Düsseldorf, 13. Juli 1999
Heute morgen hat das Düsseldorfer Arbeitsgericht in der Klage des Betriebsratsmitglieds Klaus Specht gegen seinen Arbeitgeber Mercedes Lenkungen GmbH, ein Betrieb, der zum DaimlerChrysler-Konzern gehört, entschieden.
Der Saal 004 war so gut gefüllt mit Freunden, Mitgliedern des Solidaritätskreises, Betriebskollegen, Angehörigen und sonstigen Interessenten, daß die Sitzplätze nicht ausreichten. Die Hälfte der ca. 50 Besucher verfolgte den Prozess stehend.
Die Klage gegen die fristlose Kündigung wurde indessen abgewiesen, nachdem das Gericht ohne Erfolg eine fristgerechte Kündigung nahegelegt hatte.
Klaus Specht hatte auf einer außerordentlichen Betriebsratssitzung am 9. April, auf der die Geschäftsleitung über ein neues Vergütungssystem informierte, für eine halbe Stunde ein Tonbandgerät benutzt, um dem Vortrag akustisch besser folgen zu können. Klaus Specht hat einen leichten Hörschaden. Den Umstand, daß der Kläger das Tonbandgerät ohne Rücksprache benutzt hatte, wertete der Richter Schmidt-Schoelemann in seiner mündlichen Begründung als Vertrauensbruch, der die fristlose Kündigung rechtfertige. Immerhin handle es sich dabei um einen Straftatbestand nach Paragraph 201 des Strafgesetzbuches. Der Tatbestand sei hier rechtlich ebenso zu werten und seine Strafbarkeit bekannt wie bei Diebstahl, Urkundenfälschung oder Betrug, erläuterte der Richter dem erstaunten Auditorium. Auch ein Diebstahl rechtfertige in der Regel eine Kündigung und müsse nicht erst abgemahnt werden.
Zu den Aspekten, die vom Kläger bzw. seiner Rechtsanwältin Windirsch vorgebracht wurden, erklärte der Richter, daß sie ohne Belang seien. Der Arbeitgeber hatte geltend gemacht, daß sein neues Entgeltkonzept streng vertraulich sei. Der Kläger wies dagegen nach, daß dieses Konzept vielfach, sogar in Buchform veröffentlicht worden sei und im Kasseler DaimlerChrysler-Werk schon praktiziert werde. Nicht berücksichtigen wollte der Richter auch den Umstand, daß dem Kläger die Strafbarkeit seiner Handlung nicht bewußt gewesen sei. Ebensowenig sei von Belang, daß es sich bei Klaus Specht um ein Mitglied einer Minderheitsfraktion des Betriebsrats handle, der der Mehrheitsfraktion unter anderem bezüglich dieses neuen Vergütungssystems kritisch gegenüberstehe. Rechtlich ebenfalls ohne Gewicht sei der Umstand, daß womöglich durch Bedienungs- und technische Mängel das Band gar keine entsprechende Aufnahme enthalte. Klaus Specht hatte sich unmittelbar entschuldigt und sofort und unaufgefordert die Tonbandcassette der Tagungsleitung zur Verfügung gestellt. Als merkwürdig wurde im Publikum empfunden, daß das Band während der Gerichtsverhandlung nicht zur Verfügung stand, sondern nach Auskunft des Vertreters der Firma im Tresor des Betriebsrats verwahrt sei.
Nicht zur Sprache kam während der Verhandlung die von der Geschäftsleitung bestrittene Gefährdung des Düsseldorfer Standorts von Mercedes Lenkungen durch die Errichtung anderer Werke in Mülheim/Ruhr, in Schönebeck (Sachsen-Anhalt) und anderswo. Zeitweilig gab es zwar Heiterkeit im Publikum über ein Mißverständnis des Richters - er verstand "Zahnstein", als von "Zahnstange" die Rede war, - und über die Behauptung vom Vertreter der Firma Mercedes in diesem Prozess, Herrn Linden, heutzutage seien Arbeitnehmer rechtlich doch den Arbeitgebern gleichgestellt.
Das Urteil aber löste große Empörung aus und tiefe Enttäuschung, die sich auch in Tränen äußerte. Allgemein war man der Meinung, daß hier ein fortschrittlicher Betriebsrat wegen seiner Kritik an der Geschäftsleitung unter einem Vorwand verfolgt werde und in Existenznot getrieben werden soll. Aller Voraussicht nach wird Klaus Specht in Berufung gehen.
Der Solidaritätskreis wird morgen, um 14.30 Uhr, in der Gaststätte "Weißes Haus", Rather Str. 49 über den Prozess berichten. Die Rechtsanwältin ist ebenfalls anwesend.