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"Aktuelle und perspektivische Herausforderungen an die Gewerkschaftslinke" sollten am ersten Tag des 4. bundesweiten Treffens der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken, zu dem sich etwa 150 Interessierte am 12. und 13. Oktober in Stuttgart versammelten, beraten werden.
Als Diskussionsanstöße waren Einleitungsreferate zu den Themenkomplexen Mitbestimmung/Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG), Tarifpolitik sowie Sozialpolitik mit Schwerpunkt Systemwechsel in der Sozialversicherung vorgesehen.
Zu allen drei Themenschwerpunkten hätten sich auch interessante Fragestellungen angeboten, die, ausgehend von einer selbstkritischen Bestandsaufnahme dessen, was seit den ersten großen Treffen der Gewerkschaftslinken 1999 erreicht wurde, geeignet gewesen wären, zu einer strategischen Diskussion über die realen Möglichkeiten der Gewerkschaftslinken überzuleiten. Leider wurde diese Chance bestmöglich vertan.
So wurde zum Thema Betriebsverfassung noch einmal angeprangert, dass die DGB-Führung ihren eigenen Reformentwurf nicht ernst nahm, sondern sich ganz rasch nur noch am Regierungsentwurf orientierte. Ausgespart blieb aber eine Reflexion, warum bei diesem Thema die Gewerkschaftslinke, die sich 1999 auf ihrem 2. Bundestreffen ja einiges vorgenommen hatte, völlig einflusslos blieb und es nicht gelang, an der vielbeschworenen Basis in den Betrieben nennenswertes Interesse an der Debatte zum BetrVG zu wecken. Die Anwesenden wurden dafür am Ende aufgeklärt, dass es jetzt darauf ankomme, in der Praxis das Beste aus dem Gesetz zu machen, und dass die Initiierung einer aktiven Vertrauensleutearbeit wieder auf der Tagesordnung stünde.
Ähnliches beim Thema Tarifpolitik: Die Erkenntnis, dass die Tarifrunde 2000 kein tarifpolitischer Erfolg gewesen ist, teilte ohne Zweifel das ganze Auditorium. Jedoch wurde diese Binsenweisheit nicht mit der Frage nach der Rolle der Gewerkschaftslinken in eben dieser Tarifrunde verknüpft. Eine Gewerkschaftslinke, die immerhin 1999 in Stuttgart teilweise recht wortradikal der Gewerkschaftsbürokratie den politischen Kampf angesagt und sich vorgenommen hatte, in Gewerkschaften und Betrieben gegen schleichenden Lohnabbau und für Arbeitszeitverkürzung zu agitieren. Statt selbstkritischer Bilanz des nicht Erreichten wurde unter dem Motto "Umverteilung auf die Tagesordnung" jetzt eine "kämpferische Lohn-Tarifrunde" 2002 beschworen, die mit der Anti-Kriegsbewegung zu verbinden sei.[1]
Für die AG Sozialpolitik waren zwei Referate vorgesehen. Das erste zur Arbeitslosigkeit setzte sich vor allem mit der so genannten "Faulenzerdebatte" auseinander. Im Stile von "Nicht Faulheit Profit ist das Problem" wurden vor allem Allgemeinplätze verkündet, die zwar bei einem Teil des Publikums gut ankamen, aber die Debatte um die Frage, wie und von wem die geforderte radikale Arbeitszeitverkürzung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zunächst in den Betrieben verankert und dann durchgesetzt werden soll, keinen Millimeter voran brachte.
Für den zweiten Vortrag zum Systemwechsel in der Sozialversicherung blieb nach diesen noch dazu langatmigen Ausführungen nur noch wenig Zeit. Der Referent verzichtete dankenswerter Weise auf starke Worte und wies daraufhin, dass die so genannte Riester-Reform auch eine Niederlage für die Gewerkschaftslinke war. Es wäre zu wünschen gewesen, dass dafür mehr Raum gewesen wäre. Denn auch in der Rentenfrage hatte sich der Kongress 1999 viel vorgenommen. Zu diskutieren bliebe, warum es gerade in Stuttgart die einzigen betrieblichen Kundgebungen gegen die Riester-Vorschläge gegeben hat und warum praktisch nur dort. Als Voraussetzung einer erfolgreicheren Abwehr des Endes der solidarischen Krankenversicherung wurde unter anderem benannt, das ideologische Dogma der "hohen Lohnnebenkosten", das auch unter den Beschäftigten verbreitet ist, anzugehen. Außerdem wären die Betriebskrankenkassen eigentlich in ihrer jetzigen Gestalt zu kippen, da sie besonders deutlich die Flucht aus der Solidarität der allgemeinen Krankenkassen manifestierten.
Leider wurde in der sich an die Referate anschließenden Diskussion gerade auf den letzten Punkt nicht eingegangen, denn es wäre interessant gewesen zu erfahren, mit wem der Ausstieg aus den für die Beteiligten beitragslukrativen Betriebskrankenkassen denn geschafft werden könne. Auch für das Betriebsverfassungsgesetz interessierte sich kaum jemand in einer Debatte, die sich nahezu ausschließlich auf die Tarifpolitik konzentrierte und damit den bereits bei vergangenen Treffen zu beobachtenden Interessenschwerpunkt bestätigte. Hier waren sich viele RednerInnen in dem Wunsch einig, die Tarifrunde 2002 als Wendepunkt in der Gewerkschaftspolitik zu organisieren. Allein, es blieb offen, welche Beschäftigtengruppen diesen Richtungswechsel nicht nur wollen, sondern auch durchzusetzen bereit sind. So wurde viel Diskussionszeit verbraucht, die gerade am Ende des Abends fehlte, als sich angesichts verschiedener nachdenklicher Beiträge doch noch so etwas wie eine Kontroverse in einer sich nun auch aufeinander beziehenden Debatte zu entwickeln begann.
In der Feststellung, dass eine Tarifrunde zwar gesellschaftlicher Hegemonie bedürfe, um wirklich erfolgreich zu sein, gesellschaftliche Hegemonie aber nicht durch eine Tarifrunde zu erreichen sei (siehe den Redebeitrag von M. Dieckmann), manifestierte sich der eine Pol in der Diskussion, der sich vor allem auf Erfahrungen aus dem Bereich privater Dienstleistungsunternehmen mit geringen Organisationsgraden bezog. Neben diesem wurde als weiterer Pol entlang des Bildes von tarif- und gewerkschaftspolitischen Sümpfen und Hügeln die Position formuliert, die Hügel der noch bestehenden industriellen Kerne mit hoher gewerkschaftlicher Organisation und überdurchschnittlichen tariflichen Standards zu verteidigen und zum Bezugspunkt der Auseinandersetzungen zu machen. Gerade weil es über alle Branchen hinweg schwierig aussehe, müsse dort, wo es noch möglich sei, eine offensive Ausrichtung der Tarifrunde versucht werden, um so zumindest zu verhindern, dass die Nivellierung der Tariflandschaft nur noch nach unten hin stattfinde. In dieser Gegenüberstellung der Gleichzeitigkeit von Erfahrungen aus der süddeutschen Autoindustrie, wo sich wie zuletzt bei den Auseinandersetzungen um die Lohnfortzahlung im Zweifelsfall immer noch tausende Beschäftigte für ihre Interessen in Bewegung setzen, und denjenigen aus meist kleinbetrieblich organisierten (wenn auch in großen Konzernen zusammengefassten) neuen und alten Dienstleistungsbetrieben hätte die Diskussion spannend werden können. Hier wäre es interessant geworden zu diskutieren, ob von den Hügeln der industriellen Kerne die Trockenlegung der Sümpfe ausgeht, oder ob nicht vielmehr die tarifpolitischen Sümpfe sich ausbreiten und die Hügel aufweichen und was dagegen zu tun ist.
Diese Frage war für den Samstag vorgesehen, konnte jedoch keiner näheren Klärung zugeführt werden. Bei den ursprünglich vorgesehenen Einführungsvorträgen mussten auf Grund von Absagen kurzfristige Änderungen vorgenommen werden. Hinzukam, dass sich das Hauptreferat unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse seit dem 11. September verständlicherweise hauptsächlich mit der Weltlage und den drohenden außen- wie innenpolitischen Verwerfungen beschäftigte, kaum aber, wie vorgesehen, mit den "Politischen Perspektiven der Gewerkschaften zwischen Opposition und Kooperation" und dadurch zu großen Teilen am vorgesehenen Thema vorbeiging.
Aber auch die anschließende Diskussion brachte die Frage nach den Gewerkschaften mit Zukunft nicht weiter. Zu heterogen waren die Beiträge und zu wenig wurde auf einander bezogen diskutiert. Die Zukunfts- und Programmdebatte der Gewerkschaften wird zwar verfolgt, aber ein Teil der RednerInnen wusste ohnehin schon, dass dabei eigentlich nichts herauskommen könne. Die von einem Diskutanten vorgelegten interessanten Ergebnisse einer Beschäftigtenbefragung der IG-Metall, in der sich zeigt, dass große Mehrheiten von Beschäftigten im Metallbereich ihre betriebliche Zukunft mehr als kritisch beurteilen, zugleich allerdings keine Chance sehen, daran etwas zu ändern, wurden typischerweise in den nachfolgenden Beiträgen nicht weiter aufgegriffen. Besonders kurios in diesem Zusammenhang der von einem Redner des tatsachenresistenten Teils des Publikums geäußerte Vorwurf an die IGM, sie führe eine Zukunftsdebatte, ohne dass die Führung eine Linie vorgegeben habe. Dieses Niveau der Kritik wurde glücklicherweise nicht immer erreicht, aber es hat auch niemand gelacht.
Kurz vor 13 Uhr war es geschafft. Die Versammlung löste sich so rasch auf, dass der Eindruck nicht zu vermeiden war, dass entgegen dem vermutlich nur in langjährigen gewerkschaftlichen Kämpfen zu erwerbendem Optimismus, mit dem der Abschlussredner die Veranstaltung beendete, die meisten froh waren, schnell auf die Friedensdemonstration oder gleich nach Hause zu kommen.
Das Treffen offenbarte, dass jeder Versuch aus den in Stuttgart versammelten Gewerkschaftslinken die Gewerkschaftslinke zu konstruieren, die womöglich noch einheitlich handlungsfähig sein soll, zum Scheitern verurteilt ist. Die vor zwei Jahren im express vertretene Ansicht, dass es für Gewerkschaftslinke derzeit eigentlich nur um Selbstverständigung und Diskussion gehen kann, und dass alle Versuche eine bundesweite Interventionsfähigkeit zu simulieren, lediglich in folgenlosen Proklamationen zu enden drohen, hat sich bestätigt. Die interessantesten Momente hat die Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken noch in ihren unter dem Jahr tagenden Arbeitsgruppen. Hier wurde in Stuttgart weitere Gruppen zum Internationalismus, zu gewerkschaftlicher Betriebspolitik und zur Programmdebatte ins Leben gerufen, in denen es vielleicht eher möglich ist, auch die angestrebten praktischen Verabredungen zu treffen.
Anmerkung: Siehe die Dokumentation der Diskussionsvorlage der AG Tarifpolitik der Vernetzungsinitiative der Gewerkschaftslinken auf S. 9 dieser Ausgabe.
LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace |
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