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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Mit dem Vergröberungsglas Wie entstehen gesellschaftliche Dynamiken? Und wie übersieht man sie am besten? - Eindrücke vom Kongress der Gewerkschaftslinken Woher kommt es, wenn man an einem sonnigen Julisonntag im Zug von Stuttgart nach Frankfurt a.M. sitzt und sich - trotz netter Gesellschaft - eine Mischung aus dunkeldezemberbedingter Melancholie und Zorn über vertane Zeit einstellt? Wenn man sich fragt: Was war das? Und warum tut man so etwas? Oder, mit Gerhard Polt zu reden: »Braucht's des?« Und wenn, dann wer? Statt »Organisation der Unklarheit«, wie Slave Cubela vor Jahren seine Eindrücke von der damaligen Konferenz der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken, kurz: G-Linken, betitelte, müsste man heute sagen: Wenn's doch etwas weniger sonnenklar gewesen wäre, hätte nicht nur die Konferenz viel gewonnen. Doch der Reihe nach, machen wir die Tür nochmal zu, bevor wir mit ihr ins Haus fallen. Die Initiative ist nun knapp zehn Jahre alt, und an ihrem Gründungsanspruch sind nach wie wenig Abstriche zu machen. Viele der angesprochenen Probleme und Bedürfnisse, die zu diesem Aufbruch in der und gegen die Krise der Gewerkschaften geführt hatten, haben heute noch Aktualität: die »Krise der Politik der Sozialpartnerschaft« (die sich u.a. im »Bündnis für Arbeit« ausdrückte) und »vielleicht sogar des Reformismus«, die Spaltungs-, Prekarisierungs- und Verarmungsprozesse in der Gesellschaft, die auch als Folge der Anpassung der Gewerkschaften an einen umfassenden, standortorientierten Wettbewerbskorporatismus auf nationaler und betrieblicher Ebene verstanden wurde, die ideologische Attraktivität neoliberaler Argumentationsfiguren etc. All dies erfordere einen »Perspektivenwechsel« und einen »Neuanfang«. Zu den Gründungseinsichten gehörte, dass die innergewerkschaftliche Diskussion sich öffnen müsse für eine Diskussion über »neue, fortschrittliche Formen der Vergesellschaftung«, dass gewerkschaftliche Bewegung sich nicht in Trillerpfeifen-Tarifritualen erschöpft, dass Gewerkschaften ihr Herz und ihren politischen Verstand nicht dem nächstbesten Parlamentarier in die Hand drücken sollten - und sei es ein Sozialdemokrat -, dass sie ihr politisches Mandat vielmehr und immer wieder unabhängig davon entwickeln müssen, dass dazu auch gehört, Fragen der Lohnabhängigkeit als gesellschaftliche zu begreifen, kurzum: autonom zu werden. [1] Und das hatte schon damals nicht nur mit den Inhalten von Opposition, sondern auch mit ihrer Form zu tun. Die Initiative hatte sich immer wieder darüber verständigt, dass sie sich mit dem »Arbeitsausschuss« ein koordinierendes Selbstverwaltungsgremium geben wolle - nicht: ein ZK! -, dass die Konferenzen ein Ort des Austauschs und der Debatte sein sollten, dass aber die Konferenzen ebenso wie der Arbeitsausschuss immer nur so stark sein würden wie die Arbeitszusammenhänge vor Ort, d.h. die gewerkschaftlichen Foren, deren es mal mehr, mal weniger gab - in letzter Zeit sind sogar wieder einige neue entstanden... Ohne hier dem Fazit, das am kommenden Wochenende vom Arbeitsausschuss der G-Linken selbst gezogen werden wird, vorgreifen zu können und zu wollen: Selten war eine Konferenz weiter von diesem Anspruch entfernt. Und dies trotz eines verheißungsvollen quasi Neuanfangs letzten Herbst in Frankfurt, auf dem tatsächlich ein Austausch über eine Reihe interessanter Arbeitskämpfe mit und zwischen Involvierten stattfand - vom Hamburger Hafen über Alstom Mannheim, DaimlerChrysler Untertürkheim, Gate Gourmet, dem frisch gestreikten Öffentlichen Dienst bis zu Krankenhausbeschäftigten.[2] Und trotz eines Programms, das dieses Mal in Stuttgart mit seinem Bezug zum lokalen Erinnern an den Sozialistenkongress von 1907 und dem Anknüpfen an die von Rosa Luxemburg maßgeblich mitgeprägte Massenstreikdebatte eine Fülle von Möglichkeiten zu einer lebendigen Auseinandersetzung gehabt hätte: z.B. darüber, was es für aktuelle Auseinandersetzungen z.B. bei der Telekom, der Bahn oder auch der Post heißt, wenn es, wie Tom Adler, BR bei DC in Stuttgart, in seinem Referat zur Geschichte politischer Streiks in der BRD mit Bezug auf Luxemburg formulierte, keine Dichotomie zwischen ökonomischen und politischen Streiks gebe. Wenn - im Voraus schon gar nicht - klar sei, wann aus >bloß< ökonomischen Auseinandersetzungen politische würden. Oder umgekehrt: Wenn aus einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung wie der um die Rente mit 67, für die Anfang dieses Jahres immerhin, so Adler, rund 300000 MetallerInnen gestreikt hätten, aufgrund eines politischen Deals plötzlich eine Klein-Klein-Lösung wie die Verlängerung der Altersteilzeit-Regelung für die noch Beschäftigten gebastelt und mit dieser jegliche Dynamik erstickt worden sei. Und zwar nicht nur, wie Tom Adler formulierte, im Interesse des Staats als »ideellem Gesamtkapitalisten«, sondern auch all derer in den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie, denen jede solche gesellschaftliche Dynamik, die an existentielle Bedürfnisse vieler anknüpfen könne, suspekt sei. Doch das, was Tom Adler mit seinem historischen Rückblick versuchte, blieb als Ausblick uneingelöst: die Frage danach und der genaue Blick darauf, wie »gesellschaftliche Dynamik« entsteht. Zwischen den historischen Bezügen von vor allem Ulla Jelpke und Theo Bergmann, die anhand der Massenstreikdebatte kenntnisreich den Zusammenhang zwischen dem Abbau demokratischer, d.h. politischer Freiheitsrechte und sozialer Rechte bzw. »Errungenschaften« beschrieben, und den Berichten über laufende Auseinandersetzungen wie bei BSH, Telekom oder über den Konflikt um ERA in Berlin-Marienfelde, klaffte ein Graben von gähnenmachender Tiefe. Die Beiträge von Jelpke und Bergmann blieben, was sie von vornherein waren: äußerliches Rahmenprogramm, wie bei einem schlechten Festakt. Jelpkes Ausführungen über die drastischen innenpolitischen Restriktionen im Vorfeld und während des G8-Gipfels standen im Raum. Und sie blieben dort stehen, abgesehen von Appellen an die Gewerkschaften, diese müssten erkennen, dass der Rechtsstaat als historisch erkämpfter Kompromiss aufgekündigt werde, »und das betrifft uns alle«. Ja, aber wie? Dieser Graben drückte sich auch in der - nicht nur physischen - Abwesenheit der TeilnehmerInnen aus: Von den rund 120, die zu Hochzeiten den großen Böckler-Saal gerade mal halbvoll aussehen ließen, führte meistens ein rundes Drittel die ihm wichtigen Gespräche draußen - auf den Fluren. Dabei war Stuttgart im Laufe der bislang neun Konferenzen als Austragungsort immer der Publikumsmagnet gewesen - mit 200 bis zu 400 TeilnehmerInnen, davon viele aus der Region, die immer noch das Epizentrum der matrix- und branchenübergreifenden, kritischen Gewerkschaftsöffentlichkeit und -aktivitäten ist. Zu erklären ist, warum diesmal von vornherein so wenig kamen - und warum von denen, die kamen, so viele draußen blieben oder wieder gingen. a) Könnte es sein, dass die G-Linke mit der revitalisierten B&G-Linken der LINKEN eine >Konkurrenz< bekommen hat? In Stuttgart konnte man den Eindruck gewinnen, als ob alle, die schon seit Gründungszeiten der Ansicht waren, dass die Initiative zur Vernetzung der G-Linken deshalb so »schwach« (dahingestellt, was hier der Maßstab ist), weil sie zu wenig »Organisation« sei, zu wenig »Profil« und »Programm« habe, zu lange brauche, wo schnelle, tatkräftige Intervention und/oder Veröffentlichung von Positionspapieren gefordert sei, ihre wahre Heimat nun gefunden haben. Verblieben sind die anderen, die diese Heimat in der LINKEN aus verschiedenen Gründen nicht finden: RSB, SAV, Teile der MLPD, der Spartakusbunds etc. b) Das heißt nicht, dass hier, bei den Verbliebenen, die Orientierung auf »schlagkräftige Strukturen«, die zu entwickeln, und eine »Massenbasis«, wahlweise »unsere Kolleginnen und Kollegen draußen in den Betrieben«, die »dafür« gebraucht würden, weniger ausgeprägt ist. Ohne den offensichtlichen Gegensatz zur faktisch mangelnden Präsenz der Menschen in Betrieben und Verwaltungen auf der Konferenz zu thematisieren, wird hier aber - notabene bloß »im Namen« all jener Menschen, für die man spricht - eine Art von Konferenzdramaturgie betrieben, die einen zu der Frage führt, wen von all diesen vielbeschworenen Basismenschen, d.h. wen von seinen Freunden, Bekannten, Kollegen, man eigentlich gerne mitnehmen würde zu solch einer Veranstaltung. Und das wiederum hängt mit einer Art missionarischer Zwangseuphorie zusammen, die über alle Köpfe hinweg Kampf predigt, selbstverständlich dessen Ziele kennt und auch gleich benennt und immer wieder die gleichen Erklärungen dafür hat, dass so wenig Resonanz im Resonanzkörper erzeugt wird. Eine dieser Zwangseuphorismen stammte von Ulla Jelpke selbst, die ihren eigenen Beitrag zur Militarisierung und zur Verschärfung der innenpolitischen Repression in der BRD, an den sich die Frage angeschlossen hätte, warum es jetzt keinen Aufstand in den Gewerkschaften und der Öffentlichkeit gab, der vergleichbar mit den Protesten angesichts der Notstandsgesetze gewesen wäre, und wie sich der Zusammenhang zwischen politischer und sozialer Repression zur Zeit darstellt, mit dem Fazit entwertete: »Die bereiten sich auf eine Revolution vor, die es noch gar nicht gibt.« »Noch«? Was ist das für eine Art von Revolution, von der behauptet wird, sie stehe kurz bevor - und die doch »noch« nicht da ist? Hieran wäre anzuschließen gewesen - aber nur mit einem genaueren Hinschauen und -hören. Das aber war gerade nicht die Stärke der versammelten G-Linken... Die will stattdessen mit ihren nicht hinterfragten, sonnenklaren Gewissheiten und kleinen Abzeichen »in die Köpfe der Leute rein«. Ob in diesen Köpfen nicht schon allerhand ist, ob sich das so mir-nichts-dir-nichts verdrängen lässt, und ob »die Leute« solche Art Gehirnforscher überhaupt reinlassen wollen, all das interessiert nicht so sehr. Das machte sich auch deutlich in der allgegenwärtigen Forderung zur Entwicklung von Forderungen, die möglichst allgemein, aber zugleich konkret, möglichst kurz und prägnant und zugleich von möglichst vielen zu tragen sein sollten. Wie hieß es im Rahmen einer Arbeitsausschuss-Sitzung: »Wir brauchen eine Selbstdarstellung und ein Forderungsprogramm, damit ich zu den Kolleginnen und Kollegen im Betrieb sprechen kann...« Was bei solchen Vorstellungen von Politisierung herauskommt, zeigt die Auseinandersetzung um den Arbeitskampf bei DC in Berlin Marienfelde. KollegInnen aus dem Werk, in dem Beschäftigte seit Monaten gegen die Umsetzung des Entgeltrahmenabkommens ERA protestieren, z.T. mit regelmäßigen Infostunden vor dem Werkstor verbunden, berichteten in Stuttgart über ihren Konflikt mit der örtlichen IG Metall, die hinter dem von ihr mit abgeschlossenen Tarifwerk steht und die Kritik der Beschäftigten nicht teilt, mittlerweile sogar gegen einen kritischen Betriebsrat und einen Vertrauensmann Sanktionen angedroht hat. Neben der berechtigten Unterstützung der beiden Funktionsträger gegen IGM und DC-Management, das, so hieß es, mit fristlosen Kündigungen gedroht hätte, forderten die Berliner, den »Protest [gegen ERA] zu koordinieren und gemeinsam Aktionen anzustreben«. Eine Form könne sein, in allen DC- und Autowerken »jeden Mittwoch um 14 Uhr vor dem Werk den Protest öffentlichkeitswirksam zu machen«. Doch welche Proteste sind es, die koordiniert werden sollen? Warum hat sich in den vergangenen Jahren an der Einführung der neuen Entgeltgruppen und ihrer Kriterien und jetzt an der faktischen Eingruppierung kein breiter Protest gebildet? Anders gefragt: Stimmt die Formel vom »Lohnraub« für alle die, die von ERA betroffen sind, und wie ist mit dem Problem umzugehen, dass unterschiedliche Beschäftigtengruppen gerade unterschiedlich betroffen sind? Es geht nicht darum zu bestreiten, dass Proteste notwendig und wünschenswert wären, aber mit Forderungsdiskussionen und Beschwörungsappellen à la »Wir brauchen einen Generalstreik«, »französische Verhältnisse« oder mindestens doch »zentrale Aktionstage« etc. kommt man hier offenbar nicht weiter. Vielleicht eher mit Neugier und dem Suchen nach den sozialen Dynamiken in der Gesellschaft, in denen sich Ausbruchsversuche aus erdrückend und zu eng gewordenen alten Formen zeigen - wie z.B. derzeit dem Lokführerstreik oder kürzlich den Ärztestreiks. Es ist genauso fatal, diesen neuen Formen mit dem Argument der Gewerkschaftsspaltung, der Gefährdung gewerkschaftlicher Einheit o.ä. zu begegnen, wie es an den Potentialen »der Leute« vorbeigeht, die auf der Suche nach neuen Formen die eingetretenen Pfade gewerkschaftlicher Organisierung mitsamt ihrer Rituale verlassen oder gar nicht erst betreten, ihnen mit der Beitrittserklärung vor der Nase herumzuwedeln und auf ewig den Mangel an Alternativen - zur Gewerkschaft - zu beschwören. Ein Moment der Krise der Gewerkschaften - s.o. - besteht eben darin, dass sie auf die gesellschaftlichen Veränderungen mit ihren alten Formen keine adäquate Antworten mehr geben kann. Aber das gilt auch für die G-Linke, und soweit war man vor Stuttgart Nr. 9 bereits. Kirsten Huckenbeck/Willi Hajek Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 7/07 (1) Alle Zitate aus: Redaktion Sozialismus/Redaktion express (Hg.): »Perspektiven der Gewerkschaftslinken. Diskussionen - Positionen - Materialien«, Supplement Sozialismus 7-8/99 und express 6-7/99. (2) Netzwerk-Info Gewerkschaftslinke: »Gegen Entlassungen - für den Erhalt tariflicher und sozialer Standards! Perspektiven und Kampfformen«, Reader zum 8. bundesweiten Kongress im September 2006 der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken.
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