gemeinsam für die Durchsetzung der 30-Stundenwoche
bei vollem Lohn- und Personalausgleich als nächsten sichtbaren Schritt
sowie für 10 Euro Mindestlohn!
Es wird uns jedoch nur gelingen, die Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen,
wenn wir alternativen aufzeigen können. Ohne eine Vorstellung einer
anderen Gesellschaft lässt sich keine vorwärts treibende Reformpolitik
mehr machen. Dabei geht es nicht nur um Sachfragen, sondern um Machtfragen.
Eine solidarische Gesellschaft ohne Ausbeutung und Krieg kann nicht erkämpft
werden, ohne damit zu beginnen, die kapitalistische Wirtschaftsordnung
in Frage zu stellen.
Die Gewerkschaftslinke ist heute wichtiger denn je!
Wir rufen auf, in allen Orten Gruppen und Foren zu bilden und zu stärken,
Veranstaltungen durchzuführen und für eine Wende der Gewerkschaftsbewegung
zu kämpfen. Wir haben beschlossen in den nächsten Monaten einen
weiteren Kongress abzuhalten.
Wir werden eine Plattform entwickeln und Strukturen aufbauen, um
- kämpfende Belegschaften solidarisch zu unterstützen,
- aktive Gruppen vor Ort zu vernetzen und zu stärken,
- öffentlich Position zu ergreifen
- in Aktionsbündnissen für breite Mobilisierungen gegen die
Angriffe der Regierung und der Unternehmer zu wirken und
- eine politische Alternative zur Unterwerfung und Anpassung an dieses
System, eine alternative zum Kapitalismus, seiner Ausbeutung und seiner
Krisen zu entwickeln.
Stuttgart, den 15. Januar 2005
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