letzte Änderung am 5. März 2004 | |
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In der Arbeitsgruppe Betriebspolitik gab Joachim Schubert vom Betriebsrat Alstom -Mannheim das Einleitungsreferat. Der ursprünglich geplante Bericht vom Kollegen L.Mayer von Siemens München-Hoffmannstraße fiel wegen Verhinderung des Referenten aus.
Alstom Mannheim (früher ABB, früher BBC) kann als ein Musterbeispiel
für betrieblichen Widerstand gegen (konjukturbedingten) Stellenabbau und
Stillegung gelten. Grundlage ist die jahrelange Erfahrung der Belegschaft mit
solchen Auseinandersetzungen.
Im Konzern Alstom werden Investitionsgüter wie Turbinen, Generatoren,
Kraftwerke, Schiffe und Züge (z.B. TGV) hergestellt. In Mannheim arbeiten
2300, im (französischen) Konzern weltweit etwa 140 000 Menschen. Alstom
Mannheim leidet seit 2002 unter Auftragsmangel. Deshalb hatten Streiks an sich
keine große ökonomische Wirkung. Der Konzern stand letztes Jahr wegen
Auftragsrückgang und Entwicklungsfehler am Rand des Konkurses. Nur in Mannheim
wurden noch schwarze Zahlen geschrieben.
Die Belegschaft wurde letztes Jahr konfrontiert mit dem Plan, in einer ersten
Stufe 700 Beschäftigte abzubauen (Schließung der Generatorenfabrik
und der Kraftwerksplanung), was 2-3 Jahre später zur Standortschließung
geführt hätte.
Klar war, dass Entlassungen angesichts von Hartz und der verschlechterten Bedingungen
für Arbeitslosenhilfe (v.a. Anrechnung der Einkommen und
Vermögen von EhepartnerInnen) eine viel härtere Wirkung hätten
als früher.
Die Lage in VK und BR war gut:
Strategie des BR / VK war: der politische und ökonomische Preis für
Stellenabbau und Schließung sollte so hochgetrieben werden, dass die
Erhaltung des Standorts für den Konzern letzten Endes günstiger war.
Durch viele verschiedenartige öffentlichkeitswirksame Aktionen gelang
es den, den Kampf der Alstom-Belegschaft in der Region populär zu machen.
Es gab erfolgreiche Treffen mit verschiedenen Politikern, Medien, anderen bedrohten
Betrieben (bis hin zu den argentinischen Betrieben, wo die
Belegschaft selbst weiter produzierte), Vereinen. Aus mehreren Ländern
fuhren ALSTOM-Belegschaften nach Paris zur Aktionärsversammlung. Die
Mannheimer begleiteten einen Schwertransport mit einem Fackelzug, machten monatliche
Betriebsversammlungen und zwei Demos während der Arbeitszeit durch die
Stadt. Die IG Metall unterstützte sie voll.
Sie argumentierten auch mit betriebswirtschaftlicher Logik (die zu Entlassenden
könnten bald wieder gebraucht werden; warum wird ausgerechnet
die Cash-Kuh des Konzern geschlachtet?) und wiesen auf die Fehler der Konzernleitung
hin. Teile der lokalen Unternehmensleitung und die Presse
konnten auf die Seite der Beschäftigten gezogen werden. Kunden drängten
den Vorstand, ALSTOM als zweiten Anbieter auf dem deutschen Kraftwerksmarkt
zu erhalten (ansonsten wären sie gezwungen, bei der Konkurrenz zu bestellen).
Nach einem mehr als einem halben Jahr drängten die Gläubigerbanken
auf ein Ergebnis. Aber die Konzernleitung hatte durch die Verzögerungstaktik
des Betriebsrats immer noch nichts erreicht und drohte dann mit sofortiger Stillegung
des gesamten Stadtorts in Mannheim. Der Betriebsrat ließ sich nicht erpressen
und dachte in dieser Situation laut über eine Betriebsbesetzung nach. Das
führte zu einem schnellen Verhandlungsergebnis:
es gibt keine Entlassungen; persönliche Arbeitsplatzgarantie bis 2007;
Standortgarantie bis 2007; Belegschaftsabbau von 400 Personen in Form von Altersteilzeit,
Vorruhestand, freiwillige Aufhebungsverträge. Nach Kurzarbeit (18 Monate)
kann die Arbeitszeit 2 Jahre lang mit Teillohnausgleich von 35 auf 30 Wochenstunden
gemäß Beschäftigungssicherungstarifvertrag verkürzt werden.
Dadurch wurden 300 Entlassungen verhindert. Zieht der Auftragseingang schneller
als gedacht an, wird die Arbeitszeit vorher wieder hoch gefahren.
Im Zuge der Auseinandersetzung gelang ein "Brückenschlag" zu
30 anderen Mannheimer Belegschaften, die auch von Personalabbau bedroht sind
oder waren. Initiator war die VKL. Es gab eine gemeinsame Demo, Konzert Mannheimer
Künstler und einen "Weihnachtsmarkt" gegen Personal- und
Sozialabbau mit Unterstützung der örtl. IGM und Ver.di. Dies soll
für weitere Aktionen am 2./3.4. genutzt werden.
Berichte aus / über andere(n) Betriebe(n):
Bei Siemens München-Hoffmannstraße laufen seit 2002 Zeit große
Auseinandersetzungen um Entlassungen. Eine reiner Angestelltenstandort
wehrt sich dort in einer bei Siemens nie dagewesenen Form. Nachzulesen ist darüber
auch im Labournet, ein Zitat:
Bundespräsident Johannes Rau fand deutliche Worte: "Es macht mich
wütend, wenn Unternehmen auf Pressekonferenzen das beste Ergebnis ihrer
Firmengeschichte bekannt geben - und gleichzeitig weitere Entlassungen. "
Genau das geschieht seit Anfang des Jahres bei der Siemens AG, im Betrieb München
Hofmannstraße: Trotz Rekordgewinnen in Milliardenhöhe verlieren hunderte
von Mitarbeitern ihren Arbeitsplatz.
Siemens kündigte hundert, vorwiegend ältere Mitarbeiter, zum Teil
mit Kündigungsschutz; weitere hunderte von Mitarbeitern werden zur Jobsuche
in eine Beschäftigungsgesellschaft abgeschoben. Darüberhinaus werden
viele langjährige Mitarbeiter und 80% (!) der schwerbehinderten Kollegen
aus ihrem bisherigen Arbeitsumfeld herausgerissen, in Nebenstandorte ausgelagert
oder gegen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verstoßend in andere
Städte versetzt und damit vom Rest der Belegschaft isoliert, um sie dort
durch Ausgrenzung, Arbeitsentzug oder minderwertige Arbeiten zur Aufgabe ihres
Arbeitsplatzes zu zwingen.
Mitarbeiter, die sich kritisch äußern, ihre Kollegen rechtliche aufklären und ihnen emotional beistehen, werden abgemahnt oder fristlos gekündigt, wie im Fall Inken Wanzek am 27.10.03 geschehen.
Im November 2002 gründeten Mitarbeiter am Standort Siemens Hoffmannstraße
in München das Mitarbeiternetz NCI (Network, Communication, Initiative),
um sich gemeinsam gegen den Stellenabbau zu wehren und um ihre Rechte zu kämpfen.
Es entwickelte sich eine beispiellose Solidarität und Allianz zwischen
Belegschaft, Betriebsrat, Gewerkschaft und Kirchen.
NCI umfasst heute über 700 aktive Mitglieder mehrerer Siemens-Standorte.
Inken Wanzeks Entlassung ist auch ein gegen NCI gerichteter Einschüchterungsversuch.
Der Gütetermin im Januar gegen Inken verlief zwar ohne direktes Ergebnis,
aber die Richterin neigte deutlich zu Inkens Seite und es gab ein großes
solidarisches Publikum.
Zum Nachlesen im Internet: http://www.nci.migm.de/
Über die Auseinandersetzungen bei Siemens Hoffmannstraße gibt es
eine sehr gute Dokumentation.
In diesem Zusammenhang wurde auf zunehmend häufige Fälle von Entlassungen und Klagen gegen GewerkschafterInnen berichtet, neben der Entlassung von Inken Wanzek wegen einer Mail in einem e-Mail-Netzwerk auch Fälle bei Daimler Kassel, ebenfalls wegen e-Mail-Infos über eine private Homepage, bei der Berliner Bankgesellschaft u.a. (wurde später im Plenum von Thomas Adler noch genauer vorgetragen).
Firma Otis Berlin: ebenfalls starker Belegschaftsabbau, nicht durch betriebsbedingte
Kündigungen sondern durch Sozialplan und Nichtersetzung
der Fluktuation. Deshalb wenig Möglichkeiten der Gegenwehr.
Mit den Drais-Werken Mannheim standen die Alstomer in engeren Kontakt. Sie hatten 1986 Betrieb 14 Tage lang besetzt, um eine Schließung zu verhindern, übernahmen ihn selbst, machten ihn wieder profitabel, dann ruinierten zwei Jahre später neue Privat- Besitzer den Betrieb endgültig.
Die AG diskutierte über die Frage, ob es in Ordnung ist, auf dem Fortbestehen deutscher Betriebe (z.B. für deutsche Kunden) zu bestehen, z.B. wie bei Alstom mit der Begründung, dass es lange gute Beziehungen zum Kunden und keine Sprachprobleme gibt. Klar ist, dass ein Unterbietungswettbewerb zwischen Konzernfirmen vermieden werden muss, bei Überkapazitäten sollte das Ziel Arbeitsverkürzung für alle sein, von der Firma soll die Sicherung aller Arbeitsplätze verlangt werden.
Es wäre wünschenswert, Kämpfe wie die von Alstom zu dokumentieren.
Die Arbeitsgruppe war zufrieden mit der Diskussion und ist daran interessiert, sich bei einer nächsten Konferenz wieder zu treffen.
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