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Gesellschaftliche Hegemonie durch Tarifpolitik?

"Wichtiger als hohe Lohnforderungen ist die Diskussion der eigenen Widersprüche"

Martin Dieckmann*

Zum Auftakt der vierten Konferenz der Gewerkschaftslinken entspann sich eine Diskussion über die nächste Tarifrunde – eine Diskussion, die für manche Teilnehmende eigentlich keine war. Ihnen schien es so, als ob im Vorwege der Praxis nach Auktionsart möglichst hohe Forderungen gehandelt würden. Nicht gegen die AG Tarifpolitik, sondern gegen derartige Forderungspolitik bezog Martin Dieckmann Stellung in dieser Diskussion. Im Folgenden die schriftliche Fassung seines Redebeitrags.

 

Ich weiß nicht mehr, aus welcher Welt ich komme, wenn ich den Verlauf der Diskussion nachvollziehe. Erst kürzlich musste ich mich der Frage eines JAV-Vertreters in einem Verlagshaus stellen, was denn die Gewerkschaften gegen die "skandalös hohen Lohnnebenkosten unternehmen" würden. Das ist nur ein Moment in einer Kette von Erfahrungen mit einem Alltagsbewusstsein, in dem sich schon längst – und in sehr breitem Maße – das Rentabilitätskriterium festgesetzt hat. Wenn ich die AG Tarifpolitik und insbesondere Bernd Riexinger richtig verstanden habe, dann haben wir zu analysieren, wo und wie wir die Hegemonie der Herrschenden durchbrechen können. Also durch eine Wende des gesellschaftlichen "Klimas" oder wie man es nennen mag. Eine solche grundlegende Klima-Wende ist aber notwendig, um auf Teilfeldern, wie es die Tarifpolitik nun einmal ist, erfolgreich sein zu können. An die Umkehrung glaube ich nicht: Durch Tarifpolitik erringt man keine gesellschaftliche Hegemonie.

Die Vorherrschaft des Rentabilitätsdenkens im Alltagsbewusstsein halte ich zwar für entscheidend, dazu oder daneben aber auch dessen Gegensatz – so etwas wie ein stummer Schrei nach "sozialer Gerechtigkeit". Dieser Gegensatz verläuft nicht zwischen den Menschen, sondern zieht sich mitten durch sie hindurch. Und so wäre, nein: ist es unsere Aufgabe, die Menschen mit ihren eigenen Widersprüchen zu konfrontieren. Das ist der Kern von Lernprozessen, und mir geht es darum, überhaupt wieder Lernprozesse in kollektiven Handlungen in Gang zu bringen. Prozesse, in denen wir glaubwürdig sein müssen, damit die Anderen wieder lernen, an sich selbst zu glauben. Daran gemessen ist die Frage nach der Höhe von Forderungen völlig drittrangig, solche Forderungspolitik kann vielmehr sogar desaströs enden. Gerade wir in der IG Medien haben da manche Lektion einstecken müssen. Und die Schlussfolgerung daraus war: dass man Forderungen artikuliert, deren Realisierung die KollegInnen sich selbst auch zutrauen.

Noch einmal zum Alltagsbewusstsein. Mit Verlaub, die hier fortgesetzte Forderungsdiskussion unterstellt bei der Masse der KollegInnen eine gewerkschaftlich-solidarische Grundhaltung. Eine Basis, an der man einfach nur ansetzen und deren Ziele man nur radikalisieren müsste (wenn das eine Lohnforderung überhaupt hergibt). Ich komme da wohl wirklich aus einer anderen Welt, die aus Betrieben mit Organisationsgraden von mal zehn, mal acht, mal zwölf Prozent zusammengesetzt ist. Dort Prozesse, Lernprozesse in Gang zu setzen, halte ich tatsächlich für den exemplarischen Fortschritt – und ich glaube im Übrigen, dass es auch anderswo mit der Selbstverständlichkeit einer gewerkschaftlich-solidarischen Grundhaltung keineswegs weit her ist. Oder wo ist denn bislang die Konkurrenz zwischen den Standorten jemals wirklich kämpferisch aufgehoben worden? Sind Belegschaften nicht mehr erpressbar? Überlagert das Rentabilitätskriterium denn bislang nicht jede übergreifende solidarische Anstrengung?

Ich möchte noch auf ein anderes Problem hinweisen. Sind die Menschen hin und her gerissen im Gegensatz zwischen Rentabilitätsprinzip und einem letztlich passiven Wunsch nach "sozialer Gerechtigkeit", unterstellen derart markige Forderungen ein Stellvertreterpotenzial, das dem Delegieren von Wunscherfüllungen kein Ende setzt, sondern es bestätigt. Heraus kommt ein Schaukampf von Forderungsvertretern.

Will man die gesellschaftliche Dimension – was mit "Hegemonie" nur provisorisch thematisiert wird – und die unmittelbare tarifpolitische Auseinandersetzung vermitteln, dann muss im Übrigen nicht in der Höhe der Forderung, sondern in der Art und Weise der Umverteilung – so, wie sie gefordert wird – eine gesellschaftliche Alternative erkennbar werden. Denn sehr wohl gehört zur "Umverteilung von oben nach unten" auch ein Modell der "Umverteilung unten", also auch innerhalb der "Klasse".

Zum Schluss: Ich wünsche mir eine Diskussion, die einen wirklichen Erfahrungsgehalt hat. Die Eskalation der Forderungen bringt mir nichts von dem mit, was ihr in den Betrieben – in der Auseinandersetzung mit KollegInnen, die doch oft genug auch eine Konfrontation ist – erlebt. Ich wünsche mir also eine Debatte, die auch von unseren eigenen Widersprüchen ausgeht – erst dann wird man glaubwürdig werden und die anderen mit ihren eigenen Widersprüchen konfrontieren können. So, nur so, werden schließlich Lernprozesse ausgelöst. Und auf die kommt es an.

 

* Martin Dieckmann arbeitet für ver.di im Fachbereich Medien.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10/01


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